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Woher stammt nun aber diese langher geläufige Vorstellung von der Zeit als dem Vergehen, vom Zeitlichen als dem Vergänglichen? Ist diese Kennzeichnung der Zeit wie etwas Absolutes vom Himmel gefallen? Ist sie selbstverständlich, nur weil sie längst geläufig ist? Wie kam denn diese Vorstellung von der Zeit ins Laufen? Wie gelangte sie in den Umlauf des abendländischen Denkens?

Es ist Zeit, es ist an der Zeit, diesem Wesen der Zeit und seiner Herkunft endlich nachzudenken, damit wir dorthin gelangen, wo sich zeigt, daß in aller Metaphysik etwas Wesenhaftes, nämlich ihr eigener Grund, ungedacht bleibt. Das ist der Grund, dessentwegen wir sagen müssen, daß wir noch nicht eigentlich denken, solange wir nur metaphysisch denken. Wenn die Metaphysik nach dem Wesen der Zeit fragt, wird sie vermutlich und muß sie doch wohl in der Weise fragen, die ihrer Art zu fragen überhaupt gemäß ist. Die Metaphysik fragt: ti to on; (Aristoteles): was ist das Seiende? Ausgehend vom Seienden fragt sie nach dem Sein des Seienden. Was ist am Seienden seiend? Worin besteht am Seienden dessen Sein? Mit Bezug auf die Zeit besagt dies: was ist an der Zeit eigentlich seiend? Dieser Fragestellung entsprechend wird die Zeit als etwas, das doch irgendwie ist, als etwas Seiendes vorgestellt und so auf ihr Sein hin befragt. Diese Fragestellung hat Aristoteles in seiner »Physik« Δ 1014 auf eine klassische Weise entwickelt. Die Antwort, die Aristoteles auf die von ihm gestellte Frage nach dem Wesen der Zeit gibt, bestimmt auch noch Nietzsches Zeitvorstellung. Auf die aristotelische Grundvorstellung von der Zeit, die im griechischen Denken vorgezeichnet ist, gründen sich alle nachfolgenden Zeitauffassungen. Dies schließt nicht aus sondern ein, daß sich bei den einzelnen Denkern, z. B. bei Plotin, bei Augustinus, bei Leibniz, bei Kant, bei Hegel, bei Schelling, verschiedene Auslegungsrichtungen desselben Sachverhaltes geltend machen. Wie verhält sich die Sache der Zeit? Was ist an der Zeit seiend? Sobald das metaphysische Denken diese Frage stellt, hat sich für dieses Denken bereits entschieden, was es unter »seiend« versteht, in welchem Sinn es das Wort »sein« denkt. »Seiend« heißt: anwesend. Seiendes ist um so seiender, je anwesender es ist. Es wird je und je anwesender, je bleibender es bleibt, je währender das Bleiben ist. Was ist an der Zeit anwesend und damit gegenwärtig? Gegenwärtig ist an der Zeit je nur das »jetzt« (nun, nunc). Das Künftige ist das »noch nicht jetzt«; das Vergangene ist das »nicht mehr jetzt«. Das Künftige ist das noch Abwesende, das Vergangene ist das bereits Abwesende. Seiend: anwesend an der Zeit ist je nur der schmale Grat des jeweiligen flüchtigen »jetzt«, das aus dem »noch nicht jetzt« herankommend in das »nicht mehr jetzt« weg geht. Daß man heute im Sport z. B. mit Zehntel von Sekunden, in der modernen Physik aber mit Millionstel von Sekunden rechnet, heißt nicht, daß wir die Zeit dadurch schärfer fassen und so die Zeit gewinnen, sondern dieses Rechnen ist der sicherste Weg, die wesenhafte Zeit zu verlieren, d. h. immer weniger Zeit zu »haben«. Genauer gedacht: der wachsende Zeitverlust ist nicht durch dieses Rechnen mit der Zeit verursacht, sondern: dieses Rechnen mit der Zeit begann in dem Augenblick, da der Mensch plötzlich in die Un-Ruhe kam, daß er keine Zeit mehr hatte. Dieser Augenblick ist der Beginn der Neuzeit.

Was ist an der Zeit seiend, anwesend? Das jeweilige »jetzt«. Aber das je jetzige »jetzt« west an, indem es vergeht. Zukünftiges und Vergangenes sind Nicht-Anwesendes, solches, von dem man nie einfach sagen darf, es wese an. Das Künftige und das Vergangene sind nach Aristoteles darum ein me on ti, also kein ouk on, keinesfalls ein völlig Nichtseiendes, wohl aber solches, dem es an Anwesen mangelt. Genau das Selbe sagt Augustinus z. B. in einer Erklärung des 38. Psalms, wo es heißt: Nihil de praeterito revocatur: quod futurum est transiturum exspectatur (Nichts wird vom Vergangenen zurückgerufen, was Künftiges ist, wird als Vorbeigehendes erwartet). Und hernach, an der gleichen Stelle, heißt es fast wörtlich aristotelisch von der Zeit: et est et non est (Opp. ed. Migne IV,419). Das Wesen der Zeit wird hier vom Sein her vorgestellt und zwar, was wohl zu beachten bleibt, von einer durchaus besonderen Auslegung des »Seins«, nämlich als Anwesenheit. Diese Auslegung des Seins ist uns längst als geläufige selbstverständlich geworden.

Weil Sein für alle Metaphysik seit dem Anfang des abendländischen Denkens besagt: Anwesenheit, muß das Sein, wenn es in höchster Instanz gedacht werden soll, als das reine Anwesen gedacht werden, d. h. als die anwesende Anwesenheit, als die bleibende Gegenwart, als das ständige stehende »jetzt«. Das mittelalterliche Denken sagt: nunc stans. Das aber ist die Auslegung des Wesens der Ewigkeit.

Denken wir jetzt für einen Augenblick an die Erläuterung, die Schelling dem Satz: »Wollen ist Ursein« anfügt. Darin heißt es, die Prädikate des Urseins seien unter anderem »Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit«.

Wenn in aller Metaphysik das Sein als Ewigkeit und Unabhängigkeit von der Zeit gedacht wird, dann heißt dies nichts anderes als: das Seiende ist in seinem Sein unabhängig von der Zeit, Zeit im Sinne des Vergehens vorgestellt. Das Vergängliche kann nicht der Grund des Ewigen sein. Zum eigentlich Seienden in seinem Sein gehört Unabhängigkeit von der Zeit im Sinne des Vergehens. Aber wie steht es mit der hier nicht weiter bedachten Bestimmung des Seins selbst als Anwesenheit und gar als anwesender Anwesenheit? Wie steht es mit dem Sein als Anwesenheit, von dem her doch die Zeit als das Vergehen und sogar die Ewigkeit als gegenwärtiges »jetzt« vorgestellt sind? Waltet in dieser Bestimmung des Seins nicht der Hinblick auf Anwesenheit, Gegenwart, also auf Zeit und zwar auf ein Wesen der Zeit, das wir freilich nie mit Hilfe des überlieferten Zeitbegriffes auch nur ahnen, geschweige denn denken können? Wie steht es also mit Sein und Zeit? Muß nicht das eine und das andere, Sein sowohl wie Zeit zumal, müssen nicht beide in ihrem Bezug fraglich, allererst fraglich und endlich fragwürdig werden? Zeigt sich dann aber nicht, daß im innersten Kern dessen, was als die Leitbestimmung aller abendländischen Metaphysik gilt, im Wesen des Seins etwas Wesenhaftes ungedacht geblieben ist? Durch die Frage »Sein und Zeit« ist auf das Ungedachte in aller Metaphysik gewiesen. Auf diesem Ungedachten beruht die Metaphysik; das in ihr Ungedachte ist darum kein Mangel der Metaphysik. Noch weniger läßt sich die Metaphysik deshalb, weil sie auf diesem Ungedachten beruht, für falsch erklären oder gar als ein Irrgang, ein Irrweg zurückweisen.

Die Rache ist für Nietzsche des Willens Widerwille gegen die Zeit. Dies sagt jetzt: die Rache ist des Willens Widerwille gegen das Vergehen und sein Vergangenes, gegen die Zeit und ihr »Es war«. Der Widerwille geht nicht gegen das bloße Vergehen, sondern gegen das Vergehen, insofern es das Vergangene nur noch vergangen sein, es in die Erstarrung dieses Endgültigen einfrieren läßt. Der Widerwille der Rache geht gegen die Zeit, insofern sie alles in das »Es war« aufgehen läßt und so das Gehen vergehen läßt. Der Widerwille der Rache richtet sich nicht gegen das bloße Gehen der Zeit, sondern gegen ihr Vergehenlassen des Gehens im Vergangenen, gegen das »Es war«. An dieses »Es war« bleibt der Widerwille der Rache gekettet; so wie auch in allem Haß sich die abgründigste Abhängigkeit von dem verbirgt, wovon der Haß sich im Grunde ständig unabhängig machen möchte, was er jedoch nie kann und immer weniger kann, je mehr er haßt.

Was ist aber dann die Erlösung von der Rache, wenn die Rache den Menschen an das verfestigte Vergangene kettet? Die Erlösung ist die Lösung von dem, was dem Widerwillen der Rache zuwider ist. Die Erlösung von der Rache ist nicht die Befreiung vom Willen überhaupt. In diesem Falle führt die Erlösung als Aufhebung des Wollens, da der Wille das Sein ist, in das nichtige Nichts. Die Erlösung von der Rache ist die Befreiung vom Widrigen für den Willen, damit er gerade erst Wille sein kann.

Wann ist das, was für den Willen das Widrige bleibt, das »Es war«, beseitigt? Nicht dann, wenn es überhaupt kein Vergehen mehr gibt. Die Zeit läßt sich für den Menschen nicht beseitigen. Wohl aber schwindet das Widrige für den Willen dann, wenn das Vergangene nicht im bloßen »Es war« erstarrt und als dieses Starre unbeweglich dem Wollen entgegen starrt. Das Widrige verschwindet, wenn das Vergehen kein bloßes Vergehenlassen ist, wodurch das Vergangene in das bloße »Es war« versinkt. Der Wille wird frei von diesem Widrigen, wenn er als Wille frei wird, d. h. frei für das Gehen im Vergehen, aber für ein solches Gehen, das dem Willen nicht entgeht, sondern wieder kommt, indem es das Gegangene wiederbringt. Der Wille wird frei vom Widerwillen gegen die Zeit, gegen ihr bloß Vergangenes, wenn er von allem das Gehen und das Kommen, wenn er von allem dies Gehen und Wiederkommen ständig will. Der Wille wird frei vom Widrigen des »Es war«, wenn er die ständige Wiederkehr von allem »Es war« will. Der Wille ist erlöst vom Widerwillen, wenn er die ständige Wiederkehr des Gleichen will. So will der Wille die Ewigkeit des Gewollten. Der Wille will die Ewigkeit seiner selbst. Wille ist Ursein. Das höchste Produkt des Urseins ist die Ewigkeit. Das Ursein des Seienden ist der Wille als das ewig wiederkehrende Wollen der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die ewige Wiederkehr des Gleichen ist der höchste Triumph der Metaphysik des Willens, der ewig sein Wollen selbst will. Die Erlösung von der Rache ist der Übergang vom Widerwillen des Willens gegen die Zeit und ihr »Es war« zum Willen, der ewig die Wiederkehr des Gleichen will und in diesem Wollen sich selbst als den Grund seiner selbst. Die Erlösung von der Rache ist der Übergang zum Ursein alles Seienden.

Hier wird eine Zwischenbemerkung nötig, die freilich eine bloße Bemerkung bleiben muß. Als Wille der ewigen Wiederkehr des Gleichen kann der Wille zurückwollen. Denn er trifft hier nie auf ein festliegendes Vergangenes, das er nicht mehr wollen könnte. Der Wille der ewigen Wiederkehr des Gleichen befreit das Wollen von der Möglichkeit, auf Widriges zu stoßen. Denn der Wille der ewigen Wiederkehr des Gleichen will im vorhinein und im Ganzen das Zurück, das heißt die Rück- und Wiederkehr. Die christliche Glaubenslehre kennt eine andere Weise, in der das »Es war« zurückgewollt werden kann, das ist die Reue. Aber diese Reue trägt nur soweit, wie sie tragen soll, zur Erlösung vom »Es war«, wenn sie als Reue im Wesenszusammenhang mit der Vergebung der Sünde bleibt und somit überhaupt und zum voraus auf die Sünde bezogen ist. Sünde aber ist etwas wesentlich anderes als eine moralische Verfehlung. Sünde gibt es nur im Bereich des Glaubens. Sünde ist der Unglaube, der Aufstand gegen Gott als den Erlöser. Wenn die Reue im Verein mit der Sündenvergebung und nur so das Vergangene zurückwollen kann, bleibt auch dieses Zurückwollen der Reue, vom Denken her vorgestellt, metaphysisch bestimmt und ist nur so möglich, d. h. durch den Bezug auf den ewigen Willen des erlösenden Gottes. Daß jedoch Nietzsche den christlichen Weg der Reue nicht geht, hängt mit seiner Auslegung der Christlichkeit und des Christentums zusammen. Diese aber gründet in seiner Auffassung von der Rache und ihrer Tragweite für alles Vorstellen. Nietzsches Auslegung der Rache jedoch gründet darin, daß alles aus dem Bezug zum Sein als Wille gedacht ist.

Die Erlösung von der Rache ist die Brücke, über die der Hinübergehende geht. Wohin geht der Hinübergehende? Er geht auf das zu, was keinen Raum mehr läßt für die Rache als den Widerwillen gegen das nur Vergehende. Der Hinübergehende geht auf den Willen zu, der die ewige Widerkehr des Gleichen will, auf den Willen, der als dieser Wille das Ursein alles Seienden ist.

Der Übermensch geht über den bisherigen Menschen hinaus, indem er in den Bezug zum Sein eingeht, das als Wille der ewigen Wiederkehr des Gleichen ewig sich selber will und nichts außerdem. Der Übermensch geht auf die ewige Wiederkehr des Gleichen zu, und zwar deshalb, weil sein Wesen von daher stammt. Nietzsche prägt das Wesen des Übermenschen in die Gestalt des Zarathustra. Wer ist Zarathustra? Er ist der Lehrer der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die Metaphysik des Seins des Seienden im Sinne der ewigen Wiederkehr des Gleichen ist der tragende Grund des Buches »Also sprach Zarathustra«. Schon in den frühen Entwürfen zum IV. Teil und Abschluß des Werkes aus dem Jahre 1883 sagt Nietzsche es klar (XII, 400 f., vgl. 397): »Zarathustra verkündet die Lehre der Wiederkunft.« »Zarathustra erzählt aus dem Glück des Übermenschen heraus das Geheimnis, daß alles wiederkehrt.«

Zarathustra lehrt die Lehre vom Übermenschen, weil er der Lehrer der ewigen Wiederkunft des Gleichen ist. Zarathustra lehrt beide Lehren »zugleich« (XII,401), denn sie gehören in ihrem Wesen zusammen. Weshalb gehören sie zusammen? Nicht weil sie diese besonderen Lehren sind, sondern weil in diesen beiden Lehren das zugleich gedacht ist, was anfänglich zusammengehört und deshalb unumgehbar zusammengedacht wird, das Sein des Seienden und sein Bezug zum Wesen des Menschen.

Dieses aber, nämlich der Bezug des Seins zum Menschenwesen als Beziehung dieses Wesens zum Sein ist hinsichtlich seines Wesens und seiner Wesensherkunft noch nicht bedacht. Deshalb vermögen wir dies alles auch noch nicht zureichend und gemäß zu benennen. Aber weil die Beziehung von Sein und Menschenwesen alles trägt, insofern sie das Erscheinen des Seins sowohl wie das Wesen des Menschen zum Austrag bringt, deshalb muß diese Beziehung schon am Anfang der abendländischen Metaphysik zur Sprache kommen. Sie ist genannt in den Hauptsätzen, die Parmenides und Heraklit sagen. Was sie sagen, steht nicht nur am Anfang, sondern es ist der Anfang des abendländischen Denkens selber, der Anfang, den wir immer noch allzu unbefangen, allzu unangefangen, nur historisch vorstellen.

In den Bezug des Seins zum Menschenwesen müssen wir Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen und vom Übermenschen zurückdenken, um beide Lehren aus ihrem einheitlichen fragwürdigen Grunde bedenken zu können. Erst von hier aus ermessen wir ganz, was es heißt, daß Nietzsches Auslegung des Wesens der Rache metaphysisch sei. Das Wesen der Rache als Wille und als Widerwille gegen das Vergehen ist vom Willen als dem Ursein her gedacht, vom Willen, der sich als die ewige Wiederkehr des Gleichen ewig selbst will. Dieser Gedanke trägt und bestimmt die innere Bewegung des Werkes »Also sprach Zarathustra«. Es bewegt sich im Stil der ständig wachsenden Zögerung und Verzögerung. Dieser Stil ist kein literarisches Instrument; er ist nichts geringeres als der Bezug des Denkers zum Sein des Seienden, das zur Sprache kommen muß. Nietzsche dachte bereits den Gedanken der ewigen Wiederkehr des Gleichen, als er sein 1882 erschienenes Buch »Die fröhliche Wissenschaft« schrieb. Im vorletzten Stück n. 341 »Das größte Schwergewicht« ist der Gedanke zum erstenmal ausgesprochen; das letzte Stück »Incipit tragoedia« enthält bereits den Beginn des im folgenden Jahr erscheinenden ersten Teils von »Also sprach Zarathustra«. In diesem Buch aber wird der tragende Gedanke erst im III. Teil gesagt, nicht als ob Nietzsche diesen Gedanken bei der Niederschrift des I. und II. Teils noch nicht gedacht hätte. Der Gedanke der ewigen Wiederkehr des Gleichen wird im III. Teil sogleich am Beginn im 2. Stück genannt, das mit guten Gründen überschrieben ist: »Vom Gesicht und Rätsel«. Der voraufgegangene II. Teil aber hatte geschlossen mit dem Stück »Die stillste Stunde«, wo es heißt: »Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: ‘Was liegt an dir, Zarathustra! Sprich dein Wort und zerbrich!’«. Der Gedanke der ewigen Wiederkehr des Gleichen ist Nietzsches schwerster Gedanke in einem doppelten Sinne; er ist am schwierigsten zu denken und er hat das größte Schwergewicht. Er ist am schwersten zu ertragen. Wenn wir uns darum nach jeder Hinsicht hüten, diesen schwersten Gedanken Nietzsches im geringsten zu leicht zu nehmen, so werden wir doch fragen: bringt der Gedanke der ewigen Wiederkehr des Gleichen, bringt diese selbst die Erlösung von der Rache?

Eine Aufzeichnung, die nach der Handschrift aus dem Jahre 1885, spätestens Anfang 1886, stammt, trägt den unterstrichenen Titel »Recapitulation«. Diese wiederholende Zusammenfassung der Metaphysik Nietzsches steht im »Willen zur Macht« als n. 617. Hier heißt es: »Daß Alles wiederkehrt, ist die extremste Annäherung einer Welt des Werdens an die des Seins: – Gipfel der Betrachtung

Aber dieser Gipfel ragt nicht in klaren und festen Umrissen in die Helle des durchsichtigen Äthers. Dieser Gipfel bleibt in schwere Wolken gehüllt – nicht nur für uns, sondern für Nietzsches eigenes Denken. Die Gründe dafür liegen nicht in einem Unvermögen Nietzsches, wenngleich er bei den verschiedenen Versuchen, die ewige Wiederkehr des Gleichen als das Sein alles Werdens nachzuweisen, auf seltsame Abwege getrieben wurde. Die Sache selbst, die mit dem Titel »Die ewige Wiederkehr des Gleichen« genannt wird, ist in ein Dunkel gehüllt, vor dem sogar Nietzsche zurückschrecken mußte. In den frühesten Vorarbeiten zum IV. Teil von »Also sprach Zarathustra« findet sich die Aufzeichnung, die in Wahrheit das Leitwort für die Art der Schriften enthält, die Nietzsche selbst nach dem Zarathustra noch veröffentlicht hat.

Hier heißt es: »Wir schufen den schwersten Gedanken, – nun laßt uns das Wesen schaffen, dem er leicht und selig ist! … Die Zukunft feiern, nicht die Vergangenheit. Den Mythus der Zukunft dichten! In der Hoffnung leben! Selige Augenblicke! Und dann wieder den Vorhang zuhängen und die Gedanken zu festen, nächsten Zielen wenden!« (XII,400)

Der Gedanke der ewigen Wiederkehr des Gleichen bleibt verhangen – nicht nur durch einen Vorhang. Aber das Dunkle dieses letzten Gedankens der abendländischen Metaphysik darf uns nicht dazu verleiten, durch Ausflüchte ihm auszuweichen. Der Ausflüchte gibt es im Grunde nur zwei: entweder sagt man, dieser Gedanke Nietzsches von der ewigen Wiederkehr des Gleichen sei eine Art Mystik und gehöre nicht vor das Denken. Oder man sagt: dieser Gedanke ist schon uralt und läuft auf die zyklische Vorstellung von der Welt hinaus, die sich unter anderem in den Fragmenten des Heraklit nachweisen läßt. Diese zweite Auskunft sagt, wie alle Auskünfte ihrer Art, überhaupt nichts. Denn was soll dies helfen, wenn man von einem Gedanken feststellt, daß er »schon« bei Leibniz und sogar »schon« bei Platon sich findet, wenn man das von Leibniz und von Platon Gedachte in der selben Dunkelheit stehen läßt wie den Gedanken, den man durch solche Verweisungen für geklärt hält!

Was jedoch die erste Ausflucht angeht, nach der Nietzsches Gedanke von der ewigen Wiederkehr des Gleichen eine phantastische Mystik sei, so würde die kommende Zeit wohl, wenn das Wesen der modernen Technik ans Licht kommt, das heißt: die ständig rotierende Wiederkehr des Gleichen, den Menschen darüber belehrt haben, daß die wesentlichen Gedanken der Denker dadurch nichts von ihrer Wahrheit verlieren, daß man es unterläßt, sie zu denken.

Im Gedanken der ewigen Wiederkehr des Gleichen denkt Nietzsche das, wovon Schelling sagt, daß alle Philosophie dahin strebe, nämlich für das Ursein als Wille den höchsten Ausdruck zu finden. Eines freilich bleibt für jeden Denker zu bedenken. An Nietzsches Versuch, das Sein des Seienden zu denken, wird uns Heutigen in einer fast aufdringlichen Weise deutlich, daß alles Denken, d. h. der Bezug zum Sein, schwierig bleibt. Aristoteles kennzeichnet dieses Mühsame in folgender Weise (1. Kap. des II. Buches der Metaphysik): hosper gar ta ton nukteridon ommata pros to phengos echei to meth’ hemeran, houto kai tes hemeteras psyches ho nous pros ta te physei phanerotata panton (993 b, 911). »Wie nämlich die Augen der Nachtvögel sich zum scheinenden Licht des Tages verhalten, so auch verhält sich das Vernehmen, das unserem Wesen eignet, zu dem, was von sich her – seinem Anwesen nach – das Scheinendste von allem ist« (nämlich das Anwesen selber alles Anwesenden). Das Sein des Seienden ist das Scheinendste; und doch sehen wir es gewöhnlich überhaupt nicht – und wenn, dann nur mit Mühe.