„Colorado“, sagt John, als er sich zum Abendessen an den Esstisch setzt. Er sieht furchtbar aus – ich überlege kurz, ob ich ihm das sagen soll, das scheint ja derzeit hier der letzte Schrei zu sein. Er hebt eine Gabel voll Maissalat zum Mund. „Colorado ist weg. Funkstille. Und Arkansas ebenso.“
„Big Bend, dann Gila, Utah, jetzt Colorado und Arkansas …“, zählt James auf und legt die Gabel neben seinen Teller. Fast kann ich in seinem Kopf die Rädchen klicken und klackern hören, bevor er weiterspricht: „Sie bewegen sich in nordöstliche Richtung. Wahrscheinlich wegen der Berge. Aber jetzt, wo sich das Land öffnet, könnten sie direkt nach Norden kommen. Und, verdammt, wenn sie weiter in diese Richtung strömen, sind sie noch vor Winteranbruch hier.“
„Wer bewegt sich in nordöstliche Richtung?“, fragt Maureen. „Lexer?“
James nickt. „Die Zonen verschwinden in geografischer Reihenfolge. Als ob eine Herde oder vielleicht sogar mehrere nach Norden und Osten vordringen. Die Rockies haben sie wahrscheinlich in Richtung Osten geführt. Ich glaube, die Lexer suchen sich den Weg, der am einfachsten ist, wenn sie nicht gerade auf der Jagd sind. Aber östlich hinter Arkansas liegen Berge und in nördlicher Richtung, durch die Dakotas, ist das Land schön flach. Hoffen wir einfach mal, sie ziehen Richtung Norden.“
James schleppt wirklich eine enorme Masse an Wissen mit sich herum, fast so wie die Computer, die er so sehr liebte. Und offenbar ist er zudem eine lebendige sprechende Landkarte. Praktisch.
„Hm, sagen wir mal – zweitausendvierhundert“, murmelt er. Dann schüttelt er den Kopf. „Nein.“
„Lass uns doch bitte teilhaben“, sagt Penny.
Er fährt sich mit seinen langen Fingern durch die Haare und schiebt sie sich hinters Ohr. „Entschuldigt. Okay, nehmen wir mal an, es ist eine große Herde und die bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von eineinhalb Kilometern pro Stunde – vielleicht aber auch schneller – vierundzwanzig Stunden am Tag, zweitausendvierhundert Kilometer bis hierher …“
„Zwei Monate“, schlussfolgert Penny. „Wir haben zwei Monate, bis sie hier sind.“
Was Mathematik angeht, sind die beiden nicht zu übertreffen, und so hinterfrage ich auch das Ergebnis nicht. Ein Eisklumpen bildet sich in meiner Brust und breitet sich langsam zu meinen Fingern und Füßen aus.
„Aber wir haben ja den Graben“, meint Ana. Sie blickt sich am Tisch um. „Oder?“
„Ja, das stimmt“, sagt John. „Aber das mag bei Weitem nicht genug sein. Wer weiß, wie viele es sind?“
Ich schaue aus dem Fenster auf die grünen Berge. Sie wirken so massiv. „Vielleicht haben wir ja mehr Zeit, auch wenn sie auf dem Weg hierher sind. Sie müssen ja über die Berge kommen. Und wenn wir frühen Frost kriegen, hält sie das ja vielleicht auch auf. Zumindest nachts.“
„Wann wären sie etwa bei tausend Kilometern, deinen Berechnung zufolge?“
James denkt kurz nach. „In fünfundvierzig Tagen, mehr oder weniger.“
Das ist Anfang September. Im Idealfall sind sie langsam, falls es sie denn überhaupt gibt, und kommen erst im November oder Dezember hier an.
„Hinter Arkansas gibt es keine Zonen mehr“, sagt Dan. „Nicht bis Pennsylvania und New York.“
Es gibt noch andere kleine Gruppen, das wissen wir, weil wir von ihnen gehört haben, aber sie haben keine Funkgeräte. Dan nimmt einen großen Schluck Milch; ich dachte immer, nur kleine Jungs trinken Milch zum Abendessen. Die letzten Wochen habe ich jede Nacht in seinem Zelt verbracht. Ich gehe, sobald Bits eingeschlafen ist, und verschwinde noch vor Sonnenaufgang, damit ich da bin, wenn sie aufwacht. Ich schwöre mir jedes Mal, dass es das letzte Mal ist, aber wenn die Farm nachts so schrecklich still ist, tausche ich mein einsames Bett gegen seins aus. Ohne uns abzusprechen, haben wir uns beide diese Woche nicht für die Nachtschicht eingeschrieben. Dan erwischt mich dabei, wie ich ihn gedankenverloren anstarre und stellt sein Glas auf den Tisch. Sein Blick bohrt sich in meinen. Ich konzentriere mich auf meine Serviette.
„Also wissen wir nichts Konkretes, bis sie nah genug sind, dass Dwayne mit dem Flugzeug nachsehen kann“, sagt John. „Wir haben genug Treibstoff für zwei Flüge. Vielleicht einen Anfang September und einen zweiten Mitte oder Ende September. Ich berate mich noch mal mit ihm.“
„Aber warum haben sie keinen Notruf gesendet?“, fragt James. „Das macht doch keinen Sinn. Ich mein, Colorado wusste doch, dass wir aus ebendiesem Grund auf dem Laufenden gehalten werden wollten.“
„Menschen tun verrückte Dinge, wenn sie Angst haben“, meint John. Er legt seine Hand auf Maureens, die neben seiner auf dem Tisch liegt. „Oder es war schlechtes Wetter. Vielleicht Tornados, Stromausfall, wer weiß? Lasst uns keine voreiligen Schlüsse ziehen.“
Für den Rest des Abendessens stochern wir schweigend in unserem Essen herum. An den umliegenden Tischen ist es laut, die Leute lachen und reden wie sonst auch, aber sobald alle wissen, was wir wissen, wird alles anders. Bits sitzt an Hanks und Henrys Tisch und kichert. Ich winke ihr zu und zwinge mich zu einer albernen Grimasse. Ihr entgeht einfach nichts, und wenn sie das hier erst mal spitz kriegt, ist es geschehen um all die ruhigen Nächte.