Nietzsches Denken gilt der Erlösung vom Geist der Rache. Sein Denken gilt einem Geist, der als Freiheit von der Rache vor jeder bloßen Verbrüderung, aber auch vor allem Nur-bestrafen-wollen, vor aller Friedensbemühung und vor jedem Betreiben des Krieges liegt, vor dem Geist, der die Pax, den Frieden, durch Pakte begründen und sichern will. Der Raum dieser Freiheit von der Rache liegt ebenso vor jedem Pazifismus wie vor jeder Gewaltpolitik. Er liegt ebenso vor jedem schwächlichen Gleitenlassen der Dinge und dem Sichdrücken um das Opfer, wie vor dem blinden Handeln um jeden Preis. Im Raum der Freiheit von der Rache sieht Nietzsche das Wesen des Übermenschen. Auf diesen Raum geht der Hinübergehende zu – der Übermensch, »Caesar mit der Seele Christi«.
Dem Geist der Freiheit von der Rache gilt Nietzsches angebliche Freigeisterei. Wenn wir auch nur im Ungefähren diesen Grundzug seines Denkens beachten, muß das bisherige Bild von Nietzsche, das bereits in das gängige Meinen eingedrungen ist, in sich zerfallen.
Wir versuchen, den Weg des Hinübergehenden und somit den Übergang vom letzten Menschen zum Übermenschen zu kennzeichnen. Wir fragen nach der Brücke vom einen zum anderen. Die Brücke ist nach dem eigenen Wort Nietzsches die Erlösung von der Rache.
Nun könnte man meinen, die Frage nach der Rache und die nach der Erlösung von ihr sei eine Sonderfrage der Moral und der moralischen Erziehung; die Zergliederung jedoch der Rachsucht als des Grundzugs des bisherigen Menschen, des bisherigen Denkens sei eine Aufgabe der »Psychologie«. In der Tat bewegen sich Nietzsches Erörterungen dem Wortlaut und sogar den Titeln nach in den überlieferten Vorstellungsbezirken der Moral und der Psychologie. Der Sache nach denkt jedoch Nietzsche das, was unter die Titel »Moral« und »Psychologie« fällt, überall von der Metaphysik her, d. h. im Hinblick auf die Frage, wie das Sein des Seienden im Ganzen sich bestimme und den Menschen angehe. »Moral« und »Psychologie« sind im Metaphysischen gegründet. Zur Rettung des Menschenwesens vermag die Psychologie für sich genommen, auch als Psychotherapie, nichts; Moral vermag als bloße Lehre und Forderung nichts, wenn nicht der Mensch zuvor in ein anderes Grundverhältnis zum Sein gelangt, wenn der Mensch nicht von sich aus, soweit es an ihm liegen darf, sich dahin aufmacht, sein Wesen überhaupt erst einmal offen zu halten in die wesenhaften Bezüge zum Sein, gleichviel, ob dieses sich ihm eigens zuspricht oder den Menschen noch sprachlos, weil schmerzlos sein läßt. Aber schon dann, wenn wir auch nur dieses »sprachlos und schmerzlos sind wir« durch- und austragen, sind wir im Wesen schon offen für den Anspruch des Seins. Aber selbst diese Offenheit für das Sein, die das Denken vorbereiten kann, vermag für sich nichts zur Rettung des Menschen. Für diese ist die eigentliche Offenheit des Bezugs zum Sein zwar notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Doch gerade dann, wenn das Denken bei seinem Leisten bleibt, nämlich den Nebel gegenüber dem Seienden als solchem aufzureißen, muß es darauf denken, daß dieser Riß nicht überdeckt wird. Hegel hat dies einmal, wenngleich in der bloß metaphysischen Hinsicht und Dimension, so ausgedrückt: »Ein geflickter Strumpf besser als ein zerrissener; nicht so das Selbstbewußtsein«. Der gesunde, auf den Nutzen gerichtete Menschenverstand steht auf der Seite des »geflickten« Strumpfes. Die Besinnung auf den Bereich dagegen, worin das Seiende sich zeigt – er ist für die neuzeitliche Philosophie die Subjektivität –, steht auf der Seite der Zerrissenheit – nämlich des Bewußtseins. Dieses Zerrissene ist durch seinen Riß offen für den Einlaß des Absoluten. Für das Denken gilt: Die Zerrissenheit hält den Weg offen in das Metaphysische.
In den weitesten Bereich der Metaphysik müssen wir Nietzsches Denken über die Rache und die Erlösung von der Rache zum voraus verlegen, ja sogar in den Kernbezirk dieses Bereiches. Ein Hinweis darauf muß hier notgedrungen im Groben verbleiben und im ständigen Bezug zu dem Wort von der wachsenden Wüste.
Wir gelangen mit einem solchen Hinweis freilich auf Schritt und Tritt und d. h. bei jedem Satz in ein schwieriges Gelände, das jedoch nicht abseits in den fast luftleeren Räumen toter Begriffe und ausschweifender Abstraktionen liegt. Dieses Gelände liegt in einem Land, auf dessen Boden sich alle Bewegungen unseres modernen Zeitalters vollziehen. Daß man diesen Boden, geschweige denn das Land nicht sieht oder besser gesagt, nicht sehen will, ist noch kein Beweis dafür, daß sie nicht sind.
Um zu erkennen, daß und inwiefern Nietzsche die Rache und die Erlösung von der Rache im vorhinein metaphysisch denkt, d. h. aus dem Sein, das alles Seiende bestimmt, müssen wir darauf achten, in welcher Wesensprägung das Sein des Seienden in der Epoche der Neuzeit erscheint. Die gemeinte Wesensprägung des Seins kommt in einer klassischen Form durch wenige Sätze zur Sprache, die Schelling im Jahre 1809 in seinen »Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände« niedergelegt hat. Die folgenden drei Sätze sind im Text gegen das Voraufgehende ausdrücklich durch einen Gedankenstrich abgesetzt und dadurch noch eigens in ihrer grundsätzlichen Bedeutung herausgehoben. Die Sätze lauten:
»Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Sein als Wollen. Wollen ist Ursein, und auf dieses allein [nämlich das Wollen] passen alle Prädikate desselben [nämlich des Urseins]: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung. Die ganze Philosophie strebt nur dahin, diesen höchsten Ausdruck zu finden« (WW. Abt. I, Bd. VII, 350 Ende).
Schelling findet die Prädikate, die das Denken der Metaphysik von altersher dem Sein zuspricht, nach ihrer letzten und höchsten und somit vollendeten Gestalt im Wollen. Der Wille dieses Wollens ist jedoch hier nicht gemeint als Vermögen der menschlichen Seele, sondern das Wort »Wollen« nennt hier das Sein des Seienden im Ganzen. Jedes Seiende und das Seiende im Ganzen hat das Vermögen seines Wesens im Willen und durch den Willen. Das klingt für uns befremdlich; es bleibt auch befremdlich, solange uns die wesentlichen und einfachen Gedanken der abendländischen Metaphysik fremd bleiben, d. h. solange wir die Gedanken nicht denken, sondern immer nur über sie berichten. Man kann z. B. die Aussagen von Leibniz über das Sein des Seienden auf das genaueste historisch feststellen und gleichwohl nicht das mindeste von dem erkennen, was er dachte, als er das Sein des Seienden von der Monade aus und diese als Einheit von perceptio und appetitus, als Einheit von Vorstellen und Anstreben bestimmte. Was Leibniz hier denkt, kommt bei Kant und Fichte als der Vernunftwille zur Sprache, dem Hegel und Schelling, jeder auf seinem Weg, nachdenken. Das Selbe nennt und meint Schopenhauer, wenn er die Welt als Wille und Vorstellung denkt; das Selbe denkt Nietzsche, wenn er das Ursein des Seienden als Wille zur Macht bestimmt. Daß hier überall durchgängig das Sein des Seienden als Wille erscheint, beruht nicht auf Ansichten, die einige Philosophen vom Sein sich bilden. Was dieses Erscheinen des Seins als Wille bedeutet, das kann man durch keine Gelehrsamkeit ausfindig machen. Es läßt sich nur durch ein Denken erfragen und nur denkend in seiner Fragwürdigkeit würdigen und d. h. als Gedachtes im Gedächtnis bewahren.
Das Sein des Seienden erscheint für die neuzeitliche Metaphysik als Wille. Insofern aber der Mensch seinem Wesen nach als das denkende Tier vorstellenderweise auf das Seiende in seinem Sein und damit auf dieses bezogen und dadurch vom Sein her bestimmt wird, muß diesem Bezug des Seins (d. h. jetzt des Willens) zum Menschenwesen gemäß auch das Menschsein auf betonte Weise als ein Wollen erscheinen.
Wie denkt nun Nietzsche das Wesen der Rache, wenn er sie metaphysisch denkt? Wir erläutern die Frage durch die folgende: Welchen Wesens ist die Rache, wenn sie als Nachstellen alles Vorstellen bestimmt? Das Vor-stellen stellt das zu, was ist. Es stellt und setzt fest, was als seiend gelten darf. Die Bestimmung dessen, was ist, steht so in gewisser Weise unter der Botmäßigkeit eines Vorstellens, das allem nachstellt, um es nach seiner Weise aufzustellen und im Stand zu halten.
Als das, was ist, gilt von altersher das Anwesende. Wie aber steht es mit dem Vorstellen dessen, was in gewisser Weise nicht mehr ist und doch noch ist? Wie steht es mit dem Vorstellen dessen, was war? An dem »es war« stößt sich das Vorstellen und sein Wollen. Gegenüber dem, was »war« kann das Wollen nichts mehr ausrichten. Gegenüber allem »es war« hat das Wollen nichts mehr zu bestellen. Dieses »es war« widersetzt sich dem Wollen des genannten Willens. Das »es war« wird zum Stein des Anstoßes für alles Wollen. Es ist derjenige Stein, den der Wille nicht mehr wälzen kann. So wird das »es war« zur Trübsal und zum Zähneknirschen jeden Wollens, das, als ein solches, immer vorwärts will und gerade dies nicht kann gegenüber dem, was als vergangen fest- und zurückliegt. Das »es war« ist so das Widrige für alles Wollen. Darum steht im Willen selber angesichts dieses Widrigen der Widerwille auf gegen das »es war«. Durch diesen Widerwillen nistet sich aber das Widrige im Wollen selbst ein. An diesem Widrigen in ihm selbst trägt das Wollen schwer; es leidet an diesem Widrigen, d. h. der Wille leidet an sich selber. Das Wollen erscheint sich selber als dieses Leiden an dem »es war«, als das Leiden am Vergangenen. Doch das Vergangene entstammt dem Vergehen. Insofern der Wille am Vergehen leidet, als dieses Leiden jedoch gerade er selbst, nämlich der Wille ist, bleibt der Wille in seinem Wollen dem Vergehen überantwortet. Der Wille will so das Vergehen selbst. Er will damit das Vergehen seines Leidens und somit das Vergehen seiner selbst. Der Widerwille gegen alles »es war« erscheint als der Wille zum Vergehen, der will, daß alles wert sei, daß es vergehe. Der im Willen erstehende Widerwille ist so der Wille gegen alles, was vergeht, d. h. was entsteht, was aus Entstehen zu einem Stand kommt und besteht. Der Wille ist so ein Vorstellen, das allem, was geht und steht und kommt, im Grunde nachstellt, um es in seinem Stand herabzusetzen und schließlich zu zersetzen. Dieser Widerwille im Willen selber ist nach Nietzsche das Wesen der Rache.
»Dies, ja dies allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr ‘Es war’.« (Also sprach Zarathustra, II. Teil, Von der Erlösung)
Aber die Rache nennt sich niemals selbst bei ihrem eigenen Namen, am wenigsten dort, wo sie sich gerade rächt. Die Rache nennt sich »Strafe«. Sie setzt dadurch ihr feindseliges Wesen in den Schein des Rechtes. Sie verdeckt ihr widerwilliges Wesen durch den Schein der Zuweisung des Verdienten.
»‘Strafe’ nämlich, so heißt sich die Rache selber: mit einem Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes Gewissen« (a. a. O.).
Inwiefern hinter diesen Aussagen Nietzsches über Rache und Strafe, Rache und Leid, Rache und Erlösung von der Rache die unmittelbare Auseinandersetzung mit Schopenhauer steht und mittelbar diejenige mit allen weltverneinenden Haltungen, ist hier nicht zu erörtern. Unser Augenmerk müssen wir auf anderes richten, damit wir die Tragweite des Gedankens von der Rache überblicken und von hier aus erkennen, wo Nietzsche die Erlösung von der Rache eigentlich sucht. So werden die Grenzen sichtbar, innerhalb deren Nietzsche die Rache denkt. Hierdurch erst verdeutlicht sich der Bereich seines Denkens im ganzen. So muß sich dann zeigen, inwiefern Nietzsche doch das Sein des Seienden im Ganzen bedenkt, wenn er von der Rache spricht. Es muß sich zeigen, daß Nietzsche überhaupt nichts anderes bedenkt als das Sein des Seienden, wenn er den Geist der Rache und die Erlösung von der Rache bedenkt. Ist all dem so, dann führt uns Nietzsches Frage nach der Rache, recht bedacht, in die Grundstellung seines Denkens, d. h. in den Kernbezirk seiner Metaphysik. Gelangen wir dahin, dann sind wir in dem Bereich, aus dem das Wort: »Die Wüste wächst …« gesprochen ist. Wenn der Geist der Rache aber alles bisherige Denken bestimmt, dieses Denken jedoch in seinem Wesen Vor-stellen ist, dann muß sich von hier aus eine weite Sicht auf das Wesen des Vorstellens auftun. Der Ausblick wird frei auf das, worin sich das bisherige Denken bewegt, auch noch das Denken Nietzsches.
Um zu sehen, wie weit Nietzsches Gedanke von der Rache metaphysisch trägt, oder besser gesagt, getragen wird, ist es nötig, zu beachten, wie er das Wesen der Rache sieht und bestimmt. Nietzsche sagt:
»Dies, ja dies allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr ‘Es war’.«
Daß eine Kennzeichnung der Rache auf das Widerwärtige und Widersetzliche an ihr und somit auf das Widerwillige abhebt, scheint die Sache zu fordern. Aber Nietzsche denkt weiter. Er sagt nicht einfach: Rache ist Widerwille, so wie wir den Haß als etwas Widersetzliches und Herabsetzendes kennzeichnen. Nietzsche sagt: Rache ist des Willens Widerwille. Indessen wurden wir schon darauf hingewiesen, daß Wille in der Sprache der neuzeitlichen Metaphysik nicht nur das menschliche Wollen meint, sondern daß »Wille« und »Wollen« der Name für das Sein des Seienden im Ganzen ist. Nietzsches Kennzeichnung der Rache als »des Willens Widerwille« trägt diese in den Bezug zum Sein des Seienden. Daß dem so ist, wird vollends klar, wenn wir darauf achten, wogegen des Willens Widerwille eigentlich will: Rache ist: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr »Es war«.
Beim ersten, auch beim zweiten und noch beim dritten Lesen dieser Wesensbestimmung der Rache wird man die Beziehung der Rache auf »die Zeit« für überraschend, für unverständlich und schließlich für willkürlich halten. Man muß dies sogar. Man muß es so lange, als man außer acht läßt, einmal: wohin hier das Wort »Wille« weist, sodann: was hier der Name »Zeit« meint. Doch Nietzsche gibt selbst die Antwort auf die Frage, wie er das Wesen der Zeit denkt. Nietzsche sagt: Rache ist »des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr ‘Es war’.« Wir müssen diesen Satz Nietzsches so sorgfältig durchdenken, als hätten wir einen Satz des Aristoteles vor uns. Und wir haben sogar, was die Wesensbestimmung der Zeit betrifft, einen Satz des Aristoteles vor uns. Gewiß hat Nietzsche sich dessen nicht erinnert, als er den Satz niederschrieb. Die Bemerkung soll auch nicht sagen, Nietzsche sei von Aristoteles abhängig. Ein Denker hängt nicht von einem Denker ab, sondern er hängt, wenn er denkt, dem zu-Denkenden, dem Sein, an. Und nur insoweit er dem Sein anhängt, kann er für das Einfließen des schon Gedachten der Denker offen sein. Es bleibt darum das ausschließliche Vorrecht der größten Denker, sich beeinflussen zu lassen. Die Kleinen dagegen leiden lediglich an ihrer verhinderten Originalität und verschließen sich deshalb dem weither kommenden Ein-Fluß. Nietzsche sagt: Rache ist »des Willens Widerwille gegen die Zeit …« Es heißt nicht: gegen etwas Zeitliches; es heißt nicht: gegen einen besonderen Charakter an der Zeit, sondern es heißt schlechthin: Widerwille gegen die Zeit. Allerdings folgen sogleich die Worte nach: »gegen die Zeit und ihr ‘Es war’.« Dies besagt doch: und gegen das ‘Es war’ an der Zeit. Man wird darauf hinweisen, daß zur Zeit nicht nur das »es war« gehört, sondern auch das »es wird sein« und auch das »es ist jetzt«. Gewiß. Zur Zeit gehört nicht nur Vergangenheit, sondern auch Zukunft und Gegenwart. Also meint Nietzsche, wenn er auf das »es war« abhebt, die Zeit doch in einer besonderen Hinsicht und keineswegs »die« Zeit als solche schlechthin. Aber wie ist es mit »der Zeit«? Sie ist doch kein Paket, worin Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart nur zusammengepackt sind. Die Zeit ist kein Pferch, in den das »nicht mehr jetzt«, das »noch nicht jetzt« und das »jetzt« zusammengesperrt sind. Wie steht es mit »der« Zeit? Es steht so mit ihr, daß sie geht. Und sie geht, indem sie vergeht. Das Gehen der Zeit ist freilich ein Kommen, aber ein Kommen, das geht, indem es vergeht. Das Kommende der Zeit kommt nie, um zu bleiben, sondern um zu gehen. Das Kommende der Zeit ist immer schon mit dem Zeichen des Vorbeigehens und des Vergehens gezeichnet. Darum gilt das Zeitliche schlechthin als das Vergängliche. Darum nennt das »Es war« nicht nur einen Abschnitt der Zeit neben den beiden anderen, sondern: die eigentliche Mitgift, die die Zeit vergibt und hinterläßt, ist das Vergangene, das »Es war«. Die Zeit vergibt nur das, was sie hat. Und sie hat nur das, was sie selber ist.
Wenn Nietzsche also sagt: Rache ist »des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr ‘Es war’«, dann hebt er mit dem »Es war« nicht eine vereinzelte Bestimmung von der Zeit ab, sondern er kennzeichnet die Zeit im Hinblick auf das, was sie in ihrem ganzen Zeitwesen auszeichnet. Das ist das Vergehen. Mit dem »und« in der Wendung »die Zeit und ihr ‘Es war’« leitet Nietzsches Satz nicht zur bloßen Anfügung von etwas Besonderem über, sondern dieses »und« bedeutet hier soviel wie: »und das heißt«. Rache ist des Willens Widerwille gegen die Zeit und das heißt: gegen das Vergehen und dessen Vergangenes.
Diese Kennzeichnung der Zeit als Vergehen, als Ab-Fließen des Nacheinander, als An- und Wegrollen jedes »jetzt«, aus dem »noch nicht ‘jetzt’« in das »nicht mehr ‘jetzt’« und demzufolge die Kennzeichnung des Zeitlichen als des Vergänglichen – dies alles in einem prägt die in der gesamten Metaphysik des Abendlandes geläufige Vorstellung von »der« Zeit.