KAPITEL 18

Nachdem sie ihre Getränke bekommen hatten – ein Ginger Ale für Betsy, ein Bier für den General –, sah Whitehead sie an.

Einer der Gründe, weshalb sie ihn nicht sofort erkannt hatte, war, dass er keine Uniform, sondern einen Anzug trug. Er hatte sich extra die Zeit genommen, sich umzuziehen.

»Ein bisschen diskreter«, hatte er ihr mit einem Lächeln erklärt.

Betsy wusste das zu schätzen. Nichts war auffälliger als ein Viersternegeneral in einer Uniform voller Abzeichen und Orden. Wahrscheinlich hätte er ausgesehen wie der Blechmann aus Der Zauberer von Oz. Der, so fiel Betsy nun ein, sich sehnlichst ein Herz gewünscht hatte.

Ging es diesem Mann ähnlich? Ein ganzes Arsenal an Waffen und kein Herz? Was für ein furchterregender Gedanke.

Ohne seine Uniform allerdings sah Bert Whitehead nicht anders aus als einer der Tausenden von Regierungsbeamten. Wenn die Regierung denn aus lauter Fred MacMurrays bestanden hätte.

Und dennoch umgab ihn eine unverkennbare Aura stiller Autorität. Sie konnte gut verstehen, dass Männer und Frauen diesem Mann folgten. Dass sie taten, was er sagte, ohne Fragen zu stellen.

»Was kann ich für Sie tun, Mrs. Jameson?«

»Ich werde beschattet.«

Er hob verdutzt den Kopf, sah sich jedoch nicht um. Allerdings wirkte er sogleich wachsamer.

»Ist die Person hier?«

»Ja. Er ist kurz vor Ihnen reingekommen. Ich dachte, ich hätte ihn abgeschüttelt, anscheinend war das ein Irrtum. Er sitzt hinter Ihnen. In der Nähe der Tür.«

»Wie sieht er aus?«

Nachdem Betsy ihm den jungen Mann beschrieben hatte, entschuldigte sich Bert Whitehead und ging zu ihm.

Sie beobachtete, wie er sich zu ihm hinunterbeugte und ein paar Worte mit ihm wechselte. Dann gingen die beiden zusammen vor die Tür. Whiteheads Hand lag auf dem Arm des Mannes, was oberflächlich betrachtet wie eine freundschaftliche Geste aussah, doch Betsy wusste es besser.

Eine gefühlte Ewigkeit später, obwohl laut der Uhr an ihrem Telefon lediglich zwei Minuten vergangen waren, kehrte Whitehead zurück.

»Er wird Sie künftig nicht mehr belästigen.«

»Wer war das? Wer hat ihn geschickt?«

Als Whitehead nicht antwortete, tat Betsy es für ihn. »Timothy T. Beecham.«

Er sah sie einen Moment lang an. »Hat Außenministerin Adams Ihnen etwas gesagt?«

»Sie hat mich gebeten, Informationen über Beecham zu sammeln. Ich soll herausfinden, in was er vielleicht verwickelt ist.«

»Ich habe ihr gesagt, sie soll nichts unternehmen.«

»Tja, dann kennen Sie Ellen Adams aber schlecht.«

Der General lächelte. »So langsam lerne ich sie kennen.«

»Was können Sie mir über Beecham sagen? In den Akten finde ich nichts. Es muss alles woanders abgelegt worden sein.«

»Oder es wurde gelöscht.«

»Warum sollte jemand das tun?«

»Ich nehme mal an, weil es Dinge gibt, die niemand sehen soll.«

»Was denn für Dinge?«

»Das weiß ich nicht.«

»Aber irgendetwas wissen Sie doch.«

Bert Whitehead machte ein unglückliches Gesicht. Vielleicht war er auch wütend, weil er sich von ihr unter Druck gesetzt fühlte. Doch nach einem Moment lenkte er ein.

»Alles, was ich weiß, ist, dass sich die Dunn-Regierung entgegen jedem klugen Rat und trotz all meiner Argumente aus dem Atomabkommen mit dem Iran zurückgezogen hat. Das war ein fataler Fehler. Damit hatte der Iran einen Vorwand, keine Inspektoren mehr ins Land zu lassen. Er entzieht sein Waffenprogramm faktisch jeder Kontrolle von außen.«

»Was hat das mit Beecham zu tun?«

»Er war einer derjenigen, die Präsident Dunn zum Ausstieg aus dem Programm gedrängt haben.«

»Warum hätte er das tun sollen?«

»Die bessere Frage lautet: Wer hatte einen Nutzen davon?«

»Okay, dann tun wir mal so, als hätte ich die bessere Frage gestellt.«

Der General lächelte, doch dann wurde er wieder ernst. »Zum einen die Russen. Als wir ausgestiegen sind, gab ihnen das freie Hand im Iran. Jetzt ist es zu spät, um das noch zu ändern. Was getan ist, ist getan.« Er blickte auf die Untersetzer auf dem Tisch und lächelte. »Hast Du’s getan, ist’s nicht getan, denn ich hab mehr.«

Dann hob er den Kopf und sah sie an. Er hatte den englischen Dichter John Donne zitiert. Warum?

Im nächsten Moment wurde ihr klar, was er kurz zuvor betrachtet hatte: einen der berühmten Untersetzer des Off the Record mit politischen Karikaturen.

Auf General Whiteheads Untersetzer war Eric Dunn abgebildet.

Donne. Dunn.

Ellen verfolgte, wie Irfan Dahir von Tim Beecham vernommen wurde, auch wenn sie dabei immer öfter auf ihr Telefon schielte.

Schließlich nahm sie es in die Hand und schickte eine Nachricht an Scott Cargill. Schon Neuigkeiten?

Nichts.

»Was meinen Sie?«, fragte Betsy. »Was hat Eric Dunn damit zu tun? Ich muss es wissen. Ellen muss es wissen.«

General Whitehead seufzte. »Zum einen hat er den Wunsch, wieder an die Macht zu kommen.«

»Welcher Politiker hat den nicht?« Betsy deutete auf die anderen Untersetzer auf dem Tisch. Humoristische Zeichnungen verschiedener Präsidenten, Kabinettsmitglieder und ausländischer Staatschefs.

Da gab es zum Beispiel den russischen Präsidenten. Den obersten Führer von Nordkorea. Den britischen Premierminister. Persönlichkeiten, die jeder aus den Abendnachrichten kannte.

»Stimmt«, räumte Whitehead ein. »Aber es geht noch viel weiter als bis zu Eric Dunn. Es gibt Elemente innerhalb der Vereinigten Staaten, die mit der Richtung, in die sich das Land entwickelt, unzufrieden sind. Sie benutzen ihn. Sie sehen Dunn als die einzige Möglichkeit, die Erosion des amerikanischen Lebensstils aufzuhalten. Nicht weil er eine Vision hat, sondern weil er leicht zu manipulieren ist. Aber zuerst müssen sie ihn wieder ins Amt hieven.«

»Wie?«

Er zögerte einen Moment, weil er nach den richtigen Worten suchte. »Was würde passieren, wenn es eine Katastrophe auf amerikanischem Boden gäbe? Einen Terrorakt, so grauenhaft, dass er die Nation auf Generationen hin traumatisieren würde? Und was, wenn das während dieser Legislaturperiode geschähe?«

»Man würde Doug Williams die Schuld geben. Man würde den Rücktritt der Regierung fordern.«

»Und jetzt stellen Sie sich vor, was wäre, wenn der Präsident diesen Anschlag nicht überleben würde.«

Mit einem Mal spürte Betsy einen Druck auf der Brust, sodass sie kaum noch atmen konnte. »Was wollen Sie damit sagen? Steht so ein Anschlag bevor?«

»Das weiß ich nicht.«

»Aber Sie befürchten es.«

Er gab keine Antwort, sondern presste lediglich die Lippen zusammen und ballte die Fäuste, bis seine Knöchel weiß hervortraten, als hätte er Mühe, seine Angst im Zaum zu halten.

Die rechte Presse machte die amerikanischen Geheimdienste und damit indirekt die Regierung dafür verantwortlich, dass die Bombenanschläge in Europa nicht verhindert worden waren. Und selbst gemäßigtere Medien schürten die Angst vor einem weiteren Angriff. Einem noch größeren Terrorakt, diesmal auf amerikanischem Boden.

Falls es tatsächlich dazu käme …

»Wollen Sie behaupten, ein ehemaliger Präsident würde wissentlich in Kauf nehmen, dass Terroristen eine Bombe, vielleicht sogar eine Atomwaffe in die Hände bekommen, nur weil er wieder an die Macht gelangen will?«, fragte Betsy.

»Nein, ich denke nicht, dass Eric Dunn so etwas zuzutrauen wäre. Vielmehr glaube ich, er wird benutzt, und zwar nicht nur von den Russen, sondern auch von gewissen Kräften bei uns zu Hause.«

»Kräfte in seiner eigenen Partei?«

»Ja, wahrscheinlich, aber das geht über Parteizugehörigkeit hinaus. Es gibt Menschen, die Amerikas Diversität und die Veränderungen, die sich daraus ergeben haben, verabscheuen. Sie fühlen sich ihrer Existenz beraubt und sehen darin eine Bedrohung ihrer Lebensweise. Sie betrachten sich selbst als Patrioten. Bestimmt haben Sie sie schon auf Demonstrationen gesehen. Fanatiker, Neonazis, Faschisten.«

»Ja, General, ich habe sie gesehen, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass solche Leute mit ihren Plakaten all das inszeniert haben.«

»Nein, sie sind lediglich das sichtbare Symptom. Die eigentliche Krankheit liegt tiefer. Sie geht von denjenigen aus, die Macht und Geld haben. Die ihren Besitz um jeden Preis verteidigen wollen. Und die gierig sind nach mehr.«

Denn ich hab mehr.

»In Eric Dunn haben sie die perfekte Marionette gefunden.«

»Ihr Trojanisches Pferd«, sagte Betsy.

Whitehead lächelte. »Eine gute Analogie. Hohl. Ein leeres Gefäß, in das diese Männer und Frauen ihren ganzen Ehrgeiz, ihre Empörung, ihren Hass und ihre Unsicherheit gießen konnten.«

Während Betsy ihm zuhörte, registrierte sie auch seinen Tonfall, und ihr kam ein Gedanke. »Mochten Sie Eric Dunn?«

General Whitehead schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn weder gemocht noch gehasst. Er war mein Oberbefehlshaber. Ich vermute, er war früher mal ein anständiger Mensch. Das waren die meisten. Nur wenige haben schon als Kinder das Vorhaben, ihr Land in den Ruin zu treiben.«

»Aber Sie sagten eben, diejenigen, die hinter der Sache stecken, seien gar nicht der Auffassung, dass sie dieses Land in den Ruin treiben. Im Gegenteil, sie halten sich für Patrioten, die ihr Land retten wollen.«

»Ihr Land – so betrachten sie es. Wir gegen sie. Sie sind genauso radikalisiert wie die El Kaida. Heimische Terroristen.«

Ist dieser Mann verrückt? fragte sich Betsy. Hatte er zu viele Schläge auf den Kopf bekommen? Einmal zu oft salutiert? Sah er Verschwörungen, wo es keine gab?

Sie wusste nicht, was ihr lieber gewesen wäre: dass der Vorsitzende der Vereinigten Generalstabschefs ein wahnhafter Irrer war oder dass er lediglich das aussprach, was andere nicht sehen wollten.

Dass es eine ernsthafte Bedrohung gegen ihr Land gab. Von innen.

Betsy fuhr mit dem Finger durch das Kondenswasser an ihrem Glas und wünschte, ihr Ginger Ale wäre Whisky.

»Und Beecham? Wie passt der ins Bild?«

Als Whitehead den Mund zusammenpresste, sodass man kaum noch seine Lippen sehen konnte, sagte sie: »Sie sind schon so weit gekommen. Ich muss es wissen. Welche Rolle spielt er bei der Sache?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe versucht, es über inoffizielle Kanäle herauszufinden, konnte aber nichts in Erfahrung bringen.«

»Aber Sie haben einen Verdacht.«

»Ich weiß nur, dass Tim Beecham für die Auswertung der Geheimdienstinformationen zum iranischen Atomprogramm zuständig war. Er weiß sehr viel über das Geschehen in der Region. Und er hat Verbindungen.«

»Zu Shah?«

»Warum hat die ehemalige Regierung Shahs Freilassung zugestimmt?«, fragte Whitehead.

»Was schauen Sie mich so an?«

»Wenige Monate nach Amtsantritt hat sich Dunn aus dem Atomabkommen zurückgezogen, was dem Iran freie Hand gab, mit der Entwicklung von Kernwaffen fortzufahren. Und als Nächstes hat sich unsere Regierung dafür eingesetzt, dass ein pakistanischer Waffenhändler, der nachweislich mit atomarem Material handelt, aus dem Hausarrest freikommt.«

»Hängen diese beiden Ereignisse zusammen?«, wollte Betsy wissen.

»Insofern, als beide die Gefahr der atomaren Aufrüstung weiter verschärft haben. Aber was ist das endgültige Ziel des Ganzen?«

»Wie gesagt, da fragen Sie die Falsche. Wenn Sie John Donne zitieren, kann ich Ihnen schon eher helfen.«

Whiteheads Schmunzeln währte nur kurz. »Ich weiß, dass die eine Konstante bei beiden Vorgängen Tim Beecham war.«

»Ist Ihnen klar, was Sie damit sagen?«

»Ich fürchte, ja.« Und General Whitehead sah wirklich so aus, als fürchte er sich. »Aber es gibt noch mehr.«

»Denn ich hab mehr«, murmelte Betsy und wappnete sich.

»Das ist ein besonders vertracktes Problem. Der Nahe Osten war vorher schon ein Hexenkessel, wenngleich ein halbwegs stabiler. Aber dann hat Präsident Dunn unsere Truppen aus Afghanistan abgezogen, ohne einen Plan zu entwickeln oder konkrete Bedingungen an die Taliban zu stellen. Die Folgen dieser Entscheidung hat Präsident Williams jetzt geerbt.«

Betsy musterte den ranghöchsten Militär des Landes schweigend. War ihr erster Eindruck doch korrekt gewesen? War dieser Mann ein Kriegstreiber mit Fred MacMurrays Gesicht?

»Ich weiß, es war eine kontroverse Entscheidung, aber irgendwann mussten wir die Truppen abziehen«, sagte sie. »Unsere Soldaten nach Hause holen. Ich fand, das war das einzig Gute, was Dunn während seiner Amtszeit geleistet hat.«

»Niemand hat sich so sehr gewünscht wie ich, dass unsere Soldatinnen und Soldaten endlich nach Hause kommen, das können Sie mir glauben. Und ich stimme Ihnen zu, es wurde Zeit. Das ist gar nicht der Punkt.«

»Sondern?«

»Es lief vollkommen planlos ab, ohne dass wir im Gegenzug etwas von den Afghanen bekommen hätten. Es wurden keine Strukturen geschaffen, um dafür zu sorgen, dass das, was bisher erreicht wurde, erhalten bleibt. Die hart erkämpfte Stabilität, unsere Netzwerke zur Spionageabwehr, die Antiterrorvorkehrungen. Durch Dunns Entscheidung ist ein Machtvakuum geschaffen worden, das die Taliban nur zu gerne ausfüllen.«

Betsy ließ sich gegen die Lehne der Bank sinken. »Hm. Sie sagen also, nach mehr als zwei Jahrzehnten der Kämpfe werden die Taliban wieder die Herrschaft über Afghanistan erlangen?«

»So wird es kommen. Und damit werden nicht nur die Pathan, sondern auch deren Verbündete, die El Kaida ins Land kommen. Kennen Sie die Pathan?«

»Sie haben damals Gil verschleppt.«

»Den Sohn von Außenministerin Adams, ja. Sie sind eine weit verzweigte Familie von Extremisten mit Verbindungen zu jeder Organisation in der Region, sei sie legitim oder kriminell. Die derzeitige sogenannte demokratische Regierung in Afghanistan wurde die ganze Zeit von uns unterstützt. Wenn wir jetzt ohne einen Rückzugsplan gehen …« Er hob die Hände. »Dann kommen die Ratten sofort zurück. Alle Fortschritte, die wir gemacht haben, sind dahin. Die Bürgerrechte werden wieder eingeschränkt …«

»Die Frauen und Mädchen …«

»Die glaubten, sie könnten jetzt endlich eine Ausbildung anfangen oder einen Beruf ausüben?«, führte Whitehead ihren Satz fort. »Sie werden die Hauptleidtragenden sein. Und es gibt noch mehr.«

Allmählich begann Betsy John Donne zu hassen.

»Ich höre.«

»Die Taliban brauchen Unterstützung. Verbündete in der Region. Und wer wäre da besser geeignet als Pakistan? Das Land würde fast alles tun, um zu verhindern, dass Afghanistan sich an Indien wendet.«

»Aber Pakistan ist unser Bündnispartner. Wäre das nicht gut? Ich weiß, bei so etwas gibt es immer viele Variablen, aber …«

»Pakistan spielt ein komplexes Spiel«, sagte der General. »Wo wurde Osama bin Laden aufgespürt?«

»In Pakistan.«

»Und nicht irgendwo. Nicht in einer Höhle in einer abgelegenen Bergregion. Er lebte auf einem riesigen Luxusanwesen am Rande von Abbottabad. Mitten im Land. Sie können mir nicht erzählen, dass die Regierung nichts davon wusste. Ich habe versucht, das verbindende Element zwischen all diesen Teilen zu finden, und nur eine Erklärung ergibt Sinn. Dunn war davon überzeugt, dass es politisch gesehen ein Gewinn wäre, unsere Truppen aus Afghanistan abzuziehen …«

»Ja. Wir waren alle kriegsmüde.«

»Stimmt. Und er war immerhin schlau genug, nicht zu wollen, dass Afghanistan danach im Chaos versinkt. Es hätte nicht gut ausgesehen, wenn alle Errungenschaften, alle Opfer, die wir gebracht haben, umsonst gewesen wären. Also, was tut er?«

Betsy überlegte, dann lächelte sie, jedoch ohne jede Spur von Humor. »Er wendet sich an Pakistan.«

»Oder Pakistan wendet sich diskret an ihn. Sie versprechen, Afghanistan zu kontrollieren, wollen aber eine Gegenleistung dafür. Eine zutiefst beängstigende.«

»Ach, Gott sei Dank. Zutiefst beängstigend. Ganz im Gegensatz zu dem, was Sie mir bisher erzählt haben. Also schön, raus mit der Sprache. Was wollten sie?«

General Whitehead sah sie vielsagend an.

»Bashir Shah«, sagte sie. »Sie haben den Kriegstreiber freigelassen.«

»Er ist der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen. Pakistan schützt die US-Regierung vor einem eklatanten politischen Fehltritt. Selbst wenn die Taliban zurückkehren, wird Pakistan dafür sorgen, dass die Terrororganisationen nicht zu mächtig werden. Im Gegenzug wollen sie, dass die USA grünes Licht für die Freilassung von Bashir Shah geben.«

»Und Dunn hat entweder nicht gewusst, wer Shah ist, oder es war ihm egal«, sagte Betsy. »Er hatte nur seine Wiederwahl im Kopf.«

»Und als daraus nichts wurde …«

»Sind seine Hintermänner in Panik geraten. Sie müssen ihn zurück ins Amt hieven.«

Der General nickte. Er wirkte ernst, sogar traurig, als er die Lehrerin musterte, die aussah wie eine Hausfrau aus den Fünfzigern.

Er senkte die Stimme. »Sie müssen Ihre Nachforschungen einstellen. Das sind sehr unangenehme Leute, die sehr unangenehme Dinge tun.«

»Ich bin kein Kind mehr, General Whitehead. Also reden Sie nicht so mit mir, als wäre ich eins.«

Er lächelte dünn. »Tut mir leid, Sie haben recht. Ich bin es einfach nicht gewohnt, mit Zivilisten darüber zu sprechen. Oder überhaupt mit jemandem.«

Ohne den Kopf zu bewegen, schaute er in Richtung Theke, wo gerade ein Mann Platz genommen hatte, der für Unruhe sorgte. Mehrere andere Gäste rückten von ihm ab. Er kam Betsy vage bekannt vor.

Gleich darauf wandte Whitehead sich wieder dem Gespräch zu. »Diese Leute sind Killer«, sagte er noch leiser als zuvor.

»Ja. So viel habe ich inzwischen begriffen.« Betsy sah die schreckliche Verwüstung auf der Straße in Frankfurt vor sich. »Seien Sie ganz ehrlich. Was ist das schlimmste Szenario?«

»Bashir Shah wurde auf freien Fuß gesetzt, obwohl bekannt war, dass er nukleares Know-how und Materialien für andere Länder bereitstellen kann. Er hat mächtige Verbündete in der pakistanischen Regierung und beim Militär. Sie alle würden sich eine goldene Nase verdienen. Aber …«

»Lassen Sie mich raten. Es kommt noch mehr.«

»Der wahre Albtraum ist, dass Bashir Shah Atomwaffen an Terroristen verkaufen könnte.«

Diese lapidare Feststellung hing eine Zeit lang zwischen ihnen in der Luft. Sie blickten auf den zerkratzten Tisch. Ein Tisch, an dem schon viele Geheimnisse und Komplotte besprochen worden waren, schreckliche Dinge. Aber nichts davon konnte so schrecklich gewesen sein wie dies hier.

»Können Sie sich das vorstellen?«, fragte er leise. »Eine Terrororganisation? El Kaida oder der IS mit Atomwaffen? Das ist der Albtraum.«

»Darum geht es hier?« Betsys Stimme war fast unhörbar. »Die Physiker? Die Bombenanschläge?« Sie musterte ihn einen Moment lang. »Und Tim Beecham hat dabei seine Finger im Spiel?«

»Das weiß ich nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass er an all diesen Entscheidungen beteiligt war. Auf den ersten Blick scheint es keine Verbindung zwischen ihnen zu geben, aber in Wahrheit hängen sie eng zusammen. Der Rückzug vom Atomabkommen mit dem Iran. Der planlose Abzug aus Afghanistan, der dafür sorgt, dass im Kielwasser der Taliban wieder Terroristen ins Land geschwemmt werden. Und die Freilassung von Shah. Ich vermute, das ist auch der Grund, weshalb Sie bisher nichts über Beecham finden konnten. Es gibt Unterlagen, Mails, Notizen aus Meetings, die seine Beteiligung dokumentieren. Und die mussten alle versteckt werden.«

»Dann geht es also über Beecham hinaus?«

»Auf jeden Fall. Es kann gar nicht anders sein. Ich vermute, falls Tim Beecham damit zu tun hat, ist er auch bloß eine Marionette. Ein Werkzeug. Dahinter stehen sehr viel mächtigere Menschen.«

»Wer?«

»Das weiß ich nicht.«

Diesmal glaubte sie ihm. Aber das war immer noch nicht alles. Sie sah es ihm an. Eine scheinbare Ewigkeit lang schwiegen sie, bis General Whitehead es endlich auszusprechen wagte.

»Meine Befürchtung ist, dass diese Physiker nicht vor Erledigung ihres Auftrags ermordet wurden, sondern danach.«

»Ach du lieber Himmel.«