Scott?«
Cargills Stellvertreterin war hereingekommen, und er blickte von den eingehenden Nachrichten auf. Es wurde immer schwieriger, die Informationsflut zu bewältigen. Das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Die Fakten von den Falschmeldungen.
Der Bombenattentäter war überall in Europa gesichtet worden, sogar in Russland.
»Ja? Was ist?«
»Bad Kötzting.«
»Sind Sie sicher?«
»Hundertprozentig. Er wohnt dort. Die örtliche Polizei hat ihn erkannt und uns seine Personalien geschickt.«
Sie zeigte dem CIA-Chef die Informationen.
Da war er. Aram Wani. Siebenundzwanzig Jahre alt. Darunter seine Privatadresse in dem kleinen bayerischen Ort.
»Er hat Frau und Kind.«
»Ist er gerade zu Hause?«
»Das wissen wir nicht. Ich habe um ein Sondereinsatzkommando gebeten, aber das muss erst aus Nürnberg kommen, deshalb dauert es eine Weile. Ich habe die lokalen Polizeibehörden gebeten, in der Zwischenzeit jemanden hinzuschicken, der unauffällig die Lage sondiert.«
»Gut. Wir müssen dorthin.«
»Der Helikopter wartet schon.«
»Ja?«
Die junge Frau öffnete die Tür einen Spaltbreit.
»Frau Wani?«
»Ja.«
Sie hatte ein Kind auf dem Arm und wirkte ein wenig argwöhnisch. Angst schien sie jedoch nicht zu haben.
Die Polizistin trug Zivilkleidung und war alt genug, um Frau Wanis Mutter zu sein. Vielleicht sogar ihre Großmutter.
»Sehr gut. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich unangemeldet bei Ihnen vorbeischneie.«
»Nein, aber wer sind Sie denn?« Die Tür wurde ein Stück weiter geöffnet.
»Ich bin Naomi. Ganz schön frisch heute.« Die Polizistin zog die Schultern bis zu den Ohren hoch und presste sich die Ellbogen in die Seite, um zu signalisieren, dass sie fror.
Die Tür wurde noch weiter geöffnet, und Naomi wurde ins Haus gebeten.
»Danke schön.«
»Gerne.«
»Eigentlich ist es eher die Nässe, stimmt’s?« Naomi lächelte freundlich und sah sich um. Das Haus war klein und makellos sauber gehalten. Das Kind, ein etwa anderthalbjähriges Mädchen, war bildhübsch mit den blauen Augen seiner deutschen Mutter und dem leicht dunklen Teint seines iranischen Vaters.
Frau Wani war in Deutschland geboren und aufgewachsen, das wusste die Polizeibeamtin nach einem kurzen Hintergrundcheck.
»Hat Ihr Mann es Ihnen gar nicht gesagt?«, fragte sie.
»Nein.«
Die Polizeibeamtin schüttelte den Kopf, wie um zu sagen: Männer.
»Wie Sie bestimmt wissen, gab es hier in der Region eine Verlosung, die es Menschen mit Migrationshintergrund ermöglichen soll, schneller die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Weil Ihr Mann mit einer Deutschen verheiratet ist« – ihr Lächeln wurde noch breiter – »und ein Kind hat, wurde sein Name als einer der möglichen Kandidaten gezogen.« Sie hielt abrupt inne und machte ein besorgtes Gesicht. »Ihr Mann ist doch Aram Wani, oder nicht?«
»Ja. Sicher.« Nun lächelte auch Frau Wani. Sie trat beiseite, schloss die Haustür und bat den Besuch in die Küche. »Ich habe noch nie von dieser Verlosung gehört. Stimmt das wirklich?«
»Aber sicher doch. Allerdings müsste ich ihm noch ein paar Fragen stellen. Ist er da?«
Aram Wani saß zusammengesunken ganz hinten im Bus.
Falls er sich der Ironie der Situation bewusst war, ließ er sich nichts anmerken. Er zeigte überhaupt keine Emotion. Denn sobald er irgendeine Regung zuließ, würde er explodieren.
Er musste nach Hause und seine Familie in Sicherheit bringen. Über die Grenze nach Tschechien. Er hatte gehofft, dies tun zu können, bevor irgendjemand merkte, dass er noch am Leben war. Aber dann hatte er im Busbahnhof sein Gesicht auf allen Bildschirmen gesehen.
Sie wussten Bescheid. Die Polizei, ja. Aber auch Shah und die Russen.
Er hatte mit dem Gedanken gespielt, sich zu stellen. Dann hätte er wenigstens eine gewisse Überlebenschance. Und er könnte die deutschen Behörden bitten, seine Familie zu schützen. Aber dafür war es nun zu spät. Er musste so schnell wie möglich nach Hause.
Betsy Jameson schlenderte die Mahogany Row entlang. In der Hand hielt sie eine Tüte, in der sich ein mit Geflügelsalat belegtes Croissant befand. Es war eine Requisite, die den Anschein von Normalität erwecken sollte.
Einige Mitarbeiter blieben kurz stehen, um sie zu begrüßen oder zu fragen, ob sie etwas von Außenministerin Adams gehört habe und weshalb sie schon wieder zurück sei.
»Die Außenministerin wollte mich hier vor Ort haben, für den Fall, dass es neue Entwicklungen gibt«, erklärte sie.
Zum Glück waren alle zu beschäftigt, um sich an ihren vagen Antworten zu stören. Die meisten wussten ohnehin, dass es besser war, nicht allzu viele Fragen zu stellen.
Es herrschte rege Aktivität im Ministerium. Die Nachricht vom Foto des Bombenattentäters hatte die Runde gemacht, und nun hofften alle auf einen baldigen Durchbruch.
Das Außenministerium in Washington war an Krisen gewöhnt. Es gab immer mindestens einen Ort auf der Welt, an dem es gerade brannte. Aber diesmal war die Lage anders – nicht nur weil die Terroranschläge beängstigend effektiv gewesen waren, sondern auch weil niemand im Gebäude oder bei einem der zahlreichen Geheimdienste im Vorfeld auch nur den Hauch einer Ankündigung oder Warnung vernommen hatte.
Nichts.
Und wenn sie von diesen Angriffen nichts gewusst hatten, was konnte dann noch alles passieren? Das war der Albtraum, mit dem sie lebten.
Das National Terrorism Advisory System hatte die Einwohner der USA vor einem erneuten Anschlag, diesmal womöglich auf amerikanischem Boden, gewarnt.
In jedem Büro, auf jeder Etage des State Department berieten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kollegen oder Experten. Versuchten Informationen zutage zu fördern. Sie gruben tief, und wenn sie etwas gefunden hatten, machten sie sich daran, das wertlose Gestein vom Gold zu trennen.
Betsy zog ihren Ausweis durch den Schlitz und hörte, wie das Schloss an der massiven Tür zu den Büros der Außenministerin mit einem Klick aufsprang. Doch ehe sie eintreten konnte, rief jemand hinter ihr: »Mrs. Jameson.«
Als sie sich umdrehte, kam eine Frau in olivgrüner Uniform mit dem Rangabzeichen eines Captains der Army Rangers auf sie zu. Spezialkräfte.
»Ja?«
»General Whitehead hat gehört, dass Sie zurück sind, und mich zu Ihnen geschickt. Er meinte, falls Sie irgendetwas brauchen, sollen Sie sich an mich wenden. Mein Name ist Denise Phelan.« Betsy spürte, wie etwas in die Tasche ihres Sakkos gesteckt wurde. »Zögern Sie nicht.«
Captain Phelan lächelte ihr noch einmal freundlich zu und ging dann zurück zu den Fahrstühlen. Betsy blieb einen Moment stehen und wunderte sich, weshalb sie die Hilfe einer Soldatin benötigen sollte.
Im Vorzimmer zu Ellens Büro wurde sie von den engsten Mitarbeitern der Außenministerin empfangen. Sie alle wussten natürlich, dass sie Ellen Adams’ persönliche Beraterin war, allerdings hielten sie ihren Posten eher für eine Art Ehrenamt. Betsy war dazu da, die Außenministerin moralisch zu unterstützen, aber ernst zu nehmende Arbeit leistete sie nicht.
Dementsprechend begegnete man ihr höflich, freundlich und mit einem gewissen Maß an Herablassung.
Betsy begann sofort munter draufloszuplaudern. Sie hockte sich auf die Schreibtischkante, als würde sie sich für ein ausgiebiges Schwätzchen bereit machen.
Nachdem sie jahrzehntelang an einer Highschool unterrichtet hatte, war sie eine Meisterin darin, die Körpersprache anderer Menschen zu lesen. Vor allem die Körpersprache von Menschen, die sich keinen Deut für das interessierten, was sie sagte.
Als sie sicher sein konnte, alle Anwesenden mit ihrem oberflächlichen Geschwätz an den Rand des Wahnsinns getrieben zu haben, ging sie nach nebenan in Ellens Büro und schloss die Tür hinter sich. Sie hätte schwören können, dass die anderen im Vorzimmer sich lieber selbst die Hand abnagen würden, als weiterhin das Geplapper einer Frau zu ertragen, die ganz offensichtlich nicht begriffen hatte, dass man sich mitten in einer internationalen Krise befand.
Betsy Jameson war zuversichtlich, dass niemand sie stören würde.
Sie setzte sich auf die kleine Couch, holte das Croissant aus der Tüte und legte es auf einen Stapel Papier. Dann startete sie Candy Crush auf ihrem Handy und spielte anderthalb Runden, ehe sie den Bildschirmschoner ausschaltete, damit das Spiel weiterhin auf dem Display zu sehen war.
Jeder, der hereinkam, würde es sofort sehen und denken, dass sie nichts Besseres zu tun hatte, als zu zocken und zu essen. Mit Sicherheit würde niemand auf die Idee kommen, dass sie Informationen über den Direktor der Nationalen Nachrichtendienste sammelte.
Sie ging weiter durch die Verbindungstür in Charles Boyntons Büro. Dort fuhr sie seinen Computer hoch und gab sein Passwort ein. Falls jemand ihre Aktivitäten zurückverfolgte, würde es auf das Wiesel Boynton zurückfallen, nicht auf sie. Und nicht auf Ellen.
Als sie sich auf seinem Schreibtischstuhl zurücklehnte, spürte sie etwas Hartes, Eckiges in ihrer Tasche.
Sie wusste, was es war, noch ehe sie es herausgezogen hatte. Ein Mobiltelefon. Ein Prepaidhandy, das Captain Phelan ihr zugesteckt hatte.
Sie schaltete es ein und stellte fest, dass es vollständig aufgeladen war. Im Adressbuch war eine einzige Nummer eingespeichert. Sie steckte das Handy wieder ein, wandte sich Boyntons Computer zu, holte tief Luft und machte sich an die Arbeit.
Man sollte Lehrerinnen niemals unterschätzen.
»Okay, du Arschgesicht«, murmelte sie, während sie auf die Tastatur tippte. »Ich kriege dich.«
Sie betätigte die Enter-Taste, und auf dem Monitor erschien die vertrauliche Personalakte von Timothy T. Beecham.
Anahita setzte sich auf den Stuhl, den man ihr in dem bunkerartigen Raum im Frankfurter Konsulat zugewiesen hatte.
Sie und Außenministerin Adams hatten Gesellschaft von Charles Boynton bekommen. Tim Beecham sowie die beiden Agenten, die sie zuvor bereits vernommen hatten, waren aus DC zugeschaltet.
Der ranghöhere der beiden Agenten wollte mit seiner Rede beginnen, wurde jedoch ebenso höflich wie bestimmt von der Außenministerin zum Schweigen gebracht.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne das Gespräch führen. Falls Sie hinterher noch Fragen haben, dürfen Sie die natürlich gerne stellen.«
Sie hatte es absichtlich als Gespräch und nicht als Verhör bezeichnet. Sie wollte Anahita Dahir in Sicherheit wiegen. Und sie konnte sehen, dass ihre List funktionierte.
Als die junge Frau hörte, dass Ellen und nicht einer der beiden Männer ihr die Fragen stellen würde, wirkte sie sofort erleichtert.
Sie hält mich für ihre Freundin. Sie irrt sich.
Anahita bemühte sich, entspannt zu wirken.
Wenigstens so entspannt, dass die anderen glaubten, sie ahne nichts Böses.
Was nicht stimmte.
Sie war genauso sehr auf der Hut wie immer. Auch wenn sie insgeheim befürchtete, dass es nichts ändern würde. Dass es so oder so zu spät war.
Sie waren dahintergekommen.
Was Anahita nicht wusste, war, wie viel sie herausgefunden hatten. Sie hatten ihre Festungsmauern überwunden, das stand fest. Aber wie tief waren sie in ihr Leben vorgedrungen?
Betsys Hand hielt wenige Zentimeter über der Tastatur inne, als sie ein Geräusch hörte. Jemand war im Vorzimmer.
Sie warf einen Blick zur Tür. Die war verschlossen, aber nicht abgesperrt.
Betsy verfluchte sich, als ihr klar wurde, dass ihr keine Zeit mehr blieb, sich auszuloggen und den Rechner herunterzufahren. Kurzerhand griff sie nach dem Netzkabel hinter sich und zog es mit einem beherzten Ruck aus der Steckdose.
Sie wartete nicht ab, bis der Bildschirm schwarz wurde, sondern schnappte sich ihre Notizen und hetzte durch die Verbindungstür zurück in Ellens Büro, wo sie sich auf die Couch fallen ließ.
Sekundenbruchteile später tauchte Barb Stenhauser auf.
Die Stabschefin des Weißen Hauses blieb wie angewurzelt stehen und blinzelte Betsy an.
»Mrs. Jameson. Ich dachte, Sie wären zusammen mit der Außenministerin in Frankfurt.«
»Oh, hallo.« Betsy ließ ihr Croissant sinken. »Das war ich auch, aber …«
»Ja?«
Aber was? Was? Betsy überlegte fieberhaft. Sie hatte nicht damit gerechnet, Stenhauser zu begegnen. Es war extrem ungewöhnlich, dass die Stabschefin nach Foggy Bottom kam.
Stenhauser sah sie erwartungsvoll an.
»Na ja, also, es ist mir ein bisschen peinlich …«
Um Himmels willen, flehte Betsy ihr Gehirn an. Jetzt hast du es nur noch schlimmer gemacht. Was könnte dir denn peinlich sein? Lass dir was einfallen, und zwar schnell.
»Wir hatten einen Streit«, entfuhr es ihr.
»Oh, wie unangenehm. Das muss ja ziemlich schlimm gewesen sein. Worüber haben Sie sich denn gestritten?«
Ach, verdammt noch mal, worüber haben wir uns gestritten???
»Über ihren Sohn. Gil.«
»Wirklich? Worum ging es denn genau?«
War es Betsys überreizter Verstand, oder hatte sich Stenhausers Tonfall verändert? Klang sie nun nicht mehr erstaunt, sondern argwöhnisch?
»Wie bitte?«
»Der Streit? Worum ging es dabei?«
»Das ist privat.«
»Nichtsdestotrotz«, sagte die Stabschefin und machte einen Schritt in den Raum hinein, »würde ich es gerne erfahren. Sie können mir vertrauen.«
»Na ja, wahrscheinlich können Sie es erraten.« Bitte. Bitte sag, dass du es erraten kannst.
Barb Stenhauser sah sie an, und Betsy stellte verblüfft fest, dass sie es wirklich zu erraten versuchte. Die Stabschefin des Weißen Hauses konnte es nicht ertragen, unwissend zu erscheinen. Sie liebte es, recht zu haben. Wissen war ihre Währung, und ihre Achillesferse war die Unfähigkeit, zuzugeben, wenn sie einmal etwas nicht wusste.
»Die Entführung«, sagte Stenhauser mit solcher Bestimmtheit, dass sogar Betsy es im ersten Moment glaubte.
In der Tat war dies der einzige Punkt, der jemals die Freundschaft zwischen Betsy und Ellen hätte gefährden können.
Gil Bahars Entführung drei Jahre zuvor.
Und dann sagte Betsy das, was Stenhauser hören wollte. Die Worte, die den Pfeil fliegen ließen. Das Einzige, was in der Lage war, die Stabschefin zur Strecke zu bringen.
»Sie haben recht.«
Stenhauser entspannte sich augenblicklich. Wie ein Junkie nach dem Schuss.
Natürlich hatte sie nicht recht, aber nun wusste Betsy immerhin, wie sie das Gespräch fortsetzen konnte.
»Ich habe Ellen gesagt, dass ich damals der Ansicht war, Senator Williams hätte sich richtig entschieden, nicht um Gils Freilassung zu verhandeln.«
»Wirklich?«, fragte Stenhauser. Als sie einen Schritt auf Betsy zutrat, sah sie das Handy, auf dem Candy Crush geöffnet war. Betsy tat, als wäre es ihr peinlich, und schaltete es schnell aus.
»Sie waren damals einer Meinung mit dem Senator?«, hakte die Stabschefin nach.
»Ja. Ich fand seinen Standpunkt sehr mutig.«
»Das war meine Idee, wissen Sie?«
»Aha. Hätte ich mir eigentlich denken können.« Zu ihrem eigenen Erstaunten gelang es Betsy, sich ihre Abscheu nicht anmerken zu lassen.
Sie dachte an die endlosen Wochen, in denen Gil in Afghanistan verschollen gewesen war. Dann das Foto von ihm. Verdreckt. Zerlumpt. Verfilzte Haare, zottiger Bart. Nicht wiederzuerkennen. Außer für seine Mutter. Oder seine Patentante.
Diese Augen. Gequält. Beinahe wie tot.
Der brillante, vor Energie nur so strotzende, komplizierte Gil. Auf den Knien, hinter ihm zwei Mitglieder der Pathan mit Maschinengewehren vor der Brust, als wäre er der Bock und sie die Jäger.
»Anfangs wollte Senator Williams Verhandlungen aufnehmen, aber ich habe ihn darauf hingewiesen, dass er Stärke und Entschlossenheit zeigen muss, wenn er erfolgreich fürs Weiße Haus kandidieren will.«
Betsy zwang sich zu einem Lächeln. Sie musste sich auf ihren Plan konzentrieren, nicht auf dieses menschliche Stück Scheiße.
»Clever.«
Es war ein absoluter Albtraum gewesen.
Jeden Abend kamen Bilder der Enthauptungen in den Nachrichten, auch auf Ellens eigenen Sendern. Und Fotos von Gil Bahar, dem gefeierten Journalisten. Er war die einzige US-Geisel der Pathan, und noch dazu eine extrem wertvolle.
Jeden Tag wurde mit seinem Tod gedroht.
Ellen hatte gebettelt. Sie war buchstäblich vor Senator Williams auf die Knie gegangen und hatte ihn angefleht, seine Beziehungen zu nutzen, um ihren Sohn freizukaufen. Offiziell durfte es nicht den Anschein haben, als verhandelten die USA mit Terroristen, schon gar nicht mit den Pathan, der brutalsten Splittergruppe innerhalb der Taliban. Doch hinter verschlossenen Türen passierte so etwas andauernd.
Manchmal sogar mit Erfolg.
Doch diesmal weigerte sich Senator Williams, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, Ellens Kniefall zum Trotz.
Ellen hatte sich nie ganz von dem Grauen jener Zeit erholt. Und sie hatte Williams nie verziehen. Wahrscheinlich würde sie es auch niemals tun.
Genauso wenig wie Betsy Jameson.
Und Doug Williams würde Ellen Adams wohl nie die gnadenlose Kampagne verzeihen, die ihr Medienimperium gegen ihn geführt hatte, damit seine Partei ihn nicht zum Präsidentschaftskandidaten wählte.
»Als Ellen Senator Williams damals als arroganten, machtgeilen Irren bezeichnet hat, habe ich so getan, als würde ich ihr zustimmen.«
Ellen hatte alle ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen genutzt, um Williams zu diskreditieren. Ihr Ziel war nichts Geringeres als eine politische Hinrichtung gewesen.
Leider war es anders gekommen. Ihr Erzfeind war zum Präsidenten gewählt worden. Und zum Erstaunen aller hatte er sie zu seiner Außenministerin gemacht.
Aber Ellen wusste, warum er es getan hatte. Und Betsy wusste es auch. Präsident Williams plante ebenfalls eine Exekution.
Erst hatte er dafür gesorgt, dass Ellen sich von ihrem Medienkonzern trennte, weil er sie in sein Kabinett geholt hatte, wo sie de facto seine Geisel war. Später würde er ihr dann in aller Ruhe die Kehle durchschneiden.
Falls sie noch irgendwelche Zweifel bezüglich seiner Motive gehegt haben sollten, waren diese spätestens nach dem Südkoreabesuch ausgeräumt. Die Gespräche hätten nicht scheitern dürfen. Es war eine öffentliche Demütigung gewesen, eingefädelt von einem US-Präsidenten, der offensichtlich vor nichts haltmachte, um seine eigene Außenministerin zu ruinieren.
»Auf dem Flug nach Frankfurt«, fuhr Betsy fort, »hatte ich ein paar Gläschen zu viel getrunken und habe Ellen gesagt, dass ich keineswegs der Ansicht bin, dass Präsident Williams ein oberflächliches Arschloch ist, dem jemand ins Gehirn geschissen hat. Dass er definitiv kein dummer Wichser ist, der aus einem Sack voller Idioten entkommen ist, und schon gar kein geistig zurückgebliebener Egomane, der sein Juraexamen in einer Cornflakespackung gefunden hat.«
Inzwischen hatte Betsy richtigen Spaß. Es war schon eine ganze Weile her, seit sie zuletzt Mrs. Cleavers dunkle Seite entfesselt hatte.
Aber so langsam musste sie wieder an die Arbeit gehen.
Obwohl sie fast an den Worten erstickte, sah sie Barb Stenhauser tief in die Augen und sagte: »Ich habe ihr gesagt, dass es richtig war, Gil nicht freizukaufen. Senator Williams hatte gar keine andere Wahl.«
»Und deshalb hat sie Sie nach Hause geschickt.«
»Ich hatte noch Glück, dass sie mich nicht aus dem Flugzeug geworfen hat. Tja, jetzt sitze ich also hier, esse ein Croissant, spiele Candy Crush und versuche den Mut aufzubringen, sie anzurufen und mich bei ihr zu entschuldigen. Auch wenn ich finde, dass Doug Williams ein narzisstisches Arschgesicht ist.«
Ah, das hat sich gut angefühlt.
»Ist er oder ist er nicht?«
»Wie bitte?«
»Sie sagten, er sei ein narzisstisches Sie-wissen-schon-was.«
»Was?«
»Ach, vergessen Sie’s.«
»Was machen Sie eigentlich hier?«, fragte Betsy. »Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Nein. Der Präsident hat mich hergeschickt, um zu sehen, ob die Außenministerin oder ihr Stabschef irgendwelche Aufzeichnungen von ihrem Treffen hinterlegt haben. In der Aufregung scheint die Stenografin ein paar Details vergessen zu haben.«
»Viel Erfolg. Wie Sie sehen, ist Ellens Schreibtisch die reinste Müllhalde, und Boyntons ist so aufgeräumt, dass man denkt, er arbeitet gar nicht.« Betsy zögerte. »Sie haben früher zusammengearbeitet, oder nicht? Sie und Boynton?«
»Kurz.«
»Im Geheimdienstausschuss, als Senator Williams noch der Vorsitzende war.«
»Ja. Und im Wahlkampf.«
Betsy hatte nur geraten, aber es war nicht weiter schwer gewesen, da Stenhauser Charles Boynton persönlich als Ellens Stabschef vorgeschlagen hatte. Während sie der Frau hinterherblickte, wie sie in Boyntons Büro verschwand und die Tür hinter sich schloss, fragte Betsy sich, wie voll dieser Sack mit Idioten eigentlich war. Und wer sonst noch daraus hatte entkommen können.
Sie verfasste eine kurze E-Mail an Ellen, um ihr mitzuteilen, dass sie im Außenministerium angekommen war, und um sich für den jungen Leibwächter zu bedanken.
Käme ein Konjunktiv in eine Bar …
Zwanzig Minuten später versuchte sie die Tür zu Boyntons Büro zu öffnen. Sie war nicht abgeschlossen, das Büro war verlassen.
Barb Stenhauser war nicht mehr da.
Sie setzte sich wieder an den Schreibtisch und bückte sich, um nach dem Netzkabel zu greifen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Jemand hatte den Stecker von Boyntons Rechner bereits wieder eingesteckt.
Scott Cargill ließ den Sicherheitsgurt einschnappen und signalisierte dem Piloten, dass sie startklar waren.
Seine Stellvertreterin reichte ihm ihr Telefon. Er überflog die Nachricht darauf mit unbewegter Miene. »Die anderen?«
»Werden noch überprüft. In ein paar Minuten müssten wir mehr wissen.«
Cargill nickte ruckartig und schrieb ein paar Zeilen an die Außenministerin. Dann schaute er auf Frankfurt hinab, als der Helikopter abdrehte und in Richtung Osten flog. Nach Bayern, in die reizvolle mittelalterliche Kleinstadt Bad Kötzting, wo ein Terrorist zu Hause war.
Der Sicherheitsmann gab Ellen ihr Telefon. Eine als dringend gekennzeichnete Textnachricht von Scott Cargill war soeben eingegangen.
Nasrin Bukharis Ehemann ermordet aufgefunden. Überprüfung der anderen Familien läuft. Haben verdächtigen Attentäter bis nach Bayern verfolgt. Auf dem Weg dorthin.
Cargill las die Antwort. Viel Glück. Halten Sie mich auf dem Laufenden.
Ellen gab dem Sicherheitsmann ihr Handy zurück und wandte sich wieder Anahita zu.
»Wir haben nicht viel Zeit, Ms. Dahir«, sagte sie brüsk und förmlich. »Sie haben uns wieder und wieder angelogen. Jetzt müssen Sie uns die Wahrheit sagen.«
Anahita saß kerzengerade auf ihrem Stuhl und nickte.
»In welchem Zusammenhang stehen Sie mit den Bombenanschlägen?«
Anahitas Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Madame Secretary?«
»Es reicht. Wir wissen über Ihren Vater Bescheid.«
»Was ist denn mit ihm?« Anahita behielt einen neutralen Tonfall bei.
Es war dumm, ihnen nicht alles zu sagen. Sie wussten es offensichtlich, und es zu leugnen machte alles nur noch schlimmer.
Und trotzdem brachte Anahita es nicht über sich. Es war die eine Sache, worum ihre Eltern sie gebeten hatten. Das eine Versprechen, das sie ihnen gegeben hatte. Dass sie es niemals verraten würde. Niemandem.
Keiner Menschenseele, hatte ihre Mutter, die an die Existenz der Seele glaubte, gesagt.
Ihr Vater, der diesen Glauben nicht teilte, hatte sie auf seinen Schoß genommen und ihr erklärt, dass sie sich nicht zu fürchten brauche. Dass alles gut werden würde, wenn sie nur dieses eine Geheimnis bewahrte. Und dann hatte er ihr gesagt, dass er sie mehr liebe als das Leben selbst.
Denn ihr Vater glaubte an das Leben. Daran, dass es heilig war.
Sobald sie alt genug gewesen war, um die Zusammenhänge zu begreifen, hatte er ihr erklärt, weshalb das Geheimnis niemals die vier Wände ihres kleinen Hauses im Washingtoner Vorort verlassen durfte.
Ruhig hatte er ihr erzählt, dass ihre gesamte Familie ermordet worden sei. Ausgelöscht in einem Blutrausch von religiösen Fanatikern während der Revolution, weil sie Intellektuelle waren, denen man anscheinend nicht trauen konnte.
Denn wer gebildet war, stellte Fragen, und wer Fragen stellte, hatte eigenständige Gedanken. Diese wiederum nährten das Bedürfnis nach Freiheit, das die Ajatollahs nicht kontrollieren konnten.
»Ich war der Einzige, dem die Flucht gelungen ist.«
Sein Ton war beherrscht gewesen, fast beiläufig, doch sie hatte die Trauer in seinen Augen gesehen.
»Du hast Angst, dass die Iraner dir etwas antun«, hatte sie gesagt.
»Nein. Ich habe Angst, dass sie das gar nicht müssen. Wenn die Amerikaner herausfinden, dass ich bei meinem Asylantrag gelogen habe – wenn sie herausfinden, dass ich in Wahrheit Iraner bin …«
»Dann schicken sie dich dorthin zurück?« Zu dem Zeitpunkt war sie bereits alt genug gewesen, um zu begreifen, was das bedeutete. »Ich werde niemals etwas sagen«, hatte sie beteuert.
Und sie hatte Wort gehalten. Sie hatte nichts verraten. Und sie würde es auch niemals tun.
»Das ist lächerlich«, sagte Beecham. »Sie sehen doch, dass sie nicht willens ist, mit uns zu kooperieren. Es ist sonnenklar, für wen sie arbeitet. Sicher nicht für uns. Lassen Sie sie verhaften. Klagen Sie sie an.«
Der Sicherheitsbeamte im Raum machte einen Schritt auf Anahita zu.
»Welche Straftat soll sie denn begangen haben?«, fragte Ellen, die den Mann mit einer Handbewegung zurückhielt.
»Aufwiegelung, Massenmord, Terrorismus. Verschwörung«, zählte Beecham auf. »Wenn Ihnen das nicht reicht, hätte ich auch noch mehr auf Lager.«
»Sie vergessen, dass die E-Mail aus dem Iran mit der Absicht gesendet wurde, die Anschläge zu verhindern«, fauchte Ellen. »Wenn überhaupt, haben uns die Iraner geholfen.«
»Die Nachricht kam aus dem Iran?«, fragte Anahita.
»Hören Sie, das reicht jetzt.« Ellen war am Ende ihrer Geduld. »Wir wissen, dass Ihr Vater Iraner ist. Er hat auf seinem Asylantrag bewusst falsche Angaben gemacht. Wir wissen, dass sein wahrer Name Ahmadi lautet …«
»Warum hat Ihr Onkel Ihnen die Nachricht geschickt?«, fiel Beecham Ellen ins Wort.
Anahita schaute vom einen zum anderen. »Was?«
Ellen schlug so heftig mit der flachen Hand auf den Tisch, dass Anahita zusammenfuhr und sogar Beecham auf der anderen Seite des Atlantiks einen Schreck bekam.
Die Außenministerin lehnte sich über den Tisch, bis sie Anahitas Gesicht ganz nahe war. »Genug jetzt. Die Zeit drängt. Wir brauchen Antworten.«
»Aber das muss ein Irrtum sein. Ich habe keinen Onkel.«
»Natürlich haben Sie einen«, knurrte Beecham. »Er lebt in Teheran. Sein Name ist Behnam Ahmadi, und er ist Atomphysiker. Er hat mitgeholfen, das Atomwaffenprogramm des Iran aufzubauen.«
»Das ist unmöglich. Meine ganze Familie wurde während der Revolution getötet. Mein Vater war der Einzige, der …«
Sie brach ab, doch es war bereits zu spät. Sie hatte es verraten.
Anahita wartete. Wartete. Darauf, dass das Monster, der Azhi Dahaka, sie holen kam. So tief war die Prägung, so sehr war sie darauf konditioniert, das Versprechen zu halten, das sie ihren Eltern gegeben hatte, dass sie selbst als Erwachsene noch glaubte, es würde etwas Schreckliches passieren, wenn sie das Geheimnis preisgab.
Sie wartete mit weit aufgerissenen Augen und flachem, unregelmäßigem Atem.
Nichts geschah. Doch sie machte sich nichts vor. Das Ungeheuer war frei, und es würde sie holen kommen. Eben jetzt schlich es auf das bescheidene Heim ihrer Familie in Bethesda zu.
Sie musste zu Hause anrufen. Ihre Eltern warnen. Doch was sollten sie tun? Fliehen? Sich verstecken? Wo?
»Ms. Dahir?« Die Stimme schien von weither zu kommen. »Ana?«
Anahita kehrte in den Bunkerraum im Keller des US-Konsulats in Frankfurt zurück.
»Sagen Sie uns alles«, befahl Außenministerin Adams leise.
»Ich verstehe das nicht.«
»Dann erzählen Sie uns, was Sie wissen.«
»Mir wurde gesagt, sie wären tot. Die ganze Familie meines Vaters. Ermordet von Extremisten. Dass ich keine Verwandten mehr im Iran hätte.« Sie sah Ellen in die Augen.
»Das ist doch alles dummes Theater!«, rief der ältere der beiden Agenten in DC. »Die Mail wurde an ihre Adresse geschickt. Ihr Onkel wusste, wo und wie er sie kontaktieren konnte. Sie muss ihn kennen.«
»Ich kenne ihn aber nicht«, beteuerte Anahita.
»Dann müssen Sie Ihren Vater anrufen«, sagte Ellen entschieden.
»Ob das so eine gute Idee ist, Madame Secretary?«, meinte der Agent.
»Das ist eine ganz beschissene Idee«, sagte Beecham. »Warum lassen wir die Terroristen nicht gleich in unserer Mannschaft mitspielen? Kommt alle her.« Er fuchtelte mit den Armen. »Wir zeigen euch, was wir wissen und was wir nicht wissen.«
Er sah Ellen aufgebracht an, die seinen Blick ungerührt erwiderte.
»Sie sind unterwegs«, meldete der jüngere Agent, der von seinem Telefon aufblickte. »Müssten jeden Moment in Bethesda sein.«
»Wer?«, fragte Anahita mit aufsteigender Panik.
Doch sie kannte die Antwort.
Das Monster, das sie freigelassen hatte.
»Gut.« Beecham stand auf. »Ich werde auch hinfahren.«
Betsy Jameson hatte sich die Hand vor den Mund geschlagen und blickte mit großen Augen auf den Bildschirm in Charles Boyntons Büro.
»Verflixt.«
Freunden und Verwandten war schon vor Jahren aufgefallen, dass Betsy zum Fluchen neigte, wenn die Dinge schlecht standen, sie ihr Schandmaul in echten Katastrophenfällen jedoch urplötzlich verlor.
»Au Backe«, wisperte sie durch ihre Finger, während sie auf den Monitor starrte.
Barb Stenhauser hatte gesehen, woran Betsy arbeitete. Auf dem Bildschirm war Timothy T. Beechams Akte geöffnet.
Eine Handvoll bis zur Unkenntlichkeit geschwärzter Dokumente.
Im nächsten Moment musste sie lachen.
Stenhauser würde denken, dass Charles Boynton derjenige war, der Nachforschungen über den Direktor der Nationalen Nachrichtendienste angestellt hatte. Nicht Betsy Jameson, die viel zu sehr damit beschäftigt war, Candy Crush zu spielen und sich Kummerspeck anzufuttern.
Sie lehnte sich zurück und atmete tief durch, bis sie sich wieder gefangen hatte.
Dann setzte sie sich auf und machte weiter. Eins stand fest: Sie musste tiefer graben.
Eine Stunde später nahm sie die Brille ab und rieb sich die Augen. Sie kam nicht weiter. Jedes Mal, wenn sie glaubte, eine vielversprechende Spur gefunden zu haben, endete sie in einer Sackgasse. Sie kam sich vor wie in einem Irrgarten. In der Mitte dieses Irrgartens wartete Tim Beecham, doch sie fand ums Verrecken keinen Weg zu ihm.
Es musste aber einen Weg geben. Sie sah ihn bloß nicht.
Sie hatte sich seine Akten von der Universität angesehen. Sie wusste, dass er in Harvard Jura studiert hatte, aber mehr gaben die Unterlagen nicht her. Es gab nur den Nachweis eines Studienabschlusses, sonst nichts.
Die Akte von seiner Zeit bei der Armee war auch nicht aufschlussreicher.
Beecham war siebenundvierzig Jahre alt, verheiratet, hatte zwei Kinder und stammte aus einer Republikanerfamilie aus Utah.
Solche Dinge konnten nicht geheim gehalten werden.
Wahrscheinlich wäre es einfacher, Informationen über ihren Briefträger einzuholen als über den Direktor der Nationalen Nachrichtendienste. Sie hatte nicht einmal einen Hinweis darauf gefunden, wofür das T in Timothy T. Beecham stand.
Sie brauchte keinen Weg ins Herz des Labyrinths. Sie brauchte eine Kettensäge.
Sie zog sich den Mantel an und beschloss einen Spaziergang zu machen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Unterwegs überlegte sie. Und überlegte.
Sie ließ sich auf einer Parkbank nieder und beobachtete einige Jogger, denen die Kälte nichts auszumachen schien. Dann fiel ihr Blick zufällig auf den jungen Mann aus dem Flugzeug. Ihr Beschützer. Er stand unauffällig in der Nähe eines kleinen Schuppens herum.
Betsy holte ihr Telefon hervor und sah, dass Ellen ihr eine Antwort geschrieben hatte.
Käme ein Konjunktiv in eine Bar … wäre dieser Witz rein hypothetisch, begann die Nachricht.
Wir machen Fortschritte, ging sie weiter. Bin froh, dass du zu Hause angekommen bist.
PS: Welcher Leibwächter?
Betsy nahm ihre Sachen. Ohne noch einmal in Richtung des Schuppens zu schauen, ging sie los. Ihr Herz raste fast so schnell wie die Gedanken in ihrem Kopf.
Der Tag schien immer kälter zu werden, und sie spürte die ganze Zeit die Blicke im Nacken.
Der Bus hielt vor dem kleinen Bahnhof in Bad Kötzting an.
»Steigen Sie noch aus?«, rief der Fahrer ungeduldig.
Aram hatte gewartet, bis alle anderen Fahrgäste den Bus verlassen hatten, und war auch dann noch im Bus geblieben, weil er erst sehen wollte, ob jemand auf dem Bahnhof herumlungerte.
Er entdeckte niemanden.
»Tut mir leid.« Als er am Fahrer vorbeiging, zog er sich die Wollmütze, die er in Frankfurt gekauft hatte, tiefer ins Gesicht.
»Entschuldigung, ich bin eingeschlafen.«
Dem Fahrer war es egal. Er wollte einfach nur ins Gasthaus, um eine heiße Mahlzeit zu essen und ein schönes Bier zu trinken.
»Neue Infos, Sir«, sagte Cargills Stellvertreterin über das Rattern der Rotorblätter hinweg.
Sie zeigte ihm ihr Mobiltelefon mit der kurzen Nachricht.
Die Ehefrauen, Kinder und Eltern der anderen Bombenattentäter und Wissenschaftler waren allesamt ermordet worden.
»Oh Gott«, hauchte er. »Hier räumt jemand wirklich auf.« Er lehnte sich vor. »Schneller«, wies er den Piloten an. »Wir müssen uns beeilen.«
Dann wandte er sich an seine Stellvertreterin. »Warnen Sie die Polizei in Bad Kötzting vor.«
Sie hörten, wie die Wohnungstür geöffnet wurde.
»Oh, das muss Aram sein.«
Frau Wani stand auf, während Naomi hinter sich griff und ihre Waffe zog.