KAPITEL 5

HARTE ARBEIT IST WICHTIG

Ich interviewte Marty Schwartz am Abend eines langen Handelstags. Er war gerade mit seiner täglichen Marktanalyse beschäftigt, mit der er sich auf den nächsten Tag vorbereitet. Das Interview dauerte lange und als wir fertig waren, war es schon spät. Schwartz war sichtlich müde. Aber er wollte noch nicht Feierabend machen. Er musste noch seine tägliche Marktanalyse abschließen. Dazu führte er aus: „Ich habe die Einstellung, dass ich immer besser vorbereitet sein will als jemand, gegen den ich antrete. Und ich bereite mich dadurch vor, dass ich jeden Abend meine Arbeit mache.“

Ich habe die Einstellung, dass ich immer besser vorbereitet sein will als jemand, gegen den ich antrete. Und ich bereite mich dadurch vor, dass ich jeden Abend meine Arbeit mache.

– Marty Schwartz

Ich war erstaunt, als ich feststellte, dass so viele der von mir interviewten Trader Workaholics sind. Ich könnte dafür zwar viele Beispiele anführen, möchte aber nur einen Blick auf zwei der interviewten Trader werfen, um Ihnen einen Eindruck von dem Arbeitsethos zu vermitteln, das für sehr erfolgreiche Trader typisch ist.

David Shaw

David Shaw ist der Gründer von D. E. Shaw, einer der erfolgreichsten Firmen der Welt, die quantitatives Trading betreiben. Er stellte dutzendweise die brillantesten Mathematiker, Physiker und Informatiker des Landes ein. Sie sollten zahlreiche Computermodelle entwickeln, mit denen man konsequent dadurch Gewinn aus den Märkten ziehen kann, dass man Preisdiskrepanzen zwischen verschiedenen Wertpapieren ausnutzt. Die Handelsstrategie, die sich daraus ergibt, ist überaus komplex. Sie handelt mit Tausenden verschiedenen Finanzinstrumenten, unter anderem Aktien, Warrants, Optionen und Wandelanleihen an allen bedeutenden Märkten der Welt. Man könnte meinen, die Leitung dieses umfangreichen Trading-Betriebs und dazu die Leitung und Beaufsichtigung der laufenden Recherchen eines umfangreichen Teams aus brillanten quantitativ orientierten Wissenschaftlern seien mehr als genug Arbeit für einen einzelnen Menschen. Doch für Shaw war das offenbar noch nicht genug.

Im Laufe der Jahre brachte seine Firma mehrere andere Firmen hervor, die aus dem Mutterunternehmen ausgegliedert wurden, unter anderem Juno Online Services (später mit United Online fusioniert), ein Unternehmen für Finanztechnologie, das an Merrill Lynch verkauft wurde, einen Onlinebroker und eine Marketmaking- Firma. Überdies befasste sich Shaw intensiv mit rechnergestützter Biochemie und stellte mehreren Firmen auf diesem Gebiet Wagniskapital zur Verfügung. (Schließlich übergab Shaw die Leitung von D. E. Shaw an ein Management-Team, damit er sich in Vollzeit der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der rechnergestützten Biochemie widmen konnte.) Zusätzlich zu all diesen Unternehmungen gehörte Shaw dem technischen und wissenschaftlichen Beraterteam von Präsident Bill Clinton an und saß dem Panel on Educational Technology vor. Man kann sich schwer vorstellen, wie ein einzelner Mensch das alles schaffen kann. Ich fragte Shaw, ob er sich jemals Urlaub nehme, und er antwortete darauf: „Nicht viel. Wenn ich Urlaub nehme, merke ich, dass ich jeden Tag ein paar Stunden Arbeit brauche, um bei Verstand zu bleiben.“

John Bender

John Bender war ein brillanter Optionshändler, der für George Soros’ Quantum Fund Geld verwaltete und außerdem für einen eigenen Fonds tradete. Als ich ihn 1999 interviewte, hatte sein Fonds eine durchschnittliche kumulierte Jahresrendite von 33 Prozent bei einem maximalen Drawdown von sechs Prozent erzielt. Im Jahr darauf (dem letzten Jahr des Fonds) verbuchte er die erstaunliche Rendite von 269 Prozent, weil sich die Options-Trades, die Bender im Hinblick auf ein bevorstehendes bedeutendes Hoch des Aktienmarkts platziert hatte, als enorm profitabel erwiesen. Er schloss den Fonds im Jahr 2000, weil er ein Gehirnaneurysma hatte. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts kaufte er riesige Regenwaldflächen in Costa Rica und richtete dort ein Tierschutzgebiet ein. Leider war Bender manisch-depressiv und beging 2010 in einer depressiven Phase Selbstmord.1

Wenn Bender tradete, war er meistens am japanischen Optionsmarkt am aktivsten. Dann blieb er auf, handelte an den europäischen Optionsmärkten und dehnte dann seinen Arbeitstag normalerweise noch auf den US-Handel aus. Für Bender war es normal, bis zu 20 Stunden am Tag zu traden. Ich erwähne dieses Beispiel nicht als Empfehlung, wie man sein Leben leben sollte, sondern nur um zu veranschaulichen, bis zu welchen Extremen manche Magier der Märkte die harte Arbeit treiben.

Das Paradoxon

Kommen wir zur Ironie: Warum fühlen sich so viele Menschen zum Trading hingezogen? Weil es als ein leichter Weg erscheint, zu viel Geld zu kommen. Doch es ist eine Tatsache, dass wirklich erfolgreiche Trader enorm fleißige Arbeiter sind. Aus dieser Diskrepanz zwischen dem vermeintlichen und dem tatsächlichen Verhältnis zwischen Trading-Erfolg und Arbeit ergibt sich folgendes Paradoxon: Sie werden mir wohl zugestehen, dass kein vernünftiger Mensch in einen Buchladen gehen (falls er denn heutzutage noch einen finden würde), sich in die Abteilung mit den medizinischen Büchern begeben, sich ein Buch mit dem Titel „Methoden der Hirnchirurgie“ kaufen, es übers Wochenende durcharbeiten und dann am Montag in der Überzeugung in einen Krankenhaus-Operationssaal spazieren würde, er sei nun in der Lage, Hirnoperationen durchzuführen. Das entscheidende Wörtchen ist hier vernünftiger – dass also kein vernünftiger Mensch so denken würde.

Doch wie viele Menschen kennen Sie, die es überhaupt nicht ungewöhnlich fänden, in den nächsten Buchladen zu gehen, sich in die Wirtschaftsbuch-Abteilung zu begeben, ein Buch mit dem Titel „Wie ich letztes Jahr an der Börse eine Million Dollar verdient habe“ zu kaufen, es übers Wochenende zu lesen und am Montagmorgen der Meinung zu sein, sie könnten Börsenprofis in ihrem eigenen Spiel schlagen? Der Gedankengang ist in beiden Fällen eigentlich der gleiche. Während es jedoch im Falle der Hirnchirurgie auf der Hand liegt, dass dieses Denken völlig fehlgeleitet ist, finden viele Menschen beim zweiten Szenario an diesem Gedankengang nichts Merkwürdiges. Woher kommt diese Diskrepanz?

Ich glaube, dass es für dieses Paradoxon eine befriedigende Erklärung gibt. Trader ist wahrscheinlich der einzige Beruf der Welt, bei dem ein blutiger Anfänger, der absolut keine Ahnung davon hat, am Anfang eine Chance von 50:50 hat, richtigzuliegen. Wieso das? Weil man beim Handeln nur zwei Dinge tun kann: Man kann entweder kaufen oder verkaufen. Und aus Gründen der Wahrscheinlichkeit liegt ein signifikanter Anteil der Menschen in mehr als 50 Prozent der Fälle richtig – zumindest am Anfang.

Doch es ist eine Tatsache, dass wirklich erfolgreiche Trader enorm fleißige Arbeiter sind.

Dazu ein Vergleich: Wenn 1.000 Menschen jeweils zehnmal eine Münze in die Luft werfen, bekommen im Durchschnitt fast 30 Prozent von ihnen bei 60 Prozent der Würfe oder noch häufiger Kopf. Beim Münzenwerfen ist denjenigen, die in mindestens 60 Prozent der Fälle Kopf bekommen haben, klar, dass es Glück war und nicht auf einer angeborenen Fähigkeit beruht, Kopf zu werfen. Doch beim Trading schreiben die Amateure, die am Anfang in mehr als 50 Prozent der Fälle richtigliegen, ihren Erfolg nicht einfach ihrem Glück zu, sondern ihrer überlegenen Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Die Tatsache, dass man beim Trading aus purem Glück kurze Zeit erfolgreich sein kann, verführt die Menschen zu dem irrigen Glauben, Trading sei viel einfacher, als es in Wirklichkeit ist. Es bringt die Menschen zu der falschen Überzeugung, sie besäßen Trading-Geschick.

Bei anderen Berufen kann diese falsche Wahrnehmung nicht auftreten. Wenn man nie eine chirurgische Ausbildung genossen hat, sind die Chancen auf eine gelungene Hirnoperation gleich null. Wenn man nie Geige gespielt hat, sind die Chancen, dass man sich vor die New Yorker Philharmoniker stellt und ein gelungenes Solo spielt, gleich null. Bei allen Berufen, die mir einfallen, stehen die Chancen, dass ein ungeschulter Anfänger auch nur kurzzeitig Erfolg hat, bei null. Es ist bloß eine Eigenart des Tradings, dass man dabei kurze Zeit erfolgreich sein kann, ohne sich damit auszukennen – und von dieser Möglichkeit lassen sich die Menschen täuschen.

1 } Die Ursache von Benders Tod ist umstritten, weil die Behörden von Costa Rica seine Frau des Mordes bezichtigten. Da ich seine Frau kenne und nachdem ich mit einem engen Freund von Bender gesprochen habe, der die Einzelheiten kennt, glaube ich eher an die Selbstmord- Variante.