Appendix 1
Proserpina. Ein Monodram | Proserpina: A Monodrama |
Johann Wolfgang von Goethe | Johann Wolfgang von Goethe |
Eine öde, felsigte Gegend, Höhle im Grund, auf der einen Seite ein Granatbaum mit Früchten. |
A desolate, rocky region, a cave in the background, on one side a pomegranate tree with fruit. |
PROSERPINA Halte! Halt einmal, Unselige! Vergebens Irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her! Endlos hegen vor dir die Trauergefilde, Und was du suchst, hegt immer hinter dir. |
PROSERPINA: Stop! Stop, you poor wretch! In vain you wander Here and there in these inclement wastes! Endless the fields of sorrow lie before you And what you seek forever lies behind you. |
Nicht vorwärts, Aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen! Die schwarze Höhle des Tartarus Verwölbt die lieben Gegenden des Himmels, In die ich sonst Nach meines Ahnherrn froher Wohnung Mit Liebesblick hinaufsah! Ach! Tochter du des Jupiters, Wie tief bist du verloren! |
Neither forward Nor upward shall this glance rise! The black cave of Tartarus enshrouds with Cloudy cover the dear regions of heaven To which I would Look up to see with loving eyes My ancestor’s happy dwelling! Alas, daughter of Jupiter, How deeply you are lost! |
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Gespielinnen! Als jene blumenreiche Täler Für uns gesamt noch blühten, Als an dem himmelklaren Strom des Alpheus Wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten, Einander Kränze wanden Und heimlich an den Jüngling dachten, Dessen Haupt unser Herz sie widmete, Da war uns keine Nacht zu tief zum Schwätzen, Keine Zeit zu lang, Um freundliche Geschichten zu wiederholen, Und die Sonne Riß leichter nicht aus ihrem Silberbette Sich auf, als wir, voll Lust zu leben, Früh im Tau die Rosenfüße badeten. |
Playmates! When those valleys, rich in flowers, Still blossomed for us all, When we splashed and laughed in the evening Sun by the heavenly clear stream of Alpheus, Wove garlands for each other, And secretly recalled the youth To whom our heart dedicated them: Then no night was too deep for our conversation, no hour too long For the retelling of friendly stories, And the sun Did not rise more easily out of its silver bed Than we returned early, full of joy for life, To bathe our rosy feet in the dew. |
15 20 25 |
O Mädchen! Mädchen! Die ihr, einsam nun, Zerstreut an jenen Quellen schleicht, Die Blumen auflest, Die ich, ach, Entführte! Aus meinem Schöße fallen ließ, Ihr steht und seht mir nach, wohin ich verschwand. |
O maidens, maidens! Who wander alone, Absent-minded, By those streams, gathering the flowers That I, alas, the abducted, Let fall from my lap, You stop to look for me, To see whither I disappeared. |
30 35 |
Weggerissen haben sie mich, Die raschen Pferde des Orkus; Mit festen Armen Hielt mich der unerbittliche Gott! Amor! ach Amor! floh lachend auf zum Olymp! Hast du nicht, Mutwilliger! Genug an Himmel und Erde? Mußt du die Flammen der Hölle Durch deine Flammen vermehren? |
The swift horses of Arcus; Snatched me away With firm arms The merciless God held me tight! Amor, O Amor! fled laughing up to Olympus! Have you not enough, you wanton, In heaven and on earth? Do you have to increase the flames of hell With your own flames? |
40 |
Heruntergerissen In diese endlosen Tiefen! Königin hier! Königin? Vor der nur Schatten sich neigen! |
Snatched down Into these endless depths! To be Queen here! Queen? Before whom only shades will bow! |
45 |
Hoffnungslos ist ihr Schmerz! Hoffnungslos der Abgeschiedenen Glück, Und ich wend es nicht. Den ernsten Gerichten Hat das Schicksal sie übergeben; Und unter ihnen wandl’ ich umher, Göttin! Königin! Selbst Sklavin des Schicksals! |
Hopeless is their pain! Hopeless the fate of the departed, And I cannot change it; Fate has handed them over To the grim courts. And among them I wander about, Goddess, queen, Myself a slave of fate! |
50 55 |
Ach, das fliehende Wasser Möcht ich dem Tantalus schöpfen, Mit lieblichen Früchten ihn sättigen! Armer Alter! Für gereiztes Verlangen gestraft! – In Ixions Rad möcht ich greifen, Einhalten seinen Schmerz! Aber was vermögen wir Götter Über die ewigen Qualen! Trostlos für mich und für sie, Wohn ich unter ihnen und schaue Der armen Danaiden Geschäftigkeit! Leer und immer leer! Wie sie schöpfen und füllen! Leer und immer leer! Nicht einen Tropfen Wassers zum Munde, Nicht einen Tropfen Wassers in ihre Wannen! Leer und immer leer! Ach, so ist’s mit dir auch, mein Herz! Woher willst du schöpfen? Und wohin? Euer ruhiges Wandeln, Selige, Streicht nur vor mir vorüber; Mein Weg ist nicht mit euch! In euren leichten Tänzen, In euren tiefen Hainen, In eurer lispelnden Wohnung Rauscht’s nicht von Leben wie droben, Schwankt nicht von Schmerz zu Lust Der Seligkeit Fülle. – |
Oh, I would like to draw the fleeing water For Tantalus! Satisfy him with sweet fruits! Poor old man, Punished for provoked craving! I would like to stop Ixion’s whee And put an end to his pain. But what can we gods do Against eternal punishment! I dwell here without hope for myself or them And look at the work Of the poor Danaids. Empty and always empty, How they draw and fill! Empty and always empty! Not one drop of water for the mouth, Not one drop of water into their vessels! Empty and always empty! Alas, so too it is with you, my heart! From what source would you draw And whereto? Your quiet strolling, dead and departed, Passes me by; My way is not with you. In your playful dances, In your deep groves In your whispering houses, the teeming sounds of life are silent; There is no vascillation from grief To full bliss. |
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Ist’s auf seinen düstern Augenbraunen, Im verschlossenen Blicke? Magst du ihn Gemahl nennen? Und darfst du ihn anders nennen? Liebe! Liebe! Warum öffnetest du sein Herz Auf einen Augenblick? Und warum nach mir? Da du wußtest, Es werde sich wieder auf ewig verschließen? Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen Und setzte sie neben sich Auf seinen kläglichen Thron? Warum mich, die Tochter der Ceres? |
Is it in his dark eyebrows, In his closed face? Are you pleased to call him your husband? And dare you call him by any other name? Love! Love! Why did you open his heart For a moment? And why to me? Since you knew That it would close again forever? Why did he not seize one of my nymphs And sit her down by his side Upon his wretched throne? Why me, the daughter of Ceres? |
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O Mutter! Mutter! Wie dich deine Gottheit verläßt Im Verlust deiner Tochter, Die du glücklich glaubtest, Hinspielend, hintändelnd ihre Jugend! |
O mother! mother! How your divinity forsakes you At the loss of your daughter, Whom you believed to be happy, Playing, dallying away my youth. |
105 |
Ach, du kamst gewiß Und fragtest nach mir, Was ich bedürfte, Etwa ein neues Kleid Oder goldne Schuhe? Und du fandest die Mädchen An ihre Weiden gefesselt, Wo sie mich verloren, Nicht wieder fanden, Ihre Locken zerrauften, Erbärmlich klagten, meine lieben Mädchen! – |
Oh, yes you came, And asked after me What I might need, Perhaps a new gown Or golden shoes? And you found the maidens Tied to their willows, Where they lost me And did not find me, Tearing their hair out, Lamenting pitifully, My dear maidens! |
110 115 |
‘Wohin ist sie? Wohin?’, rufst du ‘Welchen Weg nahm der Verruchte? Soll er ungestraft Jupiters Stamm entweihen? |
‘Where has she gone? Where?’, you cry. ‘What path did the scoundrel take? Shall he, unpunished, desecrate Jupiter’s line? |
120 |
Wohin geht der Pfad seiner Rosse? Fackeln her! Durch die Nacht will ich ihn verfolgen! Will keine Stunde ruhen, bis ich sie finde, Will keinen Gang scheuen Hierhin und dorthin!’ |
Where does the trail of his horses lead? Torches here! In the night I will pursue him! I will not rest a single hour until I find her, I will eschew no path Here or there!’ |
125 |
Dir blinken deine Drachen mit klugen Augen zu, Aller Pfade gewohnt, folgen sie deinem Lenken: In der unbewohnten Wüste treibt dich’s irre – |
Your dragons look at you with knowing eyes; Accustomed to all paths, they follow your lead: You are driven astray in uninhabited deserts – |
Ach, nur hierher, hierher nicht! Nicht in die Tiefe der Nacht, Unbetreten den Ewiglebenden, Wo, bedeckt von beschwerendem Graus, Deine Tochter ermattet! |
Oh, only not here, not here! Not into the depths of the night. Untrodden by the eternal gods, where Overburdened by the horror, Your daughter languishes! |
130 |
Wende aufwärts! Aufwärts den geflügelten Schlangenpfad, Aufwärts nach Jupiters Wohnung! Der weiß es, Der weiß es, der allein, der Erhabene, Wo deine Tochter ist! – |
Turn upward! Upward on the winged, winding path, Upward to Jupiter’s dwelling! He knows it, The great god, he alone knows Where your daughter is. |
135 140 |
Vater der Götter und Menschen! Ruhst du noch oben auf deinem goldenen Stuhle, Zu dem du mich Kleine So oft mit Freundlichkeit aufhobst, In deinen Händen mich scherzend Gegen den endlosen Himmel schwenktest, Daß ich kindisch droben zu verschweben bebte? Bist du’s noch, Vater? – |
Father of gods and men! Do you sit even now above on your golden Throne, to which you so often raised me up When I was little, laughingly and lovingly Swinging me in your arms Toward the infinite sky, so that I, child that I Was, feared to stay hovering up there? Are you still there, father? |
145 |
Nicht zu deinem Haupte In dem ewigen Blau |
Not to you In the eternal blue skies |
150 |
Des feuerdurchwebten Himmels, Hier! Hier! – |
Lit up with fire, But here, here! |
Leite sie her! Daß ich auf mit ihr Aus diesem Kerker fahre! |
Guide her here, That I may ride up with her Out of this dungeon! |
155 |
Daß mir Phöbus wieder Seine lieben Strahlen bringe, Luna wieder Aus den Silberlocken lächle! |
That Phoebus may bring me His lovely rays once more, That Luna may Smile at me again from her silvery tresses! |
O du hörst mich, Freundlichlieber Vater, Wirst mich wieder, Wieder aufwärts heben; Daß, befreit von langer, schwerer Plage, Ich an deinem Himmel wieder mich ergetze! |
O, you hear me, Dear father and friend, And will raise me up Again, again: So that freed from long and dire torment, I may take delight in your heaven. |
160 165 |
Letze dich, verzagtes Herz! Ach! Hoffnung! Hoffnung gießt In Sturmnacht Morgenröte! |
Be refreshed, despondent heart! Oh! Hope! Hope pours the sunrise Into the stormy night! |
Dieser Boden Ist nicht Fels, nicht Moos mehr; Diese Berge Nicht voll schwarzen Grauses! Ach, hier find ich wieder eine Blume! Dieses welke Blatt, Es lebt noch, Harrt noch, Daß ich seiner mich erfreue! |
This ground is not rock, No longer moss, These mountains Are not full of black horror! Oh! Here I find a flower again! This withered leaf, It lives still, Still firm, That I may rejoice in it! |
170 175 |
Seltsam! seltsam! Find ich diese Frucht hier? Die mir in den Gärten droben, Ach! so lieb war – (Sie bricht den Granatapfel ab.) Laß dich genießen, Freundliche Frucht! Laß mich vergessen Alle den Harm! Wieder mich wähnen Droben in Jugend, In der vertaumelten Lieblichen Zeit, In den umduftenden Himmlischen Blüten, In den Gerüchen Seliger Wonne, Die der Entzückten, Der Schmachtenden ward! (Sie ißt einige Körner.) Labend! Labend! |
Strange! strange! Do I find this fruit here That, alas, was so dear to me In the gardens above - (She breaks open the pomegranate.) Let me savour you, Friendly fruit! Let me forget All my sorrow! Let me pretend I am above In my youth again The whirl of Those lovely days, Amid the fragrant Heavenly flowers, Amid the fragrances Of joyful bliss That I, ravished and languished, Once knew! (She eats some seeds.) Refreshing! Refreshing! - |
180 185 190 195 |
Wie greift’s auf einmal Durch diese Freuden, Durch diese offne Wonne Mit entsetzlichen Schmerzen, Mit eisernen Händen Der Hölle durch. – Was hab ich verbrochen, Daß ich genoß? |
But how is it That abysmal pains And the iron hands of Hell Penetrate all at once Through these joys, Through this open bliss! – What crime have I committed By enjoying? |
200 205 |
Ach! Warum schafft Die erste Freude hier mir Qual? Was ist’s? was ist’s? – ihr Felsen Scheint hier schrecklicher herabzuwinken, Mich fester zu umfassen! Ihr Wolken tiefer mich zu drücken! Im fernen Schöße des Abgrunds Dumpfe Gewitter tosend sich zu erzeugen! Und ihr weiten Reiche der Parzen Mir zuzurufen: Du bist unser! |
Alas! Why does this first joy Bring me torment here? What is it? What is it? You cliffs Seem to glower at me more horribly, To grip me more tightly! You clouds seem To oppress me further! In the depths of the abyss, Muted thunderstorms begin to roll! And you vast regions of the Fates Seem to call to me: You are ours! |
210 215 |
DIE PARZEN (unsichtbar): Du bist unser! Ist der Ratschluß deines Ahnherrn: Nüchtern solltest wiederkehren; Und der Biß des Apfels macht dich unser! Königin, wir ehren dich! |
THE FATES (invisible): You are ours! Your ancestor has so ordained! You were to return, sober, and the bite of the pomegranate makes you ours! Queen, we pay homage to you! |
220 |
PROSERPINA:Hast du’s gesprochen, Vater! Warum? warum? Was tat ich, daß du mich verstoßest? Warum rufst du mich nicht Zu deinem lichten Thron auf? Warum den Apfel? O verflucht die Früchte! Warum sind Flüchte schön, Wenn sie verdammen? |
PROSERPINA:You have spoken, father! Why? Why? What did I do for you to cast me out? Why do you not call me up To your radiant throne? Why the pomegranate? O curse the fruits! Why are fruits so beautiful If they bring damnation? |
225 230 |
DIE PARZEN: Bist nun unser! Warum trauerst du? Sieh, wir ehren dich! Unsre Königin! |
THE FATES: Now you are ours! Why do you lament? See, we honor you! Our queen! |
PROSERPINA: O wäre der Tartarus nicht eure Wohnung, Daß ich euch hin verwünschten könnte! O wäre der Cocyt nicht euer ewig Bad, Daß ich für euch Noch Flammen übrig hätte! Ich, Königin, Und kann euch nicht vernichten! In ewigem Haß sei ich mit euch verbunden! – So schöpfet, Danaiden! Spinnt, Parzen! wütet, Furien! In ewig gleich elendem Schicksal! Ich beherrsche euch Und bin darum elender als ihr alle |
PROSERPINA: O if only Tartarus were not already your Dwelling that I could banish you there! O if only Cocytus were not already your eternal bath so that I might have flames left over for you! I am the queen And I cannot annihilate you! May I be bound to you in eternal hatred! So draw water, Danaids! Spin, Fates! Rage, Furies! In an eternally wretched fate! I govern you And so am more wretched than you all. |
235 240 245 |
DIE PARZEN: Du bist unser! Wir neigen uns dir! Bist unser! unser! Hohe Königin! |
FATES: You are ours! We bow before you! You are ours! Ours! High queen! |
PROSERPINA: Fern! weg von mir Sei eure Treu und Herrlichkeit! Wie haß ich euch! Und dich, wie zehnfach haß ich dich – Weh mir! Ich fühle schon Die verhaßten Umarmungen! |
PROSERPINA: Away, away from me with your fidelity and your glory! How I hate you’ And you, how I hate you tenfold – Woe is me! I already feel The abhorrent embraces. |
225 |
DIE PARZEN: Unser! Unsre Königin! | FATES: Ours! Our queen! |
PROSERPINA: Warum reckst du sie nach mir? Recke sie nach dem Avernus! Rufe die Qualen aus stygischen Nächten empor! Sie steigen deinem Wink entgegen, Nicht meine Liebe. Wie haß ich dich Abscheu und Gemahl, O Pluto! Pluto! Gib mir das Schicksal deiner Verdammten! Nenn es nicht Liebe! Wirf mich mit diesen Armen In die zerstörende Qual! |
PROSERPINA: Why do you stretch out your arms to me? Stretch them out to Avernus! Summon up the torments up from Stygian nights! They rise up at your bidding, Not my love. How I hate you Horror and husband O Pluto! Pluto! Give me the fate of your damned! Do not call it love! Throw me with these arms Into the destructive torment! |
260 265 270 |
DIE PARZEN: Unser! Unser! hohe Königin! | FATES: Ours! Our queen! |