Mit meiner Kelle mache ich eine Furche in die dunkle, feuchte Erde, setze eine junge Tomatenpflanze hinein und drücke die Erde drum herum behutsam fest. Bits sitzt neben mir und tut es mir nach, genau wie letzten Sommer. Und ebenso wie letzten Sommer sind wir beide barfuß. Ich genieße die Wärme der Sonne, jetzt, wo die Wolken, die noch am frühen Morgen den Himmel verhangen haben, vor ihr geflüchtet sind.
„Vielleicht haben sie Superkräfte“, sagt Hank zu Bits und hakt seine Kelle links und rechts in die Erde, ohne so recht darauf zu achten, wo sie landet. „Vielleicht kann das Mädchen Blitze aus ihren Händen schießen oder so.“
„Nein“, sagt Bits. „Sie sind genau wie wir. Nur besser. Vielleicht ist sie ein Ninja, so wie Ana.“
Ich muss lachen. Bits und Hank sind sehr schnell beste Freunde geworden, so als hätten sie ihr ganzes bisheriges Leben nur aufeinander gewartet. Derzeit arbeiten sie an einem Comic über zwei Kinder, die ganz allein die Welt vor den Zombies retten. Zuerst dachte ich, das würde Bits noch mehr in ihrer Angst bestätigen, aber scheinbar hat die Vorstellung, ihrer selbst als cleverer Zombiekillerin den entgegengesetzten Effekt.
„Okay, wie wär’s, wenn sie unsterblich sind wie die Zombies, nur halt lebendig?“ Hank nimmt sich die Brille ab und putzt sie mit einem Zipfel seines T-Shirts. „Vielleicht haben sie ein Gegenmittel genommen. Oder einen anderen Virus mit der entgegengesetzten Wirkung?“
Bits umarmt ihn, was ihn erröten lässt. Er mag erwachsener geworden sein, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe, aber er ist noch immer der schüchterne und etwas unbeholfene Junge, den ich so lieb gewonnen habe. „Das ist es!“, ruft sie. „Genau das sind sie! Und vielleicht finden sie direkt in der ersten Szene die Ampullen. In einem geheimen Labor!“
Hank lässt seine Kelle nun vollends links liegen und stimmt ihr strahlend zu. „Ja, genau!“
Es ist schwierig, nicht an Adrian zu denken, zumal wir seinen Plänen folgen. Ich liebe es, lebendigen Dingen beim Wachsen zuzusehen, aber er liebte es noch viel mehr als ich. Ich wische die einzelne Träne, die ich nicht zurückhalten konnte, mit dem Handrücken weg, und grabe ein kleines Loch für die nächste Pflanze. Drei Pflanzen später ist der Kloß in meinem Hals verschwunden.
„Na, wie läuft’s?“ Als wir aufblicken, steht Dan über uns. „Bits, ich glaube, du hast deine Schuhe vergessen.“
„Wenn es warm ist, tragen wir keine Schuhe“, erwidert Bits altklug und zeigt auf meine nackten Zehen. „Unsere Füße lieben Freiheit.“
„Das sind aber mal schmutzige freiheitsliebende Füße.“
„Probier’s erst mal aus, bevor du dich lustig machst“, sage ich. „Wir mögen schmutzig sein, aber dafür können wir mit den Zehen wackeln, wann immer wir Lust haben. Und du? Deine Füße sind in Stiefeln eingesperrt.“
„Das klingt ja wirklich ganz gut. Vielleicht sollte ich das auch mal ausprobieren.“ Dan bückt sich und zieht sich die schweren schwarzen Arbeitsstiefel und die Socken aus und steckt seine Zehen in die Erde. „Hm, du hast recht.“
„Siehste?“, sagt Bits.
Sie streckt ihm ihre schwarzen Sohlen entgegen. Dan greift nach ihrem Fuß und kitzelt sie, bis sie nach Luft schnappend auf der Erde liegt. Ich lache mit, denn das Lachen, das tief aus ihrem Bauch zu kommen scheint und immer dann an die Oberfläche blubbert, wenn sie gekitzelt wird, ist einfach zu ansteckend. Aber Dan werfe ich einen missbilligenden Blick zu. „Füße sind so leicht zu waschen. Aber Erde in den Haaren? Nicht annähernd so leicht …“
„Noch mal!“, fordert Bits. „Noch mal, Dan! Bitte!“
Er kniet sich neben sie, um ihr die Erde aus dem Haar zu bürsten, und zeigt mit dem Daumen in meine Richtung. „Würde ich ja, aber ich glaub, dann bring ich mich erst recht in Schwierigkeiten.“
Ich lächle und beginne mit der nächsten Reihe. Bits und Hank pitchen Dan ihre neue Idee für den Comic und der legt ein solches Interesse an den Tag, dass das Ganze in einer Fachdiskussion zum Thema Lexerbeseitigung endet. Es scheint fast so, als wäre ich die Einzige in unserer Gruppe, die heute tatsächlich etwas schafft. Mir macht das nichts aus, aber ich habe bereits beschlossen, mir morgen eine andere Aufgabe zu suchen. Hier habe ich zu viel Zeit zum Grübeln.
Dans Füße tauchen in meinem Blickfeld auf. „Soll ich dir helfen?“
„Klar, warum nicht?“ Ich zeige ihm, wie es geht, und so ist die letzte Reihe in Rekordzeit geschafft. Wir fangen jeder an einem Ende an und arbeiten uns vor, bis wir uns in der Mitte treffen. Anschließend ziehen wir die Handschuhe aus und setzen uns auf die Erde.
„Danke“, sage ich.
Er deutet auf das frische Grün, das uns umgibt. „Na ja, ich dachte, ich sollte beim Einpflanzen helfen, wenn ich nachher was davon essen will, richtig? Und ich mag’s.“
„Und die Tomatenpflanzen riechen so gut. Reib mal ein Blatt zwischen den Fingern und riech dran. Ich wünschte, ich könnte daraus Parfüm machen und es immer tragen.“
„Sie duften wirklich gut.“ Dan lehnt sich vor. „Und du trägst es schon. Oder zumindest ein bisschen Erde.“
Er reibt mit einem Finger über meinen Wangenknochen. Es ist nur eine freundschaftliche Geste, aber mit einem Mal wünsche ich mir nichts mehr, als berührt zu werden, und das plötzliche, tiefsitzende Bedürfnis verschlägt mir den Atem. Ich will mich an ihn drücken und die Augen schließen. Ich will, dass er Adrian ist.
Ich springe auf und spüre, wie ich erröte, dann dreht sich mir der Magen um. „Ja, ich glaub du hast recht. Ich geh mal besser duschen. Danke noch mal für die Hilfe!“
Dan scheint ein wenig überrascht über meinen hastigen Aufbruch zu sein, aber er zuckt nur mit den Schultern. „Klar. Gern geschehen.“
Ich schnappe mir meine Stiefel, die am Ende der Reihe stehen, aber ich gehe nicht zu den Duschen. Die welken Blüten der Apfelbäume fühlen sich weich und seidig unter meinen Füßen an, als ich auf Adrians Grab zugehe. Irgendwer hat Wildblumen auf den Stein gelegt, der auf dem kleinen Erdhügel liegt. Das hätte wohl ich tun sollen. Na ja. Ich lehne mich schwer an seinen Baum und lasse der seit zwei Wochen angestauten Tränenflut freien Lauf.