KAPITEL 25

Tief hängende Zweige und Blätter schlagen mir ins Gesicht, als ich durchs Dickicht breche, um einer weiteren kleinen Gruppe auszuweichen. Sie bewegen sich in Richtung der Schüsse, die durch den Wald schallen. Sie bedeuten, dass Adrian noch lebt. Er wird umdrehen und mich bei der Farm treffen, wie versprochen. Ich halte mich an dieser Hoffnung fest, während ich versuche, den Weg zu finden. Ich kenne mich in diesem Teil des Waldes nicht aus, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Ich bin jetzt etwa anderthalb Kilometer gerannt, vielleicht mehr. Ich bleibe kurz stehen, um nach Luft zu schnappen, und lausche in den Wald hinein, ob ich jemanden höre, der sich schnell bewegt, aber alles, was ich höre, ist ein Rascheln zu meiner Linken. Ein Lexer stolpert vorbei, ohne mich zu beachten, und direkt hinter ihm sehe ich das ungebrochene Sonnenlicht, das bedeutet, dass dort hinter den Bäumen eine Straße sein muss. Ich verlasse die Sicherheit des Dickichts und stolpere auf die Straße. Da vorn ist schon die Abzweigung nach Kingdom Come. Nur noch etwa anderthalb Kilometer; ich bin schon viel weiter, als ich dachte. Jetzt, wo mir nichts mehr im Weg steht, renne ich noch schneller, aber als ich einen Pick-up sehe, der mir entgegenkommt, bleibe ich stehen. Der blaue Wagen kommt mit quietschenden Reifen neben mir zum Stehen.

Dan wirft die Tür auf und hält mich an beiden Schultern fest, während er mich von oben bis unten mustert. „Wir haben die Schüsse gehört. Was ist passiert? Bist du okay?“

„Adrian“, stoße ich mit heiserer Stimme hervor. Sprechen tut weh. Ich zeige auf die Straße hinter mir. „Marcus.“

Er bugsiert mich auf die Rückbank und steigt aufs Gaspedal, sobald ich ihm gesagt habe, in welche Richtung er fahren soll. Toby und Ben starren mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Was ist passiert?“, fragt Ben.

Ich will Dan auffordern, schneller zu fahren, aber als ich einen Blick auf den Tacho werfe, wird mir klar, dass er schon viel schneller fährt, als ich es mir je selbst zutrauen würde.

„Der Transporter liegt im Graben“, flüstere ich. „Wir mussten ihn zurücklassen. Marcus …“ Ich schüttele nur den Kopf und bin dankbar, dass Caleb nicht hier ist.

Toby hebt eine Hand zur Stirn. „Fuck!“

„Adrian ist irgendwo im Wald. Er ist in die andere Richtung gerannt.“

Die Karosserie des Transporters taucht am Straßenrand auf. Er ist noch immer von ein paar Lexern umgeben, aber die meisten sind im Wald verschwunden. Adrian hinterher. Ich habe jetzt seit einiger Zeit schon keine Schüsse mehr gehört. Ich versuche, mir einzureden, dass das gar nichts zu bedeuten hat; nachdem ich entkommen war, hatte er ja keinen Grund mehr, unnötig Lärm zu veranstalten. Konnte sich darauf konzentrieren, sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Die Lexer schlendern auf den Pick-up zu. Dan fährt langsam ein paar Meter weiter vor und rollt dann das Fenster herunter. „Adrian!“, ruft er. „Adrian!“

Die Lexer folgen uns und er legt den Rückwärtsgang ein, um ihnen erneut auszuweichen. Er ignoriert das Poltern, als er mit einigen von ihnen kollidiert. Er ruft erneut, aber es kommt keine Antwort.

„Er ist in südöstliche Richtung gerannt“, sage ich. „Vielleicht ist er bei der anderen Straße rausgekommen.“

Dan will gerade losfahren. „Warte kurz!“, halte ich ihn zurück.

Ich suche den Wald nach einem weißen T-Shirt ab und atme erleichtert aus, als ich nur die Brauntöne der Bäume und die farblose Kleidung der Lexer sehe. Ich suche Dans Blick im Rückspiegel und nicke ihm zu, damit er losfährt.

***

Die Straßen sind verlassen. Vielleicht haben wir ihn verpasst. Vielleicht läuft er stattdessen durch den Wald. Vielleicht ist er schon zurück auf der Farm. Ich drücke meine Knie zusammen, damit sie nicht so sehr zittern. Am Tor spreche ich ein schnelles Stoßgebet und verspreche dem Universum, dass ich alles, alles tun werde, wenn nur Adrian auf der anderen Seite auf mich wartet. Caleb öffnet das Tor und sieht Marcus so ähnlich, dass ich einen Augenblick lang verwirrt bin. Dann hoffnungsvoll. Und dann wieder am Boden zerstört. Adrian ist nicht hier. Caleb steckt den Kopf durchs Fenster herein und scannt unsere Gesichter. Bei meinem bleibt sein Blick hängen und sein Mund öffnet sich ungläubig.

„Wo ist mein Bruder?“, fragt er schließlich.

Ich will es ihm nicht im Wagen sagen, obwohl sein bebendes Kinn deutlich macht, dass er bereits ahnt, was Sache ist. Ich öffne die Tür und stelle mich ihm auf weichen Knien gegenüber. „Wir sind im Graben gelandet und mussten zu Fuß von da weg. Sie haben ihn … Er konnte nicht mehr weg.“

Er hebt die Fäuste zu den Schläfen. „Ist er tot? Sag mir nicht, er ist einer von ihnen.“

„Ich weiß es nicht“, flüstere ich. „Es tut mir so leid. Ich hab keine Ahnung.“

„Fuck!“, schreit er. Er verpasst der Seitentür des Pick-ups einen solchen Tritt, dass er eine Beule hinterlässt. Dann tritt er noch einmal zu. „Fuck!“

Wir stehen daneben und schauen nur zu, wie Caleb den Pick-up zu Brei zu schlagen versucht, bis das Blech voller Beulen und Einkerbungen von der Stahlkappe seiner Arbeitsstiefel ist. Zum Schluss gibt er auf und verschränkt stattdessen seine Arme über dem Gesicht und heult laut auf. Wir können nur hilflos zusehen, sind unfreiwillige Zeugen seiner ganz persönlichen Tragödie, bis er nur noch leise schluchzt und schließlich verstummt.

„Wo ist Adrian?“ Es ist undeutlich, aber ich verstehe ihn trotzdem.

„Ich weiß nicht. Er ist in die andere Richtung gelaufen.“

„Wahrscheinlich tot“, murmelt Caleb.

Es sind nur zwei Worte, aber ihre Kraft schleudert mich rückwärts gegen den Pick-up. Er hat recht. Adrian ist wahrscheinlich tot. Ich werde es höchstwahrscheinlich nie erfahren.

Caleb lässt die Arme sinken und bohrt seine Finger in meine Schultern. „Ich meinte Marcus! Cass, ich meinte meinen Bruder.“

Ich halte mir die Hand vor den Mund und starre ihn an. Er mag Marcus gemeint haben, aber das macht keinen Unterschied. Adrian ist tot, das spüre ich. Wahrscheinlich stolpert er gerade blind durch den Wald, aber er ist nicht mehr am Leben.