Vor Tagesanbruch werden wir durch ein eindringliches Klopfen an der Tür geweckt. Adrian grummelt etwas im Halbschlaf, dreht sich um und begräbt sein Gesicht im Kissen. Ich öffne die Tür und sehe John, der bereits vollständig angezogen ist und ungeduldig auf den knarrenden Holzdielen auf und ab schreitet.
„Whitefield wurde angegriffen“, sagt er.
„Wie bitte?“
„Lexer. Keiner weiß genau, was passiert ist, aber es gibt viele Tote. Will, ein Großteil, wenn nicht alle der Soldaten, und noch ein paar andere. Aber sie sind noch nicht sicher, wie viele genau.“
Adrian flucht und zieht sich eine Hose an. Ich stehe einfach nur mit weit aufgerissenem Mund da und frage mich, wie zur Hölle das passiert sein kann. Die haben schließlich mehr Waffen, mehr Munition und mehr Wachen als wir.
„Abfahrt in einer halben Stunde?“, fragt Adrian.
„Das passt“, sagt John. Er wendet sich an mich: „Kannst du die anderen wecken? Ich denke, sieben oder acht von uns sollten mitgehen.“
Ich habe Millionen Fragen, aber stattdessen ziehe ich mir schnell etwas über und laufe zu den Hütten. Peter und Ana sind innerhalb weniger Minuten bereit, und Ana rennt zur Küche, um Kaffee für die Fahrt zu besorgen. Sie und Penny sind stark koffeinabhängig, und es martert Penny, dass sie jetzt, wo sie schwanger ist, keinen Kaffee mehr trinken kann. Der Kaffee ist streng rationiert und wird für Patrouillen und Nachtwachen aufgespart, aber wir haben Penny immer welchen abgegeben. Sie murmelt etwas von Kräutertee und Apokalypse.
„Du kannst Kaffee trinken, Pen!“, sage ich. „Schwangere Frauen trinken seit Millionen von Jahren Kaffee. Ich gebe Ana Bescheid, dass sie dir welchen mitbringen soll.“
„Ach was“, winkt sie ab. „Ich bin bloß schlecht gelaunt. Tut mir leid.“
Die Falten auf ihrer Stirn werden tiefer, aber sie wirft einen nachdenklichen Blick auf Bits und spricht nicht weiter. Ich mache mir auch Sorgen.
„Brauchen sie Hilfe mit der Elektrizität?“, fragt James. „Ich kann mitkommen, wenn das der Fall ist.“
„Keine Ahnung, aber Adrian ist ja notfalls auch da“, antworte ich. Ich muss an Henry denken und kann nur hoffen, dass er und Hank in Sicherheit sind. „Aber wir müssen sowieso noch mal rüber, sobald wir wissen, was genau sie brauchen. Vielleicht musst du dann helfen.“
James ignoriert Pennys stechenden Blick und reibt sich die Hände; zu einem Abenteuer sagt er nie nein, aber gerade gibt es dafür nicht viel Gelegenheit. Er ist nicht der beste Schütze, aber seine Furchtlosigkeit und seine Fähigkeit, unter Stress einen kühlen Kopf zu bewahren, sind wichtige Eigenschaften. Außerdem kann er so ziemlich alles reparieren. Er weiß jetzt schon alles über elektrische Systeme, und ist nun zu Autos übergegangen, die er mit Shawn zusammen repariert.
Bits klammert sich an mir fest wie ein Babyaffe, als ich mich verabschiede. Wir haben ihr so wenig wie möglich erzählt, aber genug, damit sie versteht, dass Whitefield unsere Hilfe braucht.
„Ich lieb dich, Bitsypups“, sage ich zärtlich und frage mich, ob die Kinder in Whitefield überlebt haben. Bei dem Gedanken muss ich mein Gesicht in ihrem Haar verstecken. „Bis ans Ende der Welt.“
„Ich lieb dich auch, Cassiepups“, antwortet sie und kichert. Nichts ist lustiger als Fäkalhumor, wenn man Kinder fragt. Ich sollte sie mal zu einer Schicht in der Wäscherei mitnehmen; das dürfte sie für immer und ewig davon kurieren.
„Sei lieb, für Penny, okay?“
Ich gebe ihr einen letzten Kuss und übergebe sie an Peter, der sie bis unter die Zimmerdecke hebt, als sei sie leicht wie eine Feder. Das ist der Vorteil an dem ganzen Zombieabschlachten: Man kriegt richtig schöne Muckis. Man wird auch halb verrückt und wahnsinnig müde, aber diese Muckis!
„Also dann, mein Mädchen“, sagt Peter, „wir sehen uns später oder in ein paar Tagen. Und wage es nicht, noch mehr Sommersprossen zu bekommen, während ich weg bin. Sonst setzt es was!“
„Ich geb mir Mühe“, verspricht sie und kreischt, als er so tut, als würde er sie fallen lassen, nur um sie im letzten Moment wieder sicher in die Arme zu schließen.
„Ich hab dich lieb“, sagt Peter. „So, jetzt aber zurück ins Bett oder putz dir wenigstens die Zähne.“
Penny reicht Bits ihre Zahnbürste und blickt mit großen Augen zu uns auf. „Seid bitte vorsichtig.“
Wir versprechen es. Peter und ich gehen hinaus in die Nacht und drehen uns noch einmal zur offenen Tür um. Penny ist erschöpft, aber sie wird auf keinen Fall wieder zu Bett gehen. Bits plappert pausenlos, trotz Zahnbürste. Sie sieht so klein und verletzlich aus in ihrem Schlafanzug, und ich möchte sie am liebsten noch einmal umarmen. Peter kann den Blick ebenfalls nicht von ihr abwenden. Das haben wir gemeinsam: Unsere Liebe für Bits ist so stark, dass es mir manchmal merkwürdig vorkommt, dass sie nicht unser Kind ist, das wir in irgendeinem seltsamen Paralleluniversum gezeugt haben. Fast platzt es aus mir heraus, wie groß meine Angst ist – um uns alle, um Bits, um Whitefield – aber ich klappe meinen Mund so hastig zu, dass meine Zähne aufeinander klappern.
„Alles okay?“, fragt Peter.
„Ja … ich hasse es einfach, von hier wegzumüssen.“
„Ich weiß.“
Bits spuckt die Zahnpasta aus und wischt sich den Mund an dem Handtuch ab, das Penny ihr hinhält. Das war bestimmt nicht das letzte Mal, dass ich Bits umarmt habe, schießt es mir durch den Kopf, und drehe mich entschlossen um. Manchmal erfordert es wirklich einen enormen Kraftaufwand, durchs Tor zu fahren, und ich weiß schon jetzt: Wenn ich wiederkomme, bleibe ich. Für immer.