Parabeln über Geld und Reichtum aus einer längst versunkenen Welt. In zehn ausgesprochen unterhaltsamen Kapiteln erzählt Clason — vordergründig betrachtet — Erfolgsgeschichten aus der Antike, aus Babylon, dem Finanzzentrum der Welt zu Beginn der Geschichtsschreibung. Bald entdeckt der faszinierte Leser, daß die Gleichnisse, die er liest, sich nahtlos auf die heutige Welt und auf sein eigenes Leben übertragen lassen. Die einfachen Grundsätze, die damals entwickelt worden sind, gelten auch in unserem Jahrhundert und werden aller Voraussicht nach auch im nächsten Jahrtausend gültig bleiben. Zweck des Buches ist es, zu zeigen, »wie man Geld macht, es behält und vermehrt«. Lesen Sie dieses Buch, empfehlen Sie es Ihren Freunden, und schenken Sie es jungen Menschen, damit diese lernen, gekonnt mit Geld umzugehen, um ihre Wünsche zu befriedigen und den Erfolg zu haben, von dem alle Menschen träumen. Geld ist nicht Selbstzweck; Unabhängigkeit ist das Ziel, denn diese hängt für die meisten Menschen vom Geld ab.
Ein Millionenseiler im angelsächsischen Sprachraum!
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Conzett Verlag
George S. Clason
Der reichste Mann von Babylon
Bücher über Geld im Conzett Verlag
Fred C. Kelly
Warum du gewinnst
Die Psychologie der Börse für Anleger
Henry Clay Lindgren Psychologie des Geldes 1999
Jack Weatherford
Eine kurze Geschichte des Geldes und der Währungen
Stephen Zarlenga
Der Mythos vom Geld- die Geschichte der Macht
Vom Tauschhandel zum Euro
Eine Geschichte des Geldes und der Währungen
George S. Clason
Die Erfolgsgeheimnisse der Antike
Der erste Schritt in die finanzielle Freiheit
Aus dem Amerikanischen von Antoinette Gittinger
Conzett Verlag bei
Oesch
First published in the United States under the title THE RICHEST MAN IN BABYLON by George S. Clason. Copyright© 1957, 1955, 1954, 1946, 1940, 1937, 1936, 1933, 1932, 1931, 1930, 1926 by George S. Clason. Published by arrangement with Outton Signet, a division of Penguin Putnam Inc.
Alle Rechte vorbehalten Nachdruck in jeder Form sowie die Wiedergabe durch Fernsehen, Rundfunk, Film, Bild- und Tonträger oder Benutzung für Vorträge, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags
© der deutschsprachigen Ausgabe 1998 by Conzett Verlag, SunRower GmbH, Zürich Auslieferung durch Oesch Verlag AG, Zürich Bestellnummer: 26701
Satz: Rio Verlag, Zürich
Druck und Bindung: Wiener Verlag, Himberg
ISBN 3-905267-01-2
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Vorwort
Unser Wohlstand als Nation hängt von unserem finanziellen Wohlstand als Einzelpersonen ab. Das vorliegende Buch handelt von den persönlichen Erfolgen jedes einzelnen von uns. Erfolg bedeutet das Erreichen bestimmter Ziele als Ergebnis unserer Anstrengungen und Fähigkeiten. Eine gründliche Vorbereitung ist der Schlüssel zu unserem Erfolg. Unsere Handlungen können nicht mehr Klugheit beweisen als unsere Gedanken. Und unser Denken kann nicht klüger sein als unser Verstand.
Das vorliegende Buch, das Wege zur Behebung einer leeren Geldbörse aufzeigt, wurde als Ratgeber zum Verständnis finanzieller Zusammenhänge bezeichnet. Und genau das ist seine Absicht: Es will jenen, die nach finanziellem Erfolg streben, Einsichten vermitteln, die ihnen beim Erwerb von Geld, beim Sparen und bei der Vermehrung von Überschüssen hilfreich sein werden.
Auf den folgenden Seiten werden wir zurück nach Babylon geführt, der Wiege jener finanziellen Grundprinzipien, die heute allgemein anerkannt sind und auf der ganzen Welt angewandt werden.
Der Autor wünscht neuen Lesern, daß dieses Buch sie in gleicher Weise zur Erhöhung ihres Kontostands, zu größeren finanziellen Erfolgen und zur Lösung schwieriger persönlicher Geldprobleme anregen möge wie die früheren Leser, bei denen es begeisterte Aufnahme fand.
Der Verfasser möchte bei dieser Gelegenheit auch den
Unternehmern und Geschäftsführern seinen Dank aussprechen, die diese Geschichten so großzügig an Freunde, Verwandte, Angestellte und Geschäftspartner verteilt haben. Keine Bestätigung könnte ermutigender sein als die der Männer der Praxis, die die Lehren des vorliegenden Buches schätzen, da sie selbst durch Anwendung der hier dargebotenen Grundregeln beachtliche Erfolge erzielt haben.
Babylon wurde zur wohlhabendsten Stadt des Altertums, weil seine Bewohner die reichsten Leute jener Zeit waren. Sie schätzten den Wert des Geldes und befolgten solide wirtschaftliche Grundregeln bei der Schaffung von Vermögen, beim Sparen und bei der Anlage zur weiteren Geldvermehrung. Sie verschafften sich das, was wir uns alle wünschen ... Einkommen für die Zukunft.
G. S. C.
Der Mann,
der von Gold träumte
Geld ist das Maß, an dem sich der Erfolg aufErden bemißt.
Geld ermöglicht den Genuß der schönsten Dinge des Lebens.
Jene Menschen kamen zu viel Geld, die die einfachen Grundregeln seines Erwerbs begriffen haben.
Geld gehorcht noch heute den gleichen Gesetzen wie vor sechstausend Jahren, als sich wohlhabende Männer in den Straßen Babylons drängten.
Bansir, der Wagenbauer von Babylon, war völlig entmutigt. Von seinem Platz auf der niedrigen Mauer, die sein Grundstück umgab, blickte er trübsinnig auf sein einfaches Heim und die offene Werkstatt, in der ein halbfertiger Wagen stand.
Von Zeit zu Zeit erschien seine Frau in der offenen Tür. Sie warf ihm verstohlene Blicke zu, was ihn gemahnte, daß er sich, zumal sein Vesperbeutel fast leer war, wieder an die Arbeit begeben und den Wagen behämmern, behauen, polieren, bemalen und das Leder über dem Radkranz straff ziehen sollte, damit er endlich fertig wurde und die Bezahlung von seinem reichen Kunden einfordern konnte.
Trotzdem blieb er, ein beleibter, muskulöser Mann, griesgrämig auf der Mauer sitzen. Sein träger Verstand kämpfte mit einem Problem, für das er keine Lösung fand. Die heiße, für das Tal des Euphrat typische Sonne brannte erbarmungslos auf ihn nieder. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und rollten langsam über sein Gesicht und seinen Hals, bis sie schließlich im Gestrüpp seiner haarigen Brust versickerten. Hinter seinem Haus erhoben sich die hohen Mauern, die den Königspalast einfriedeten, und ganz in der Nähe befand sich der bemalte Turm des Tempels von Bel, dessen Spitze in den blauen Himmel emporragte. Im Schatten solcher Pracht lag sein bescheidenes Heim sowie eine Menge weiterer Häuser, die aber keineswegs so hübsch und so gepflegt waren wie seines. Auch die Stadt Babylon symbolisierte diesen Kontrast - eine Mischung aus Pracht und Verwahrlosung, sagenhaftem Reichtum und tiefster Armut, die sich ohne Plan oder System innerhalb der Stadtmauern vereinigten.
Hätte er den Kopf gewandt, wären ihm hinter der Mauer die lärmenden Wagen der Reichen ins Auge gefallen, die die mit Sandalen bekleideten Händler und die barfüßigen Bettler anrempelten. Sogar die Reichen waren gezwungen, in die Gosse auszuweichen, um den Weg für die langen Reihen von Wasserträgern frei zu machen, die im Auftrag des Königs schwere, mit Wasser gefüllte Behälter aus Ziegenfell schleppten, die für die Bewässerung der Hängenden Gärten bestimmt waren.
Bansir war zu vertieft in seine eigenen Probleme, als daß er die lärmende Geschäftigkeit der pulsierenden Stadt wahrgenommen hätte. Erst der unvermittelte, schrille Ton einer ihm vertrauten Leier riß ihn aus seinen Grübeleien. Er wandte sich um und blickte in das lächelnde Gesicht von Kobbi, dem Musikanten, seinem besten Freund.
«Mögen die Götter dich mit großer Freigebigkeit segnen, lieber Freund», begrüßte ihn Kobbi mit blumigen Worten. «Doch anscheinend haben sie dir bereits ihre Großzügigkeit zuteil werden lassen, weil du nicht mehr zu arbeiten brauchst. Ich freue mich mit dir über dein Glück, ja, ich würde es gern mit dir teilen. Bitte, entnimm deiner Geldbörse, die ja prall gefüllt sein muß, da du andernfalls in deiner Werkstatt schuften würdest, zwei bescheidene Schekel, und leih sie mir bis nach dem Fest der Edlen heute abend. Du bekommst sie so schnell wieder, daß du gar nicht merkst, daß du sie mir geliehen hast.»
«Selbst wenn ich zwei Schekel hätte», erwiderte Bansir düster, «könnte ich sie niemandem leihen - nicht einmal dir, meinem besten Freund, denn sie wären mein ganzes
Hab und Gut, alles, was ich besäße. Niemand leiht sein gesamtes Vermögen aus, nicht einmal seinem besten Freund.»
«Wie», rief Kobbi ehrlich überrascht, «du hast keinen halben Schekel in deiner Börse und sitzt trotzdem wie eine Statue auf der Mauer? Warum um Himmels willen machst du diesen Wagen nicht fertig? Und wie nur willst du deinen nicht gerade mäßigen Appetit stillen? Das sieht dir gar nicht ähnlich, mein Freund. Wo ist deine unerschöpfliche Energie geblieben? Quält dich etwas? Haben dir die Götter Sorgen bereitet?»
«Ja, es ist vermutlich eine Prüfung der Götter», pflichtete ihm Bansir bei. «Alles begann mit einem Traum, einem sinnlosen Traum, in dem ich ein wohlhabender Mann war. An meinem Gürtel bqumelte eine hübsche Börse voll klingender Münzen. Sie enthielt viele Schekel, die ich freigebig an die Bettler verteilte; Silberstücke, mit denen ich meiner Eheliebsten schöne Kleider kaufte und auch mir allerlei Wünsche erfüllte; Goldstücke, die meine Zukunft sicherten und mir erlaubten, die Silberstücke nach Belieben auszugeben. Ich fühlte mich rundherum zufrieden. Du hättest deinen hart arbeitenden Freund nicht wiedererkannt, ebensowenig seine Gemahlin, deren Gesicht ohne Falten war und die vor Glück strahlte. Sie war wieder so fröhlich wie in unseren Flitterwochen.»
«Ein schöner Traum», meinte Kobbi, «aber warum verwandeln dich solch angenehme Gefühle in eine verdrossene Statue auf der Mauer?»
«Nun, warum wohl? Als ich erwachte und mir bewußt wurde, wie leer meine Geldbörse war, erfaßte mich tiefe Empörung. Wir müssen unbedingt darüber reden, denn, wie die Seeleute zu sagen pflegen: Wir sitzen im selben Boot. Als junge Burschen suchten wir die Priester auf, damit sie uns Weisheit vermittelten. Als junge Männer teilten wir unsere Vergnügungen, und auch noch als erwachsene Männer waren wir enge Freunde. Wir waren es zufrieden, viele Stunden zu arbeiten und die Früchte unserer Arbeit mit vollen Händen auszugeben. In den vergangenen Jahren haben wir nicht gerade wenig verdient, doch von den Freuden, die Reichtum beschert, können wir nur träumen. Bah! Sind wir besser als dumme Schafe? Und dabei leben wir in der reichsten Stadt auf Erden! Die Reisenden sagen, keine Stadt der Welt könne es ihr gleichtun. Wir sind umgeben von Reichtum, haben aber nichts davon. Nach einem Leben harter Arbeit hast du, mein bester Freund, eine leere Geldbörse und fragst mich: Kann ich mir bei dir zwei bescheidene Schekel bis nach dem Fest der Edlen heute abend borgen? Und was antworte ich darauf? Sage ich: Da hast du meine Börse, was mein ist, ist auch dein? Nein, ich gestehe dir, daß meine Börse genauso leer ist wie deine. Was ist los? Warum können wir nicht Silber und Gold erwerben, das für Nahrung und Kleidung mehr als ausreicht?»
«Denk auch an unsere Söhne», führ Bansir fort, «treten sie nicht in die Fußstapfen ihrer Väter? Müssen nicht auch sie und ihre Familien und ihre Söhne und die Familien ihrer Söhne ihr Leben lang inmitten von Reichtum leben, wie wir, und sich mit saurer Ziegenmilch und Haferbrei begnügen?»
«In all den Jahren unserer Freundschaft hast du noch nie solche Worte gesprochen, Bansir», bemerkte Kobbi verblüfft.
«In all den Jahren habe ich auch noch nie solche Überlegungen angestellt. Vom Morgengrauen bis in die Nacht hinein habe ich mich abgeplagt, die schönsten Wagen zu bauen, und hoffte insgeheim, daß die Götter eines Tages meine höchst ehrenwerte Arbeit würdigen und mich mit großem Wohlstand belohnen würden. Aber das haben sie nicht getan, und wie ich endlich erkannt habe, werden sie es auch nie tun. Deshalb ist mir das Herz schwer, denn ich will ein bemittelter Mann sein, will eigenes Land und Vieh besitzen, schöne Kleider und eine volle Geldbörse. Ich will gern hart dafür arbeiten, meine ganze Handfertigkeit dafür einsetzen, meine Schläue, aber dafür sollen meine Mühen auch ehrlich belohnt werden. Was ist los mit uns, frage ich dich. Warum können wir nicht auch unseren gerechten Anteil an den schönen Dingen haben, die denen, die genug Gold besitzen, in so reichem Maße zuteil werden?»
«Wenn ich nur darauf eine Antwort wüßte!» erwiderte Kobbi. «Ich bin nicht weniger unzufrieden als du. Das, was ich mit meiner Leier verdiene, ist schnell aufgebraucht. Oft muß ich alle Kniffe anwenden, um meine Familie über die Runden zu bringen. Tief in meinem Innern sehne ich mich nach einem Instrument, das groß genug ist, die Melodien, die mir durch den Kopf gehen, wirklich gut wiederzugeben. Damit könnte ich eine Musik machen, die schöner wäre als alles, was der König je gehört hat.»
«Du solltest unbedingt ein solches Instrument besitzen, denn kein Mann in ganz Babylon könnte es süßer zum Klingen bringen. Du würdest ihm solch liebliche Töne entlok-ken, daß selbst die Götter erfreut wären. Aber wie soll das geschehen, wenn wir beide so arm wie die Sklaven des Königs sind? Hörst du die Glocke? Dort kommen sie!» Er deutete auf die Reihen halbnackter, schweißtriefender Wasserträger, die sich mühsam den schmalen Flußweg entlangschleppten. Die Sklaven gingen zu fünft nebeneinander, und jeder einzelne war gebückt unter der Last eines schweren mit Wasser gefüllten Behälters aus Ziegenleder.
«Der Mann, der sie anführt, ist eine stattliche Erscheinung.» Kobbi deutete auf den Mann mit der Glocke, der den anderen voranging, ohne selbst eine Last zu tragen. «Gewiß war er in seinem Heimatland eine Persönlichkeit von hohem Ansehen, das sieht man gleich.»
«Viele derWasserträger haben schöne Gesichter», pflichtete Bansir bei. «Sie sind genauso tüchtige Männer wie wir. Große, blonde Männer aus dem Norden, lachende schwarze aus dem Süden und dort die kleinen, braungebrannten aus den benachbarten Ländern. Allesamt quälen sie sich vom Fluß zu den Gärten hinauf und wieder zurück, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Und da winkt kein Glück, auf das sie sich freuen dürften. Sie müssen auf Stroh schlafen und sich von zähem Haferbrei ernähren. Hab Mitleid mit den armen Kerlen, Kobbi!»
«Natürlich habe ich Mitleid mit ihnen. Doch gerade du öffnest mir eben die Augen, daß wir kaum besser dran sind, auch wenn wir uns freie Männer nennen.»
«Das ist wahr, Kobbi, so unerfreulich dieser Gedanke auch sein mag. Wir wollen nicht weiterhin Jahr für Jahr ein Sklavendasein fristen, bei dem wir uns placken und schinden und es doch zu nichts bringen!»
«Könnten wir nicht herausfinden, wie andere zu Gold kommen, und es ihnen dann nachmachen?» fragte Kobbi.
«Vielleicht gibt es ein Geheimnis, das wir lüften könnten, wenn wir jene befragten, die es kennen», erwiderte Bansir.
«Gerade heute bin ich unserem alten Freund Arkad begegnet, als er in seinem goldenen Wagen vorbeifuhr», meinte Kobbi. «Und er sah nicht über mein bescheidenes Haupt hinweg, wie viele andere in seiner Stellung es tun würden. Statt dessen winkte er mir zu, so daß alle Leute sehen konnten, wie er Kobbi, dem Musikanten, seinen Gruß entbot und ihm ein freundschaftliches Lächeln schenkte.»
«Er gilt als der reichste Mann von Babylon», bemerkte Bansir nachdenklich.
«Er ist so reich, daß selbst der König seinen Rat sucht, wenn es um den Staatsschatz geht», erwiderte Kobbi.
«Er ist enorm reich», unterbrach ihn Bansir. «Ich könnte nicht die Hand ins Feuer legen, daß ich mich nicht an seiner prall gefüllten Geldbörse vergreifen würde, wenn ich ihm in dunkler Nacht begegnete.»
«Unsinn», wies ihn Kobbi zurecht, «der Reichtum eines Menschen steckt nicht in der Börse, die er mit sich führt. Auch diese wird schnell leer, wenn sie nicht ständig mit Goldmünzen aufgefüllt wird. Arkad verfügt über ein Einkommen, das ihm stets eine volle Geldbörse sichert, auch wenn er sein Geld noch so freigebig ausgibt.» .
«Ein Einkommen, das ist es!» platzte Bansir heraus. «Auch ich möchte ein Einkommen haben, das ständig meine Geldbörse füllt, ob ich nun auf der Mauer sitze oder in ferne Länder reise. Arkad müßte wissen, wie man sich ein solches Einkommen verschafft. Meinst du, er könnte dies auch einem begriffsstutzigen Menschen wie mir verständlich machen?»
«Ich glaube, er hat sein Wissen bereits seinem Sohn vermittelt», erwiderte Kobbi. «Ist dieser nicht nach Ninive gezogen, wo er nun, wie in der Schenke geredet wird, ohne die Hilfe seines Vaters einer der reichsten Männer der Stadt geworden ist?»
«Kobbi, du bringst mich da auf einen Gedanken.» In Bansirs Augen leuchtete neue Hoffnung auf. «Es kostet doch nichts, sich einen weisen Rat bei einem guten Freund zu holen, und Arkad ist stets ein solcher gewesen. Auch
wenn unsere Börsen so leer sind wie ein Falkennest vom letztenJahr, soll uns dies nicht abhalten. Wir sind es satt, inmitten des größten Reichtums kein Gold zu besitzen! Wir wollen wohlhabende Männer werden. Laß uns zu Arkad gehen und ihn fragen, wie auch wir zu Einkommen gelangen können.» .
«Deine Worte zeugen von großer Eingebung, Bansir. Du erhellst meinen Verstand mit neuem Licht und läßt mich den Grund erkennen, weshalb wir bis jetzt nicht Wohlstand gefunden haben: Wir haben nie danach gesucht. Du hast dich unermüdlich abgeplagt, die vollkommensten Wagen in Babylon zu bauen. Diesem Ziel galt dein ganzes Streben, das du deshalb auch erreicht hast. Und ich habe mich bemüht, ein guter Leierspieler zu werden, was mir auch gelungen ist.»
«Wir haben mit den Dingen Erfolg gehabt, die wir mit Fleiß angepackt haben. Die Götter waren es zufrieden, uns so weitermachen zu lassen. Jetzt aber tut sich ein Licht vor unseren Augen auf, so hell wie das der aufgehenden Sonne. Es gebietet uns, mehr Wissen zu erwerben, um endlich Wohlstand zu erlangen. Mit neuem Verständnis werden wir auf redliche Weise Möglichkeiten finden, uns unsere Wünsche zu erfullen.»
«Laß uns noch heute zu Arkad gehen», drängte Bansir. «Und laß uns auch unsere Freunde aus Kindheitstagen mitnehmen, denen es nicht besser ergeht als uns, damit auch sie aus seinem Wissen Nutzen ziehen können.»
«Du hast stets an deine Freunde gedacht, Bansir. Deshalb hast du auch so viele. Es soll so geschehen, wie du sagst. Noch heute machen wir uns auf den Weg und nehmen sie mit.»
Der reichste Mann von Babylon
Im alten Babylon lebte einst ein gewisser Arkad, ein unermeßlich reicher Mann. Er war weit und breit seines Reichtums, aber auch seiner Freigebigkeit wegen berühmt. Seine Mildtätigkeit war sprichwörtlich. Gegenüber seiner Familie zeigte er sich großzügig, und auch für sich selber gab er das Geld mit vollen Händen aus. Und trotzdem vermehrte sich sein Reichtum schneller, als daß er ihn aufbrauchte.
Eines Tages kamen einige Jugendfreunde zu ihm und sagten: «Du, Arkad, hast mehr Glück als wir. Du bist der reichste Mann von Babylon, während wir ums Überleben kämpfen müssen. Du kannst die schönsten Kleider tragen und die erlesensten Speisen genießen, wir dagegen müssen froh sein, wenn wir unsere Familien halbwegs anständig kleiden und so gut wie möglich satt bekommen können.
Aber einst waren wir alle gleich, haben beim gleichen Lehrer gelernt, an den gleichen Spielen teilgenommen. Du hast uns weder bei den Studien noch bei den Spielen übertroffen. Und in den darauffolgenden Jahren warst du auch kein ehrenhafterer Bürger als wir.
Soweit wir es beurteilen können, hast du auch nicht härter oder gewissenhafter gearbeitet als wir. Warum also hat das launische Schicksal dich ausgewählt, alle schönen Dinge des Lebens zu genießen, und uns übersehen, obwohl wir es genauso verdienten?»
Hierauf hielt Arkad ihnen vor: «Wenn ihr seit unseren
Jugendtagen nicht mehr als den bloßen Lebensunterhalt erworben habt, dann deshalb, weil ihr es entweder versäumt habt, die Gesetze, die das Entstehen des Reichtums ermöglichen, zu erkennen, oder weil ihr sie nicht beachtet habt.»
«Das <launische Schicksal> ist eine boshafte Göttin, die niemandem auf die Dauer Gutes beschert. Dagegen bewirkt sie den Untergang fast jedes Menschen, den sie mit unverdientem Gold überschüttet. Sie macht die Verschwender übermütig, so daß sie bald wieder alles verpraßt haben, was sie empfangen haben. Diese werden dann von unmäßigem Appetit und Wünschen gequält, die sie wegen ihrer Geldknappheit nicht mehr befriedigen können. Andere wiederum, die es begünstigt, werden zu Geizhälsen und horten ihren Reichtum, haben Angst, das, was sie besitzen, auszugeben, da sie wissen, daß sie keine Möglichkeit haben, es zu ersetzen. Außerdem leben sie in schrecklicher Angst vor Dieben und verdammen sich selbst zu einem Leben ohne Inhalt und voller Trübsal.
Es mag auch solche geben, die unverdient Gold empfingen, es vermehrten und weiterhin als glückliche und zufriedene Bürger leben. Aber sie sind derart in der Minderzahl, daß ich nur vom Hörensagen von ihrer Existenz weiß. Stellt euch die Männer vor, die plötzlich zu Reichtum gekommen sind, und überlegt, ob es nicht so ist.»
Seine Freunde pflichteten ihm bei, daß dies bei den Männern, von denen sie wußten, daß sie Reichtümer geerbt hatten, der Fall war. Sie bestürmten ihn, er solle ihnen erklären, wie er zu solch großem Wohlstand gekommen sei. Also fuhr Arkad fort: «ln meiner Jugend blickte ich mich um und entdeckte all die schönen Dinge, die Glück und Zufriedenheit bereiten. Und ich erkannte, daß sie durch Reichtum besser erlangt werden können.
Reichtum ist eine Macht, die vieles ermöglicht.
Man kann sein Heim mit den kostbarsten Möbeln ausstatten.
Man kann über ferne Meere segeln.
Man kann die Leckerbissen fremder Länder genießen.
Man kann die Schmuckstücke der Goldschmiede und Steinschleifer kaufen.
Man kann sogar erhabene Tempel für die Götter errichten.
All dies kann man tun und vieles mehr, was die Sinne und die Seele erfreut. Und als ich all dies erkannte, beschloß ich, daß ich meinen Teil an den schönen Dingen des Lebens beanspruchen und nicht zu denen gehören würde, die abseits stehen und voller Neid beobachten, wie sich die anderen ein schönes Leben machen. Ich würde mich nicht damit begnügen, die billigsten Kleider zu tragen, würde mich nicht mit dem Los des armen Mannes abfinden. Im Gegenteil, ich würde an diesem Bankett teilnehmen.
Da ich, wie ihr ja wißt, Sohn eines einfachen Kaufmanns bin, aus einer großen Familie stamme ohne jede Hoffnung auf ein Erbe und zudem, wie ihr so freimütig bemerkt habt, nicht gerade mit besonderen Gaben der Weisheit ausgestattet bin, erkannte ich, daß ich viel Zeit und Studien benötigen würde, um das Gewünschte zu erreichen.
Was die Zeit angeht: Jeder Mensch besitzt sie im Übermaß. Jeder von euch hat genug nutzlose Zeit verstreichen lassen, um zu Wohlstand zu gelangen. Doch ihr gebt zu, daß ihr nichts anderes vorzuweisen habt als eure guten Familien, auf die ihr mit Recht stolz sein könnt.
Was die Studien anbetrifft: Hat nicht unser weiser Lehrer uns beigebracht, daß es zwei Arten des Lernens gibt: Die eine beinhaltet die Dinge, die wir gelernt haben und wissen, die andere besteht in dem Bemühen, festzustellen, was wir nicht wissen. Deshalb entschloß ich mich, herauszufinden, wie man Reichtümer anhäufen kann. Als ich es erkannt hatte, nahm ich mir vor, diese Aufgabe gut zu erfüllen. Denn ist es nicht weise, daß wir uns unseres Daseins erfreuen, solange wir uns im hellen Schein der Sonne bewegen? Denn noch genug Betrübnis wird uns umfangen, wenn wir in die Dunkelheit der Welt des Geistes eintauchen.
Ich fand eine Anstellung als Schreiber in der Schreibhalle und war viele Stunden des Tages über meine Tontafeln gebeugt. Woche für Woche und Monat um Monat schuftete ich, aber mein Verdienst war gleich Null. Nahrung, Kleidung, Opfer für die Götter und alle möglichen anderen Dinge fraßen meinen gesamten Verdienst auf. Aber mein Entschluß stand unerschütterlich fest.
Da kam eines Tages Algamish, der Geldverleiher, ins Haus des Stadtältesten und gab eine Abschrift des Neunten Gesetzes in Auftrag. Er sagte zu mir: <Ich muß es in zwei Tagen haben, und wenn die Arbeit bis dahin fertig ist, gebe ich dir zwei Kupfermünzen.>
Also mühte ich mich ab, aber das Gesetz war sehr lang, und als Algamish zurückkehrte, war ich noch nicht fertig. Er war verärgert, und wäre ich sein Sklave gewesen, hätte er mich geschlagen. Aber da er wußte, daß der Stadtälteste dies nicht zulassen würde, hatte ich keine Angst und sagte zu ihm: <Algamish, Ihr seid ein sehr reicher Mann. Erklärt mir, wie ich ebenfalls reich werden kann, und ich werde die ganze Nacht durchschreiben und Euch bei Sonnenaufgang Eure Tafeln überreichen.>
Er lächelte mich an und erwiderte: <Du bist ein vorlauter Knabe, aber der Handel gilt.>
Ich arbeitete die ganze Nacht an den Tontafeln, obwohl mein Rücken schmerzte und der Geruch des Dochts mir Kopfweh verursachte und ich kaum etwas sehen konnte. Aber als Algamish bei Sonnenaufgang zurückkehrte, waren die Tafel fertig.
<Nun>, sagte ich, <erzählt mir, was Ihr mir versprochen habt.>
<Du hast deinen Teil des Handels erfüllt, mein Sohn>, sagte er freundlich zu mir, <und ich bin bereit, meinen zu erfüllen. Ich werde dir die Dinge erzählen, die du wissen willst, weil ich allmählich alt werde, und alte Männer reden gern. Und wenn ein junger Mann den Rat eines alten sucht, wird ihm die Weisheit des Alters zuteil. Aber allzuoft glaubt die Jugend, daß wir Älteren nur die Weisheit vergangener Zeiten besäßen, und profitiert deshalb nicht von uns. Aber denk daran: Die Sonne, die heute scheint, ist die gleiche, die an dem Tag schien, als dein Vater geboren wurde, und sie wird immer noch scheinen, wenn dein letzter Enkel in die Dunkelheit eingeht.
Die Gedanken der Jugend>, fuhr er fort, <scheinen so hell wie die Meteore, die häufig den Himmel erstrahlen lassen, aber die Weisheit des Alters ist wie die Fixsterne, deren Schein unverändert ist, so daß der Seemann sich auf sie verlassen kann, um seinen Kurs zu steuern.
Präge dir meine Worte gut ein, denn wenn du es nicht tust, wirst du das, was ich dir erzählen werde, nicht begreifen, und wirst annehmen, daß du vergeblich die ganze Nacht durchgeschuftet hast.>
Dann blickte er mich unter seinen buschigen Augenbrauen scharf an und sagte eindringlich: <Als ich beschloß, daß ich einen Teil meines Verdienstes sparen würde, habe ich den Weg zum Reichtum gefünden. Und du wirst es genauso machen.>
Dann blickte er mich durchdringend an, schwieg aber.
<Ist das alles?> fragte ich.
<Das war genug, um das Herz eines Schafhirten in das eines Geldverleihers zu verwandeln>, erwiderte er.
<Aber alles, was ich verdiene, gehört doch sowieso mir, oder?> fragte ich.
<Weit gefehlt>, antwortete er mir. <Mußt du nicht den Kleider- und Sandalenmacher bezahlen? Mußt du nicht deine Nahrungsmittel bezahlen? Kannst du in Babylon leben, ohne Geld auszugeben? Was ist dir von deinem Verdienst vom letzten Monat übriggeblieben, vom letzten Jahr? Du Dummkopfl Du bezahlst jeden, außer dich selbst, arbeitest im Grunde für andere, wie ein Sklave, der von seinem Herrn Essen und Kleidung erhält. Wenn du ein Zehntel deines Verdienstes auf die Seite legen würdest, wieviel hättest du dann in zehn Jahren?>
Meine Kenntnis der Zahlen ließ mich nicht im Stich, und ich antwortete: <Soviel, wie ich in einem Jahr verdiene.>
<Du sagst nur die halbe Wahrheit>, konterte er. Jedes Goldstück, das du sparst, ist ein Sklave, der für dich arbeitet. Jede Kupfermünze, die dieser verdient, ist sein Kind, das ebenfalls für dich arbeiten kann. Wenn du reich werden willst, muß das, was du sparst, Früchte tragen und diese ihrerseits ebenfalls, damit du den Überfluß bekommst, nach dem du strebst.
Du glaubst, ich würdige deine Nachtarbeit nicht>, führ er fort, <aber ich bezahle dir das Tausendfache dafür, wenn du so intelligent bist, das zu begreifen, was ich dir erkläre.
Du solltest einen Teil deines Verdiensts sparen. Es sollte nicht weniger als ein Zehntel sein, egal, wie wenig du verdienst. Es kann auch mehr sein, als du dir gelegentlich leisten kannst. Bezahle zuerst dich selbst. Erwirb beim Kleider- und Sandalenmacher nicht mehr, als du bezahlen kannst, und achte darauf, daß du noch genug für Essen, Wohltätigkeit und Opfergaben für die Götter zurückbehältst.
Reichtum erwächst, genau wie ein- Baum, aus einem winzigen Samen. Die erste Kupfermünze, die du sparst, ist der Samen, aus dem dein Baum des Reichtums emporwachsen wird. Je früher du den Samen in die Erde pflanzt, desto schneller sprießt der Baum. Und je gewissenhafter du diesen Baum gießt und durch stetes Sparen nährst, desto früher kannst du zufrieden in seinem Schatten ausruhen.>
Nach diesen Worten nahm er seine Tafeln und entfernte sich.
Ich dachte viel über das nach, was er mir erzählt hatte, und es erschien mir vernünftig. Also beschloß ich, es zu versuchen. Immer wenn ich meinen Lohn bekam, legte ich jede zehnte Kupfermünze beiseite. Und so seltsam es scheinen mag, mein Geld war auch nicht knapper als vorher. Ich spürte kaum einen Unterschied, da ich es schaffte, ohne dieses Zehntel auszukommen. Aber als mein Schatz sich anhäufte, war ich des öfteren versucht, einen Teil davon für die hübschen Dinge auszugeben, die die Händler auf Kamelen oder Schiffen aus dem Land der Phönizier bezogen. Aber ich widerstand der Versuchung.
Zwölf Monate später kehrte Algamish zurück und sagte zu mir: <Nun, mein Sohn, hast du dir ein Zehntel deines Verdiensts im letzten Jahr zurückgelegt?>
Ich erwiderte stolz: <Ja, mein Herr, das habe ich.>
<Das ist fein>, erwiderte er und strahlte mich an. <Und was hast du damit getan?>
<Ich habe es Azmur, dem Ziegelsteinbauer, gegeben, der mir sagte, er werde über die Meere fahren und mir in Tyrus die erlesenen Juwelen der Phönizier kaufen. Wenn er zurückkommt, werden wir sie zu einem hohen Preis verkaufen und uns den Gewinn teilen.>
Jeder Dummkopf muß lernen>, brummte er, <aber wie kannst du einem Ziegelbrenner vertrauen, wenn es um Juwelen geht? Würdest du den Bäcker über Sterne befragen? Nein, bei meinem Bart, du würdest den Astrologen aufsuchen, wenn du klug wärst. Deine Ersparnisse kannst du vergessen, Junge, denn du hast deinen Baum des Reichtums mit den Wurzeln ausgerissen. Aber pflanze gleich den nächsten. Versuch es erneut. Und wenn du dich das nächste Mal über Juwelen kundig machen willst, geh zum Juwelenhändler. Willst du etwas über Schafe erfahren, wende dich an den Schafhirten. Ratschläge werden kostenlos erteilt, aber achte darauf, daß du nur das annimmst, was sich lohnt. Wer sich über seine Ersparnisse von jemandem beraten läßt, der keine Ahnung hat, muß dafür mit seinem Ersparten büßen.> Nach diesen Worten ging er seines Weges.
Und es war genau so, wie er vorausgesagt hatte. Denn die Phönizier sind Schurken und verkauften Azmur wertlosen Talmi, der wie echt aussah. Aber wie Algamish mir vorgeschlagen hatte, sparte ich erneut jede zehnte Kupfermünze, denn ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt, und so war es nicht weiter schwierig.
Wieder zwölf Monate später kam Algamish in die Schreibhalle und wandte sich an mich. Welchen Fortschritt hast du gemacht, seit wir uns zuletzt gesehen haben?>
<Ich habe gewissenhaft einen Zehntel meiner Einkünfte beiseite gelegt>, erwiderte ich, <und habe meine Ersparnisse Agger, dem Schildmacher, anvertraut, damit er Bronze kaufe. Alle vier Monate zahlt er mir die Rendite aus.>
<Das ist sehr klug. Und was tust du mit der Rendite?>
<Damit veranstalte ich ein großes Fest mit Honig, gutem Wein und Gewürzkuchen. Ich habe dafür auch eine scharlachrote Tunika erworben. Und eines Tages werde ich mir einen jungen Esel kaufen, auf dem ich reiten kann.>
Algamish lachte lauthals. <Du verzehrst die Kinder deiner Ersparnisse! Wie sollen sie für dich arbeiten können? Und wie können sie wiederum Kinder bekommen, die ebenfalls für dich arbeiten? Sorge erst dafür, daß du dir eine Armee goldener Sklaven anschaffst, dann kannst du dir unbesorgt üppige Bankette leisten.> Nach diesen Worten zog er sich wieder zurück.
Ich habe ihn dann erst zwei Jahre später wieder gesehen. Dieses Mal war sein Gesicht voller tiefer Furchen, und seine Augen blickten müde; er wirkte plötzlich sehr alt. Er wandte sich an mich und sagte: <.Arkad, hast du bereits den Reichtum erlangt, von dem du geträumt hast?>
Ich antwortete: <Noch nicht ganz, aber zum Teil, und das Geld vermehrt sich und die Kinder davon ebenfalls.>
<Und hörst du immer noch auf den Rat von Ziegelbrennern?>
<Über das Ziegelbrennen wissen sie Rat>, erwiderte ich. <.Arkad>, führ er fort, <du hast deine Lektion gut gelernt. Zuerst hast du dir angewöhnt, mit weniger zurechtzukommen, als du verdient hast. Als nächstes hast du begriffen, daß du dich, wenn du Rat suchst, an jene wenden mußt, die aufgrund ihrer Erfahrung geeignet dafür sind. Und schließlich hast du gelernt, das Gold für dich arbeiten zu lassen.
Du hast begriffen, wie man zu Geld kommt, es spart und damit arbeitet. Deshalb bist du erfahren genug für eine verantwortungsvolle Stellung. Ich werde allmählich alt, und meine Söhne haben nur das Geldausgeben im Sinn und machen sich keine Gedanken, wie sie es verdienen. Meine Ge-
schäfte sind weit verzweigt, und ich kann mich nicht mehr allein darum kümmern. Wenn du nach Nippur gehst, um dich dort um meine Ländereien zu kümmern, mache ich dich zu meinem Partner und teile meinen Besitz mit dir.>
Also begab ich mich nach Nippur und verwaltete seine Besitztümer. Da ich voller Ehrgeiz war und die drei Gesetze des erfolgreichen Verwaltens von Reichtum beherrschte, konnte ich den Wert seiner Ländereien beträchtlich erhöhen. So gelangte ich zu großem Wohlstand, und als Al-gamishs Geist in das Reich der Dunkelheit aufbrach, wurde ich Erbe seines Vermögens, wie er es gesetzlich festgelegt hatte.»
So sprach Arkad, und als er mit seinem Bericht fertig war, sagte einer seiner Freunde: «Du hattest wirklich Glück, daß Algamish dich als Erben eingesetzt hat.»
«Glück nur insofern, daß ich, noch bevor ich ihn kennenlernte, den Wunsch verspürte, reich zu werden. Habe ich nicht vier Jahre lang meine eiserne Entschlossenheit gezeigt, indem ich ein Zehntel meines Verdiensts zur Seite legte? Würdet ihr sagen, ein Fischer, der jahrelang die Gewohnheiten der Fische studierte und die Netze immer an der richtigen Stelle auslegt, habe Glück? Die Gelegenheit ist eine hochmütige Göttin, die keine Zeit mit jenen vergeudet, die unvorbereitet sind.»
«Du hast starke Willenskraft bewiesen. Da du, nachdem du deine ersten Ersparnisse verloren hattest, weiterhin Geld zur Seite gelegt hast, bist du in dieser Hinsicht ungewöhnlich», bemerkte ein anderer.
«Willenskraft!» blaffte Arkad. «Was für ein Unsinn! Glaubt ihr, Willenskraft gebe einem Mann die Stärke, eine Last zu heben, die ein Kamel nicht tragen kann, oder eine Ladung zu ziehen, die selbst Ochsen nicht bewegen können? Willenskraft ist lediglich die unerschütterliche Absicht, eine selbstgestellte Aufgabe zu vollenden. Wenn ich mir etwas vornehme, sei es auch noch so banal, lasse ich mich durch nichts davon abbringen. Wie sonst soll ich das Selbstvertrauen gewinnen, um auch bedeutende Vorhaben durchzuführen? Sollte ich mir vornehmen: <Wenn ich hundert Tage lang über die Brücke in die Stadt gehe, hebe ich jedesmal einen Stein auf und werfe ihn in den Fluß>, würde ich es tun. Wenn ich ^ siebten Tag vorbeiginge, ohne mich daran zu erinnern, würde ich nicht zu mir sagen: <Morgen werde ich zwei Steine in den Fluß werfen, das kommt auf das gleiche raus.> Statt dessen würde ich denselben Weg zurückgehen und den Stein in den Fluß werfen. Ich würde auch nicht ^ zwanzigsten Tag zu mir sagen: <.Arkad, das ist sinnlos. Was nützt es dir, jeden Tag einen Stein zu werfen? Wirf eine Handvoll hinein, und laß es damit gutsein. Nein, das würde ich weder sagen noch tun. Wenn ich mir eine Aufgabe vornehme, fuhre ich sie zu Ende. Deshalb achte ich darauf, keine schwierigen und unpraktischen Aufgaben in Angriff zu nehmen, denn meine Bequemlichkeit geht mir über alles.»
Dann meldete sich ein anderer Freund zu Wort und meinte: «Wenn das, was du sagst, stimmt - und deine Worte klingen durchaus vernünftig -, dann würde es wohl, wenn alle Männer danach verfahren würden, da es doch so einfach ist, nicht genug Schätze fur alle geben!»
«Reichtum entsteht immer da, wo Männer Tatkraft zeigen», erwiderte Arkad. «Wenn sich ein reicher Mann einen neuen Palast errichten läßt, ist dann das Gold, das er dafur aufwendet, vergeudet? Nein, denn der Ziegelbrenner hat Anteil daran, und der Bauarbeiter, und der Baumeister. Und alle anderen, die an dem Haus arbeiten, nehmen daran teil.
Doch wenn der Palast vollendet ist, ist er dann nicht alle Aufwendungen wert? Und ist der Grund, auf dem er steht, dadurch nicht mehr wert? Und hat das angrenzende Grundstück nicht auch deshalb größeren Wert, weil er sich dort befindet? Reichtum vermehrt sich auf wundersame Weise. Kein Mensch kann seine Grenzen voraussagen. Haben nicht die Phönizier mit dem Reichtum, den sie durch ihre Handelsschiffe erlangt haben, große Städte an unfruchtbaren Küsten erbaut?»
«Was also rätst du uns zu tun, damit wir ebenfalls reich werden?» fragte ein anderer seiner Freunde. «Die Jahre sind verstrichen, und wir sind keine jungen Männer mehr und haben nichts weggelegt.»
«Ich rate euch, die Weisheit von Algamish zu erkennen und euch vorzunehmen: <Einen Teil meines Verdienstes lege ich aufdie Seite. > Sagt es morgens, wenn ihr aufsteht, sagt es mittags und abends. Sagt es jede Stunde des Tages. Sagt es euch so lange vor, bis die Worte wie Buchstaben aus Feuer am Himmel stehen. Laßt euch von der Vorstellung durchdringen, laßt den Gedanken in euch einsickern. Dann legt den Teil zur Seite, der euch als angemessen erscheint. Es sollte nicht weniger als ein Zehntel sein. Ordnet eure übrigen Ausgaben so, daß dies möglich ist. Aber spart zuerst dieses Zehntel. Bald werdet ihr feststellen, welch gutes Gefuhl es ist, einen Schatz zu besitzen, auf den ihr allein Anspruch habt. Je mehr er wächst, desto mehr regt er euch an. Neue Lebensfreude wird euch erfullen. Ihr werdet euch noch mehr anstrengen, um mehr zu verdienen. Denn je höher euer Verdienst ist, desto größer sind eure Ersparnisse.
Dann müßt ihr lernen, euer Geld fur euch arbeiten zu lassen, es zu eurem Sklaven zu machen. Sorgt dafur, daß seine Kinder und dessen Kinder fur euch arbeiten.
Sichert euch ein Einkommen für eure Zukunft. Kümmert euch aber auch um die Alten, und vergeßt nicht, daß ihr in absehbarer Zeit auch zu ihnen gehören werdet. Investiert deshalb euer Vermögen mit größter Vorsicht, damit es nicht verlorengeht. Unrealistische Gewinne sind trügerische Sirenen, die den Achtlosen auf den Felsen des Verlusts und der Zerknirschung locken.
Sorgt auch dafür, daß eure Familie nicht Mangel leidet, wenn die Götter euch in ihr Reich holen werden. Ihr könnt Vorsorge für eure Lieben treffen, indem ihr in regelmäßigen Abständen kleine Beträge zurücklegt. Deshalb verläßt sich der vorausschauende Mann nicht darauf, daß in diesem Fall eine große Summe zur Verfügung steht.
Laßt euch von klugen Männern beraten. Sucht den Rat solcher Männer, die täglich mit Geld zu tun haben. Laßt sie euch vor solch einem Irrtum bewahren, wie ich ihn begangen habe, indem ich mein Geld dem Urteilsvermögen von Azumur, dem Ziegelbrenner, anvertraute. Ein kleiner, sicherer Ertrag ist weitaus erstrebenswerter als eine risikoreiche Investition.
Genießt das Leben, solange ihr auf Erden weilt. Übertreibt es nicht, versucht aber auch nicht, zu viel zu sparen. Wenn ihr mühelos ein Zehntel eurer Einkünfte sparen könnt, begnügt euch damit. Lebt im übrigen eurem Einkommen entsprechend, seid nicht knauserig oder ängstlich, Geld auszugeben. Das Leben ist schön und voll lohnender, erfreulicher Dinge.»
Seine Freunde dankten ihm und gingen dann ihrer Wege. Einige schwiegen, denn sie hatten keine Phantasie und konnten die Worte ihres Freundes nicht begreifen. Andere äußerten sich sarkastisch, weil sie der Meinung waren, daß jemand, der so reich war, mit alten Freunden, die nicht so viel Glück gehabt hatten, teilen sollte. Aber einigen wenigen war ein Licht aufgegangen. Sie erkannten, daß Alga-mish deshalb immer wieder zu dem Schreiber zurückgekehrt war, weil er beobachtet hatte, wie sich ein Mann seinen Weg aus der Dunkelheit ins Licht bahnte. Als dieser Mann das Licht gefunden hatte, wartete eine gute Position auf ihn, die jemand erst ausfüllen konnte, wenn er seinen eigenen Weg gefünden hatte und deshalb bereit war, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen.
Im Laufe der nächsten Jahre suchten diese Freunde Ar-kad des öfteren auf. Er empfing sie jedes Mal freundlich, beratschlagte mit ihnen und gab ihnen sein Wissen weiter, denn Männer mit viel Erfahrung sind immer gern dazu bereit. Und er half ihnen, ihre Ersparnisse gut anzulegen, mit einem sicheren Ertrag, und achtete darauf, daß sie keine Investitionen tätigten, die keine Gewinne einbrachten.
Der Wendepunkt im Leben dieser Männer trat an dem Tage ein, als sie die Wahrheit erkannten, die Algamish Ar-kad vermittelt hatte und dieser seinerseits an sie.
Ihr müsst einen Teil Eures VERDIENSTES SPAREN.
Sieben Methoden, eine leere Geldbörse zu füllen
Der Glanz Babylons hält an. Über die Jahrtausende hat sich sein Ruf als reichste Stadt der Welt, als Ort der sagenhaften Schätze erhalten.
Aber es war nicht immer so. Der Reichtum Babylons gründet auf der Weisheit seiner Bewohner, denn diese hatten erst lernen müssen, wie man reich wird.
Als Sargon, der gute König, nach dem Sieg über seine Feinde, die Elamiten, nach Babylon zurückkehrte, sah er sich einer ernsten Situation gegenüber. Sein Kanzler erklärte sie ihm folgendermaßen:
«Nach vielen Jahren großen Wohlstands, den unser Volk genoß, weil Eure Majestät die großen Bewässerungskanäle und die erhabenen Tempel für die Götter haben erbauen lassen, scheinen unsere Leute, nachdem diese Werke vollendet sind, nicht mehr in der Lage zu sein, sich selbst ernähren zu können.
Die Arbeiter haben keine Arbeit, die Kaufleute nur wenige Kunden, die Bauern können ihre Produkte nicht verkaufen, und die Menschen haben nicht genug Gold, um sich Nahrungsmittel zu kaufen.»
«Aber was ist aus all dem Gold geworden, das wir für diese großen Projekte ausgegeben haben?» wollte der König wissen.
«Ich befürchte», erwiderte der Kanzler, «es ist in die Hände einiger weniger reicher Männer unserer Stadt geflossen, und zwar schneller, als der Sand durch die Sanduhr rinnt. Da nun der Goldfluß versiegt ist, besitzen die meisten unserer Bürger nichts mehr, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen könnten.»
Der König war eine Zeitlang in Gedanken versunken. Dann fragte er: «Warum sind wohl nur so wenige Männer fähig, das viele Gold zu erwerben?»
«Weil sie wissen, wie», erwiderte der Kanzler knapp. «Man kann einen Mann, der Erfolg hat, nicht verdammen, nur weil er weiß, wie es geht. Noch darf man, sofern man Gerechtigkeitssinn besitzt, einem Mann das wegnehmen, was er sich ehrlich verdient hat, um es Männern mit weniger Fähigkeiten zu geben.»
«Aber warum», fragte der König, «sollen nicht alle Menschen lernen, wie man Gold anhäuft und folglich reich und wohlhabend wird?»
«Das ist durchaus möglich, Majestät, aber wer kann es ihnen beibringen? Gewiß nicht die Priester, denn sie wissen nicht, wie man zu Geld kommt.»
«Wer in unserer Stadt versteht sich ^ besten darauf, reich zu werden, Kanzler?» wollte der König wissen.
«Diese Frage beantwortet sich von selbst, Majestät. Wer hat in Babylon den größten Reichtum angehäuft?»
«Eine gute Erwiderung, mein schlauer Kanzler. Natürlich Arkad. Er ist der reichste Mann von Babylon. Bring ihn morgen zu mir!»
Am nächsten Tag erschien Arkad, wie befohlen, vor dem König. Er hielt sich trotz seiner siebzig Jahre aufrecht und wirkte recht vital.
«Arkad», wandte sich der König an ihn, «stimmt es, daß du der reichste Mann von Babylon bist?»
«So heißt es, Majestät, und niemand bestreitet es.»
«Wie bist du so reich geworden?»
«Indem ich Gelegenheiten nutzte, die sich allen Bürgern unserer schönen Stadt bieten.»
«Und du hast am Anfang nichts besessen?»
«Nur den glühenden Wunsch, reich zu werden, sonst nichts.»
«Arkad», fuhr der König fort, «unsere Stadt befindet sich in einer sehr mißlichen Lage, weil einige Männer es verstehen, Reichtum anzusammeln und zu monopolisieren, während es den meisten unserer Bürger am Wissen fehlt, wie sie einen Teil ihres Goldes sparen sollen. Es ist mein Wunsch, daß Baylon die reichste Stadt der Welt werde, deshalb muß es hier viele reiche Männer geben. Aus diesem Grund müssen wir allen Mitbürgern beibringen, wie sie Reichtümer erwerben. Sag mir, Arkad, gibt es irgendein Geheimnis, reich zu werden? Kann man es lernen?»
«Aber gewiß, Majestät. Das, was einer weiß, kann er auch an andere weitergeben.»
Der Blick des Königs hellte sich auf. «Arkad, du sprichst die Worte, die ich hören möchte. Willst du dich für diese große Sache zur Verfügung stellen? Willst du dein Wissen einer Schule von Lehrern weitergeben, von denen jeder wiederum andere unterweisen soll, bis es genügend Männer gibt, die genug wissen, um diese Wahrheiten an jeden würdigen Untertanen meines Reiches weitergeben zu können?»
Arkad verneigte sich und sagte: «Ich bin Euer demütiger Diener. Was auch immer ich an Wissen besitze, vermittle ich gerne zum Besten meiner Mitmenschen und zum Ruhme meines Königs weiter. Laßt Euren klugen Kanzler eine Gruppe von hundert Mann zusammenstellen, und ich werde sie die sieben Methoden lehren, die meine Geldbörse, die damals die leerste in ganz Babylon war, prall füllten.»
Vierzehn Tage später versammelten sich die besagten hundert Männer gemäß dem Wunsch des Königs in der Großen Halle des Tempels des Lernens und setzten sich im Halbkreis. Arkad hatte neben einem kleinen Hocker Platz genommen, auf dem eine geweihte Lampe einen fremdartigen, aber angenehmen Duft verströmte.
«Sieh da, der reichste Mann von Babylon», flüsterte ein Student seinem Nachbarn zu, als Arkad sich erhob. «Er ist auch nicht anders als wir.»
«Als pflichtbewußter Untertan unseres großen Königs», begann Arkad, «stehe ich in seinem Auftrage vor euch. Da ich einst ein armer Junge war, der sich inbrünstig nach Gold sehnte, und weil ich das Wissen fand, das mich befähigte, es zu erwerben, bittet er mich, mein Wissen an euch weiterzugeben.
Ich schuf mir mein Vermögen auf die bescheidenste Art, besaß nicht die Privilegien, die ihr und alle Bürger Babylons in vollem Maße genießen.
Ich begründete mein Vermögen mit einer abgewetzten Geldbörse, deren gähnende Leere ich verabscheute. Ich wünschte mir, daß sie rund und prall sei, voll klingender Goldmünzen. Deshalb suchte ich nach Abhilfe und fand sieben Methoden.
Euch, die ihr hier vor mir versammelt seid, werde ich die sieben Methoden erklären, dank deren eine leere Geldbörse gefüllt werden kann. Ich empfehle sie allen, die viel Gold erwerben wollen. An sieben Tagen werde ich euch jeweils eine der sieben Methoden erklären.
Hört aufmerksam zu, was ich euch an Wissen zu vermitteln habe, und diskutiert mit mir und untereinander darüber. Lernt diese Lektionen gründlich, damit ihr in eure eigenen Geldbörsen den Samen des Reichtums pflanzt. Zuerst muß sich jeder von euch ein eigenes Vermögen aufbauen. Dann erst seid ihr befähigt, diese Wahrheiten anderen zu vermitteln.
Ich werde euch mit einfachen Worten beibringen, wie ihr eure Geldbörse anschwellen lassen könnt. Das ist der erste Schritt, der zum Tempel des Reichtums führt. Diesen Tempel kann kein Mensch erklimmen, der nicht mit beiden Füßen auf der ersten Stufe steht.
Nun wollen wir die erste Methode näher untersuchen.»
Die erste Methode Fangt an, eure Geldbörse zu füllen
Arkad wandte sich an einen nachdenklichen Mann in der zweiten Reihe. «Guter Mann, welches Handwerk übst du aus?»
«Ich», erwiderte der Mann, «bin ein Schreiber und ritze Berichte auf die Tontafeln.»
«Mit solcher Arbeit erwarb auch ich meine ersten Kupfermünzen. Deshalb hast du die gleiche Möglichkeit, dir ein Vermögen aufzubauen.»
Dann sprach er einen rotgesichtigen Mann weiter hinten an. «Bitte, sag mir, womit du dein Brot verdienst.»
«Ich», erwiderte der Mann, «bin ein Fleischer. Ich kaufe die Ziegen, die die Bauern züchten, schlachte sie und verkaufe das Fleisch den Hausfrauen und die Häute den Sandalenmachern.»
«Da du arbeitest und verdienst, hast du alle Chancen, das gleiche zu erreichen wie ich.»
Auf diese Weise fand Arkad heraus, wie jeder seinen Lebensunterhalt verdiente. Als er seine Befragung beendet hatte, sagte er:
«Nun, meine Studenten, ihr werdet jetzt erkannt haben, daß es viele Geschäfte und Tätigkeiten gibt, bei denen man allerlei Münzen verdienen kann. Jede Verdienstmöglichkeit bedeutet einen Zufluß von Goldmünzen, von dem der Arbeiter durch seine Arbeit einen Teil in seine eigene Börse abführt. Deshalb füllt sich die Börse eines jeden von euch mit Münzen. Je nach Fähigkeit sind es viele oder wenige. Ist es nicht so?»
Alle nickten und pflichteten ihm bei.
«Wenn sich nun jeder von euch ein Vermögen aufbauen möchte», fuhr Arkad fort, «ist es dann nicht klug, wenn er damit beginnt, diese Quelle des Reichtums, die er bereits besitzt, zu nutzen?»
Wiederum pflichteten ihm die Männer bei.
Dann wandte sich Arkad einem bescheidenen Mann zu, der sich als Eierhändler zu erkennen gegeben hatte. «Wenn du einen deiner Körbe nimmst und jeden Morgen zehn Eier hineinlegst und jeden Abend neun Eier herausnimmst, was wird dann schließlich geschehen?»
«Mit der Zeit wird der Korb überquellen.»
«Warum?»
«Weil ich jeden Tag ein Ei mehr hineinlege, als ich herausnehme.»
Arkad wandte sich mit einem Lächeln an die Gruppe. «Hat hier jemand von euch eine leere Geldbörse?»
Zuerst blickten die Männer amüsiert, dann brachen sie in Lachen aus. Und zuletzt schwenkten sie ihre Geldbörsen zum Spaß.
«Gut», fuhr Arkad schmunzelnd fort, «jetzt werde ich euch die erste Methode zur Behebung einer leeren Geldbörse erklären. Macht es genau so, wie ich es dem Eierhändler geraten habe. Von den zehn Münzen, die ihr in euere Geldbörse steckt, nehmt ihr neun zum Verbrauch heraus. Danach wird sich eure Börse sofort aufoldhen, und das größere Gewicht wird sich in eurer Hand gut anfohlen und eure Seele befriedigen.
Belacht nicht meine Worte wegen ihrer Schlichtheit. Die Wahrheit ist immer einfach. Aber ich habe euch ja versprochen, euch zu verraten, wie ich reich geworden bin. Auch ich trug eine leere Geldbörse mit mir herum und verfluchte sie, da sie nichts enthielt, um meine Wünsche zu erfüllen. Aber als ich damit anfing, nur mehr neun Münzen von zehn herauszunehmen, begann sie, praller zu werden. So wird es auch mit eurer geschehen.
Nun werde ich euch eine seltsame Wahrheit verraten, die mir selber unerklärlich ist. Als ich damit aufhörte, mehr als neun Zehntel meines Verdienstes auszugeben, ich mit meinem Geld genauso gut zurecht wie vorher. Ja, binnen kurzem flossen mir die Münzen leichter zu als zuvor. Es ist gewiß ein Gesetz der Götter, daß dem, der einen bestimmten Teil seines Verdienstes spart und nicht ausgibt, das Gold leichter zufließt. Genauso wie das Gold demjenigen aus dem Weg geht, der eine leere Geldbörse besitzt.
Was wünscht ihr euch am meisten? Wollt ihr euch alltägliche Wünsche erfüllen: Schmuck, etwas Putz, bessere Kleidung und mehr Nahrungsmittel - Dinge, die schnell wieder verbraucht sind? Oder lieber etwas von Dauer, wie zum Beispiel Gold, Ländereien, Herden, Waren, einträgliche Investitionen? Die Münzen, die ihr eurer Geldbörse entnehmt, erfüllen die erstgenannten Wünsche, die Münzen, die ihr in der Börse laßt, die letztgenannten.
Dies, meine Studenten, war die erste Methode, die ich entdeckt hatte, um etwas gegen meine leere Börse zu unternehmen: < Von zehn Münzen, die ich in die Geldbörse stecke, nehme ich nur neun heraus. > Diskutiert miteinander darüber.
Wenn jemand beweisen kann, daß dies nicht stimmt, dann soll er es mir an dem Morgen sagen, an dem wir uns wieder treffen.»
Die zweite Methode Kontrolliert eure Ausgaben
«Einige unter euch haben folgende Frage an mich gestellt: <Wie kann man ein Zehntel aller Münzen, die in die Börse fließen, sparen, wenn das gesamte Geld, das man verdient, nicht einmal die nötigen Ausgaben deckt?> Mit diesen Worten eröffnete Arkad den zweiten Tag.
«Wie viele von euch haben gestern leere Geldbörsen bei sich getragen?»
«Alle von uns», antworteten alle Teilnehmer einmütig.
«Aber ihr verdient nicht alle das gleiche. Einige verdienen viel mehr als andere. Einige haben viel größere Familien zu unterhalten. Und doch waren alle Börsen gleichermaßen leer. Nun will ich euch eine ungewöhnliche Wahrheit über Männer und die Söhne dieser Männer verraten: Das, was wir als <notwendigeAusgaben> bezeichnen, wird immer entsprechend unserem Einkommen wachsen, sofern wir uns nicht etwas anderes vornehmen.
Verwechselt nicht die notwendigen Ausgaben mit euren Wünschen. Ihr und eure Familienangehörigen habt mehr Wünsche, als durch eure Einkünfte befriedigt werden können. Deshalb wird euer Verdienst zur Erfüllung dieser Wünsche verwendet. Und doch bleiben noch viele Wünsche unerfüllt.
Alle Menschen leiden darunter, daß sie mehr Wünsche hegen, als sie sich erfüllen können. Ihr glaubt wohl, daß ich mir aufgrund meines Reichtums alle Wünsche erfüllen kann? Das ist eine irrige Vorstellung. Zum Beispiel sind meine Zeit und meine Kraft begrenzt. Die Entfernungen, die ich zurücklegen kann, ebenso. Ich kann nicht alles essen, wozu ich Lust habe, und auch meiner Genußfähigkeit sind Grenzen gesetzt.
Ich sage euch, genauso wie das Unkraut in einem Feld überall da wuchert, wo es Platz findet, genauso breiten sich die Wünsche der Menschen aus, wenn sich die Möglichkeit bietet, daß diese erfüllt werden. Ihr werdet von mannigfachen Wünschen beherrscht, und es sind nur wenige, die ihr befriedigen könnt.
Untersucht gründlich eure Lebensgewohnheiten. Dabei werdet ihr höchstwahrscheinlich bestimmte Ausgaben entdecken, die ihr stillschweigend hinnehmt, die aber reduziert oder ganz gestrichen werden könnten. Schreibt deshalb auf eure Tontafeln die Dinge, für die ihr Geld ausgeben wollt. Wählt jene aus, die notwendig sind, und die, die bei der Verwendung von neun Zehnteln eures Einkommens möglich sind. Streicht die restlichen Posten, und betrachtet sie als Teil jener Vielzahl von Wünschen, die nicht erfüllt werden können, und weint ihnen nicht nach.
Dann rechnet eure notwendigen Ausgaben aus, unter Auslassung des einen Zehntels, das eure Geldbörse auffüllt. Laßt dies euren großen Wunsch sein, der erfüllt wird. Haltet euch an euren Finanzplan, und bringt ihn immer wieder auf den neuesten Stand. Er soll euer erster Assistent auf dem Weg zu einem Vermögen sein.»
Daraufhin erhob sich einer der Studenten, der ein rotgoldenes Gewand trug, und sagte: «Ich bin ein freier Mann und glaube, daß es mein gutes Recht ist, die schönen Dinge des Lebens zu genießen. Deshalb lehne ich mich gegen die Sklaverei eines Finanzplans auf, der genau festlegt, wieviel ich ausgeben darf und wofür. Ich meine, das würde mir viel Lebensfreude rauben und mich zu einem Packesel abstempeln, der seine Last tragen muß.»
Arkad erwiderte ihm: «Wer, mein Freund, würde deinen Finanzplan festlegen?»
«Ich selbst», antwortete der widerborstige Mann.
«Würde denn ein Packesel, der selber über seine Last entscheiden könnte, Juwelen, kleine Teppiche und schwere Goldbarren auf den Weg durch die Wüste mitnehmen wollen? Wohl kaum. Er würde Heu, Korn und einen Wasserbeutel vorziehen.
Der Zweck eines Finanzplans besteht darin, euch mehr Geld zu verschaffen. Er soll euch helfen, das Notwendige zu erwerben und, soweit möglich, eure übrigen Wünsche zu erfüllen. Außerdem soll er euch helfen zu erkennen, welche Wünsche euch wirklich ^ Herzen liegen und welche unerheblich sind. Wie das helle Licht im dunklen Keller zeigt euch euer Budget die Löcher in eurer Geldbörse und hilft euch, sie zu stopfen und eure Ausgaben zugunsten lohnender Ziele zu kontrollieren.
Das ist also die zweite Methode, wie man gegen eine leere Geldbörse angehen kann. Plant eure Ausgaben, damit ihr Geld für die Bezahlung notwendiger Dinge habt, for euer Vergnügen und um eure erstrebenswerten Wünsche zu er.folUn, ohne mehr als neun Zehntel eures Verdiensts auszugeben.»
Die dritte Methode Sorgt dafiir, daiß sich euer Gold vermehrt
«Seht, wie sich eure leere Geldbörse füllt. Ihr habt euch angewöhnt, ein Zehntel eurer Einkünfte nicht auszugeben, und ihr habt eure Ausgaben kontrolliert, um euren Geldzuwachs zu fördern. Als nächstes wollen wir die Möglichkeiten untersuchen, die euer Vermögen arbeiten lassen und vermehren. Eine pralle Geldbörse ist beruhigend und befriedigt sicherlich einen Geizhals, bringt aber nichts ein. Das Gold, das wir von unserem Verdienst einbehalten, bildet nur den Anfang, denn erst aus dem Ertrag wird sich unser Vermögen aufbauen.» So sprach Arkad am dritten Tag zu seiner Gruppe.
«Wie können wir also unser Gold arbeiten lassen? Meine erste Investition war ein Fehlschlag, weil ich dabei alles verlor. Ich werde später Näheres darüber berichten. Meine erste einträgliche Investition war ein Darlehen, das ich einem Mann namens Aggar, einem Schildmacher, gewährte. Einmal im Jahr kaufte er große Schiffsladungen von Bronze auf, die er aus fernen Landen bezog und mit denen er handelte. Da er nicht genug Kapital besaß, um die Händler zu bezahlen, borgte er sich das Geld bei Männern, die es übrighatten. Er war ein ehrenwerter Mann, zahlte inlmer, wenn er seine Schilde verkauft hatte, sein Darlehen mit einem großzügigen Zins zurück. Immer, wenn ich ihm Geld lieh, gab ich ihm auch die Rendite vom letzten Mal. Auf diese Weise wuchs nicht nur mein Kapital an, sondern auch die Rendite aus diesem. Es war höchst befriedigend, zu sehen, wie diese Erträge in meine Börse zurückflossen.
Ich sage euch, meine Studenten, den Reichtum eines Mannes machen nicht die Münzen aus, die er in seiner Geldbörse mit sich führt, sondern die Erträge, die er aufbaut, der Geldstrom, der unaufhörlich in seine Geldbörse fließt, so daß diese immer prall gefüllt ist. Was ihr alle euch wünscht, das wünscht sich jeder Mensch auf Erden: Erträge, die kontinuierlich fließen, egal, ob ihr arbeitet oder euch auf Reisen befindet.
Ich habe mir große Einkünfte geschaffen, so daß man mich als sehr reich bezeichnet. Durch die Darlehen an Ag-gar erwarb ich mir Übung darin, wie man mit Profit investiert. Durch diese Erfahrung geschickter geworden, gewährte ich weitere Darlehen und tätigte, als mein Kapital wuchs, weitere Investitionen. Zuerst aus wenigen Quellen, dann aus vielen, floß ein goldener Strom des Wohlstands in meine Geldbörse, den ich mit Klugheit zu nutzen gedachte.
Seht, von meinem bescheidenen Verdienst hatte ich mir eine Schar goldener Sklaven zugelegt, von denen jeder arbeitete und noch mehr Gold verdiente. Sie arbeiteten für mich, auch ihre Kinder und Kindeskinder, bis ich durch ihre gemeinsamen Anstrengungen ein großes Vermögen aufbaute.
Gold vermehrt sich schnell, wenn vernünftige Erträge erzielt werden, wie ihr an folgendem Beispiel sehen werdet: Als einem Bauern der erste Sohn geboren wurde, trug er zehn Silberstücke zu einem Geldverleiher und bat ihn, dieses Geld bis zum zwanzigsten Geburtstag seines Sohnes verzinslich aufzubewahren. Der Geldverleiher war einverstanden. Es war ausgemacht, daß die Rendite alle vier Jahre ein Viertel der Summe betragen sollte. Der Bauer bat, daß dieser Ertrag der angelegten Summe, die ja seinem Sohn gehörte, hinzugerechnet werden sollte.
Als der Junge zwanzig geworden war, suchte der Bauer erneut den Geldverleiher auf, um sich nach den Silbermünzen zu erkundigen. Der Geldverleiher erklärte, die ursprüngliche Summe von zehn Silberstücken aufgrund der Zinseszinsen auf die Summe von dreißigeinhalb Silberstücken angewachsen war.
Der Bauer war sehr erfreut. Da der Sohn das Geld nicht benötigte, ließ er es beim Geldverleiher. Als der Sohn fünfzig war und der Vater inzwischen das Zeitliche gesegnet hatte, zahlte der Geldverleiher dem Sohn die stattliche Summe von 167 Silberstücken aus.
So hatte sich die Investition in fünfzig Jahren fast um das Siebzehnfache vermehrt.
Das ist also die dritte Methode, um einer leeren Geldbörse Abhilfe zu schaffen: Laßt die Münzen arbeiten, damit sie sich, genau wie die Herden, vermehren und euch Einkommen schaffen, einen Strom von Reichtum, der kontinuierlich in eure Geldbörse fließen soll.»
Die vierte Methode Bewahrt eure Schätze vor Verlust
«Das Unglück trifft gern glänzendes Metall. Das Gold im Besitz eines Mannes muß eisern bewacht werden, sonst ist es verloren. So ist es klug, daß wir erst kleine Beträge absichern, bevor die Götter uns größere zukommen lassen.» So sprach Arkad ^ vierten Tag zu seinen Studenten.
«Jeder Mann, der Gold besitzt, unterliegt der Versuchung, durch angeblich günstige Gelegenheiten in höchst lohnende Projekte zu investieren, um viel Geld zu verdienen. Oft stürzen sich Freunde und Verwandte begierig auf solche Investitionen und zwingen ihn, es ihnen nachzutun.
Wenn man investiert, gilt als oberstes Gebot, das Kapital nicht zu gefährden. Ist es klug, sich durch höhere Erträge blenden zu lassen und dabei zu riskieren, daß das Kapital verlorengeht? Ich sage nein. Das Risiko muß eventuell durch Einbuße des Kapitals bezahlt werden. Laßt euch nicht vorgaukeln, euer Kapital sei hundertprozentig sicher, und laßt euch nicht durch eure romantischen Wünsche, schnell zu Reichtum zu gelangen, täuschen.
Bevor ihr euer Geld jemandem borgt, vergewissert euch, ob er es zurückzahlen kann und ob er als zuverlässig gilt, damit ihr ihm nicht gegen euren Willen euer hart verdientes Geld zum Geschenk macht.
Bevor ihr es in irgendeinen Bereich investiert, erkundigt euch nach den Gefahren, die damit verbunden sind.
Meine erste Investition endete damals tragisch für mich, denn ich vertraute die Ersparnisse eines Jahres einem Ziegelbrenner namens Azmur an, der übers weite Meer segelte, um in Tyrus kostbaren phönizischen Schmuck für mich zu erwerben. Nach seiner Rückkehr wollten wir diesen verkaufen und uns den Erlös teilen. Aber die Phönizier waren Schurken und verkauften ihm buntes Glas. Mein Geld war somit verloren. Heute weiß ich, wie töricht es von mir war, einen Ziegelbrenner mit dem Kauf von Schmuck zu beauftragen.
Deshalb rate ich euch aufgrund meiner Erfahrungen: Verlaßt euch nicht allzusehr auf eure eigene Weisheit, um bei der Investition eures Vermögens nicht in eine Falle zu tappen. Es ist weitaus besser, ihr wendet euch an jene Männer, die darin Erfahrung haben, Geld arbeiten zu lassen. Ein solcher Rat ist kostenlos und kann durchaus Gold wert sein in Anbetracht der Summe, die ihr investieren wollt. Darin zeigt sich nämlich sein wahrer Wert, wenn er euch vor Verlust bewahrt.
Das also ist die vierte Methode, um einer leeren Börse abzuhelfen. Sie kann euch davor schützen, eure Geldbörse schrumpfen zu lassen, nachdem sie so erfreulich gefüllt war. Bewahrt euer Vermögen vor Verlust, indem ihr nur dann investiert, wenn euer Kapital sicher ist undjederzeit in Anspruch genommen werden kann, wenn dies wünschenswert ist, und ihr eine anständige Rendite erzielt. Laßt euch von klugen Männern beraten, die wissen, wie man Gold vermehrt. Ihre Erfahrung soll euch helfen, euer Kapital nicht in unsichere Projekte zu investieren.»
Die fünfte Methode
Macht euer Heim zu einer einträglichen Investition
«Wenn ein Mann neun Zehntel seines Verdienstes für den Lebensunterhalt und Vergnügungen ausgibt und wenn er einen Teil dieser neun Zehntel für eine einträgliche Investition aufwenden kann, ohne sein Wohlergehen zu beeinträchtigen, dann wächst sein Vermögen um so schneller an.» So sprach Arkad zu seinen Studenten bei der fünften Lektion.
«Allzu viele unserer Männer in Babylon bringen ihre Familien in unschönen Vierteln unter. Sie zahlen geldgierigen Hausbesitzern hohe Mieten für Räume, in denen ihre Eheliebsten keinen Platz haben, die Blumen zu züchten, die das Herz einer Frau erfreuen, und in denen ihre Kinder keinen Platz zum Spielen finden und deshalb auf die schmutzigen Gassen ausweichen müssen.
Eine Familie kann das Leben nur dann in seiner ganzen Fülle genießen, wenn sie eigenen Grund und Boden besitzt, auf dem die Kinder spielen können und auf dem die Ehefrau Blumenbeete und einen Garten mit Kräutern anlegen kann, um mit diesen die Speisen zu würzen.
Einen Mann erfreut es, wenn er die Feigen von seinen eigenen Bäumen und die Trauben von seinen eigenen Weinstöcken pflücken kann. Er ist stolz darauf, ein eigenes Haus zu besitzen, um das er sich kümmern kann. Dies erfüllt ihn mit Selbstvertrauen und spornt ihn an, sich noch mehr zu bemühen. Deshalb empfehle ich, daß jeder Mann ein eigenes Dach für sich und seine Familie ins Auge fassen sollte.
Es übersteigt keineswegs die Fähigkeiten eines Mannes voller guter Absichten, ein eigenes Heim anzustreben. Hat nicht unser großer König die Stadtmauern von Babylon so großzügig angelegt, daß darin viel unbebautes Land zu höchst vernünftigen Preisen erworben werden kann?
Also sage ich euch, meine Studenten, daß die Geldverleiher die Wünsche der Männer, die für ihre Familien ein Grundstück suchen, um ein Haus darauf zu bauen, gerne erfüllen. Bereitwillig leihen sie euch Geld, damit ihr zu solch löblichen Zwecken den Ziegelbrenner und den Baumeister bezahlen könnt. Voraussetzung ist nur, daß ihr einen angemessenen Eigenanteil aufbringt, das heißt eine Summe bereitstellt, die ihr für diesen Zweck gespart habt.
Wenn das Haus gebaut ist, könnt ihr eure Raten bei dem Geldverleiher mit der gleichen Regelmäßigkeit wie einst eure Mieten bezahlen. Da jede Zahlung eure Verschuldung gegenüber dem Geldverleiher verringern wird, habt ihr eure Schulden in ein paar Jahren beglichen.
Dann wird euer Herz mit Freude erfüllt sein, weil ihr mit gutem Recht ein wertvolles Grundstück besitzen werdet und eure einzige Belastung dabei die Steuerabgaben für den König darstellen.
Dann wird eure liebe Frau viel öfter zum Fluß gehen, um eure Kleider zu waschen, und wird jedesmal einen mit Wasser gefüllten Behälter aus Ziegenfell mitbringen, um ihre Pflanzen zu gießen.
Der Mann, der ein eigenes Haus besitzt, erfährt viele Wohltaten. Seine Lebenshaltungskosten werden dadurch stark gesenkt, und er verfügt jetzt über mehr Geld für Vergnügungen und die Erfüllung von Wünschen. Das also ist die fünfte Methode, um gegen eine leere Geldbörse anzugehen: Schafft euch ein eigenes Heim an.
Die sechste Methode Sichert euch ein Einkommen for die Zukunft
«Der Lebensbogen eines Menschen spannt sich von der Kindheit bis zum Alter. Das ist der Lebensweg, von dem niemand abweichen kann, es sei denn, die Götter rufen ihn vorzeitig in die andere Welt. Deshalb sage ich euch, daß ein Mann Vorbereitungen for ein angemessenes Einkommen im Alter trefn undseine Familie absichern muß for den FaU, daß er vorzeitig ins Reich der Dunkelheitgerufen wird und die Seinen nicht mehr unterstützen und trösten kann. Diese Lektion soll euch lehren, für eine volle Geldbörse zu sorgen, wenn die Zeit kommen wird, da ihr nicht mehr so lernfähig seid.» So sprach Arkad am sechsten Tag zu seiner Gruppe.
«Der Mann, der die Gesetze des Reichtums begriffen hat und deshalb einen ständigen Vermögenszuwachs erlebt, sollte für die Zukunft vorsorgen. Er sollte gewisse Investitionen vornehmen, die für viele Jahre sicheren Ertrag bringen, aber verfügbar sind, wenn die Zeit gekommen ist, die er voll Weitsicht vorausgesehen hat.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie ein Mann seine Zukunft absichern kann. Zum Beispiel kann er sich ein Versteck suchen und dort einen geheimen Schatz vergraben. Aber es besteht die Gefahr, daß dieser, auch wenn er noch so geschickt versteckt ist, Dieben in die Hände fällt. Deshalb rate ich davon ab.
Ein Mann kann für diesen Zweck Häuser oder Ländereien kaufen. Wenn er sie in bezug auf Nutzen und Wert für die Zukunft mit Bedacht auswählt, sind sie wertbeständig und erzielen einen guten Ertrag oder Verkaufspreis.
Man kann auch dem Geldverleiher einen kleinen Betrag anvertrauen und diesen in regelmäßigen Abständen erhöhen. Die Rendite, die hinzukommt, wird erheblich dazu beitragen, daß die Summe anwächst. Ich kenne einen Sandalenmacher namens Ansan, der mir vor kurzem berichtet hat, daß er wöchentlich während acht Jahren bei seinem Geldverleiher zwei Silberstücke hinterlegte. Erst vor kurzem hatte ihm der Geldverleiher eine Aufstellung gemacht, über die er sich sehr gefreut hat. Sein Kapital und der übliche Zins von einem Viertel für vier Jahre haben jetzt eine Gesamtsumme von 1040 Silberstücken ergeben.
Ich ermunterte ihn, weiterzumachen, und erklärte ihm, daß er, wenn er weiterhin zwei Silberstücke pro Woche einzahlte, nach zwölf Jahren viertausend Silberstücke ausgezahlt bekäme, womit er einen sorglosen Lebensabend verbringen könne.
Wenn eine solch kleine, regelmäßig durchgeführte Zahlung solch erfreuliche Ergebnisse bringt, kann es sich niemand leisten, für sein Alter und seine Familie keine Vorsorge zu trefen, egal, wie einträglich seine Geschäfte oder Investitionen sein mögen.
Ich würde gern noch mehr dazu sagen. Ich glaube fest daran, daß eines Tages kluge Männer einen Plan entwerfen, um eine Absicherung für den Todesfall zu schaffen. Ich stelle mir das so vor: Viele Männer zahlen regelmäßig eine kleine Summe ein, was mit der Zeit einen ansehnlichen Betrag ergibt, durch den die Familie des Einzahlers, wenn dieser von den Göttern abberufen wird, gesichert ist. Ich sehe dies als erstrebenswert an und würde es gerne empfehlen. Aber zur Zeit ist es nicht möglich, denn es müßte die Garantie gegeben sein, daß das Ganze so sicher wie der Thron des Königs ist. Aber eines Tages wird dieser Plan verwirklicht werden und sich als Segen für viele erweisen, denn bereits die erste kleine Zahlung wird dazu beitragen, daß für die Familie des Dahingeschiedenen eine ansehnliche Summe zusammenkommt und sie absichert.
Aber wir müssen uns auf die Gegenwart konzentrieren und nicht auf die Zukunft und jene Mittel und Methoden nutzen, die uns zur Erreichung unseres Ziels zur Verfügung stehen. Deshalb rate ich allen, daß sie mittels kluger und gut durchdachter Methoden finanzielle Vorsorge treffen. Denn eine leere Geldbörse ist eine Tragödie für einen Mann, der seinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen kann, oder für eine Familie ohne Oberhaupt.
Das also ist die sechste Methode, um eine leere Geldbörse zu vermeiden. Tref rechtzeitig Vorsorge for die Bedürfrisse im Alter und for den Schutz eurer Familie.»
Die siebte Methode Verbessert euere Verdienstmöglichkeit
«Heute, meine Studenten, spreche ich mit euch über eine der wichtigsten Methoden, eine leere Geldbörse aufzufüllen. Aber ich rede nicht von Gold, sondern von euch selbst, den Männern in den bunten Gewändern, die ihr hier vor mir versammelt seid. Ich berichte euch von den Vorstellungen und vom Leben von Männern, die für oder gegen ihren Erfolg arbeiten.» So sprach Arkad am siebten Tag zu seinen Studenten.
«Vor kurzem kam ein junger Mann zu mir und bat mich um ein Darlehen. Als ich ihn fragte, wofür er es benötigte, beklagte er sich, daß er zu wenig verdiene, um seine Ausgaben bestreiten zu können. Daraufhin erklärte ich ihm, wenn es sich so verhielte, sei er für den Geldverleiher ein schlechter Kunde, da er aufgrund seines kärglichen Verdiensts nicht
die Möglichkeit besitze, das Darlehen zurückzuzahlen.
<Du mußt mehr Geld verdienen>, erklärte ich dem jungen Mann. <Was unternimmst du, um mehr zu verdienen?> fragte ich ihn.
Alles, was ich kann>, erwiderte er. <Innerhalb von zwei Monaten habe ich mich sechsmal an meinen Herrn gewandt und ihn gebeten, meinen Lohn zu erhöhen, aber ohne Erfolg. Ich kann nicht noch öfter zu ihm gehen, als ich es schon getan habe.>
Vielleicht lächeln wir über seine Schlichtheit, aber er besaß eine der Grundvoraussetzungen, um seinen Verdienst zu erhöhen, denn er war von dem starken Wunsch beseelt, mehr zu verdienen, einem angemessenen und empfehlenswerten Wunsch.
Am Anfang jeglicher Erfüllung steht der Wunsch, der stark und fest umrissen sein muß. Allgemeine Wünsche sind aber nur verschwommene Sehnsüchte. Es hat wenig Sinn, wenn sich ein Mann ganz allgemein wünscht, reich zu werden. Wünscht er sich aber dagegen fünf Goldstücke, stellt dies einen greifbaren Wunsch dar, den er realisieren kann. Nachdem er sich fest vorgenommen hat, sich durch nichts davon abbringen zu lassen, fünf Goldstücke zu erlangen, kann er als nächstes ähnliche Wege beschreiten, um zehn und zwanzig Goldstücke, ja tausend, zu erhalten, und siehe da, binnen kurzem ist er ein reicher Mann. Da er gelernt hat, entschlossen seinen kleinen Wunsch zu realisieren, hat er die Voraussetzung geschaffen, einen größeren anzustreben. Das ist der Vorgang, durch den Reichtum angehäuft wird: zuerst in kleinen Beträgen und dann, wenn der Mann dazugelernt hat und besser mit Geld umgehen kann, in größeren.
Wünsche müssen einfach und konkret sein. Sollten es zu viele, zu verwirrende Wünsche sein oder sollten sie derart beschaffen sein, daß ein Mann sie nicht erfüllen kann, führen sie sich selbst ad absurdum.
So wie ein Mann sich in seinem Beruf vervollkommnet, so vervollkommnet er auch seine Fähigkeit, mehr zu verdienen. Zu jener Zeit, als ich noch ein kleiner Schreiber war, der mit dem Beschriften von Tontafeln ein paar Kupfermünzen verdiente, beobachtete ich, daß andere Arbeiter mehr arbeiteten als ich und besser bezahlt wurden. Deshalb nahm ich mir vor, daß mich niemand übertreffen würde, und fand in Kürze heraus, weshalb sie größeren Erfolg hatten als ich. Ich interessierte mich mehr für meine Arbeit, konzentrierte mich besser auf meine Aufgabe, zeigte mehr Ausdauer bei meinen Bemühungen, und siehe da, bald konnten nur noch wenige Männer mehr Tafeln in einem Tag beschriften als ich. Meine verbesserten Fertigkeiten wurden entsprechend schnell belohnt, ohne daß ich meinen Herrn sechsmal aufsuchen mußte, um ihn dazu aufzufordern.
Je mehr Wissen wir besitzen, desto mehr können wir verdienen. Der Mann, der versucht, sich in seinem Beruf zu perfektionieren, wird reichlich belohnt. Wenn er Handwerker ist, kann er versuchen, die Methoden und Instrumente jener zu erlernen, die sich auf diesem Gebiet schon ausgezeichnet haben. Wenn er im Bereich des Gesetzes oder der Heilkunst tätig ist, kann er mit anderen Vertretern seines Berufs Wissen austauschen und sich mit ihnen beraten. Übt er den Beruf des Händlers aus, befindet er sich wohl ständig auf der Suche nach besseren Waren zu niedrigeren Preisen.
Die Geschäfte verändern und verbessern sich ständig, weil kluge Köpfe versuchen, größere Fertigkeiten zu erlangen, um denen besser zu dienen, von deren Wohlwollen sie abhängen. Deshalb fordere ich alle Männer auf, immer an vorderster Front zu stehen, wenn es um Fortschritt geht, nicht stillzustehen, sonst bleiben sie auf der Strecke.
Viele Dinge können das Leben eines Mannes mit wertvollen Erfahrungen bereichern. Wenn ein Mann etwas auf sich hält, sollte er folgende Regeln befolgen:
Er muß seine Schulden so schnell wie möglich begleichen, und er sollte darauf verzichten, Dinge zu erwerben, die er nicht bezahlen kann.
Er muß sich um seine Familie kümmern, so daiß diese gut über ihn denkt und gut über ihn spricht.
Er muß sein Testament abfassen for den Fall, daß ihn die Götter unerwartet zu sich holen, damit sein Besitz ordnungsgemäß undgerecht verteilt wird.
Er mußMitleid haben mitjenen, die geschwächt oder vom Unglück verfolgt sind, und ihnen im Rahmen vernünftiger Grenzen helfen. Er muß sich auch gegenüberjenen, die ihm am Herzen liegen, rücksichtsvoll verhalten.
So besteht also die siebte und letzte Methode, eine leere Geldbörse zu füllen, darin, eure eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, zu lernen, klüger und geschickter zu werden und Achtung vor euch selbst zu entwickeln, um eure wohlabgewogenen Wünsche zu verwirklichen.
Das also sind die sieben Methoden, um zu Vermögen zu gelangen. Aufgrund der Erfahrungen meines langen, erfolgreichen Lebens lege ich sie allen Männern ans Herz, die reich werden wollen.
In Babylon gibt es mehr Gold, als ihr, meine Studenten, euch vorstellen könnt. Es ist für alle genug vorhanden.
Also setzt diese Wahrheiten um, damit ihr zu Wohlstand gelangt, wie es euch zusteht.
^Laßt es euch angelegen sein, diese Wahrheiten weiterzugeben, damit jeder ehrenwerte Untertan seiner Majestät ebenfalls mit vollen Zügen ^ unermeßlichen Reichtum unserer geliebten Stadt teilhaben kann.»
Begegnung
mit der Glücksgöttin
«Istein Mann einmal vom Glück begünstigt, läßt sich das mögliche Ausmaßseines Glücks nicht voraussagen.
Stößt man ihn in den Euphrat, wird er höchstwahrscheinlich mit einer Perle in der Hand auftauchen.»
Babylonisches Sprichwort
er Wunsch, glücklich zu sein, beseelt alle Menschen;
er war damals vor viertausend Jahren im alten Babylon so stark wie in unserer modernen Zeit. Wir alle hoffen, von der launenhaften Glücksgöttin bedacht zu werden. Gibt es eine Möglichkeit, ihr zu begegnen und sie anzulocken, in den Genuß ihrer großzügigen Wohltaten zu gelangen, anstatt nur ihre wohlwollende Aufmerksamkeit zu erregen?
Gibt es eine Möglichkeit, das Glück an sich zu ziehen?
Genau das wollten die Männer im alten Babylon herausfinden. Sie waren gewitzt und scharfsinnig. Das erklärt, weshalb ihre Stadt die reichste und mächtigste der damaligen Zeit wurde.
Zu jener Zeit gab es noch keine Schulen oder Universitäten, aber immerhin bereits ein Zentrum des Lernens, das sehr praktisch ausgerichtet war. Zwischen den hohen Gebäuden Babylons stand ein Bauwerk, das genauso bedeutend war wie der Palast des Königs, die Hängenden Gärten oder der Tempel der Götter. Sie werden es wohl kaum in einem Geschichtsbuch finden; dabei übte es auf das Denken jener Zeit starken Einfluß aus.
Dieses Gebäude beherbergte den Tempel des Lernens, in dem das Wissen der Vergangenheit von ehrenamtlichen Lehrern weitergegeben wurde und wo man Themen von allgemeiner Bedeutung in offenen Foren diskutierte. In diesem Tempel waren alle Menschen gleich. Der einfachste
Sklave konnte, ohne mit Bestrafung rechnen zu müssen, der Meinung eines Prinzen des Königshauses widersprechen.
Unter den vielen Männern, die den Tempel des Lernens besuchten, befand sich ein weiser reicher Mann namens Ar-kad, der als der reichste Mann von Babylon galt. Er besaß seine eigene Halle, in der sich fast jeden Abend eine große Gruppe von Männern, alten, sehr jungen, vor allem aber Männern in mittleren Jahren versammelten, um über interessante Themen zu diskutieren. Blenden wir uns ein, um zu erfahren, ob diese Männer wußten, wie man das Glück anlockt:
Als sich Arkad zu seinem Rednerpult begab, konnte man durch den Dunst des Wüstensands die rotglühende Sonne untergehen sehen.
Bereits achtzig Männer kauerten auf ihren kleinen, auf dem Boden ausgebreitetenTeppichen. Und es trafen immer noch mehr ein.
«Worüber wollen wir heute abend diskutieren?» erkundigte sich Arkad.
Nach kurzem Zögern erhob sich, wie es Brauch war, ein hochgewachsener Tuchweber und ergriff das Wort. «Ich wüßte ein Thema, worüber ich gern diskutieren würde, zögere aber, es zu verraten, weil es dir, Arkad, und meinen lieben Freunden hier vielleicht lächerlich erscheint.»
Als aber Arkad und die anderen ihn aufforderten, ungeniert zu sprechen, fuhr er fort: «Heute ist mein Glückstag, denn ich habe eine Geldbörse voller Goldstücke gefunden. Aber ich habe den großen Wunsch, auch weiterhin vom Glück begünstigt zu werden. Da ich glaube, alle Menschen diesen Wunsch hegen, schlage ich vor, wir unterhalten uns darüber, wie man das Glück an sich ziehen kann und welche Möglichkeiten es gibt, dem Glück etwas nachzuhelfen.»
«Ein höchst interessantes Thema», bemerkte Arkad, «über das zu diskutieren sich lohnt. Einige betrachten das Glück nur als Zufall, der uns ohne Zweck oder Grund widerfährt. Andere meinen, daß die Anstifterin allen Glücks unsere gütige Göttin Ashtar sei, die immer darauf bedacht ist, jene mit großzügigen Gaben zu überschütten, die ihr gefallen. Sprecht, meine Freunde, was meint ihr, sollen wir herauszufinden versuchen, ob es irgendwelche Mittel gibt, das Glück anzulocken, damit es jeden einzelnen von uns aufsucht?»
«Ja! Unbedingt», antwortete die immer größer werdende Gruppe eifriger Zuhörer.
Daraufhin fuhr Arkad fort: «Um die Diskussion in Gang zu bringen, sollen uns zuerst jene unter uns Bericht erstatten, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie der Tuchweber, das heißt, die ohne Anstrengung wertvolle Schätze oder Juwelen gefunden oder empfangen haben.»
Es herrschte Schweigen, und alle warteten, daß sich jemand zu Wort melden würde, aber vergeblich.
«Wie, kein einziger?» fragte Arkad verblüfft. «Dann ist diese Art von Glück wohl eine Seltenheit. Wer hat einen Vorschlag zu machen, an welchem Punkt wir mit unserer Suche beginnen sollen?»
«Ich», meldete sich ein gutgekleideter junger Mann und erhob sich. «Wenn ein Mann von Glück spricht, richten sich dann seine Gedanken nicht automatisch auf die Spieltische? Versammeln sich nicht dort viele Männer, die um die Gunst der Göttin buhlen und hoffen, sie werde sie mit großem Gewinn beglücken?»
Als er wieder Platz genommen hatte, rief jemand: «Hör nicht auf, berichte weiter, ob dir die Göttin am Spieltisch gewogen war! Hat sie die Würfel mit der roten Seite nach oben gekehrt, so daß du dir auf Kosten des Spielveranstalters deine Geldbörse fullen konntest, oder hat sie die blaue Seite begünstigt, so daß dieser deine hart verdienten Silberstücke eingeheimst hat?»
Der junge Mann stimmte in das gutmütige Gelächter der anderen mit ein. Dann erwiderte er: «Ich gebe zu, daß sie meine Anwesenheit nicht einmal bemerkt hatte. Aber wie steht es mit euch? Seid ihr ihr an solchen Plätzen begegnet, und hat sie die Würfel zu euren Gunsten gerollt? Wir wollen es erfahren und daraus lernen.»
«Ein kluger Anfang», lobte ihn Arkad. «Wir sind hier, um die Frage von allen Seiten zu beleuchten. Die Spieltische zu ignorieren hieße, einen Instinkt, den die meisten Männer besitzen, zu mißachten, den Spaß, mit ein paar Silbermünzen die Gelegenheit zu nutzen, eventuell viel Gold zu gewinnen.»
«Das erinnert mich an die Pferderennen gestern», rief ein Zuhörer. «Wenn die Göttin es nicht fur unter ihrer Würde hält, sich an den Spieltischen aufzuhalten, wird sie bestimmt auch nicht die Rennen verachten, wo die vergoldeten Wagen und die schnaubenden Pferde fur prickelnde Aufregung sorgen. Arkad, sag uns ehrlich, hat sie dir gestern ins Ohr geflüstert, auf diese Schimmel aus Ninive zu wetten? Ich stand direkt hinter dir und traute meinen Ohren nicht, als ich hörte, du auf die Schimmel gewettet hast. Du weißt ebensogut wie wir, daß keine Pferde in ganz Assyrien unsere geliebten Füchse in einem Rennen schlagen können. Hat die Göttin dir deshalb geraten, auf die Schimmel zu setzen, weil der Rappe in der letzten Kurve strauchelte und mit unseren Jungs zusammenstieß? Dadurch haben die Schimmel das Rennen gewonnen und einen unverdienten Sieg eingeheimst.»
Arkad lächelte nachsichtig über diese Hänselei. «Welchen Grund haben wir, anzunehmen, daß die gute Göttin an unseren Pferdewetten interessiert sei? Für mich ist sie eine Göttin der Liebe und der Würde, deren Vergnügen darin besteht, jenen zu helfen, die in Not sind, und jene zu belohnen, die es verdienen. Ich suche sie nicht an den Spieltischen oder den Rennplätzen, wo die Männer mehr Gold verlieren als gewinnen, sondern an den Orten, wo Männer Tatkraft beweisen und eine Belohnung verdienen.
Der Mensch hat durch Ackerbau, ehrlichen Handel, ja alle möglichen Tätigkeiten, die Möglichkeit, Nutzen aus seinen Bemühungen zu ziehen. Vielleicht wird er nicht jedesmal den Lohn für seine Mühen ernten, da er sich ab und an in seinem Urteil irrt. Manchmal machen Wind und Wetter seine Anstrengungen zunichte. Doch wenn er beharrlich weitermacht, wird er gewöhnlich irgendwann Erfolg haben, denn auf die Dauer wird die Chance, daß er belohnt wird, immer größer.
Aber wenn ein Mann sein Glück ^ Spieltisch versucht, verhält es sich umgekehrt, denn in diesem Fall steht das Glück auf der Seite des Spielveranstalters. Das Spiel ist nämlich so gestaltet, daß letztlich immer der Veranstalter der Gewinner ist, denn es ist sein Ziel, mit den von den Spielern eingegangen Wetten ein gutes Geschäft zu machen. Nur wenige Spieler erkennen, wie groß die Chancen des Veranstalters sind und wie gering ihre eigenen.
Betrachten wir zum Beispiel Wetten, die auf den Würfel gemacht werden. Bei jedem Wurf wetten wir, welche Seite oben sein wird. Ist es die rote, zahlt uns der Spielveranstalter den vierfachen Betrag unseres Einsatzes. Aber wenn eine andere der fünf Seiten oben liegt, verlieren wir unseren Einsatz. So zeigen die Zahlen, daß wir für jeden Wurf fünf Möglichkeiten haben zu verlieren. Im Laufe eines Abends kann der Spielveranstalter damit rechnen, ein Fünftel aller eingesetzten Münzen selbst einzukassieren. Kann ein Mann erwarten, mehr als nur gelegentlich zu gewinnen, wenn das Spiel so angelegt ist, daß er ein Fünftel seines Einsatzes verliert?»
«Aber trotzdem gewinnen manchmal einige Männer große Summen», warf einer der Zuhörer ein.
«Ja, das stimmt», führ Arkad fort. «Nachdem ich dies erkannt hatte, stellte sich mir die Frage, ob auf solche Weise erworbenes Geld dauerhaftes Glück bringen kann. Unter meinen Bekannten sind viele der erfolgreichsten Männer Babylons, doch keiner von ihnen hat seinen Erfolg auf einer solchen Grundlage begründet.
Ihr, die ihr heute abend hier versammelt seid, kennt viele unserer prominenten Bürger. Für mich wäre es von großem Interesse zu erfahren, wie viele unserer erfolgreichen Bürger ihren Erfolg dem Spieltisch verdanken. Kennen einige unter euch solche Persönlichkeiten?»
Nach längerem Schweigen sagte ein Spaßvogel: «Sind darin auch die Spielveranstalter mit eingeschlossen?»
«Sofern dir niemand anderer einfallt», erwiderte Arkad. «Wenn niemand von euch einen solchen kennt; wie steht es dann mit euch selbst? Gibt es einige Dauergewinner unter uns, die zögern, eine solche Quelle ihres Einkommens zu empfehlen?»
Nach diesen herausfordernden Worten hörte man aus den hinteren Reihen ein Murren, das in Gelächter überging.
«Offenbar suchen wir das Glück nicht an den Plätzen, die die Göttin besucht», führ er fort. «Laßt uns deshalb andere Möglichkeiten erforschen. Wir haben unser Glück nicht durch das Auffinden einer verlorengegangenen Geldbörse gefunden, auch nicht an den Spieltischen, und bei Rennen habe ich persönlich mehr Geld verloren als gewonnen.
Befassen wir uns nun mit unserem Handel und unseren Geschäften. Ist es nicht so, daß wir, wenn wir ein einträgliches Geschäft abschließen, dies nicht als Glück betrachten, sondern als gerechte Belohnung unserer Anstrengungen? Ich meine, daß wir die Gaben der Göttin oft übersehen. Vielleicht hilft sie uns, ohne daß wir es merken. Wer kann noch etwas zur Diskussion beitragen?»
Daraufhin erhob sich ein älterer Kaufmann und glättete sein weich fließendes weißes Gewand. «Mit deiner Erlaubnis, höchst ehrenwerter Arkad, und eurer, meine lieben Freunde, habe ich einen Vorschlag zu machen. Wenn wir, wie ihr bereits gesagt habt, unseren eigenen Fleiß und unsere Fähigkeiten für unseren geschäftlichen Erfolg verantwortlich machen, warum berücksichtigen wir dann nicht auch die Erfolge, die wir fast errungen hätten, die uns aber entgangen sind, die Chancen, die höchst gewinnversprechend gewesen wären, sofern wir sie wahrgenommen hätten? Da dem aber nicht so war, können wir sie nicht als gerechte Belohnung betrachten. Gewiß haben viele der hier Anwesenden solche Erfahrungen aufzuweisen.»
«Das ist ein kluger Vorschlag», stimmte ihm Arkad zu. «Wer von euch hatte das Glück in greifbarer Nähe, konnte es aber nicht festhalten?»
Viele Hände gingen in die Höhe, darunter auch die des Kaufmanns. Arkad bedeutete ihm mit einer Geste, zu sprechen. «Da der Vorschlag von dir stammt, sollst du auch als erster das Wort haben.»
«Ich werde euch gerne eine Geschichte erzählen», begann er, «die beweist, wie nah das Glück kommen kann. Sie zeigt aber auch, wie töricht man manchmal ist und es nicht beim Schopf ergreift - was man später natürlich bedauert.
Vor vielen Jahren, als ich noch ein junger Mann war, frisch verheiratet und am Beginn einer erfolgversprechenden Berufslaufbahn, suchte mich eines Tages mein Vater auf und drängte mich, eine Investition zu tätigen. Der Sohn eines guten Freundes von ihm war auf ein unbebautes Stück Land in der Nähe der äußeren Stadtmauern aufmerksam geworden. Es befand sich oberhalb des Kanals, wo kein Wasser verfügbar war.
Der besagte Sohn entwarf einen Plan für den Erwerb dieses Landes, errichtete drei große Wasserräder, die von Ochsen angetrieben wurden, und konnte damit das lebensnotwendige Wasser für die Bewässerung des Bodens beschaffen. Danach wollte er das Land in kleine Parzellen aufteilen und diese an die Bewohner verkaufen.
Aber leider besaß er nicht genug Gold für ein solches Unternehmen. Wie ich war auch er ein junger Mann, der gut verdiente. Sein Vater stammte, genau wie meiner, aus einer großen, mittellosen Familie. Deshalb beschloß er, eine Gruppe von Männern für sein Projekt zu interessieren. Diese Gruppe sollte aus zwölf Männern bestehen, von denen jeder Geld verdienen und bereit sein mußte, ein Zehntel seines Verdiensts in das Projekt zu stecken, bis das Land verkauft werden konnte. Dann würden alle entsprechend ihrer Investition am Gewinn teilhaben.
<Du, mein Sohn>, sprach mein Vater zu mir, <bist jetzt ein junger Mann. Es ist mein inniger Wunsch, daß du dir ein ansehnliches Vermögen erwirbst und dir Achtung unter den Männern verschaffst. Ich möchte, daß du von der Erfahrung deines Vaters profitierst, der viele leichtsinnige Fehler begangen hat.>
<Das wünsche ich mir von ganzem Herzen, Vater>, erwiderte ich.
<Dann rate ich dir dringend, in dieses Projekt zu investieren. Tu das, was ich in deinem Alter hätte tun sollen. Spare ein Zehntel deines Verdiensts, und investiere es einträglich. Damit und mit dem daraus resultierenden Ertrag kannst du, bevor du mein Alter erreicht hast, ein schönes Vermögen ansammeln.>
<Deine Worte zeugen von Weisheit, Vater. Ich wünsche mir sehnlichst, reich zu werden. Doch ich habe viele Ausgaben, die meinen Verdienst aufbrauchen. Deshalb zögere ich, deinem Rat zu folgen. Ich bin jung und habe noch viel Zeit.>
<So habe ich in deinem Alter auch gedacht, aber schau, viele Jahre sind verstrichen, und ich habe noch nicht einmal damit angefangen.>
<Wir leben in einer anderen Zeit, Vater. Ich werde deine Fehler nicht wiederholen.>
<Es bietet sich dir eine gute Gelegenheit, mein Sohn, gibt dir eine Chance, deinen Reichtum zu begründen. Ich bitte dich, zögere nicht. Geh morgen zum Sohn meines Freundes, und vereinbare mit ihm, daß du zehn Prozent deines Verdiensts in sein Projekt investieren wirst. Geh gleich morgen früh, denn die Gelegenheit verstreicht schnell. Deshalb beeile dich!>
Trotz des Rats meines Vaters zögerte ich. Die Kaufleute hatten gerade schöne neue Gewänder aus dem Osten gebracht, Gewänder aus solch kostbaren Stoffen und von solcher Schönheit, daß meine liebe Frau und ich großes Verlangen danach hatten. Wenn ich mich einverstanden erklärte, ein Zehntel meines Verdiensts in das Projekt zu stecken, hätte dies bedeutet, daß wir auf dieses und andere Vergnügungen, die uns großen Spaß machten, verzichten mußten. Ich zögerte meine Entscheidung so lange hinaus, bis es zu spät war, was ich danach sehr bedauerte, denn das Projekt erwies sich als noch einträglicher, als vorauszusehen gewesen war. Das ist meine Geschichte, die beweist, wie ich das Glück habe an mir vorbeiziehen lassen.»
«Diese Geschichte zeigt uns, daß das Glück daraufwartet, den zu beglücken, der die Gelegenheit nutzt», bemerkte ein dunkelhäutiger Wüstensohn. «Der Vermögensaufbau hat immer einen Anfang. Das können ein paar Gold- oder Silbermünzen sein, die ein Mann von seinem Verdienst abzweigt und mit denen er seine erste Investition tätigt. Ich besitze viele Herden, habe damit als Junge angefangen, als ich für ein Silberstück ein Kalb erwarb. Dieser Anfang meines Reichtums spielte für mich eine große Rolle.
Der erste Schritt, den ein Mann unternimmt, um ein Vermögen aufzubauen, besteht darin, das Glück zu nutzen, das jeder haben kann. Für alle Männer spielt dieser erste Schritt eine große Rolle, denn dadurch werden sie von Männern, die sich durch ihre Arbeit ihren Verdienst erwerben, zu Männern, die aus den Erträgen ihres Goldes Einnahmen erzielen.
Einige ergreifen diese Chance schon in ihrer Jugend und haben deshalb größeren finanziellen Erfolg als jene, die sie erst später nutzen, oder gar jene Unglücklichen, wie der Vater dieses Kaufmanns, die sie nie zu nutzen wissen.
Hätte unser Freund, der Kaufmann, diesen Schritt als junger Mann getan, als sich ihm die Gelegenheit bot, würde er heute mit mehr irdischen Gütern gesegnet sein. Würde. das Glück unseres Freundes, des Tuchwebers, ihn dazu bewegen, diesen Schritt nun zu tun, wäre dies der Auftakt für noch größeres Glück.»
«Danke! Ich möchte auch etwas dazu sagen.» Ein Fremder erhob sich. «Ich bin Syrer, beherrsche eure Sprache leider nicht sehr gut, möchte aber gern diesem Freund, dem Kaufmann, einen Namen geben. Vielleicht empfindet ihr die Bezeichnung als unhöflich, aber ich will ihn so nennen, denn ich kenne leider eure Bezeichnung nicht. Deshalb, meine Herren, sagt mir bitte, wie man einen Mann bezeichnet, der zögert, das zu tun, was gut für ihn wäre.»
«Zauderer», rief eine Stimme.
«Das ist es!>> rief der Syrer und füchtelte aufgeregt mit den Händen. «Er ergreift nicht die Gelegenheit, wenn sie sich ihm bietet. Er wartet ab, sagt, ich habe im Augenblick viel zu tun. Ich melde mich. Aber die Gelegenheit wartet nicht, bis sich ein solch lahmer Kerl entschließt. Sie meint, wenn ein Mann Glück haben will, muß er schnell handeln. Jeder, der nicht schnell handelt, wenn sich die Chance bietet, ist ein großer Zauderer, wie unser Freund, dieser Kaufmann.»
Dieser erhob sich und verneigte sich gutmütig, nachdem die anderen sich auf seine Kosten amüsiert hatten. «Ich bewundere dich, Fremder, der du nicht zögerst, die Wahrheit auszusprechen», sagte er schließlich, nachdem sich die allgemeine Heiterkeit gelegt hatte.
«Und nun wollen wir noch eine Geschichte hören. Wer kann uns ein weiteres Beispiel geben?» wollte Arkad wissen.
«Ich», erwiderte ein Mann mitderen Alters in rotem Gewand. «Ich bin ein Aufkäufer, vor allem von Kamelen und Pferden, manchmal auch von Schafen und Ziegen. Die Geschichte, die ich erzählen will, handelt davon, wie sich mir eines Nachts eine Gelegenheit bot, als ich es am wenigsten erwartete. Vielleicht ließ ich sie deshalb verstreichen. Ihr sollt selbst darüber urteilen.
Nachdem ich eines Abends nach einer entmutigenden zehntägigen Reise auf der Suche nach Kamelen zur Stadt zurückkehrte, stellte ich verärgert fest, daß die Stadttore geschlossen und verriegelt waren. Während meine Sklaven das Zelt für die Nacht aufschlugen - wir mußten sie mit wenig Nahrung und ohne Wasser verbringen -, trat ein älterer Bauer, der auch ausgeschlossen war, neben mich.
<Ehrenwerter Hern, wandte er sich an mich, <deinem Aussehen nach bist du ein Kaufmann. Wenn dem so ist, würde ich dir gern die schöne Schafherde verkaufen, die ich gerade hierhergetrieben habe. Leider ist meine brave Frau sehr krank geworden, hat hohes Fieber, und ich muß eilends nach Hause. Kauf meine Schafe, damit wir, meine Sklaven und ich, schnell auf unsere Kamele steigen und ohne Zögern heimreiten können.>
Es war so dunkel, daß ich die Herde nicht erkennen konnte, aber aus ihrem Blöken schloß ich, daß sie sehr groß sein mußte. Nachdem ich zehn Tage damit vergeudet hatte, nach Kamelen zu suchen, freute ich mich, mit ihm einen Handel abschließen zu können. Zudem machte er mir einen sehr anständigen Preis. Ich ging darauf ein, weil ich wußte, daß meine Sklaven am nächsten Morgen die Herde durch die Stadttore treiben und mit gutem Gewinn verkaufen würden.
Nachdem der Handel abgeschlossen war, befahl ich meinen Sklaven, Fackeln zu bringen, damit wir die Herde zählen konnten, denn der Bauer hatte behauptet, es seien neunhundert Schafe. Ich möchte euch, meine Freunde, nicht langweilen mit der Beschreibung der Schwierigkeiten, die es uns bereitete, so viele durstige, nervöse Schafe zu zählen. Deshalb erklärte ich dem Bauern frei heraus, daß ich die Schafe bei Tage zählen und ihn danach bezahlen würde.
<Bitte, höchst ehrenwerter Herr>, flehte er, <zahle mir nur zwei Drittel des Preises heute nacht, damit ich mich auf den Weg machen kann. Ich lasse dir meinen intelligenten, gebildeten Sklaven hier, damit er morgen früh mit dir die Schafe zählt. Er ist vertrauenswürdig, und du kannst ihm den Rest morgen früh bezahlend
Aber ich war stur und weigerte mich, die Zahlung noch am gleichen Abend zu leisten. Am nächsten Morgen öffneten sich die Stadttore, noch bevor ich erwachte, und vier Käufer eilten heraus, auf der Suche nach Herden. Sie waren bereit, einen hohen Preis zu zahlen, da der Stadt eine Belagerung drohte und Nahrung knapp war. Der alte Bauer bekam für die Herde den dreifachen Preis, den er von mir verlangt hatte. Das war eine selten gute Gelegenheit, die ich mir habe entgehen lassen.»
«Das ist eine höchst ungewöhnliche Geschichte», bemerkte Arkad. «Welche Weisheit enthält sie?»
«Die Weisheit, daß eine Zahlung sofort geleistet werden muß, wenn wir davon überzeugt sind, daß das entsprechende Geschäft gut ist», schlug ein würdiger Sattelmacher vor. «Wenn das Geschäft vielversprechend scheint, muß man sich gegen die eigene Schwäche schützen. Wir Sterblichen sind unbeständig; wir sind leider schneller bereit, unsere Meinung zu ändern, wenn sie richtig ist, statt umgekehrt. Ist sie falsch, sind wir stur; ist sie richtig, können wir uns nicht entscheiden und lassen die gute Gelegenheit verstreichen. Das erste Urteil ist immer das beste. Aber es fiel mir schon immer schwer, zuzugreifen, wenn sich mir ein gutes Geschäft bot. Deswegen leiste ich jetzt, als Schutz gegen meine eigene Schwäche, immer sofort eine Anzahlung. Dies bewahrt mich davor, die verpaßte Gelegenheit später zu bereuen.»
«Danke! Ich würde gern noch etwas sagen.» Der Syrer hatte sich ein zweites Mal erhoben. «Diese Geschichten gleichen sich alle sehr; in ihnen allen verstreicht aus irgendeinem Grund eine gute Gelegenheit. Jedesmal bietet sich einem Zauderer eine gute Gelegenheit und eröffnet ihm ein gutes Geschäft. Jedesmal zögert dieser, sagt nicht, jetzt ist der beste Zeitpunkt dafür, ich entscheide mich schnell. Wie können die Männer auf diese Weise Erfolg haben?»
«Deine Worte sind weise, mein Freund», erwiderte der Aufkäufer. «In diesen beiden Geschichten verpaßte ein Mann eine gute Gelegenheit, weil er zauderte. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Alle Menschen neigen dazu zu zaudern. Wir alle wollen reich werden; doch wie oft, wenn sich die Gelegenheit bietet, führt dieses Zaudern zu zahlreichen Verzögerungen! Wenn wir uns nicht davon freimachen, werden wir selbst zu unserem ärgsten Feind.
In meinen jüngeren Jahren war mir der Begriff, den unser Freund aus Syrien ins Spiel gebracht hat, nicht bekannt. Anfangs nahm ich an, es an meinem schlechten Urteilsvermögen lag, daß ich mir so viele einträgliche Geschäfte entgehen ließ. Später schrieb ich es meiner Sturheit zu. Doch schließlich erkannte ich die Wahrheit - wo rasches Handeln angesagt war, zögerte ich unnötig lange, zauderte, anstatt schnell und entschlossen zu handeln. Wie haßte ich das, als ich es erkannt hatte! Mit der Bitterkeit eines einem Wagen vorgespannten Wildesels löste ich mich von diesem Feind, um den Weg des Erfolgs zu beschreiten.»
«Danke! Ich würde gern den Herrn Kaufmann etwas fragen», sagte der Syrer. «Du trägst kostbare Gewänder, sprichst wie ein erfolgreicher Mann. Sag, achtest du darauf, wenn der Zauderer in dir spricht?»
«Wie unser Freund, der Aufkäufer, mußte auch ich mein Zaudern erkennen und bekämpfen», erwiderte der Kaufmann. «Für mich war es ein Feind, der immer auf der Lauer lag und darauf wartete, meine Erfolge zu unterminieren. Die Geschichte, die ich erzählt habe, ist nur ein Beispiel von vielen, die beweisen, wie ich mir gute Gelegenheiten habe entgehen lassen. Wenn man es erst begriffen hat, ist es nicht schwierig, dagegen anzukämpfen. Kein Mann erlaubt einem Dieb freiwillig, seine Kornbehälter zu entwenden, oder läßt sich von seinem Feind seine Kunden abwerben und seine Gewinne nehmen. Als ich erkannt hatte, daß mein Feind sich so verhielt, bekämpfte ich ihn entschlossen. So muß jeder Mann sein Zaudern überwinden, bevor er erwarten kann, an den Reichtümern Babylons teilzuhaben.
Was sagst du dazu, ^kad? Da du der reichste Mann von Babyion bist, glauben viele, du seist auch der glücklichste. Stimmst du mir zu, daß jemand erst dann den Erfolg voll auskosten kann, wenn er sein Zaudern überwunden hat?»
«Es ist genau so, wie du sagst», gab Arkad zu. «Im Laufe meines langen Lebens habe ich mehrere Generationen erlebt, die den Weg des Handels, der Wissenschaft und des Lernens eingeschlagen haben, Wege, die gewöhnlich zum Erfolg führen. All diesen Männern bot sich eine günstige Gelegenheit. Einige davon ergriffen sie, was zur Folge hatte, daß ihre innigsten Wünsche erfüllt wurden, doch die meisten zögerten, schwankten und fielen auf ihrem Weg zum Erfolg zurück.»
Arkad wandte sich an den Tuchweber. «Du hast vorgeschlagen, wir sollten über das Glück diskutieren. Laß uns hören, wie du jetzt über das Thema denkst.»
«Ich sehe das Glück jetzt in einem anderen Licht. Ich hatte es mir als etwas höchst Wünschenswertes vorgestellt, das einem Mann in den Schoß fällt, ohne daß er sich zu anstrengen braucht. Aber aus unserer Diskussion habe ich gelernt: Wenn man Glück erlangen möchte, muß man die sich bietenden Gelegenheiten nutzen. Deshalb werde ich mich in Zukunft bemühen, solche Gelegenheiten beim Schopf zu packen.»
«Du hast begriffen, worum es in unserer Diskussion ging», erwiderte Arkad. «Das Glück wird einem oft aufgrund einer guten Gelegenheit zuteil und selten auf andere Weise. Unser Freund, der Kaufmann, hätte sein Glück machen können, wenn er die Gelegenheit, die ihm die wohlwollende Göttin geboten hatte, ergriffen hätte. Ebenso hätte unser Freund, der Aufkäufer, das Glück genießen können, wenn er die Herde aufgekauft und sie mit gutem Gewinn weiterveräußert hätte.
Wir führen diese Diskussion, um nach Wegen zu suchen, das Glück zu finden. Ich glaube, wir haben es gefün-den. Beide Berichte haben gezeigt, daß eine günstige Gelegenheit die Voraussetzung für das Zuteilwerden des Glücks schafft. Darin liegt eine Wahrheit, die viele ähnliche Geschichten über das Glück, mit gutem oder schlechtem Ausgang, nicht ändern können. Die Wahrheit ist nämlich folgende: Das Glück kann angeleckt werden, wenn man die Gelegenheit nutzt.
Jene, die begierig sind, die Gelegenheiten, die sich ihnen bieten, zu ergreifen, erwecken das Interesse der Glücksgöttin. Sie ist immer bereit, denen zu helfen, die ihr gefallen. Männer voller Tatkraft sagen ihr ^ meisten zu.
Denkt daran: Tatkräftiges Handeln bringt euch den gewünschten Erfolg.»
Die fünf
Gesetzmäßigkeiten des Goldes
enn ihr zwischen einem Beutel voller Gold und ei
ner Tontafel, in die Worte der Weisheit geritzt sind, wählen könntet, wofür würdet ihr euch entscheiden?»
Im flackernden Licht des mit Wüstensträuchern entfachten Feuers verrieten die braungebrannten Gesichter der Zuhörer Interesse.
«Für das Gold!» riefen die siebenundzwanzig Männer im Chor.
Der alte Kalabab lächelte weise.
«Hört», sagte er gebieterisch und hob die Hand. «Hört ihr die Wildhunde da draußen in der Nacht? Sie heulen und winseln, weil sie ausgehungert sind. Aber wenn man sie füttert, was geschieht dann? Sie kämpfen und stolzieren umher, verschwenden keinen Gedanken an das Morgen, das unweigerlich kommen wird.
Genauso verhält es sich mit den Menschen. Bietet man ihnen die Möglichkeit, Gold und Weisheit zu erlangen, was tun sie? Sie mißachten die Weisheit und verprassen das Gold. Am nächsten Morgen jammern sie, weil sie kein Gold mehr haben.
Das Gold ist denen vorbehalten, die seine Gesetze kennen und sich daran halten.»
Kalabab hüllte sich fester in sein weißes Gewand, denn es wehte ein kühler Nachtwind.
«Da ihr mir auf unserer langen Reise getreulich gedient habt, euch gut um meine Kamele gekümmert habt und mit
mir klaglos durch den heißen Wüstensand gewgen seid und tapfer die Diebe abgewimmelt habt, die meine Ware rauben wollten, verrate ich euch heute die fünf Gesetze des Goldes. Eine solche Geschichte habt ihr noch nie zuvor gehört.
Lauscht aufmerksam meinen Worten, denn wenn ihr ihre Bedeutung begreift und sie beachtet, werdet ihr in Zukunft viel Gold euer eigen nennen.»
Er schwieg, und alle waren beeindruckt. Am dunklen Himmelszelt leuchteten die Sterne über Babylon. Hinter der Gruppe der Männer erkannte man im Dämmerlicht ihre Zelte, die gegen Wüstenstürme festgepflockt waren. Neben den Zelten waren Waren aufgestapelt und mit Fellen bedeckt. Die Kamele hatten sich im Wüstensand verteilt; einige käuten gemächlich ihr Futter wieder, andere schnaubten unbehaglich.
«Du hast uns viele gute Geschichten erzählt, Kalabab», ergriff der Hauptpacker das Wort. «Wir vertrauen deiner Weisheit, damit wir morgen, wenn unser Dienst bei dir zu Ende ist, wissen, wie es weitergeht.»
«Ich habe euch bisher nur von meinen Abenteuern in fremden, weit entfernten Ländern berichtet, aber heute abend werde ich euch mit der Weisheit von Arkad, dem weisen, reichen Mann vertraut machen.>>
«Ja, wir haben schon viel über ihn gehört», warf der Hauptpacker ein, «denn er war der reichste Mann, der je in Babylon gelebt hat.»
«Ja, er war der reichste Mann, und zwar deshalb, weil er so gut mit Gold umgehen konnte wie niemand vor ihm. Heute abend erzähle ich euch von seiner großen Klugheit, wie ich es von Nomasir, seinem Sohn, vor vielen Jahren in Ninive erfahren habe.
Mein Herr und ich hatten uns bis in die späte Nacht im
Palast von Nomasir aufgehalten. Ich hatte meinem Herrn geholfen, große Packen von kostbaren kleinen Teppichen in den Palast zu schleppen, die alle von Nomasir geprüft wurden, bis er die richtige Farbe gefunden hatte. Schließlich war er hochbefriedigt, lud uns ein, uns zu ihm zu setzen, und bot uns einen exzellenten Tropfen an, dessen köstliches Aroma in die Nase stieg und meinen Magen erwärmte, der an solche Getränke nicht gewöhnt war.
Dann erzählte er uns von der großen Weisheit seines Vaters Arkad.
Wie ihr wißt, ist es in Babylon Brauch, daß die Söhne reicher Leute bei ihren Eltern leben und darauf warten, deren Vermögen zu erben. Arkad gefiel dieser Brauch keineswegs. Deshalb bestellte er seinen Sohn Nomasir zu sich, als dieser das Mannesalter erreicht hatte, und sagte zu dem jungen Mann:
<Mein Sohn, es ist mein Wunsch, daß du mein Vermögen erbst. Aber zuerst mußt du beweisen, daß du fähig bist, klug damit umzugehen. Deshalb wünsche ich, daß du dich auf den Weg machst und deine Fähigkeit unter Beweis stellst, Gold zu erwerben und dir unter den Männern Achtung zu verschaffen.
Zur Unterstützung gebe ich dir die zwei Dinge mit, die mir als mittellosem jungem Kerl, der sich ein Vermögen aufbaute, nicht zur Verfugung standen.
Als erstes überreiche ich dir diese Tontafel, auf der die fünf Gesetze des Goldes eingeritzt sind. Wenn du sie bei all deinen Handlungen beachtest, werden sie dir Befähigung und Sicherheit vermitteln.
Kehre nach zehn Jahren wieder in das Haus deines Vaters zurück, und erstatte ihm Bericht. Wenn du dich als würdig erweist, wirst du der Erbe meines Vermögens sein.
Andernfalls gebe ich mein Gold den Priestern, damit sie dafür die Götter bitten, meiner Seele gnädig zu sein.>
So brach Nomasir auf, um seinen Weg zu gehen. Er nahm seinen Sack mit Gold, die Tontafel, die er in ein Seidentuch gehüllt hatte, seinen Sklaven und Pferde mit.
Zehn Jahre vergingen, und Nomasir kehrte wieder, wie vereinbart, ins Haus seines Vaters zurück, der ihm zu Ehren ein großes Fest gab und viele Verwandte und Freunde dazu einlud. Nach Beendigung des Festes nahmen Vater und Mutter auf ihren thronähnlichen Sitzen in der Großen Halle Platz. Nomasir trat vor sie, um Bericht zu erstatten, wie er es seinem Vater versprochen hatte.
Es war Abend, und der Raum war erfüllt vom Rauch der Öllampen, die ihn nur spärlich erleuchteten. Sklaven in weißen Jacken und Gewändern fächelten mit langstieligen Palmblättern Kühlung. Nomasirs Gemahlin und seine beiden kleinen Söhne hatten auf kleinen Teppichen zusammen mit Freunden und anderen Familienmitgliedern Platz genommen und lauschten eifrig.
<Mein Vater>, wandte sich Nomasir ehrerbietig an seinen Vater und sprach: <Ich verneige mich vor deiner Weisheit. Als ich vor zehn Jahren ins Mannesalter ^kam, hast du mich gebeten, mich auf den Weg zu machen und mich unter Männern zu bewähren und nicht Vasall deines Vermögens zu bleiben.
Du hast mich großzügig mit Gold und deiner Weisheit ausgestattet. Allerding muß ich leider gestehen, daß ich das Gold schlecht verwaltet habe. Es zerrann zwischen meinen unerfahrenen Händen wie Sand.>
Der Vater lächelte nachsichtig. <Fahr fort, mein Sohn, deine Geschichte interessiert mich in allen Einzelheiten.> <Ich beschloß, nach Ninive zu gehen, da diese Stadt florierte, und hoffte, daß sich mir dort günstige Gelegenheiten bieten würden. Ich schloß mich einer Karawane an und fand unter den Teilnehmern viele Freunde. Darunter waren auch zwei kultivierte Männer, die einen Hengst hatten, der so schnell wie der Wind war.