KAPITEL 10

EIGENSTÄNDIGKEIT

Es sollte eigentlich nicht überraschen, dass sehr erfolgreiche Trader unabhängig und eigenständig sind. Michael Marcus äußerte über die Notwendigkeit der Eigenständigkeit: „Man muss seinem eigenen Weg folgen. […] Solange man sich an seinen eigenen Stil hält, bekommt man das Gute und Schlechte seiner eigenen Methode. Wenn man versucht, den Stil eines anderen einzubeziehen, bekommt man am Ende oft nur das Schlechteste aus beiden Stilen.“

Eine persönliche Geschichte

Ich habe schon oft festgestellt, dass es der eigenen Trading-Gesundheit schaden kann, wenn man auf die Ratschläge und Meinungen anderer hört. Einmal hatte ich ein Erlebnis, das dies perfekt veranschaulicht. Sie könnten im Laufe dieser Geschichte vielleicht denken, ich hätte sie ein bisschen frisiert, damit sie besser passt – denn die Ereignisse scheinen perfekt zusammenzupassen –, aber ich kann Ihnen versichern, dass ich die Ereignisse exakt so beschreibe, wie sie stattgefunden haben.

Nachdem ich „Magier der Märkte“ geschrieben hatte, rief mich einer der Trader, die ich interviewt hatte – seinen Namen erwähne ich hier nicht –, immer wieder an, um mit mir über die Märkte zu sprechen. Damals war ich in der Firma, für die ich arbeitete, nicht nur Leiter des Futures-Researchs, sondern auch Technischer Analyst für die Futures-Märkte. Der erwähnte Trader interessierte sich für meine technische Interpretation der verschiedenen Futures-Märkte. Es verblüffte mich, dass er meine Meinung hören wollte, denn er war ein viel besserer Trader als ich. Nach allem, was ich wusste, dachte ich mir, dass er mich vielleicht anrief, weil er an den Märkten entgegen meinen Meinungen agieren wollte. Das erschien genauso sinnvoll wie alles andere.

Eines Morgens rief der Trader wieder an, ging mit mir die Märkte durch und fragte mich nach meiner Meinung. Er kam auf den Japanischen Yen zu sprechen. Ich steckte mit meinem Trading gerade in einer schlechten Phase und hatte meine Positionen stark zusammengestrichen. Der einzige Markt, zu dem ich eine klare Meinung besaß, war der Japanische Yen. „Ich glaube, der Yen wird fallen“, begann ich. „Der Markt hat einen steilen Abschwung hinter sich, auf den eine sehr enge Konsolidierung folgte. Nach meiner Erfahrung fällt der Markt nach dieser Kombination von Mustern noch weiter.“

Dann führte der Trader 58 Gründe an, weshalb ich falschlag. Dieser Oszillator sei überverkauft, jener Oszillator sei überverkauft und so weiter. Ich gab zu: „Vielleicht haben Sie recht, es ist ja nur eine Meinung.“

Schon damals – das war vor über 20 Jahren – wusste ich eigentlich genug, um nicht auf die Meinung von irgendjemandem zu hören. Die Sache ist aber die: Ich musste an jenem Nachmittag nach Washington reisen und würde ein paar Tage weg sein. Mein Terminkalender war sehr voll und ich wusste, dass ich keine Zeit haben würde, um die Märkte zu beobachten. Ich dachte mir: In letzter Zeit ist es nicht so gut gelaufen. Ich habe nur noch eine signifikante Position. Will ich wirklich einen der besten Trader abtun, die ich kenne – und jetzt setzt die Rationalisierung ein –, wenn ich keine Gelegenheit habe, den Markt zu beobachten? Und so ging ich zum Desk für den nachbörslichen Handel und gab eine Order über die Liquidierung meiner Position auf. Es war eine Rationalisierung, denn ich hätte genauso gut einen Stop-Loss setzen können. Ich musste gar nicht in der Lage sein, den Markt zu beobachten, um die Position mit den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen zu behalten.

Ich bin sicher, Sie werden nicht überrascht sein zu erfahren, dass der Yen nach der Rückkehr von meiner Reise ein paar Tage später um mehrere Hundert Punkte gefallen war. Doch nun kommt der Punkt, an dem Sie mir glauben müssen. Am selben Tag rief mich der Trader an. Ich war zwar sehr gespannt auf seine Meinung zum Yen, nachdem dieser in exaktem Widerspruch zu seiner Meinung im letzten Gespräch steil gefallen war, aber ich wollte nicht so plump sein, dieses Thema anzusprechen. Doch dann fragte er: „Was halten Sie vom Yen?“

Ich stellte mich dumm und tat so, als erinnere mich das an unsere letzte Unterhaltung über diesen Markt, und sagte: „Ach ja, der Yen. Sind Sie immer noch long?“

Er rief ins Telefon: „Long? Ich bin short!“

Der Punkt ist: Wenn man auf die Meinung von jemand anderem hört, egal wie geschickt oder klug er auch sein mag, dann garantiere ich, dass das schlimm endet.

Was ich nicht erwähnt habe: Er ist ein sehr kurzfristiger Trader. Für ihn reicht ein langfristiger Trade vielleicht über einen Tag, während für mich ein kurzfristiger Trade zwei Wochen dauern kann. Das heißt, als ich mit dem Trader gesprochen hatte, war er wirklich bullish gewesen. Er erwartete einen kurzfristigen (sprich Intraday-)Kurssprung. Als sich der Markt aber nicht erwartungsgemäß verhielt, entschied er, dass er auf der falschen Seite stand, liquidierte seine Long-Position, ging short und gewann 200 Punkte – während ich, der ich die ganze Zeit über recht gehabt hatte, nichts gewann. Der Punkt ist: Wenn man auf die Meinung von jemand anderem hört, egal wie geschickt oder klug er auch sein mag, dann garantiere ich, dass das schlimm endet. Man kommt ganz einfach nicht voran, wenn man auf die Meinungen anderer Leute hört. Wie Michael Marcus weiß: „Man muss seinem eigenen Weg folgen.“