KAPITEL 16

DAS UNBEQUEME TUN

Der überlegene Affe

William Eckhardt ist überzeugt, dass die natürliche menschliche Neigung, nach Bequemlichkeit zu streben, die Menschen beim Trading Entscheidungen treffen lässt, die schlechter sind als zufällige Entscheidungen. Ich möchte das erklären. Sie haben wahrscheinlich schon einmal das berühmte Zitat von Burton Malkiel gehört: „Ein Affe, der mit verbundenen Augen Darts auf den Börsenteil einer Zeitung wirft, könnte ein Portfolio auswählen, das genauso gut läuft wie ein von Experten sorgfältig zusammengestelltes.“ Oder sie kennen eine der zahlreichen Variationen über dieses Thema von Menschen, die höhnisch behaupten, der Versuch, den Markt zu schlagen, sei töricht. Das meint Eckhardt aber nicht. Er behauptet nicht, ein Affe könne genauso gut sein wie die professionellen Vermögensverwalter. Eckhardt sagt, der Affe wäre besser.

Was sich gut anfühlt, ist oft genau das Falsche.

– William Eckhardt

Und warum soll der Affe besser sein? Weil sich die Menschen so entwickelt haben, dass sie nach Bequemlichkeit streben, und weil die Märkte einem nichts dafür bezahlen, dass man sich wohlfühlt. An den Märkten bedeutet das Streben nach Bequemlichkeit, dass man das tut, was einen emotional befriedigt. Eckhardt stellt fest: „Was sich gut anfühlt, ist oft genau das Falsche.“ Und er zitiert seinen früheren Trading-Partner Richard Dennis, der zu sagen pflegte: „Wenn es sich gut anfühlt, tu es nicht.“

Als Beispiel für das, was sich an den Märkten gut anfühlt, führt Eckhardt an, was er als „Ruf des Gegentrends“ bezeichnet. Dass man in die Schwäche hinein kauft und in die Stärke hinein verkauft, kommt dem natürlichen menschlichen Wunsch entgegen, billig zu kaufen und teuer zu verkaufen. Wenn man eine Aktie kauft, nachdem sie auf ein 6-Monats-Tief gefallen ist, fühlt sich das gut an, weil man dann schlauer ist als all die anderen, die die Aktie im letzten halben Jahr gekauft haben. Doch selbst wenn sich solche Trades im Augenblick ihrer Umsetzung besser anfühlen, fahren die meisten Menschen mit einer solchen antizyklischen Strategie Verluste ein, womöglich sogar katastrophale Verluste.

Ein zweites Beispiel von Eckhardt: Da die meisten kleinen Gewinne dazu neigen, sich wieder aufzulösen, lernen die Menschen, Gewinne sofort mitzunehmen. Das mag sich gut anfühlen, ist aber auf lange Sicht von Nachteil, weil einen das gleichzeitig daran hindert, aus irgendeinem Trade großen Gewinn zu ziehen. Als drittes Beispiel führt Eckhardt an: Die Tendenz der Märkte, einen Preis mehrmals zu durchlaufen, veranlasse die Menschen, in der Hoffnung an schlechten Trades festzuhalten, dass der Markt irgendwann wieder zu ihrem Einstiegsniveau zurückkehren wird, wenn sie nur lange genug warten.

In allen diesen Fällen ist die Maßnahme, die sich gut anfühlt – ein Schnäppchen machen, einen Gewinn sichern, auf die Vermeidung eines Verlusts hoffen –, normalerweise die falsche. Das Bedürfnis nach emotionaler Befriedigung lässt die meisten Menschen Entscheidungen treffen, die noch schlechter als zufällige Entscheidungen sind – und deshalb fährt der Darts werfende Affe besser.

Als empirischen Beleg dafür, dass die meisten Menschen von ihren Neigungen dazu veranlasst werden, Entscheidungen zu treffen, die schlechter sind als zufällige, erzählte mir Eckhardt die Geschichte eines Mitarbeiters von Dennis. Er nahm an einem Chart-Wettbewerb teil, bei dem man die Kurse verschiedener Märkte zum Jahresende vorhersagen musste. Der Mitarbeiter nahm als Prognosen für alle Märkte ihren aktuellen Kurs. Damit kam er unter Hunderten Teilnehmern auf einen der ersten fünf Plätze. Anders gesagt waren mindestens 95 Prozent – wahrscheinlich eher 99 Prozent – der Vorhersagen aller Teilnehmer schlechter als zufällige Vorhersagen.

Das unbeabsichtigte Experiment

In seinem Buch „Die Börsen-Zauberformel“ stellte Joel Greenblatt einen value-orientierten Indikator vor, mit dem man Aktien nach einer Rangfolge sortieren kann. Er bezeichnete diesen Indikator als „Zauberformel“ – damit machte er sich einerseits über den Wind lustig, der normalerweise um Marktindikatoren gemacht wird, aber andererseits bezog er sich damit auf die überraschende Effizienz dieser Kennzahl. Tatsächlich waren Greenblatt und sein Trading-Partner Rob Goldstein so sehr davon beeindruckt, wie gut die Zauberformel funktionierte, dass sie eine gleichnamige Website einrichteten, auf der Anleger ihre Aktien, die anhand ihres Value-Rangs gemäß der Formel ausgewählt worden waren, aus einer begrenzten Liste aussuchen konnten. Die Anleger waren aufgefordert, sich aus der Liste mindestens 20 bis 30 Aktien auszusuchen und so ungefähr die durchschnittliche Performance dieser Aktien zu erzielen, anstatt sich von wenigen Aktien übermäßig abhängig zu machen. In letzter Minute nahmen sie noch ein Kästchen in die Website auf, in dem die Anleger ankreuzen konnten, ob sie ihr Depot verwalten lassen oder die Aktien selbst auswählen wollten. Dabei kam heraus, dass weniger als zehn Prozent der Menschen, die die Website zu Anlagezwecken nutzten, ihre eigene Auswahl trafen – was das ursprüngliche Konzept gewesen war –, während sich die überwältigende Mehrheit für ein gemanagtes Portfolio entschied.

Dann ging Greenblatt der Frage nach, wie sich die selbst verwalteten Portfolios im Vergleich zu den gemanagten entwickelten. Nach den ersten zwei Jahren hatten die gemanagten Portfolios im Schnitt eine um 25 Prozent bessere Performance gebracht, obwohl sie aus derselben Aktienliste zusammengestellt worden waren. Die Differenz zwischen den gemanagten und den selbst verwalteten Portfolios spiegelte die Auswirkungen menschlicher Auswahl- und Timing-Entscheidungen wider. Wenn man die Anleger ihre eigenen Entscheidungen treffen ließ (bestimmte Aktien aus der Liste auswählen und den Zeitpunkt des Kaufs und des Verkaufs dieser Aktie bestimmen), wurde die gesamte Performance zunichte, die man erzielte, wenn man gleiche Dollarbeträge in ein diversifiziertes Portfolio aus den betreffenden Aktien investierte und dabei nicht versuchte, die Einstiegs- und Ausstiegszeitpunkte zu timen.

Durch die Auswahl aus unserer vorsortierten Liste erzielten [die Anleger] viel schlechtere als zufällige Ergebnisse, wahrscheinlich weil sie Aktien mieden, deren Besitz besonders schmerzhaft war. Dadurch entgingen ihnen einige der größten Gewinner.

– Joel Greenblatt

Ich fragte Greenblatt, weshalb die Selbstentscheider seiner Meinung nach so viel schlechtere Ergebnisse erzielt hatten. Darauf antwortete er: „Sie senkten ihr Engagement, wenn der Markt fiel. Sie neigten zum Verkaufen, wenn bestimmte Aktien oder das gesamte Portfolio unterdurchschnittlich lief. Durch die Auswahl aus unserer vorsortierten Liste erzielten [die Anleger] viel schlechtere als zufällige Ergebnisse, wahrscheinlich weil sie Aktien mieden, deren Besitz besonders schmerzhaft war. Dadurch entgingen ihnen einige der größten Gewinner.“ Denken Sie einmal darüber nach. Klingt das nicht nach Entscheidungen, die getroffen wurden, um Bequemlichkeit zu erlangen?

Unbeabsichtigt hatte Greenblatt ein Kontrollgruppen-Experiment durchgeführt, das die Auswirkungen menschlicher Entscheidungen im Vergleich zu einer klar definierten Benchmark demonstrierte – einem diversifizierten Portfolio aus derselben Aktienliste ohne jegliche Auswahl- oder Timing-Kriterien. Die Anleger hätten die gleiche Erwartungsrendite (mit unterschiedlichen Ergebnissen bei unterschiedlichen Stichproben) erzielen können, wenn sie ihre Aktien zufällig ausgewählt hätten, wenn sie in jede den gleichen Dollarbetrag investiert hätten und die gleiche zeitunabhängige Buy-and-Hold-Methode angewendet hätten. Genauso gut könnte man auch sagen: Die gleiche Erwartungsrendite hätte auch ein Portfolio erbringen können, das anhand von Darts zusammengestellt worden wäre, die Affen auf eine Liste der vorsortierten Aktien geworfen hätten. Greenblatts unbeabsichtigtes Experiment lieferte letztlich eine reale Bestätigung von Eckhardts Behauptung, der sprichwörtliche Affe würde Menschen übertreffen, die ihre Anlageentscheidungen selbst treffen.

Verhaltensökonomie und Trading

Eckhardt macht die menschlichen Neigungen auch dafür verantwortlich, dass die Mehrzahl der Marktteilnehmer Verlust macht. Dazu erläutert er: „Es besteht generell die beständige Tendenz, dass Kapital von den vielen zu den wenigen fließt. Auf lange Sicht macht die Mehrheit Verlust. Für den Trader ist die Konsequenz daraus, dass er wie die Minderheit handeln muss, um zu gewinnen. Wenn man die normalen menschlichen Gewohnheiten und Neigungen in das Trading einbringt, treibt man auf die Mehrheit zu und macht unweigerlich Verlust.“

Eckhardts Beobachtungen passen gut zu dem, was Verhaltensökonomen herausgefunden haben. Ihre Forschungsergebnisse belegen, dass die Menschen prinzipiell irrationale Anlageentscheidungen treffen. Als Beispiel hier ein klassisches Experiment, das Daniel Kahneman und Amos Tversky, Pioniere der Prospekttheorie, durchgeführt haben: Die Versuchspersonen wurden vor die hypothetische Wahl zwischen einem sicheren Gewinn von 3.000 Dollar einerseits und einer 80-prozentigen Chance auf 4.000 Dollar Gewinn sowie einer 20-prozentigen Chance auf gar keinen Gewinn gestellt. 1 Die überwältigende Mehrheit der Menschen bevorzugte den sicheren Gewinn von 3.000 Dollar, obwohl der Erwartungsgewinn der anderen Alternative größer war (0,80 x $4.000 = $3.200). Dann drehten sie die Frage um und stellten die Personen vor die Wahl zwischen einem sicheren Verlust von 3.000 Dollar einerseits und einer 80-prozentigen Chance auf 4.000 Dollar Verlust sowie eine 20-prozentige Chance auf gar keinen Verlust andererseits. In diesem Fall entschied sich die überwältigende Mehrheit für das Glücksspiel, also für die 80-prozentige Chance auf 4.000 Dollar Verlust – obwohl der Erwartungsverlust dabei 3.200 Dollar betrug. In beiden Fällen trafen die Menschen irrationale Entscheidungen, denn sie wählten die Alternative mit dem geringeren erwarteten Gewinn beziehungsweise dem größeren erwarteten Verlust. Aber warum? Weil das Experiment eine Eigenheit im menschlichen Verhalten bezüglich Risiken und Gewinnen widerspiegelt: Wenn es um Gewinne geht, sind die Menschen risikoscheu – oder „risikoavers“ –, aber bei der Verlustvermeidung sind sie risikobereit. Diese Eigentümlichkeit des Verhaltens hat sehr viel mit dem Trading zu tun, denn sie erklärt, weshalb die Menschen dazu neigen, ihre Verluste laufen zu lassen, ihre Gewinne hingegen zu kappen. Somit ist das alte Klischee (das nichtsdestotrotz ein wertvoller Rat ist) „Gewinne laufen lassen, Verluste begrenzen“ tatsächlich das genaue Gegenteil dessen, was die meisten Menschen tun. 2

Wieso Emotionen sogar den computerisierten Handel beeinträchtigen

Interessanterweise wirkt sich das Bedürfnis nach emotionalem Wohlbefinden sogar auf den systematischen Handel (also auf computergesteuertes, auf Regeln basierendes Trading) aus, obwohl man von diesem Bereich eigentlich annehmen sollte, dass er frei von emotional bedingten Entscheidungen ist. Wenn Menschen systematisch an das Trading herangehen, testen sie normalerweise die Regeln ihres Systems und stellen dabei fest, dass das System in der Vergangenheit in vielen Fällen zu unangenehm hohen Drawdowns geführt hätte – das gilt auch dann, wenn das System auf lange Sicht profitabel ist. Der natürliche Instinkt ist darauf gerichtet, die Regeln des Systems zu ändern oder neue Regeln hinzuzufügen, um die schlechte Performance früherer Zeiträume zu dämpfen. Man kann diesen Prozess vielfach wiederholen und die simulierte Vermögenskurve mit jeder Iteration weiter glätten. Im Endeffekt neigt man dazu, die Systemregeln auf die frühere Preisentwicklung zu optimieren. Das daraus resultierende optimierte System produziert eine Kapitalkurve, die aussieht wie eine Geldmaschine. Mit einem solchen hochgradig optimierten System zu traden ist viel bequemer, denn man sieht ja, wie gut es in der Vergangenheit funktioniert hätte.

Die Ironie daran ist: Je intensiver ein System darauf optimiert wurde, die vergangene Performance zu verbessern, umso weniger wahrscheinlich ist es, dass es auch in Zukunft eine beeindruckende Performance erzielt. Der Haken an der Sache ist nämlich, dass die beeindruckenden simulierten Ergebnisse des Systems mit dem im Nachhinein gewonnenen Wissen über frühere Preise erzielt wurden. Die künftigen Preise werden aber andere sein und deshalb gilt: Je mehr das System an die Preishistorie angepasst wurde, umso weniger wahrscheinlich wird es mit den künftigen Preisen funktionieren. Wie gesagt: Der menschliche Instinkt, nach emotionaler Bequemlichkeit zu streben, wirkt sich negativ auf das Trading aus – sogar auf das computerisierte Trading!

Fazit

Aus diesem Kapitel lernen wir, dass die meisten Menschen nicht nur deshalb beim Trading Geld verlieren, weil es ihnen an Fähigkeiten mangelt (weil sie also keinen Vorteil haben), sondern auch weil ihre natürliche Neigung, beim Trading (oder der Geldanlage) den bequemen Weg zu gehen, in Wirklichkeit zu schlechteren als zufälligen Ergebnissen führt. Dass man sich dieses grundsätzlichen Trading-Hemmnisses bewusst wird, ist der erste Schritt dazu, dass man der Versuchung widersteht, Trading- Entscheidungen zu treffen, die sich gut anfühlen, aber insgesamt gesehen falsch sind.

1 } Daniel Kahneman und Amos Tversky: „Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk“, in: Econometrica 47, Nr. 2 (März 1979), S. 263-291. Die Prospekttheorie ist ein Zweig der Entscheidungstheorie und versucht zu erklären, weshalb Individuen Entscheidungen treffen, die von der rationalen Entscheidungsfindung abweichen, indem sie untersucht, wie die erwarteten Ausgänge verschiedener Wahlmöglichkeiten wahrgenommen werden (Quelle dieser Definition: www.qfinance.com).

2 } Dieser Abschnitt ist sinngemäß „Sinn und Unsinn an der Börse“ von Jack Schwager, erschienen 2014 im Börsenbuchverlag, entnommen.