Solo-Freiklettern ist ein unglaublicher Sport. Der Solo-Freikletterer verzichtet beim Aufstieg auf jegliche Schutzausrüstung. Stellen Sie sich einen nicht angeseilten Kletterer 700 Meter hoch in einer nackten, senkrechten Felswand vor, dann wissen Sie, was ich meine. Jeder Fehler kann tödlich sein. Nun könnte man meinen, jeder, der diese Sportart praktiziert, wäre mit Adrenalin durchflutet – dann würde man aber irren.
Alex Honnold ist allgemein als bester Solo-Freikletterer der Welt anerkannt. Zu seinen außerordentlichen Leistungen zählt unter anderen die erste Solo-Besteigung der Nordwestseite des Half Dome, einer knapp 700 Meter hohen Wand im Yosemite-Nationalpark. Am 10. Oktober wurde er in „60 Minutes“ porträtiert.
An einer Stelle fragte ihn die Reporterin Lara Logan: „Spüren Sie das Adrenalin überhaupt?“
Wenn ich einen Adrenalinschub habe, bedeutet das, dass etwas fürchterlich schiefgegangen ist.
– Alex Honnold
Honnold antwortete: „Ich habe keinen Adrenalinschub. […] Wenn ich einen Adrenalinschub habe, bedeutet das, dass et-was fürchterlich schiefgegangen ist. […] Alles sollte ganz langsam und kontrolliert ablaufen.“
Diese Worte gelten genauso für den fachkundigen Trader. Das Hollywood-Bild vom Trading als adrenalinreichem Unterfangen, das mit hohen Risiken verbunden ist, mag sich optisch gut machen, aber mit erfolgreichem Trading hat es nichts zu tun.
Larry Hite spielte einmal Tennis mit einem Freund, der sich im Futures-Handel ruiniert hatte. Dieser Freund konnte nicht verstehen, weshalb sich Larry einfach an ein computergesteuertes System halten konnte.
„Larry“, fragte er, „wie kannst du nur so traden? Ist das denn nicht langweilig?“
Hite erwiderte: „Ich trade nicht wegen der Aufregung, sondern um zu gewinnen.“
Charles Faulkner, der seine Forschungen über Exzellenz beim Menschen nutzt, um Trader zu coachen, erzählte mir von einem seiner ersten Klienten, der sehr emotional tradete. Er hatte ein erfolgreiches System entwickelt, konnte sich aber nicht daran halten. Faulkner brachte ihm ein paar Techniken bei, wie er sich emotional von den Märkten lösen könnte. Am Anfang funktionierten diese Techniken und der Trader war mit seinem System erfolgreich. An einem Tag, als Faulkner mit ihm arbeitete, hatte der Trader schon in den ersten Handelsstunden einen Gewinn von 7.000 Dollar erzielt. Gerade als Faulkner anfing, sich etwas darauf einzubilden, dass es ihm anscheinend gelungen war, dem Trader zu helfen, sagte dieser mit monotoner Stimme: „Das ist langweilig.“ Am Ende ruinierte er sich. „Er wusste, wie man sich in einen emotional gelösten Zustand versetzt, aber in diesem Zustand wollte er nicht sein“, so Faulkner. Daraus lernen wir, dass es kostspielig ist, an den Märkten nach Aufregung zu suchen.
Als Stanley Druckenmiller 1981 seine Vermögensverwaltung Duquesne Capital Management gründete, war er vollständig auf sein Einkommen aus einem Beratervertrag mit Drysdale Securities angewiesen, das sich auf 10.000 Dollar im Monat belief. Im Mai 1982 machte Drysdale Securities unvermittelt Bankrott. Nun hatte Druckenmiller ein Cashflow-Problem. Das Vermögen von sieben Millionen Dollar, das er damals verwaltete, brachte ihm zwar 70.000 Dollar Gebühren im Jahr ein, aber seine laufenden Kosten betrugen 180.000 Dollar und das flüssige Vermögen der Firma belief sich nur auf 50.000 Dollar. Ohne die Beratungseinkünfte von Drysdale war das Überleben seiner Vermögensverwaltung gefährdet.
Druckenmiller war damals absolut davon überzeugt, dass die Zinsen, die nach einem Allzeithoch im Vorjahr zurückgegangen waren, weiter fallen würden. Er setzte die gesamten 50.000 Dollar der Firma für eine stark gehebelte Position auf Schatzanleihen- Futures ein. 1 Druckenmiller verwettete buchstäblich die Firma auf diesen Trade. Die Zinsen begannen zu steigen und innerhalb von vier Tagen verlor er alles. Das Ironische daran ist, dass die Zinsen eine Woche später ihr Zyklushoch erreichten und nie wieder auch nur annähernd auf dieses Niveau stiegen. Druckenmiller hatte die Futures also eine Woche vor einem bedeutenden Preisboden gekauft – man kann eine Position kaum besser timen –, aber trotzdem sein ganzes Geld verloren. Seine Analyse war vollkommen zutreffend gewesen, aber die Emotionen, die hinter seinem Trade standen – eine überzogene Hebelwirkung in dem absolut verzweifelten Versuch, seine Firma zu retten –, verurteilten ihn zum Untergang. Der Leichtsinn, der aus der Verzweiflung von Tradern resultiert, wird vom Markt nur selten belohnt.
Impulsive Trades können gefährlich sein. Auf die Bitte, sich ihre schmerzlichsten Trades ins Gedächtnis zu rufen, führten die Magier der Märkte häufig impulsive Trades als Beispiele an.
Der Trade, den Bruce Kovner als seinen „mit großem Abstand“ schmerzlichsten und psychologisch als „Bankrott“ betrachtet, war das Produkt einer spontanen Entscheidung. Ganz am Anfang seiner Trader-Karriere, 1977, herrschte eine Sojabohnen-Knappheit. Da das Angebot derart knapp war und die Nachfrage dauerhaft hoch, sah Kovner voraus, dass es Befürchtungen geben würde, die Sojabohnen könnten ausgehen, bevor die neue Ernte für zusätzliches Angebot sorgen würde. Um diese Situation auszunutzen, ging Kovner eine stark gehebelte Spread-Position ein – er ging long auf den Juli-Kontrakt (alte Ernte) und shortete den (neuen) November-Kontrakt. Seiner Erwartung zufolge würde die Knappheit dazu führen, dass der Juli-Kontrakt auf die alte Ernte viel stärker steigen würde als der November-Kontrakt auf die neue Ernte. Und Kovners Prognose traf nicht einfach nur zu, sie traf sogar spektakulär zu. An einem Punkt vollzog der Markt unter Führung der Kontrakte auf die alte Ernte mehrere Limitup-Anstiege hintereinander. Kovners Gewinn wuchs.
Eines Morgens, als der Markt neue Hochs erreichte, bekam Kovner einen Anruf von seinem Broker. „Die Sojabohnen steigen bis zum Mond!“, rief der Broker begeistert aus. „Es sieht aus, als wäre der Juli limit up, und der November folgt bestimmt bald. Wenn Sie short auf die November-Kontrakte bleiben, sind Sie verrückt. Lassen Sie mich Ihre November-Shorts auflösen, dann verdienen Sie noch mehr.“ Kovner stimmte der Eindeckung seiner November-Short-Position zu und stand nun unmittelbar long auf den Juli-Kontrakt.
Ich fragte Kovner, ob dies eine Affekthandlung war. „Es war ein Augenblick des Wahnsinns“, entgegnete er.
Schon 15 Minuten später rief Kovners Broker wieder an. Diesmal war er außer sich: „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das sagen soll, aber der Markt ist limit down! Ich weiß nicht, ob ich Sie da noch herauskriege.“
Kovner war geschockt. Er schrie seinen Broker an, er solle ihn aus dem Juli-Kontrakt herausbringen. Zum Glück überschritt der Markt ein paar Minuten lang das Limit und er konnte aussteigen. In den Tagen danach fiel der Markt so schnell, wie er gestiegen war. Wenn Kovner nicht sofort ausgestiegen wäre, hätte er mehr als sein gesamtes Geld verloren, denn er hatte einen massiven Einschusskredit eingesetzt. Die Konsequenz war: Von dem Zeitpunkt, als er seinem Broker erlaubte, nur die Short-Seite seiner Spread-Position aufzulösen, bis zu dem Zeitpunkt, als er im Laufe desselben Tages auch die Long-Seite liquidierte, hatte er die Hälfte seines Kapitals verloren.
Kovner erkannte, dass seine impulsive Entscheidung, die Short-Seite seiner Spread-Position mitten in einer Marktpanik aufzulösen, eine völlige Vernachlässigung des Risikos darstellte. Kovner dazu: „Ich glaube, was mich daran so sehr ärgerte, war die Erkenntnis, dass mir ein rationaler Prozess abhanden gekommen war, über den ich zu verfügen glaubte.“
Ironischerweise beinhaltete einer der Trades, an die sich Michael Marcus als einen seiner schmerzlichsten erinnerte, ebenfalls eine impulsive Entscheidung am Markt für Sojabohnen. Marcus ging während der großen Hausse 1973, in deren Laufe der Sojabohnenpreis seine bisherigen Rekordhochs verdoppelte, long auf Sojabohnen. Während dieses Anstiegs nahm Marcus impulsiv auf seine gesamte Position Gewinne mit. Er beschrieb das so: „Ich versuchte, originell zu sein, anstatt mich an den Trend zu halten.“ Ed Seykota, der in derselben Firma arbeitete und für Marcus ein Vorbild war, blieb bei seiner Position, weil es keine Anzeichen für eine Trendwende gab. Dann stieg der Sojabohnenmarkt zwölf Tage limit up. In dieser Zeit war es für Marcus eine Qual, zur Arbeit zu gehen, weil er wusste, dass die Sojabohnen wieder einmal um das Limit steigen würden und dass er aus seiner Position ausgestiegen war, während Seykota seine immer noch hielt. Diese Erfahrung war dermaßen qualvoll, dass er an einem Tag, an dem er glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, das Antipsychotikum Chlorpromazin nahm, um den Schmerz zu lindern.
Marty Schwartz warnte davor, wie gefährlich es ist, impulsiv zu handeln, um sich von Trading-Verlusten zu erholen. „Jedes Mal, wenn es einen trifft“, so Schwartz, „ist man emotional sehr erschüttert. Die meisten Trader versuchen, es sofort wieder hereinzuholen. Sie versuchen, im größeren Stil zu traden. Wenn man versucht, den gesamten Verlust auf einmal hereinzuholen, ist man meistens zum Scheitern verurteilt.“
Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus würde ich sagen, dass es wahrscheinlich keine Klasse von Trades mit einer größeren Versagensquote gibt als impulsive Trades. Unabhängig davon, welche Methode Sie verwenden, sollten Sie sich, sobald Sie eine Trading-Strategie festgelegt haben, an den Spielplan halten und impulsive Trading-Entscheidungen vermeiden. Beispiele für impulsive Trades sind das Eingehen eines nicht geplanten Trades, die Gewinnmitnahme, bevor das Ziel oder der Stopp erreicht wurde, sowie die Umsetzung eines Trades, weil ein Freund oder ein sogenannter Marktexperte ihn empfohlen hat.
Man sollte impulsive Trades nicht mit intuitiven Trades verwechseln. Erstere sind fast ausnahmslos eine schlechte Idee, während Letztere für erfahrene Trader Trades mit hohen Wahrscheinlichkeiten sein können.
An der Intuition ist nichts Mystisches oder Abergläubisches. Ich sehe es so, dass Intuition einfach unbewusste Erfahrung ist. Wenn ein Trader die Intuition hat, dass der Markt in eine bestimmte Richtung gehen wird, dann ist das oft das unbewusste Wiedererkennen von Parallelen zu früheren Situationen.
Der Trick besteht darin, zwischen dem zu unterscheiden, von dem man will, dass es passiert, und dem, von dem man weiß, dass es passiert.
– Ein Trader
Emotionale Einflüsse können die Objektivität von Marktanalysen und Trading-Entscheidungen beeinträchtigen. Zum Beispiel ist ein Trader, der long steht, eher geneigt, Indizien des Marktes abzutun, die er andernfalls – wenn er keine Position hätte – bearish interpretieren würde. Vielleicht tut es ihm zu weh, eine bearishe Prognose zu akzeptieren, wenn er long steht und auf höhere Kurse hofft. Oder ein Trader ignoriert deshalb Anzeichen dafür, dass der Markt nach oben geht, weil er die Platzierung einer Position aufgeschoben hat und jetzt mit dem Eingehen einer Position den Fehler eingestehen würde, dass er nicht schon früher gekauft hat, als der Kurs noch niedriger stand. Und das letzte Beispiel: Ein Trader, von dem bekannt ist, dass er einen Anstieg oder einen Rückgang des Marktes voraussagt, akzeptiert widersprechende Indizien nur widerstrebend. Solche inneren Einschränkungen können die bewusste Analyse und bewusste Trading-Entscheidungen trüben und den Trader daran hindern, Indizien anzuerkennen, die zu akzeptieren für ihn unangenehm sind. Das Unbewusste wird aber nicht von solchen Einschränkungen gehemmt. Ein Trader, den ich interviewt habe (und der anonym bleiben möchte), hat mir erklärt: „Der Trick besteht darin, zwischen dem zu unterscheiden, von dem man will, dass es passiert, und dem, von dem man weiß, dass es passiert.“
Was wir als Intuition bezeichnen, ist vielleicht nur die objektive Synthese der aufgrund unserer früheren Erfahrungen vorhandenen Informationen – nicht beeinträchtigt von emotionalen Verzerrungen. Leider können wir nicht willkürlich auf unser Unterbewusstsein zugreifen. Wenn jedoch solche Ansichten über den Markt als Intuition aufkommen, sollte der Trader ihnen Aufmerksamkeit schenken.
1 } Die Preise von Schatzanleihen verlaufen gegenläufig zu ihren Zinsen.