Das Lagerfeuer ist zu einer richtigen Party ausgeartet. Früher oder später muss der Lärm Lexer anziehen, aber niemanden scheint das zu kümmern. Mich kümmert es jedenfalls herzlich wenig. Mein Gesicht ist gerötet vom Wein, und als Nelly versucht, mit mir zu sprechen, richte ich einen anklagenden Zeigefinger auf ihn.
„Ich bin noch immer sauer auf dich“, schimpfe ich. Lalle ich etwa? Meine Stimme klingt betrunken.
Nelly sieht so aus, wie ich mich fühle; sogar seine Frisur sieht besoffen aus. Er kniet sich neben mich auf die Decke und legt eine schwere Hand auf mein Bein. „Ach was. Du weißt, dass ich dich lieb habe, Zwerg.“
„Dann versprich mir, dass du mich nicht mehr damit ärgerst!“
„Das ist so unfair! Du ärgerst mich andauernd.“
Ich drücke meine Stirn an seine. „Bei dir ist es was anderes. Du fühlst dich ja nicht wie ein schlechter Mensch. Ärger mich meinetwegen wegen was anderem.“
Er ist mir so nah, dass es im Schein des Feuers so aussieht, als habe er vier Augen, und sie alle blinzeln in Zeitlupe. Seine Stirn reibt sich an meiner, als er den Kopf schüttelt. „Du bist kein schlechter Mens. Hab ich gerade Mens gesagt?“
Ich lache laut. Er zieht mich mit sich runter auf die Decke, sodass wir beide auf dem Rücken liegen. „Mensch“, sagt er und betont das „sch“. „Du weißt, was ich meine. Du bist kein schlechter Was-auch-immer.“
Penny setzt sich neben uns und hält uns eine Feldflasche mit Wasser hin. „Trinkt, alle beide. Habt ihr eigentlich eine Vorstellung davon, wie doof es ist, auf der ersten richtigen Party des Jahres nichts trinken zu können?“
Ich lege ihr meine Hand auf den Bauch. „Du produzierst gerade einen Menschen, Penny Pentastisch. Du bist so schön und bis obenhin voll mit Leben. Es ist ein Wunder!“ Ich gebe mir wirklich die größte Mühe, jedes Wort sorgfältig zu artikulieren, aber ich klinge trotzdem noch wie ein besoffener Teenager.
„High on Life!“, ruft Nelly. „Und schau uns an: Wir haben nur diesen schnöden, aber erstaunlich leckeren Wein.“ Er versucht, einen Schluck aus der Flasche zu nehmen, aber da er auf dem Rücken liegt, läuft ihm das meiste davon übers Kinn in den Nacken.
„Und ihr habt scheinbar auch keine Vorstellung davon, wie anstrengend betrunkene Leute sind, wenn man selbst stocknüchtern ist“, murmelt Penny. „Versprecht mir, dass wir noch mal eine Party feiern, wenn das Baby draußen ist.“
„Aber klar“, rufe ich. „Pelbstverständlich!“
„Ich geh ins Bett“, sagt Penny und wirkt zumindest ein wenig besänftigt. „Soll ich Bits nehmen? Oder bist du so betrunken, dass du sie verloren hast?“ Sie verzieht den Mund zu einem schiefen Grinsen.
„He! Was soll das denn heißen? Sie ist mit Henry und Hank mitgegangen. Sie haben auf dem Weg ihr Feldbett geholt, damit sie bei Hank übernachten kann. Ich weiß sehr wohl, wo mein Kind ist!“
„Es ist zweiundzwanzig Uhr. Wissen Sie, wo Ihre Kinder gerade sind?“, sagt Nelly mit tiefer, unheilschwangerer Stimme, wie in den Durchsagen, die früher immer auf den öffentlichen Sendern ausgestrahlt wurden. Penny seufzt, während wir uns kringeln vor Lachen.
Sie wünscht uns eine gute Nacht, und wir bleiben auf der Decke liegen und reden, bis Nelly zu gähnen beginnt. „Heute war ein Scheißtag“, sagt er. „Oh mein Gott, was für ein Scheißtag.“
„Deswegen sind wir ja auch so betrunken.“
„Ganz genau. Und deswegen geh ich jetzt ins Bett. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“
„Was? Nein! Lass mich nicht alleine.“
Nelly setzt sich auf. Sein Lächeln ist ehrlich und nicht sein übliches ironisches Grinsen. „Keine Sorge, da wartet schon jemand auf den richtigen Augenblick. Das tut er übrigens schon den ganzen Abend. Gute Nacht, Zwerg.“
Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn und kommt langsam und wackelig auf die Beine. Ich will ihm gerade folgen, als Dan neben mir auftaucht. Ich nehme ihm den vollen Becher aus der Hand und nehme einen großen Schluck.
„Meinst du nicht, du hattest genug?“, fragt er.
„Oh nein“, sage ich. „Das ist erst der Anfang. Der Spaß fängt gerade erst an.“ Ausgesprochen klingt es leider mehr wie „Derspassfänggraderschan“.
Er nickt ernst und verzieht keine Miene, und ich schubse ihn. „Du hast recht. Okay, ich hatte genug. Willst du dein Geschenk?“
„Was für ein Geschenk?“
„Ich hab dir heute ein Geschenk besorgt. Aber freu dich nicht zu früh. So toll ist es auch wieder nicht.“ Er starrt mich an, ohne zu blinzeln. „Was? Ist es so komisch?“
„Nee, es ist überhaupt nicht komisch. Es ist gut.“
Sein Gesicht leuchtet auf. Und ich zweifle schon wieder daran, ob ich überhaupt etwas hätte sagen sollen, und versuche erneut, alles ein bisschen herunterzuspielen. „Na ja, wie gesagt, freu dich lieber nicht zu doll. Es ist in meiner Hütte. Bringst du mich hin?“
Dan hilft mir auf die Beine. Ich gehe neben ihm und plappere vor mich hin, über Gott und die Welt, hauptsächlich, weil er so verdammt still ist und auch, weil ich dann nicht an Caleb und Toby denken muss. Ich laufe zur Hütte und hole meine Lederjacke, bevor ich ihn bei seinem Zelt treffe. Der Zeltboden hat es irgendwie auf mich abgesehen und schaukelt, als ich hineinkriechen will, und mit einem Mal liege ich kichernd auf dem Rücken.
„Du bist sehr betrunken“, sagt Dan.
„Ich bin sehr betrunken. Du etwa nicht?“
Er blickt seine Füße an. „Stocknüchtern. Ich hatte keine Lust, zu trinken.“
„Ich hatte keine Lust, nüchtern zu sein“, erwidere ich, was mir ein Schmunzeln einbringt. „Ich will nicht denken. Heute machen meine Gedanken blau. Oh, hihi: Ich bin blau, meine Gedanken machen blau.“
„Ich mag diese Seite von dir. Vielleicht sollte ich dich öfter mal abfüllen.“
Ich halte ihm meine Hände hin, damit er mich hochzieht, aber stattdessen schiebt er seine Arme unter meine Knie und meine Schultern und hievt mich auf seine Matratze. Ich setze mich auf, wofür ich länger brauche, als ich zugeben will, und ziehe sein Geschenk aus meiner Jackentasche. „Tada!“
Er hält die Schirmmütze mit dem Red-Sox-Logo in seinen Händen wie ein Stück kostbares Porzellan und dreht sie vorsichtig hin und her. „Danke, Cass“, sagt er leise.
Er sieht so glücklich aus, und natürlich will ich, dass er glücklich ist, aber ich will auch nicht, dass er denkt, es sei irgendetwas anderes als eine kleine Aufmerksamkeit unter Freunden. „Es ist nur eine Mütze. Ich weiß, wie sehr du die Red Sox vermisst, und als ich sie heute im Minimarkt gesehen hab, musste ich an dich denken.“
„Danke dafür. Dass du an mich gedacht hast.“
„Na klar.“ Ich lege mich wieder auf den Rücken. Das war wirklich eine ganze Menge Wein, und ich merke schon jetzt, dass ich es bereuen werde. Das Zelt dreht sich erst langsam und dann immer schneller. Ich lege mich auf die Seite und schließe die Augen, um das Drehen anzuhalten, aber dadurch wird es nur noch schlimmer. Das Zelt dreht sich noch immer, aber schief. „Fühl mich nicht so gut. Muss schlafen.“
„Okay“, sagt Dan und streicht mir übers Haar. Das hilft. Das Zelt dreht sich langsamer und ich habe etwas, worauf ich mich konzentrieren kann.
„Hör nicht auf“, sage ich. „Das macht die Welt wieder gerade.“
„Keine Sorge, tu ich nicht. Du bist echt ’ne Klasse für sich, Knallkopf.“
Und dann weiß ich nichts mehr, bis Dan zu mir unter die Decke kriecht und mich an seine Brust drückt. Ich erwache nur für den Bruchteil eines Augenblicks, aber es genügt, um ihn murmeln zu hören: „Ich liebe dich.“
Und jetzt bin selbst ich stocknüchtern. Ich liebe ihn nicht. Ich werde ihn niemals lieben. Ich starre angestrengt in die Dunkelheit, bis er tief und regelmäßig atmet, und dann suche ich all meine Sachen zusammen, sogar meine Ersatzzahnbürste und meine extra Jeans, die immer in einer Ecke seines Zelts liegen, und gehe zurück zu meiner Hütte.