Wenn der Markt auf eine Nachricht entgegen der Erwartung reagiert, kann dies bedeutsamer sein als die Nachricht an sich. Marty Schwartz hat nach eigener Aussage von seinem Freund Bob Zoellner gelernt, wie man das Marktverhalten analysiert. Schwartz fasst das Grundprinzip folgendermaßen zusammen: „Wenn der Markt gute Nachrichten zu hören bekommt und dann fällt, bedeutet es, dass der Markt sehr schwach ist. Wenn er schlechte Nachrichten zu hören bekommt und dann steigt, bedeutet das, dass er gesund ist.“ Viele Trader, die ich interviewt habe, erinnerten sich an Trading-Erfahrungen, in denen dieses Thema ebenfalls anklingt.
Wenn der Markt gute Nachrichten zu hören bekommt und dann fällt, bedeutet es, dass der Markt sehr schwach ist. Wenn er schlechte Nachrichten zu hören bekommt und dann steigt, bedeutet das, dass er gesund ist.
– Marty Schwartz
Randy McKay beschrieb eine Trading-Methode, die die Reaktion des Marktes auf fundamentale Meldungen berücksichtigt. McKay erklärte mir, wie er Fundamentaldaten nutzt: „Ich denke nicht nach dem Motto: ‚Wenn das Angebot zu groß ist, fällt der Markt‘. Ich schaue mir vielmehr an, wie der Markt auf fundamentale Informationen reagiert.“ Als klassisches Beispiel führte McKay das Verhalten des Goldpreises in Reaktion auf den ersten Irakkrieg – den zweiten Golfkrieg – an, der im Januar 1991 begann. Kurz vor dem ersten Luftangriff der Vereinigten Staaten bewegte sich der Goldpreis knapp unter dem psychologisch bedeutsamen Niveau von 400 Dollar. Während der Nacht, in der US-amerikanische Flieger die ersten Angriffe flogen, stieg der Goldpreis über das Niveau von 400 Dollar; an den asiatischen Märkten erreichte er 410 Dollar, fiel dann aber wieder auf 390 Dollar und damit unter den Stand, den er vor der vom Krieg ausgelösten Rallye hatte. Dass der Goldpreis auf eine Meldung hin fiel, die eigentlich hätte bullish sein sollen, wertete McKay als sehr bearishes Zeichen. Am nächsten Morgen eröffnete der Goldhandel in den Vereinigten Staaten deutlich tiefer und in den Monaten danach fiel der Preis weiter.
McKay hatte sich schon lange von den Reaktionen des Marktes auf Nachrichten beeinflussen lassen. Neun Jahre zuvor, im Jahr 1982, war er bezüglich des Aktienmarkts sehr bullish geworden. Damals war er Futures-Händler und hatte noch nie mit Aktien gehandelt. Seine Überzeugung hinsichtlich des Aktienmarkts war jedoch so stark, dass er sich genötigt sah, ein Aktiendepot zu eröffnen. Ich fragte McKay, weshalb er so sehr überzeugt gewesen sei, dass der Aktienmarkt steigen würde, obwohl er doch noch nie mit Aktien gehandelt hatte. Er erklärte: „Zum Teil lag das daran, dass der Markt fast täglich stieg, ohne dass er von speziellen Nachrichten gestützt worden wäre. Tatsächlich waren die Nachrichten sogar sehr negativ: Die Inflation, die Zinsen und die Arbeitslosigkeit waren immer noch sehr hoch.“ Auch hier lieferte die Stimmung des Marktes – dass es die Aktienkurse schafften, trotz vordergründig bearisher Fundamentaldaten stetig zu steigen – den entscheidenden Hinweis auf die Preisentwicklung.
Ray Dalio erinnerte sich an Episoden aus der Frühzeit seiner Laufbahn, bei denen ihn die Reaktion des Marktes auf Nachrichten überraschte. Nach seinem Collegeabschluss im Jahr 1971 arbeitete er als Assistent an der New York Stock Exchange. Am 15. August nahm Präsident Nixon die Vereinigten Staaten aus dem Goldstandard heraus und verursachte damit einen Umbruch im Währungssystem. Dalio hielt dieses Ereignis für eine bearishe Nachricht, doch zu seiner Überraschung stieg der Markt.
Als die Vereinigten Staaten elf Jahre danach in einer Rezession steckten und die Arbeitslosigkeit über elf Prozent lag, konnte Mexiko seine Schulden nicht mehr bedienen. Dalio wusste, dass die US-Banken große Mengen an lateinamerikanischen Anleihen hielten. Er ging selbstverständlich davon aus, dass der Zahlungsausfall schlimm für den Aktienmarkt sein würde. Doch seine Erwartungen hätten falscher nicht sein können. Der Zahlungsausfall Mexikos fiel fast mit dem Tiefpunkt der Börse und dem Beginn eines 18-jährigen Anstiegs zusammen.
Über diese beiden Erlebnisse, als die Reaktion des Marktes seinen Erwartungen exakt entgegengesetzt war, sagte Dalio: „Sowohl durch die Abschaffung des Goldstandards als auch durch den Bankrott Mexikos 1982 lernte ich, dass eine Entwicklung der Krise, die Notenbanken zu Zinssenkungen und Rettungsaktionen veranlasst, die Auswirkungen der Krise selbst übertönen kann.“ Ein weiteres dramatisches Beispiel dafür haben wir in Form der großen Hausse erlebt, die unmittelbar auf die Finanzkrise 2008/2009 folgte – dieser Aufschwung wurde durch die aggressiven Interventionen der Zentralbanken massiv gestützt.
Die Anleger sind oft verblüfft, wenn Märkte auf Meldungen entgegen ihrer Intuition reagieren. Dieses scheinbar paradoxe Verhalten lässt sich dadurch erklären, dass die Märkte die Meldungen häufig vorwegnehmen und das bevorstehende Ereignis einpreisen. Beispielsweise wurde 1982 bereits allgemein mit einem Ausfall lateinamerikanischer Anleihen gerechnet, bevor Mexiko tatsächlich zahlungsunfähig wurde. Da gerade der Eintritt eines erwarteten Ereignisses bedeutet, dass es als Marktbefürchtung wegfällt, führt dies ironischerweise dazu, dass der Marktpreis sich entgegen der erwarteten Richtung bewegt. Ein anderer Faktor, der bullishes Marktverhalten als Reaktion auf bearishe Meldungen erklärt, ist die Tatsache, dass das bearishe Ereignis – besonders, wenn es schwerwiegend ist – ein bullishes Nachspiel auslösen kann. Beispielsweise können Ereignisse, die sehr negative wirtschaftliche Konsequenzen haben, die Notenbank zu Maßnahmen veranlassen, die zu einem Kursanstieg führen.
Um ein Signal zu liefern, das auf der Stimmung des Marktes basiert, ist allerdings nicht unbedingt eine kräftige unerwartete Reaktion des Marktes auf eine fundamentale Nachricht erforderlich. Eine schwache Reaktion auf ein Ereignis, von dem bedeutende bullishe oder bearishe Konsequenzen erwartet werden, kann die gleichen Auswirkungen haben.
Michael Marcus sagte zu mir: „Fragen Sie sich stets: ‚Wie viele Menschen sind noch übrig, die aufgrund dieser bestimmten Idee handeln könnten?‘ Sie müssen sich überlegen, ob der Markt Ihre Idee bereits eingepreist hat.“
Fragen Sie sich stets: „Wie viele Menschen sind noch übrig, die aufgrund dieser bestimmten Idee handeln könnten?“ Sie müssen sich überlegen, ob der Markt Ihre Idee bereits eingepreist hat.
– Michael Marcus
„Aber wie soll man das beurteilen?“, fragte ich ihn.
Er erklärte, man müsse die Marktstimmung interpretieren. Dafür lieferte er ein seiner Meinung nach klassisches Beispiel, die Sojabohnen-Hausse Ende der 1970er-Jahre. Damals herrschte eine ausgeprägte Sojabohnen-Knappheit und der staatliche Exportbericht trieb den Preis Woche für Woche weiter in die Höhe. Eines Tages, kurz nachdem der neueste Wochenbericht veröffentlicht worden war, bekam Marcus von einem Mitarbeiter seiner Firma einen Anruf: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.“
„Okay, was ist die gute Nachricht?“, fragte Marcus.
„Die gute Nachricht ist, dass die Zahlen zu den Exportverpflichtungen fantastisch ausgefallen sind. Die schlechte Nachricht ist, dass Sie keine Limit-Position haben.“ (Eine Limit-Position ist die größte zulässige spekulative Position.)
Der Bericht war derart bullish, dass allgemein erwartet wurde, der Markt würde drei Tage hintereinander limit up steigen. Obwohl Marcus massiv long stand und der Bericht vermuten ließ, dass er spektakuläre Gewinne erzielen würde, war er ein bisschen betrübt, weil er nicht die für Spekulanten größte zulässige Position hielt. Er gab eine Order über den Kauf zusätzlicher Kontrakte bei Handelsbeginn auf, nur für den Fall, dass er Glück haben sollte und noch ein kurzer Handel stattfinden würde, bevor der Markt durch die Erreichung des Limits blockiert würde. Dann „lehnte ich mich zurück, um mir den Spaß anzuschauen“, so Marcus.
Der Markt eröffnete zwar limit up, wie er es erwartet hatte, doch dann fiel der Preis unter das Limit. Das Telefon klingelte. Marcus’ Broker meldete, dass alle Kauforders ausgeführt worden waren. Der Markt begann zu fallen. Marcus dachte sich: Eigentlich sollten Sojabohnen drei Tage nacheinander am Limit steigen, aber sie hielten das Limit nicht einmal am ersten Vormittag durch. Sofort rief er seinen Broker an und gab hektisch Verkaufsorders durch. Er war so aufgeregt, dass er am Ende nicht nur aus seiner kompletten Position ausgestiegen, sondern sogar kräftig short gegangen war – und diese Short-Positionen kaufte er später zu viel niedrigeren Preisen zurück. „Das war das einzige Mal, dass ich dank eines Fehlers viel Geld verdient habe“, so Marcus.
Als mir Marcus diese Geschichte erzählte, erinnerte sie mich stark an ein Ereignis, das ich selbst während der größten Baumwoll-Hausse des 20. Jahrhunderts erlebt hatte, als der Preis fast auf einen Dollar das Pfund stieg – den höchsten Stand seit dem Bürgerkrieg. Ich stand damals long auf Baumwolle und der Wochenbericht wies den Verkauf von einer halben Million Ballen an China aus. Das war der mit Abstand bullishste Baumwoll-Exportbericht, den ich je gesehen hatte. Doch anstatt am nächsten Morgen das Kauflimit zu erreichen (einen Anstieg von 200 Punkten), eröffnete der Baumwollpreis nur etwa 150 Punkte höher und begann dann zu sinken. Dieser Eröffnungskurs entpuppte sich als der exakte Höhepunkt des Marktes – und dieses Hoch sollte weit über 30 Jahre lang nicht mehr erreicht werden.
In der Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands hielt Stanley Druckenmiller eine große Long-Position auf die D-Mark, weil er davon ausging, Deutschland werde gleichzeitig eine lockere Steuerpolitik und eine straffe Zinspolitik betreiben – eine bullishe Kombination. Als der erste Irakkrieg begann, stand er immer noch massiv long. In der Zeit danach erwies sich die Long-Position auf die D-Mark zwar als sehr schlecht, doch Druckenmiller konnte die drohenden Verluste größtenteils vermeiden, indem er seine seit Längerem bestehende bullishe Position abstieß – an nur einem Tag verkaufte er D-Mark im Wert von 3,5 Milliarden US-Dollar.
Ich fragte Druckenmiller, was seine plötzliche Meinungsänderung bezüglich der D-Mark verursacht hatte. Er erklärte: „Der Dollar war im Anfangsstadium des Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und dem Irak durch Käufe auf der Suche nach einem sicheren Hafen gestützt worden. Eines Morgens kam die Meldung, Hussein wolle vor Beginn des Bodenangriffs kapitulieren. Auf diese Nachricht hin hätte der Dollar gegenüber der D-Mark eigentlich steil abrutschen müssen, aber er ging nur leicht zurück. Da roch ich den Braten.“
Michael Platt platzierte 2009 eine Position, die von einer Ausweitung der Zinskurve profitieren sollte (das heißt, dass die langfristigen Zinsen stärker steigen oder weniger sinken als die kurzfristigen Zinsen). Es kamen mehrere Meldungen hintereinander, die gegen den Trade sprachen. Jedes Mal dachte Platt: Diese Position wird mir noch platzen. Aber jedes Mal passierte nichts. Nachdem sich dieses Szenario mehrmals abgespielt hatte, dachte Platt, flacher könne die Zinskurve nicht mehr werden, egal welche Meldungen bekannt werden würden. Er vervierfachte seine Position und die Zinskurve wuchs von 25 auf 210 Punkte (allerdings nahm Platt seine Gewinne auf halbem Weg der Bewegung mit). Dieser Trade brachte ihm in jenem Jahr den größten Gewinn.
Scott Ramsey ist der Portfoliomanager von Denali Asset Management, einer Rohstoffhandel-Beratungsgesellschaft, die in ihrer 13-jährigen Geschichte eine durchschnittliche kumulierte Rendite von 15 Prozent (netto) bei einer annualisierten Volatilität von elf Prozent erzielt hat. Ramsey verglich die Fähigkeit des Marktes, Krisen abzuschütteln, mit einem unter Wasser gedrückten Volleyball, den man loslässt. Dass es der europäische und der US-amerikanische Aktienmarkt schafften, einen Tag nach der Rettung Irlands durch die Europäische Zentralbank auf neue Hochs zu steigen, kommentierte Ramsey wie folgt: „Stellen Sie sich vor, Sie nehmen einen Volleyball und drücken ihn unter Wasser – das ist das Krisenereignis. Dann lassen Sie ihn los – das Ereignis löst sich auf – und der Ball springt aus dem Wasser. Genau das haben wir an den Märkten erlebt.“ Für Ramsey zeigte diese Federwirkung der Preise an, dass die Märkte ins Risiko gingen und sehr wahrscheinlich weiter steigen würden.
Ramsey ist außerdem überzeugt, dass die Relative Stärke von Märkten in Krisenzeiten nützliche Vorhersagen ermöglicht. „Schon die einfache Übung, festzustellen, welche Märkte während einer Krise am stärksten waren“, so Ramsey, „kann einem sagen, welche Märkte wahrscheinlich die Führung übernehmen, wenn der Druck wegfällt – welche Märkte die Volleybälle sein werden, die aus dem Wasser schnellen.“
Ramsey hält die Relative Stärke von Märkten unter allen Bedingungen, nicht nur in Krisen, für einen wichtigen Faktor. Er will immer auf den stärksten Markt long und auf den schwächsten Markt short stehen. Ein Beispiel: Als die QE2 (die zweite Phase der quantitativen Lockerung durch die Federal Reserve) endete, erwartete Ramsey, dass die Verschiebung von Vermögen aus dem Dollar heraus aufhören und sich der Dollar erholen würde. Die Frage war nur, welche Währung er gegen den Dollar shorten sollte. „Als schwächstes Glied“, so Ramsey, „erwies sich die Türkische Lira, die gegen den verhassten Dollar auf ein 2-Jahres-Tief einbrach. Wenn sie nicht einmal dann gegen den Dollar steigen konnte, wenn die Fed wie verrückt Geld druckte, was wäre dann dafür nötig?“
Schon die einfache Übung, festzustellen, welche Märkte während einer Krise am stärksten waren, kann einem sagen, welche Märkte wahrscheinlich die Führung übernehmen, wenn der Druck wegfällt – welche Märkte die Volleybälle sein werden, die aus dem Wasser schnellen.
– Scott Ramsey
Michael Marcus sprach ebenfalls darüber, den stärksten Markt zu kaufen und den schwächsten zu verkaufen. „Man muss unbedingt darauf setzen, wenn sich ein Markt im Verhältnis zu allen anderen fürchterlich verhält“, so Marcus. „Wenn die Meldungen wunderbar sind und ein Markt nicht steigen kann, sollte man ihn auf jeden Fall shorten.“ Zur Veranschaulichung erinnerte er an eine stark inflationäre Phase in den 1970er-Jahren, als alle Rohstoffmärkte im Gleichschritt marschierten. An einem besonders extremen Tag standen alle Rohstoffmärkte limit up. Auch der Baumwollpreis eröffnete an jenem Tag limit up, doch dann rutschte er ab und schloss den Tag nur leicht im Plus. „Das war der Höhepunkt des Marktes“, so Marcus. „Alles andere blieb limit up, aber der Baumwollpreis sah kein Land mehr.“
Die meisten Trading-Anfänger versuchen, die Schlusslichter eines Sektors zu kaufen, weil sie annehmen, diese Märkte böten das beste Rendite-Risiko-Potenzial, weil sie noch nicht so stark gestiegen sind. Marcus und Ramsey sind hingegen der Ansicht, dass Trader das genaue Gegenteil tun sollten.
Es gibt Zeiten, in denen verschiedene Märkte sozusagen aneinander gekoppelt sind. Wenn in solchen Zeiten ein Markt nicht wie erwartet auf die Preisbewegung eines korrelierten Marktes reagiert, kann dies ein bedeutsamer Hinweis auf die Preisentwicklung sein. Ramsey führte als Beispiel dafür den Komplettzusammenbruch der Korrelation zwischen den Rohstoffpreisen und den Aktienkursen im September 2011 an.
Nach der Finanzkrise 2008 waren zuvor unkorrelierte Märkte eng miteinander korreliert, weil die Märkte zwischen Risikobereitschaft und Risikoscheu pendelten. In den risikobereiten Phasen stiegen tendenziell die Aktien, die Rohstoffe und die Devisen (gegenüber dem Dollar). An risikoscheuen Tagen verhielten sich die Preise genau umgekehrt.
Mitte September 2011 brach dieses Korrelationsmuster komplett zusammen. Obwohl die Aktienkurse an den oberen Rand einer zweimonatigen Trading-Range zurückgefedert waren, stand der Kupferpreis, der normalerweise ein führender Indikator der Rohstoffpreise ist, in der Nähe seines Jahrestiefs und reagierte überhaupt nicht auf den Kurssprung des Aktienmarkts. Ramsey sah in diesem Preisverhalten ein Anzeichen dafür, dass die Rohstoffpreise im Allgemeinen und der Kupferpreis im Besonderen für einen Rückgang anfällig seien – und dieser Abwärtstrend trat später auch ein.