Houston, 30. Oktober 2112

»Truck, öffne die Tür!«

Benjamin sitzt am Steuer. Er will endlich nach Hause. Irgendwer, vermutlich von Alpha-Omega, hat ihm seinen Truck auf den Parkplatz am Flughafen gestellt. Er stand drei Tage hier, was eine ziemlich hohe Parkgebühr verursacht hat. Die übernimmt Alpha-Omega natürlich nicht.

»Truck, du machst jetzt die Tür auf!«

»Aber es steht doch gar keine Person draußen!«

»Los jetzt! Sonst verschrotte ich dich!«

Benjamin hat schon so etwas befürchtet, deshalb hat er Oskar gleich auf der Ladefläche platziert, natürlich unter lautstarkem Protest des Roboters, der wieder in seinem Staubsaugerkörper steckt. Auf eigenen Wunsch! Alpha-Omegas neuer Firmenchef, der sie persönlich im Privatflieger in Nowosibirsk abgeholt hat, hätte ihm auch einen modernen, humanoiden Körper besorgt. Er scheint sehr dankbar dafür zu sein, dass er Chatterjee als Chef des Milliardenkonzerns beerben konnte.

»Na gut«, sagt der Truck.

Die Tür öffnet sich langsam. Plötzlich wird sie aufgerissen und Aphrodite steigt ein. Sie lächelt fröhlich.

»Nicht so grob!«, beschwert sich der Truck. »Ich habe es befürchtet! Außerdem drückst du das Wildlederpolster so stark ein, dass es bestimmt schnell reißt.«

»Es ist Aphrodite. So nennst du sie gefälligst auch, oder ich lasse deine Software gegen ein neueres Modell updaten.«

»Es ist ein Roboter. Roboter sind gesetzlich Dinge. Dinge sind Neutra.«

»Muss ich mich wiederholen?«, fragt Benjamin. »Also, wie begrüßt du sie?«

»Willkommen, Aphrodite«, sagt der Truck.

»Siehst du, geht doch«, sagt Benjamin.

Aphrodite beugt sich nach vorn, bis ihre üppige Oberweite das Armaturenbrett berührt. Dann legt sie den Kopf seitlich darauf ab und streichelt das Armaturenbrett von unten. Benjamin muss sich abwenden. Im Rückspiegel sieht er, dass er ausparken kann.

»Du darfst ihm das nicht übelnehmen«, sagt Aphrodite. »Er meint es nicht so.«

»Ich nehme es ihm aber übel, wenn er dich nicht akzeptiert.«

»Ich spreche mit dem Truck«, sagt sie. »Er ist doch gar nicht so anders als wir alle. Er braucht einfach ein bisschen Liebe, nicht wahr?«

Sie klopft zart auf das Armaturenbrett. Der Truck gibt ein Geräusch von sich, das sich wie ein Seufzen anhört.

* * *

»Hier wohnst du also«, sagt Aphrodite.

»Hier wohne ich.«

Benjamin stellt einen Stopper in die Eingangstür. Es ist zwar heiß draußen, doch die Luft drinnen müffelt irgendwie. Aber er hat es sich irgendwie schlimmer vorgestellt: mehr Staub, mehr Spinnweben, mehr Rost an den offenen Leitungen. Benjamin kann kaum fassen, dass er nur drei Wochen weg war. Er hat von unterwegs schon Frau aus der Wiesche angerufen. Sie hat ihn sofort wieder eingestellt.

Eigentlich muss er nicht mehr arbeiten. Chatterjee hat ihm, was er erst nach der Ankunft erfuhr, eine unbegrenzte Anstellung bei Alpha-Omega verschafft, ohne dass er dafür arbeiten müsste. Benjamin wollte zunächst ablehnen, aber die Folgen für Aphrodite und Oskar wären drastisch gewesen: Als Roboter können sie keine eigenen Bankkonten haben. Deshalb hat er sie mit Kreditkarten und allem ausgestattet, was man in der modernen Gesellschaft so braucht.

Einen Vorteil haben die beiden immerhin: Sie brauchen kein Visum. So konnte Benjamin sie problemlos in die USA einführen. Aphrodite hat vor, in der Welt herumzureisen. Er wird ihr dazu den Befehl geben, den sie zur Vorlage bei Transportunternehmen braucht. Der einzige Nachteil ist, dass sie im Gepäckraum reisen muss, denn es gibt nur wenige roboterfreundliche Airlines, bei denen der Besitzer eigene Plätze für seine Maschine buchen kann.

»Ich sauge gleich mal Staub«, sagt Oskar.

Darauf freut er sich schon die ganze Zeit.

»Soll ich vielleicht deine Wäsche waschen?«, fragt Aphrodite. »Warte, ich hole dir zuerst ein Bier aus dem Kühlschrank.«

Benjamin bekommt ein schlechtes Gewissen. Er nutzt sie aus, oder nicht?

»Setz dich doch raus auf die Terrasse, in den Schatten, das hast du dir verdient«, sagt Aphrodite. »Hier bist du bloß im Weg.«

Er folgt der Bitte und nimmt auf der Bank Platz, die unter dem überhängenden Dach steht, das ihr Schatten spendet. Kurz darauf bringt ihm Aphrodite das Bier.

»Bitte sehr«, sagt sie.

»Dankeschön.«

»Immer gern.«

»Aphrodite?«

»Ja?«

»Nutze ich dich aus? Ich komme mir seltsam vor.«

»Nutzt du deinen Truck aus, wenn er dich fährt?«

»Nein, aber das ist doch etwas anderes. Es ist eine Maschine.«

»Ist es dir etwa immer noch nicht aufgefallen? Er ist deutlich mehr als das.«

»Hm, vielleicht, aber im Vergleich zu dir …«

»Ich kann dich nicht fahren, aber ich kann dein Haus putzen, dich verteidigen und mit dir Sex haben. So anders bin ich nicht. Ich bin gut in dem, was ich kann, und ziehe Befriedigung daraus. Eher nutze ich dich aus, könnte man sagen.«

»Beim Sex muss ich passen«, sagt Benjamin.

»Das macht nichts. Du bist trotzdem ein netter Kerl. Es bleibt aber dabei, dass ich durch die Welt reisen werde.«

»Ich auch«, sagt Oskar. »Ich halte es nur für eine Weile auf der Erde aus. Dann muss ich wieder ins All. Ich bin ein Explorer, wie Scott.«

»Der ist auf dem Rückweg vom Südpol gestorben«, sagt Benjamin.

»Das kann mir ja nicht passieren«, sagt Oskar.

Benjamin öffnet die eiskalte Dose. Es zischt. Er setzt sie an und trinkt, dann rülpst er.

»Du solltest dir also rechtzeitig Freunde suchen«, sagt Aphrodite. »Ich habe sonst ein schlechtes Gewissen, dich alleinzulassen.«

»Ich habe hier Freunde«, sagt er.

Er denkt an die Schattel Lane 9604 in Galveston. Dort wohnt Rachel, ihre alte CapCom. Sie war krank, als er sie zum letzten Mal gesehen hat. Aber es sind ja erst drei Wochen vergangen. In drei Wochen weit aus dem Sonnensystem hinaus und wieder zurück – das muss man erst einmal schaffen. Eigentlich kann er doch ziemlich stolz auf sein Leben sein.