»Wir können Ilan nicht auf der Shepherd-1 alleinlassen«, sagt Christine.
Ihre Stimme kommt aus dem Lautsprecher, sodass alle in der Kabine mithören können.
»Da gebe ich dir ja recht«, sagt Benjamin. »Aber du bist die Kommandantin. Du solltest dich nicht unnötig in Gefahr begeben.«
»Geht es um Gefahr?«, fragt Aphrodite von hinten. »Dann melde ich mich freiwillig.«
»Danke, das ist nett«, sagt Christine. »Aber es geht nicht wirklich um Gefahr, sondern eher um Neugier. Das musst du doch zugeben, Benjamin.«
»Ich überlasse euch meinen Platz gern«, sagt Ilan. »Fliegt da hin, schaut es euch an, gemeinsam. Oskar kann doch auf mich aufpassen. Was kann schon passieren?«
»Christine hat recht«, sagt Benjamin. »Du musst leider mitkommen, wenn wir uns den Absender der Nachricht ansehen. Die Frage ist nur, ob du mit mir oder Christine fliegst.«
Warum befiehlt Christine eigentlich nicht einfach, dass sie diese Expedition übernimmt? Sie hätte die Macht dazu. Sie will es offenbar wirklich gern, aber sie möchte ihn nicht zum Verzicht zwingen. Das ist ja nett. Allerdings würde ihm ein Befehl die Entscheidung erleichtern.
»Ich werde euch die ganze Zeit auf dem Laufenden halten«, sagt Christine. »Versprochen. Und wenn es sehr spannend ist, versuchen wir, mit der Shepherd-1 umzudrehen.«
»Ihr solltet beide fliegen«, sagt Ilan. «Was macht das denn mit eurer Beziehung, wenn jemand zurückstecken muss?«
Netter Versuch. Benjamin betrachtet seinen Nachbarn, der ihn angrinst. Es macht ihm anscheinend Spaß, sie gegeneinander auszuspielen. Die Freude gönnt er ihm nicht.
»Vielleicht ist es bloß eine alte Raumsonde«, sagt Benjamin. »Sie könnte irgendwas per Funk aufgeschnappt haben und hat es uns dann zurückgefunkt.«
Sie sind dem Sonnensystem immer noch ziemlich nah. Seit 2050 haben mehr als zehn Sonden den interstellaren Raum erreicht. Wenn die Steuerungssoftware so einer Sonde einigermaßen intelligent ist, könnte sie durchaus auf die Idee kommen, um Hilfe zu rufen.
»Unsere Sonden würden so etwas nicht machen«, sagt Ilan.
»Ich glaube, es ist sehr spannend«, sagt Oskar. »Ich habe das Ziel untersucht.«
»Was? Das sagst du erst jetzt?«, fragt Christine. »Du hast vorhin schon ewig gewartet, bis du mir von den Ergebnissen berichtet hast.«
»Ich bin ja gerade erst fertig geworden«, sagt Oskar. »Ich kann, anders als ihr, mehrere ganz unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig bearbeiten.«
»Du bist großartig, Oskar«, sagt Benjamin.
»Danke. Ich finde, du solltest zu unserem Sender fliegen«, sagt Oskar.
»Sie sollten sich beide auf den Weg machen«, sagt Ilan. »Du kannst doch prima auf mich aufpassen, Oskar. Stimmst du mir da nicht zu?«
»Hör nicht auf ihn«, sagt Christine. »Was hast du denn nun herausgefunden?«
»Ich kann etwas zur Form und zur Bahn des Objekts sagen.«
»Dann los«, sagt Benjamin.
»Also, ich habe die Bedeckung eines Sterns durch das Objekt beobachtet. Es durchmisst etwa fünfzig Kilometer.«
»Dann ist es nicht der berüchtigte Planet 9 oder 10«, sagt Benjamin.
»Vielleicht eher ein Objekt aus der Shattered Disc«, sagt Christine.
»Es scheint sich nicht auf einem Orbit um die Sonne zu befinden. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass es auf einer hyperbolischen Bahn direkt aus dem interstellaren Raum kommt.«
»Wieder einer dieser interstellaren Kometen?«, fragt Benjamin. »Davon hatten wir ja in letzter Zeit einige.«
»Dazu ist es zu schwer«, sagt Oskar. »Das Objekt besitzt eine unglaubliche Dichte.«
»Vielleicht ein Teil des Eisenkerns eines ehemaligen Planeten«, sagt Christine.
»Darf ich auch mitraten? Ein Neutronenstern«, sagt Ilan.
»Weder noch«, sagt Oskar. »Die Dichte liegt irgendwo dazwischen. Es gibt auch keine Anzeichen für einen Ereignishorizont. Da müsste ich ja Hawkingstrahlung messen können. Um ein Schwarzes Loch handelt es sich also auch nicht.«
»Na gut«, sagt Christine. »Wir kommen nie darauf, wenn wir nicht nachsehen.«
»Könnte es sich um ein außerirdisches Raumschiff handeln?«, fragt Benjamin.
»Es hat bisher keine Kurskorrektur durchgeführt. Das dürfte aus dieser Entfernung der einzige zuverlässige Hinweis auf eine nichtnatürliche Herkunft sein.«
»Danke, Oskar«, sagt Christine. »Sehr gute Arbeit!«
»Ja, wirklich« sagt Benjamin.
»Na gut, ich überlasse dir meinen Platz«, sagt Christine. »Schau dir das Ding an und berichte davon.«
»Und warum spricht hier niemand von mir?«, fragt Ilan.
Chatterjee scheint es nicht gewohnt zu sein, eine Nebenrolle zu spielen. Aber soll er Christines Angebot annehmen? Plötzlich fühlt sich Benjamin schlecht. Er hat ja jetzt schon die spannendere Aufgabe. Christine hat so lange auf dem Schiff ausgeharrt, während er auf der Erde ein schönes Leben führte. Nein, sie sollte auf dem Flug zu dem Objekt auf diesem Platz hier sitzen.
»Christine? Ich bin sehr gespannt, was ihr bei unserem interstellaren Besucher findet. Ich werde so lange auf den Parasiten aufpassen, und damit meine ich nicht unseren ungebetenen Gast hier.«
* * *
Jetzt beginnt der heikelste Teil des Manövers. Benjamin gibt in winzigen Dosen Schub und bremst immer wieder ab. Die Kapsel soll nicht gegen den Zylinder des Schiffs prallen. Sie müssen bloß nah an das Schiff herankommen, damit Aphrodite aussteigen kann. Der Parasit ist etwa drei Meter entfernt. Das genügt als Sicherheitsabstand.
»Zwei Meter«, sagt Benjamin.
»Ich sehe es«, sagt Oskar. »Aber du musst das Schott noch auf die richtige Seite drehen.«
Oh, das hat er ganz vergessen. Aphrodite soll ja direkt auf das Schiff springen können. Ein kurzer Impuls aus der Korrekturdüse, und die Kapsel dreht sich langsam. Nun ein Impuls in die Gegenrichtung.
»Ist es so genehm?«, fragt er.
»Perfekt«, sagt Oskar.
Benjamin nimmt den Helm von der Lehne und setzt ihn auf. Wenn Aphrodite aussteigt, wird die Luft aus der Kapsel entweichen.
»Muss das eigentlich sein?«, fragt Ilan. »Ich meine, diese Körper kommen doch ohne Sauerstoff aus, oder?«
»Du hast anscheinend vergessen, was deine Ingenieure eingebaut haben.«
»Was denn?«
»Die Schmerzen. Wir sollten ja nicht auf die Idee kommen, ohne Raumanzug spazieren zu gehen. Also müssen wir erst einmal leiden, als müssten wir sterben. Du kannst es gern ausprobieren.«
Ilan setzt den Helm auf und verriegelt ihn. »Ich sterbe lieber ein andermal.«
»Bist du bereit, Aphrodite?«, fragt Benjamin.
»Bin bereit.«
Die Roboterin bewegt all ihre Arme gleichzeitig. Es sieht beeindruckend aus und ein bisschen beängstigend, vor allem wegen der Spinnenbeine. Aphrodite wäre jetzt wohl ebenso ein guter Kampfroboter.
»Achtung, ich öffne gleich das Schott«, sagt Benjamin.
Er sichert sich mit einer Leine, drückt den Öffnungsknopf und hält ihn fest. Ein rotes Alarmlicht blinkt. Benjamin hält den Knopf weiter gedrückt. Schwere Riegel knacken im Inneren des Schotts. Plötzlich schiebt es sich quietschend zur Seite. Das Geräusch verstummt so schnell, wie die Atmosphäre die Kapsel verlässt.
»Dein Einsatz, Aphrodite«, sagt Benjamin.
Die Roboterin tritt nach vorn. Benjamin macht ihr Platz. Sie steckt einen ihrer beiden Köpfe hinaus.
»Es gibt ein Problem. Wir entfernen uns vom Schiff.«
Mist. Benjamin schwebt zu seinem Pilotensitz. Natürlich! Die entweichende Luft hat ihnen einen Impuls in die falsche Richtung gegeben. Benjamin hält mit den Korrekturtriebwerken dagegen. Die Kapsel stoppt und bewegt sich langsam wieder zurück.
»So ist es gut«, sagt Aphrodite.
Benjamin lässt das Steuer los und schwebt zu ihr.
»Sei vorsichtig«, sagt er. »Wir wollen dich nicht verlieren.«
»Danke. Ich passe auf.«
Aphrodite drückt sich in den sechs Knien ab und schwebt aus der offenen Luke. Benjamin leuchtet ihr mit der Helmlampe hinterher. Das Licht streift die Außenhaut des Schiffs. Für einen Moment glaubt er, das rötliche Wallen zu sehen, aber das beginnt erst weiter unten. Die Schiffswand wirkt grau und ist von kleinen Meteoriteneinschlägen vernarbt. Die Shepherd-1 ist eben auch nicht mehr die Jüngste.
»Habe das Schiff erreicht«, meldet Aphrodite.
Das Kabel, mit dem sie die Roboterin gesichert haben, rollt sich langsam ab. Es läuft aus einer Trommel, die außen neben der Schleuse befestigt ist. Im Notfall können sie Aphrodite so auch mit der Kraft der Triebwerke aus dem Gefahrengebiet ziehen. Hoffentlich. Christine hat ja auch versucht, David mit einer Leine zu sichern. Die Verbindung ist einfach verschwunden, noch bevor David selbst sich aufgelöst hat.
»Nähere mich dem Einsatzgebiet«, sagt Aphrodite. »Kein visueller Kontakt.«
Benjamin lässt das Schott geöffnet, um der Roboterin schnell helfen zu können. Da die Luke aber direkt in Richtung Schiff zeigt, wird Aphrodite gleich aus seinem Blickfeld verschwinden. Er schwebt vom Schott zurück zu seinem Sitz. Der Bildschirm zeigt bereits, was Aphrodites Kameras aufnehmen. Benjamin wechselt zum Infrarotsensor. Hier ist der Parasit gut zu erkennen: Wo er sich breitmacht, ist die Außenhaut des Schiffs besonders kalt. Die Wolke selbst ist nicht zu sehen. Das Material nimmt anscheinend Energie nur dann auf, wenn sie sich auf eine bestimme Wellenlänge beschränkt – wie bei einem Laser.
»Hast du eine Idee, warum das Ding nicht jede beliebige Energieform schluckt?«, fragt Benjamin.
Ilan ist ein kreativer Mensch. Vielleicht können sie ja doch zusammenarbeiten. Benjamin glaubt, Menschen dieses Schlags zu kennen. Wenn sie ein Problem interessiert, vergessen sie alles andere.
»Vielleicht eine evolutionäre Beschränkung. Wenn es seinem Wirt sämtliche Energie entzieht, bringt es ihn ja um, und das erschwert ihm selbst das Überleben.«
»Das wäre ja eine gute Nachricht für uns.«
»Oder wir haben es mit unserem Laserbeschuss fürs Erste gesättigt und es fängt erst später wieder an zu fressen.«
»Wenn es so wäre – was würde denn passieren, wenn wir es übersättigen?«
»Alles ist möglich. Vielleicht wächst es dann besonders schnell, oder es schaltet die Energieaufnahme ganz ab, oder ihm wird übel und es speit all die überschüssige Energie wieder aus.«
Benjamin seufzt. Ilan hat recht. Solange sie nicht mehr über das Wesen wissen, sollten sie damit besser nicht herumspielen.
»Ich dringe jetzt wie geplant in den Bereich des Parasiten ein«, meldet sich Aphrodite.
Benjamin schaltet auf die Kamera der Kapsel um. Von oben sieht er, wie die Roboterin das vorderste Bein hebt, es wieder senkt und um eine Strebe schlingt. Sie muss eiskalt sein. Aphrodite wiederholt das mit den anderen fünf Beinen, bis sie sich komplett in dem betroffenen Bereich befindet. Benjamin aktiviert die vorprogrammierte Bildanalyse. Das Programm wird ihn sofort informieren, wenn Aphrodites visueller Eindruck an Helligkeit einbüßt. Benjamin hat David vor Augen, der langsam ausradiert wird. Spätestens wenn sie so etwas beobachten, müssen sie Aphrodite herausholen.
»Erste Untersuchungen nach Plan«, sagt Aphrodite. »Meine Körpertemperatur sinkt langsam. Versuche, eine der Fußrasten abzubrechen.«
Plötzlich schlägt das Radar an. Ein Objekt hat sich von der Shepherd-1 gelöst und trudelt auf die Kapsel zu. Es ist aber so klein und langsam, dass es bei einer Kollision schadlos abprallen wird.
»Tut mir leid«, sagt Aphrodite. »Die Raste hat sich bereits bei geringer Belastung gelöst.«
»Der Stahl scheint die niedrige Temperatur nicht zu mögen«, sagt Ilan. »Dabei handelt es sich um eine teure Speziallegierung.«
»Das passt zu der verschlechterten strukturellen Integrität, die Oskar gemeldet hat«, sagt Benjamin.
»Oskar, kannst du etwas zum Temperaturgradienten in der Hülle sagen?«, fragt er.
»An der Innenseite ist die Temperatur normgerecht. Der Energieaufwand der Lebenserhaltung ist allerdings gesunken.«
»Müsste die Shepherd-1 nicht mehr heizen, wenn der Parasit uns Wärme absaugt?«, fragt Benjamin.
»Nein, wir müssen weniger kühlen. Effektiv sparen wir dadurch ein wenig Treibstoff. Wärme loszuwerden, ist im Vakuum schwieriger, als Wärme zu produzieren.«
»Danke, Oskar«, sagt er. »Aphrodite? Alles klar bei dir?«
»Ja, ich führe eine erste Materialanalyse durch.«
»Hatten wir uns nicht geeinigt, dass wir das auf die Zeit nach deinem Ausflug verschieben? Ich würde den Aufenthalt in der Gefahrenzone gern möglichst kurz halten.«
»Keine Sorge, Benjamin. Wir sparen effektiv Zeit, weil ich dadurch herausbekomme, wann und wo es lohnenswert ist, Proben zu nehmen.«
Er seufzt. »Na gut. Ich vertraue dir.«
»Danke, Benjamin. Das ist so süß von dir.«
Er lächelt. Manchmal kommt die alte Aphrodite immer noch durch. Er erinnert sich daran, wie sie sich im Bauch des Flugzeugs nähergekommen sind. Trotzdem ist er unruhig. Er bekommt die Aufnahmen von Aaron und David nicht aus dem Kopf. Also steht er auf und schwebt zur Luke. Das Seil, an dem Aphrodite hängt, ist noch da. Er würde gern kurz daran ziehen, aber er will sie auch nicht von ihrer Arbeit abhalten. Genauso unruhig wie zuvor schwebt er zu seiner Liege zurück.
»So, ich mache mich jetzt wieder auf den Weg«, sagt Aphrodite.
Benjamin blendet auf dem Kamerabild die Umrisse der Wolke ein, wie sie sie mit dem Laser erfasst haben. Aphrodite bewegt sich langsam und systematisch. Noch drei Schritte, noch zwei, noch einer, und sie steckt komplett in der Wolke, von beiden Köpfen bis zu allen sechs Füßen.
»Die Wolke hüllt dich jetzt vollständig ein«, sagt Benjamin.
»Den Eindruck habe ich auch«, antwortet Aphrodite.
»Wieso? Was hat sich verändert?«
»Ich habe den visuellen Eindruck, dass Nebel aufgezogen ist.«
»Die Kamera der Kapsel zeigt keinen Nebel.«
Benjamin schaltet den Input auf Aphrodites optische Kamera. Sie hat recht. Das Bild wirkt verschwommen. Es sieht aber nicht wirklich nach Nebel aus. Benjamin erinnert sich, wie auf der Erde Nebel die Sicht erschwert. Die Feuchtigkeit scheint in der Luft zu schweben. Aphrodite sieht etwas anderes: Die Wirklichkeit verschwimmt leicht, als wäre sie eine optische Täuschung, eine Fata Morgana.
»Das ist ein optischer Phasenübergang«, sagt Ilan. »Wie zwischen warmen und kalten Luftschichten. Natürlich ohne Luft.«
Benjamin nickt. Fata Morganas entstehen genau so. Hatte Oskar in dem Parasiten nicht zwei unterschiedliche Schichten ausgemacht?
»Oskar, passt das zu dem Modell des Parasiten, das du nach dem Laserscan aufgebaut hast?«, fragt Benjamin.
»Ich denke schon, wobei die Dimensionen nicht ganz klar sind. Es ist schwierig, die Ausgabe von Aphrodites Kamera zu kalibrieren.«
»Aphrodite, schaltest du bitte durch alle Wellenlängen, die du draufhast?«, fragt Ilan.
»Aber gern.«
Benjamin lässt seinen Bildschirm den Kameraeinstellungen folgen. Im Radar ist der Blick plötzlich wieder ganz frei. Das beweist, dass es sich definitiv nicht um irdischen Nebel aus Wassertröpfchen handelt. Aber das war ja ohnehin klar. Das Lidar, das mit Laser arbeitet, ist völlig überbelichtet. Aphrodite schafft es auch nicht, das zu ändern.
»Ich komme mit dem Lidar leider nicht zurecht«, meldet sie.
»Mach dir keine Sorgen«, sagt Ilan. »Das ist normal. Der Parasit absorbiert Laserlicht, mit dem das Lidar arbeitet. Es ist, als würdest du im Nebel die Scheinwerfer aufblenden – dann siehst du gar nichts mehr.«
»Interessant«, sagt Aphrodite. »Das wusste ich noch nicht.«
Das Bild wird wieder klar. Die Kamera ist jetzt bei UV-Frequenzen angekommen. Hier ist der Parasit völlig transparent. Das setzt sich bis in den Röntgenbereich fort.
»Ich gehe ins Infrarot zurück«, sagt Aphrodite.
Die Darstellung verfärbt sich. Der Kontrast zwischen der tiefblauen, weil eiskalten Schiffshülle, den kühlen, grünen Beinen des Roboters und den orangefarbenen, etwas wärmeren Armen ist beeindruckend.
»Heizt du deinen Körper?«, fragt Benjamin.
»Ja, alle Heizelemente haben sich automatisch aktiviert«, sagt Aphrodite. »Der Lader besitzt ein paar hydraulische Muskeln, die ich vor zu niedrigen Temperaturen schützen muss.«
»Ist das so?«, fragt Benjamin.
»Ja, darüber haben wir doch gestern beim Umbau gesprochen. Frag Ilan. Die Heizleistung sollte genügen. Der Lader ist für den Asteroidenbergbau konstruiert.«
Das müssen Aphrodite, Oskar und Ilan unter sich ausgemacht haben. Mit ihm hat niemand darüber gesprochen.
»Ja, aber da hat man vielleicht mal Temperaturen von vierzig oder dreißig Kelvin. Nicht bloß drei oder vier. Es wäre mir lieb, wenn wir den Versuch jetzt abbrechen könnten.«
»Nun mach doch kein Drama daraus«, sagt Ilan. »Oskar ist auch der Meinung, dass die Temperaturen noch innerhalb der Toleranzgrenze liegen.«
»Das kann ich bestätigen«, sagt Oskar. »Der Lader besitzt enorm leistungsfähige Heizelemente mit einem großen Toleranzbereich. Selbst, wenn wir sie ein paar Minuten überlasten, bleiben sie funktionsfähig.«
»Und was geschieht, wenn die Hydraulik einfriert?«, fragt Benjamin.
»Dann kann sich der Lader nicht mehr bewegen«, sagt Aphrodite. »Aber der Mechaniker bleibt funktionsfähig und kann ihn herausziehen.«
Benjamin atmet tief durch. Er hasst solche Überraschungen. Warum haben sie ihn nicht mitentscheiden lassen?
»Verstehe«, sagt er. »Unter diesen Umständen scheint das Risiko tatsächlich vertretbar zu sein. Ich wäre allerdings gern informiert worden.«
»Entschuldige, Benjamin«, sagt Aphrodite. »Das kommt nicht mehr vor.«
»Danke«, sagt Benjamin.
»Ich nehme jetzt die ersten Proben«, sagt Aphrodite.
Benjamin bleibt in der Infrarot-Darstellung. Sie bietet den besten Kontrast. Ein dünner, orangefarbener Arm fährt erst nach unten und kehrt dann mit einem runden, gelben Objekt zurück. Das muss der Probenbehälter sein. Aphrodite beugt sich nach vorn, bis der Arm fast die Außenhaut des Schiffs berührt. Ein Finger streckt sich aus. Benjamin kann zusehen, wie er sich erst grün und dann blau verfärbt. Dort unten muss es sehr, sehr kalt sein. Auch der Probenbehälter ist jetzt blau und vor dem Hintergrund kaum noch auszumachen. Der Finger fährt zurück. Aphrodite zieht den Arm an sich und verstaut den Probenbehälter irgendwo an ihrem Körper, außerhalb des Blickfelds der Infrarotkamera.
»Nun bin ich aber gespannt, was ich da eingepackt habe«, sagt Aphrodite.
Sie haben lange diskutiert, ob sie die Substanz mit in das Schiff bringen soll. Es wäre ja möglich, dass sie dort weiter wächst. Deshalb haben sie sich geeinigt, dass die Probenbehälter mit der Substanz auf jeden Fall geschlossen bleiben müssen. Es sind trotzdem einige spannende Untersuchungen daran möglich, für die ihnen auf der Außenhülle die Geräte fehlen.
»Gute Arbeit bisher«, sagt Benjamin.
»Danke. Ich rücke jetzt planmäßig weiter vor«, sagt Aphrodite.
Der Plan besteht darin, dass sie nun völlig in die untere Schicht des Parasiten eintaucht.
»Warte, einen Moment noch«, sagt Benjamin. »Ilan, darf ich dich bitten, dich an der Seilwinde zu postieren? Sobald ich rufe, holst du sie da raus.«
»Okay, bin unterwegs.«
Oho, da hatte Benjamin aber mehr Widerstand erwartet. Ilan löst den Gurt und schwebt nach hinten zur Luke.
»Bin bereit«, sagt Ilan.
»Danke dir, ich weiß das sehr zu schätzen.«
Man sollte kooperatives Verhalten immer verstärken.
»Aphrodite, du darfst.«
»Zu Befehl.«
Benjamin lächelt. Was macht Christine wohl gerade? Eigentlich ist sie ja hier die Chefin.
Auf dem Bildschirm verringern sich jetzt trotz der Infrarot-Darstellung die Kontraste. Benjamin schaltet kurz auf die optische Kamera, aber da sieht er gerade noch die Arme des Roboters, der Rest versinkt im Nebel. Zurück im Infrarot, kalibriert er die Temperaturskala neu. Gelb ist jetzt schon, was nur zehn Grad wärmer als die Schiffshülle ist. Aphrodites Beine sind durchgängig blau. Die Arme leuchten rot. Aphrodite benutzt sie immer abwechselnd beim Klettern. Wenn sie gerade einen der Arme des Laders einsetzt, erkennt Benjamin einen hellen Ring um dessen Gelenke. Das ist die Heizung, die die Hydraulik vor dem Einfrieren bewahrt. Sie funktioniert offenbar.
»Ich habe die geplante Position erreicht«, sagt Aphrodite. »Optisch nehme ich einen dichten Nebel wahr.«
Benjamin schaltet schnell auf die Kamera der Kapsel. Die Roboterin hängt an der Außenhülle des Schiffs. Da ist kein störender Nebel. Den sieht man offenbar nur, wenn man sich im Inneren befindet. Das ist ungewöhnlich, aber nicht unmöglich.
»Schau mal, Ilan«, sagt er.
Es dauert einen Moment, bis Ilan bei ihm ist – und Benjamin realisiert, dass gerade niemand auf die Leine aufpasst. Er hat ja Ilan extra dafür zur Luke geschickt! Aber nun ist er hier. Er kann ihn ja nicht einfach kommentarlos zurückschicken. Benjamin dreht den Schirm, sodass Ilan hineinsehen kann.
»Von oben ist Aphrodite ganz normal zu sehen«, sagt er.
»Ja, die Masse scheint semitransparent zu sein. Das kennt man ja von anderen Materialien. Es könnte sich um einen evolutionären Vorteil handeln, denn so sieht der Wirt nicht einmal, dass er befallen wurde. Stell dir vor, Läuse wären unsichtbar! Dann hätte wohl jeder welche.«
Benjamin schüttelt den Kopf. Das will er sich nicht vorstellen. Sein Körper ist so täuschend echt konstruiert, dass sich die Schädlinge bestimmt auch bei ihm ansiedeln würden.
»Ich geh dann mal wieder zur Luke«, sagt Ilan.
»Danke.«
Chatterjee ist plötzlich so vernünftig. Hat er sich tatsächlich geändert? Oder wartet er bloß auf seine Chance?
»Aphrodite? Alles klar?«, fragt er.
»Alles bestens. Ich nehme Proben aus verschiedenen Höhen über dem Rumpf.«
Die Arme der Roboterin bewegen sich in perfekter Synchronisation. Es macht Spaß, dabei zuzusehen. Aphrodite hat sich offenbar schnell an den neuen Körper gewöhnt. Für die dritte Probe braucht sie bereits deutlich weniger Zeit als für die erste.
»Fertig«, sagt sie.
»Wie tief bist du eingedrungen?«, fragt Benjamin.
»Es sind jetzt vier Meter.«
»Dann würde ich sagen, du kommst zurück.«
»Aber auf dem Plan habe ich noch zwei weitere Positionen. Einmal tiefer in der Blase und einmal parallel dazu.«
»Nein, lass mal, die Anzahl der Proben genügt doch«, sagt Benjamin.
»Das war aber anders abgesprochen«, sagt Oskar.
»Es scheint mir einfach viel zu gefährlich«, sagt Benjamin.
»Sollen wir Christine fragen?«, schlägt Oskar vor.
Benjamin schnaubt. Natürlich ist er nicht der Chef. Aber es fühlt sich einfach falsch an, Aphrodite länger der Gefahr auszusetzen.
»Ihr braucht Christine nicht zu fragen«, sagt Aphrodite. »Ich übernehme selbst die Verantwortung.«
Benjamin schluckt. Er kann ihr nichts vorschreiben. Über die Kamera der Kapsel beobachtet er, wie sie weiter vordringt. Sie klettert etwa drei Meter tiefer in die Wolke hinein, von der aus seiner Perspektive nach wie vor nichts zu sehen ist.
»Optisch ist die Sicht jetzt fast völlig bei null«, sagt Aphrodite. »Erst wenn ich den Arm bis auf 30 Zentimeter heranbringe, sehe ich ihn. Aber die Orientierung per Radar funktioniert noch gut. Nicht perfekt, aber gut.«
Hat sich die Empfindlichkeit des Radars etwa auch verändert? Benjamin schaltet auf die zuständige Ansicht. Das Schiff ist nach wie vor klar, aber wenn er nach oben sieht, wo er eigentlich die Kapsel registrieren müsste, entsteht bloß ein verwaschener Umriss. Und das bei einem Abstand von etwa zehn Metern.
»Das nennst du gut?«, fragt er. »Die Reichweite des Radars liegt bei unter zehn Metern.«
»Sie genügt aber völlig, um wieder nach draußen finden zu können. Und dann gibt es ja immer noch das Seil, an dem ihr mich gesichert habt, und als letzte Maßnahme kann ich einfach abspringen. Das Vakuum ist ja nicht weit.«
»Ich denke auch, das genügt«, sagt Ilan.
»Aphrodite weiß, was sie tut«, sagt Oskar. »Du solltest ihr vertrauen.«
Das ist nicht so einfach. Benjamin kennt ja ihre Geschichte. Sie war noch nie zuvor im Weltall. Ihre Software ist auf Sex und Kampf optimiert, nicht auf die Erforschung außerirdischer Parasiten. Wenn sie sich nun überschätzt?
Er seufzt. »Ich will ja bloß … Egal.«
»Ich beeile mich auch mit den Proben«, sagt Aphrodite.
Benjamin wechselt wieder zur Kamera der Kapsel. Er darf es auf keinen Fall verpassen, wenn die Roboterin verblassen sollte.
»So, dritte Probe eingepackt. Ich begebe mich auf die vorletzte Position.«
Muss das sein? Benjamin beißt sich auf die Zunge, um den Gedanken nicht auszusprechen. Ja, sie haben es gemeinsam geplant. Aber Aphrodite steckt jetzt tiefer in der Wolke als David bei seinem Verschwinden. Er hat es anhand der Leinen rekonstruiert, weil er sichergehen wollte. Den anderen hat er seine Bedenken auch geschildert, aber alle hielten die Situation für beherrschbar, sogar Christine.
Benjamin ziert sich erst einmal, aber dann schaltet er doch auf Aphrodites Radar um. Es ist noch schlimmer, als er befürchtet hat. Die Kapsel ist gar nicht mehr zu sehen, und das Bild endet deutlich vor dem Ende der Wolke. Im Radar sieht es aus, als stände die Roboterin auf einer Insel im Nichts, einer lang gestreckten Tonne, die sich auf beiden Seiten einfach auflöst.
»Hast du mal das Radar geprüft?«, fragt er.
»Ja, das habe ich. Die Richtung ist gut erkennbar«, sagt Aphrodite. »Nach ein paar Schritten wird sich das Bild schon deutlich verbessern.«
»Durch die optische Kamera der Kapsel sehe ich dich kaum noch.«
Das ist allerdings gelogen. Er ist von sich selbst überrascht. Wieso greift er denn zu so billigen Tricks? Er dreht sich um. Ilan steht an der Luke und scheint sich auf das Seil zu konzentrieren. Sehr gut. So bekommt wenigstens niemand etwas von seiner Lüge mit.
»Aber wir sprechen miteinander«, sagt Aphrodite. »Radiowellen dringen also durch die Wolke.«
»Für mich spricht nichts dagegen, dem ursprünglichen Plan zu folgen«, sagt Christine.
Sie hat sich bisher noch gar nicht eingemischt. Also ist das wohl das letzte Wort. Hofft Christine vielleicht, dass die Roboterin über die Körper ihrer beiden Freunde stolpert, wenn sie nur weit genug in die Wolke vordringt? Du hast mit David auch noch gesprochen, bis er verschwand. Nein, das darf er nicht sagen.
»Okay, eine Station noch«, sagt Aphrodite. »Ich denke, auf die letzte können wir verzichten.«
»Das stimmt«, sagt Christine. »Ich glaube nicht, dass der Parasit bevorzugte Raumrichtungen aufweist, und selbst wenn, würde es uns nicht weiterbringen.«
»Da muss ich widersprechen«, sagt Oskar. »Eine solche Asymmetrie würde die Simulationen, die ich über den Parasiten berechnet habe, deutlich einschränken.«
»Das ist aber das zusätzliche Risiko nicht wert«, sagt Benjamin.
»Ihr habt mich ja schon überzeugt.«
»Aphrodite?«
Benjamin bekommt einen Schreck, weil sie einen Moment lang nichts von ihr gehört haben. Er überzeugt sich im Kamerabild, dass sie noch an Ort und Stelle ist.
»Ja, ich bin da. Ich bin bloß damit beschäftigt, die letzten Proben zu nehmen.«
Er sieht im Kamerabild, dass sie ihren Arm besonders weit ausstreckt. Aber sie scheint damit nicht zufrieden zu sein. Aphrodite bewegt einen der Arme des Mechanikers an die Schulter des Laders, nimmt den dort sitzenden Arm ab, der den Probenbehälter in der Hand hat, und streckt ihn über die ganze Länge der zwei Arme in die Richtung des Zentrums des Parasiten, die sich ungefähr in der Mitte des Schiffs befindet.
Das ist sehr schlau! So bekommen sie sogar aus dem Zentrum des Parasiten eine Probe.
»Gute Idee«, sagt Benjamin.
»Danke«, sagt Aphrodite.
Der künstlich verlängerte Arm kehrt zurück. Doch dann bleibt er mit einem Mal stehen.
»Was ist los?«, fragt Benjamin.
»Das Gelenk klemmt«, sagt Aphrodite.
Benjamin erstarrt. Er hat es kommen sehen! Auf dem Bildschirm wechselt er ins Infrarot. Die beiden Arme sind tiefblau. Das ist bei dem mit Elektromotoren arbeitenden Arm des Mechanikers in Ordnung. Der Lader-Arm jedoch hat ein hydraulisches Gelenk. Es müsste hell leuchten wie ein schmerzhaft entzündeter Muskel. Natürlich! Aphrodite hat den Arm abgenommen. Das heißt, sie hat ihn von der Stromversorgung getrennt. Das Heizelement konnte nicht mehr heizen, also ist das Öl der Hydraulik eingefroren.
»Bleib ganz ruhig«, sagt er, vor allem an sich selbst. »Du musst den Ladearm wieder am Lader anbringen, damit er mit Energie versorgt wird.«
»Aber er lässt sich nicht knicken«, sagt Aphrodite.
»Das macht nichts. Befestige ihn am Lader.«
»Okay.«
Die beiden Mechaniker-Arme der Roboterin arbeiten Hand in Hand. Der lange Lastenarm bewegt sich. Er nähert sich dem Körper des Roboters. Es klappt! Der Magnetverschluss hält Arm und Körper wieder zusammen. Aphrodite dreht die Kopplungsschreiben zu. Plötzlich bewegt sich der Lastenarm. Jetzt hat er wohl wieder Strom. Die Lastenhand schließt sich um eine Fußraste.
»Das war knapp«, sagt Benjamin.
»War doch kein Problem«, sagt Oskar. »Das hat Aphrodite prima hinbekommen.«
Er redet von ihr wie von einem kleinen Kind. Vielleicht sieht Oskar sie auch so. Er ist ja fünfzig Jahre älter und könnte in Menschen-Generationen gemessen ihr Opa sein. In Roboter-Generationen wahrscheinlich ihr Ururopa.
»Ich würde auf solche Überraschungen gern verzichten«, sagt Benjamin.
»Ich verstaue noch die Probe, dann klettere ich zurück«, sagt Aphrodite.
Benjamin atmet tief ein und aus. Ja, bitte, und möglichst schnell. Am besten, er steht schon einmal auf, um ihr beim Einsteigen in die Kapsel zu helfen.
»Es gibt da bloß ein kleines Problem«, sagt Aphrodite.
»Was ist los? Sollen wir dich reinziehen?«, fragt Benjamin. »Ilan, mach dich bereit!«
»Dann reißt bloß die Leine«, sagt Aphrodite. »Ich hänge dummerweise fest.«
»Was hält dich denn davon ab, dich einfach ins All abzustoßen?«, fragt Oskar.
Benjamin geht hektisch die Kamerabilder durch. Die Roboterin scheint unbeschädigt zu sein. Die Dichte des Parasiten hat sich auch nicht verändert. Das Heizelement das Ladearmes arbeitet wieder. Er sieht den hellen Ring im Infrarot.
»Mein Arm«, sagt Aphrodite. »Der des Laders.«
Benjamin vergrößert das Kamerabild bis an die Grenze. Er schwenkt auf den Arm, der genauso unbeschädigt aussieht wie der Rest ihres Körpers. Die Hand an seinem Ende hat sich allerdings geschlossen. Sie muss etwas zu fassen bekommen haben.
»Du greifst da nach etwas«, sagt Benjamin. »Vielleicht nach einer Fußraste? Lass sie einfach los.«
»Das würde ich ja gern, aber das Gelenk reagiert nicht.«
Das Gelenk, das die Hand steuert, arbeitet elektrisch. Es kann nicht einfrieren. Obwohl … Natürlich können auch Elektromotoren bei großer Kälte … Moment.
»Kannst du das hydraulische Gelenk bewegen?«, fragt er.
»Nein. Es hat sich wohl festgefressen.«
Mist. Es ist schon möglich, dass die Hydraulikflüssigkeit beim Erstarren das Gelenk beschädigt hat.
»Du musst den Arm abtrennen«, sagt Benjamin.
»Ich bin schon dabei«, sagt Aphrodite.
»Ilan, sobald ich rufe, löst du die Seilwinde aus!«
Benjamin betrachtet gespannt das Kamerabild. Er sieht nicht genau, was Aphrodite macht, weil sie den Oberkörper vorgebeugt hat.
»Es tut mir leid«, sagt sie. »Aber der Arm lässt sich nicht entfernen. Er ist irgendwie gesperrt.«
»Oskar? Wir brauchen dich!«, ruft Benjamin.
»Aphrodite hat recht. Falls ein wichtiges Gelenk ausfällt, sichert der Laderoboter automatisch die Ladung und sich selbst. Du musst bedenken, dass er mit tonnenschweren Lasten hantiert.«
»Du musst diese Blockade ausschalten«, sagt Benjamin.
»Gib mir etwas Zeit«, sagt Oskar. »Aphrodite, darf ich?«
»Zugang gewährt«, sagt die Roboterin.
Plötzlich vibriert Benjamins Bildschirm. Das Programm, das das Kamerabild überwacht, schlägt an. Es geht los! Bald wird Aphrodite verschwinden. Der Parasit holt sich seine Beute.
»Achtung, Aphrodite. Bei dir passiert gerade dasselbe wie bei David. Jemand oder etwas radiert dich aus der Wirklichkeit.«
»Oh. Das gefällt mir nicht.«
»Oskar, wie lange noch?«
»Wenigstens drei Minuten.«
»Die hast du nicht. Los, raus mit dir.«
»Aber …«
»Jetzt, Oskar! Aphrodite, du musst dich vom Lader trennen.«
»Aber das geht nicht. Ich bin der Lader.«
Das Bild auf dem Schirm verblasst zunehmend.
»Es hilft nichts. Du bist sonst gleich gar nichts mehr.«
»Ich versuche es ja.«
Benjamin verfolgt, wie die Roboterin hektisch mit den Armen rudert. Sie löst die Verbindungen zwischen den Körpern an je zwei Stellen parallel. Zum Glück ist nichts geschweißt. Benjamin erkennt aber immer weniger. Sie hat höchstens noch dreißig Sekunden.
»Aphrodite, raus da, jetzt!«
Wo ist die Leine? Sie war doch vorhin noch da? Bei David war sie auch verschwunden, bevor …
»Ich … Gleich! Die letzte …« Der rechte Arm der Roboterin schnellt nach vorn. »Fertig!«
Benjamin sieht, wie sie in die Knie geht.
»Jetzt, Ilan!«, ruft er.
Noch bevor Aphrodite abspringen kann, reißt eine unsichtbare Kraft sie in die Höhe. Geschafft! Das Seil hat sie aus der Gefahrenzone gezerrt. Benjamin springt auf und stößt gegen die Decke. Dann zieht er sich so schnell es geht zur Luke. Dort kommt ihm bereits ein Schatten entgegen, der ihm mit einem Arm zuwinkt. Ilans Scheinwerferstrahl fällt darauf. Es ist Aphrodite! Sie hat die Hälfte ihres Körpers eingebüßt.
Ilan greift nach ihr und zieht sie in die Kapsel. Benjamin hilft auf der anderen Seite.
»Uff, das war aber knapp«, sagt Ilan.
»Ich bin froh, dass du es geschafft hast«, sagt Benjamin.
Er erschrickt, weil Aphrodite nicht antwortet. Sie stürmt auf den Bildschirm zu. Benjamin kann sich denken, was dort von der Oberfläche zu sehen sein wird.
»Nichts«, sagt Aphrodite. »Da ist nichts mehr.«