KAPITEL 17

Die kleine Hütte, die zur Schule umfunktioniert worden ist, ist nicht in einzelne Räume aufgeteilt worden, wie die anderen. Sie ist ein bisschen wie eine moderne Version der frühen Pionierschulen, mit Reihen von Tischen, einer mit schwarzer Tafelfarbe gestrichenen Wand und bunten Postern und Projekten, die überall hängen. Als der Winter begann, setzte Penny ihren Plan für ein richtiges Schulgebäude für die Kinder in die Tat um, und die Waffen, die früher hier aufbewahrt wurden, lagern jetzt im Stall mit der Solaranlage.

„Sehr gut, Jasmine!“, sagt Penny zu dem kleinen Mädchen mit dem langen braunen geflochtenen Zopf, die ihr ein Stück Papier entgegenhält.

Jasmine ist Bits’ beste Freundin. Sie ist ein ganzes Stück größer als Bits, aber sie ist schüchtern und still, während Bits ein Wirbelwind ist. Ihre Augen leuchten auf, als sie Pennys Kompliment hört. „Vielen Dank, Fräulein Diaz!“

„Du brauchst mich wirklich nicht so zu nennen, Jasmine.“

„Meine Mutter hat aber gesagt, das macht man so in der Schule.“

Jasmines Mutter Josephine ist sehr streng. Ich kann es ihr nicht übel nehmen. Sie hatte drei Kinder und einen Mann, und Jasmine ist alles, was davon übrig ist. Sie zuckt noch immer beim kleinsten Geräusch zusammen und verbringt mehr Zeit und Energie damit, sich Sorgen zu machen als ich. Manchmal erwische ich sie dabei, wie sie durch die Fenster der Schule suchend hineinspäht, bis sie Jasmine erblickt und beruhigt genug ist, um wieder zu ihrer Schicht zurückzukehren.

„Hallo, Fräulein Diaz!“, rufe ich.

Penny winkt mir halbherzig zu. Sie fühlt sich noch immer schlecht, aber wir haben ihre anderen Arbeitsaufgaben anderweitig delegieren können, sodass sie mehr Zeit hat, sich auszuruhen. Ich gebe zum Beispiel jetzt statt an zwei Tagen viermal die Woche Kunstunterricht. Ich sorge dafür, immer viel zu früh da zu sein und zu überziehen, und zwinge sie dazu, sich währenddessen in einer Ecke hinzulegen und auszuruhen.

Die fünfzehn Kinder zwischen fünf und sechzehn Jahren sitzen an ihren Tischen und arbeiten an ihren Projekten oder lesen in der kleinen, mit großen Kissen ausgestatteten Bücherecke. Ich erblicke Bits und zwinkere ihr zu. Sie zwinkert zurück, aber bleibt auf ihrem Platz.

Penny mag der liebste Mensch der Welt sein, aber sie lässt es nicht zu, dass die Kinder ihr auf der Nase herumtanzen. Den strengen Lehrerblick hat sie schon vor Jahren perfektioniert.

„Cassie ist hier!“, ruft Jacob, ein Zehnjähriger.

Die Kinder schlagen ihre Bücher zu, legen ihre Hefte in die eigens dafür vorgesehenen Kästen und gehen leise murmelnd zurück zu ihren Tischen.

„Die sind ja wie Roboter“, sage ich zu Penny. „Wie machst du das nur?“

„Dir gehorchen sie doch auch.“

„Aber nur, weil ich lustige Sachen mit ihnen mache. Wenn ich für Mathe zuständig wäre, würden sie mich hochkant hier rauswerfen. Okay, jetzt legst du dich aber hin.“

Penny lässt sich auf den Kissen in der Leseecke nieder. Ich glaube, sie schläft schon, bevor sie in der Waagerechten ist.

„Diese Woche geht es um das Thema Selbstporträts“, beginne ich. „Wer von euch weiß, was ein Porträt ist?“

Ashley, die sechzehn Jahre alt ist und letzten Sommer mit ihrer Pflegemutter Nancy hier ankam, meldet sich. „Das Bildnis einer Person. Und ein Selbstporträt ist ein Bild von einem selbst.“

„Ganz genau.“

„Cassie hat mir ein Porträt gemalt!“, sagt Bits in die Runde. Sie zieht ihren Anhänger aus der Tasche. „Von meiner Mutter.“

Ich hole die Malsachen raus, während der Anhänger von Hand zu Hand gereicht wird. Einige der Kinder betrachten ihn mit sehnsüchtigen Blicken, und ich wette, sie hätten gern etwas Ähnliches. Chris zum Beispiel, der Sohn von unserem Arzt, war mit seinem Vater auf ihrem jährlichen Angelausflug in Vermont, als die Hölle losbrach. Er hat seine Mutter nie wieder gesehen. Und obwohl Ashley Nancy hat, hat sie doch auch ihre Eltern verloren. Und so weiter und so fort. Ich würde nur zu gern für sie alle kleine Porträts malen, aber leider weiß ich ja nicht, wie ihre Eltern aussahen. Aber vielleicht kann ich ihnen genug beibringen, dass sie das selbst übernehmen können, bevor sie zu viel vergessen.

Als ich auf die Tafel zugehe, fällt mein Blick auf den Anhänger, in dem gegenüber von dem kleinen Porträt auch mein Foto prangt. Adrian muss das für sie ausgeschnitten haben. Ich weiß, dass Bits mich liebt, aber irgendwie bleibt ihr ja auch nichts anderes übrig, wo sie doch keine Eltern mehr hat. Dass sie mein Foto neben dem Bild ihrer Mutter immer mit sich herumträgt, lässt meine Brust schwellen. Ich atme tief aus und drehe mich zur Klasse um.

„Heute wollen wir ein Selbstporträt malen. So wie dieses hier.“ Ich öffne das große Buch mit Frida Kahlos Werken und zeige ihnen das Bild, auf dem sie sich Diego Riveras Gesicht auf die Stirn gemalt hat. „Und zwar malen wir nicht nur das, was alle anderen sehen können, sondern auch das, was in uns drin ist. Das kann alles sein – es kann Bedeutung haben, es kann etwas sein, was wir lieben, oder auch etwas, was wir nicht so sehr mögen.“

„Sie hat einen Mann auf dem Kopf!“, johlt Chris.

„Nicht auf dem Kopf!“, stöhnt Ashley, wirft sich das golden schimmernde dunkelblonde Haar über die Schulter und verdreht die Augen zur Decke. „Sie denkt an ihn.“ Chris errötet und seine unerwiderte Liebe für Ashley wird für einen kurzen Augenblick schmerzhaft offensichtlich.

„Wie wär’s, wenn wir uns noch ein paar von ihren anderen Bildern ansehen und dann können wir darüber sprechen, warum sie wohl genau das gemalt hat, was sie gemalt hat. Wie klingt das?“

Sie versammeln sich um das Buch, das ich vor mir auf dem Lehrertisch abgelegt habe. Bits’ sommersprossiges Gesicht ist ernst; sie liebt Kunst in all ihren Schattierungen. Und sie hat Talent, genau so, wie ich es mir immer in einer Tochter gewünscht hätte. Ich lächle ihr zu und hoffe, dass ich ihr auf diese Weise vermitteln kann, wie lieb ich sie habe. Und das Lächeln, das sie mir im Gegenzug schenkt, gibt mir Gewissheit.