Kapitel 28
Du hast den Moosschattenschleicher getötet. Verdiente Erfahrungspunkte: 4388. Zum Erreichen der nächsten Stufe fehlen dir: 220458. Achievement vollendet: Furchtlose Kameraden – Teil V (Phase II) . Achievement-Bonus: +1 Kraft der Gedanken, +1 Treffsicherheit, +1 Abwehr, +1 Schöpfung, +25 magische Energie. Wirkung des Bonus: dauerhaft. Achievement aktiviert: Furchtlose Kameraden – Teil V (Phase III) . Tötet im Team zweihundert Monster, deren Stufe mindestens siebzig Einheiten höher ist als die des stärksten Spielers der Gruppe, um das Achievement zu vollenden! Achievement-Bonus: zufällig. Bedingung: In eurer Einheit dürfen höchstens sechs Spieler sein, das durchschnittliche Level der ganzen Einheit darf höchstens halb so hoch sein wie das Level der Monster.“
„Ich habe noch nie so schnell gelevelt“, bemerkte Tang.
„Ich auch nicht“, stimmte Babe zu.
„Ich glaube, Ross könnte anderer Meinung sein.“
„Wie schnell ich aufsteige, verrate ich euch lieber nicht. Ich will ja nicht, dass ihr vor Neid mit den Zähnen knirscht – oder sogar erstickt. Das wäre eine Bürde, die meine zerbrechliche und verletzliche Seele niemals tragen könnte. – Übrigens, habt ihr auch bemerkt, dass uns dieses Mal hier richtig viele Schattenschleicher über den Weg laufen?“
„Wir haben eine Route genommen, die wir vorher noch nicht erkundet hatten“, antwortete Tang. „Wir wissen nichts, also sollte uns nichts wundern.“
„Du irrst dich. Bald kommen wir an die erste Bruchstelle, wo wir den Umweg eingeschlagen haben. Wir sind gestern erst hier vorbeigegangen und haben keinen einzigen Mob gesehen. Entweder migrieren die Viecher oder unsere Spuren haben sie angelockt.“
„Du schlägst also vor, dass wir im Tempo von drei Schritten pro Stunde weiterschleichen sollen?“
„Immer noch besser, als wenn wir alle draufgehen.“
„Aber so schaffen wir es nicht rechtzeitig zur Halle. Wir verlieren zu viel Zeit. Jetzt sind wir schon den zweiten Tag unterwegs...“
„Wir haben viel mehr Zeit bekommen als beim ersten Mal. Wir sollten es schaffen.“
„Letztes Mal hatten wir eine Karte. Und die Bosse waren pillepalle.“
„Dein Pessimismus erstaunt mich immer wieder. – Passt auf! Ein Schattenschleicher!“
Zwei Minuten später atmeten sie erleichtert auf. Ross kam zu dem Schluss:
„In diesem Tunnel kann man keine Sekunde stehen bleiben. Die Schattenschleicher kriechen an der Decke entlang und lassen sich von dort aus auf uns herabfallen. Und irgendwas an den Mobs kommt mir merkwürdig vor. Sie sehen ziemlich aufgeregt aus. Lasst uns möglichst schnell weitergehen.“
Ross‘ Sorge stellte sich als unbegründet heraus. – Es war der letzte Schattenschleicher gewesen. Ohne Verzögerungen gelangten sie zur zweiten Verschüttung und stoppten davor.
„Das war‘s. Ab hier wird‘s gefährlich. Die Skelette könnten angreifen. Wir übernachten hier.“
„Sie könnten auch leicht bis hierher kommen“, bemerkte Babe.
„Dazu müssten sie durch das Loch klettern, das wir oben im Geröllhaufen freigegraben haben, und das dauert eine Weile. Wir hätten also ausreichend Zeit, ihnen einen schönen Empfang zu bereiten. Die Nacht über bleiben wir hier, und du, Babe, sieh zu, dass du dich ausloggst.“
„Okay. Ich versuche, morgen so früh wie möglich da zu sein.“
„Untersteh‘ dich!“ Tang winkte drohend mit dem erhobenen Zeigefinger.
Sie verbrachten eine weitere Nacht, in der nichts von Bedeutung geschah. Ungeachtet Ross‘ Befürchtungen, dass das seltsame Verhalten der Schattenschleicher auf neue Probleme hindeuten könnte, blieb jedoch alles ruhig. Er schlief etwa drei Stunden und schlug die restliche Zeit tot, indem er neuen Schmuck herstellte und verzauberte. Es kam nichts Umwerfendes dabei heraus, aber ein paar Items waren doch recht ansehnlich. Besonders erfreute ihn der Stab. Nach vielen Versuchen schuf er endlich einen, bei dem alles passte: Er war für Stufe-55-Spieler und eine gute Item-Klasse. Mit ihm wollte Ross den Abzug seiner Intelligenzpunkte ausgleichen und dafür sorgen, dass die Treffsicherheit seiner magischen Angriffe nicht allzu sehr beeinträchtigt würde.
Er versuchte nicht mehr, im Forum zu surfen. Am Vortag hatte er einen Beitrag in dem Thread gepostet, der der aktuellen Versklavung gewidmet war, in dem er klargestellt hatte, dass er nicht vorhabe, in irgendeinen Clan einzutreten. Und dass er in Ruhe gelassen werden wolle. Er zweifelte daran, dass es ihm etwas helfen würde, doch nach der Plauderei mit dem „Abgesandten“ hatte er sich zu dem Schritt förmlich gezwungen gefühlt. Tang surfte ein wenig und beschwerte sich darüber, dass mehr als anderthalbtausend persönliche Nachrichten in seinen Posteingang hineingeflattert waren. Die Leute hatten Wind davon bekommen, dass er ein Gefährte des großen Helden war, und versuchten, über ihn an Ross heranzukommen.
Babe erschien früh am nächsten Morgen, wie versprochen. Der Norder schimpfte ein wenig mit ihr, doch zurückschicken konnte er sie schließlich nicht. Sie gingen weiter.
Sie passierten die große Höhle, in der immer noch die Überreste des Wurms lagen, gingen an dem Gang vorbei, den die Skelette oder sonstigen Untoten gegraben hatten, um zu ihm zu gelangen, und erreichten die Mine. Nach etwa hundert Schritten bemerkte Ross:
„Letztes Mal sind wir genau hier gestorben.“
„Ja, ohne Equipment und Gegenwehr“, erinnerte Babe. „Sogar das Pet hast du zurückgepfiffen.“
„Also gut. Eure Kartographie steht leider auf Null, daher werden wir uns an meiner orientieren. Ich habe schon einige Minen gesehen. Normalerweise sind sie mehr oder weniger identisch aufgebaut. Die hier ist allerdings anders. Der Stollen ist zu breit, und im Boden sind ganze vier Rillen für Loren. Zwei sind schon eine Seltenheit, und drei der totale Overkill. Wozu also vier? – Das ist mir schleierhaft. Strecken gibt es auch keine. Ich vermute, dass wir im Hauptstollen stehen, der früher an die Oberfläche führte. Offenbar war die Mine riesig, und damit es nicht zu Staus kam, baute man mehrere Spuren. Die beiden linken wurden wahrscheinlich für die Strecken linkerhand benutzt, und die rechten für die rechterhand.“
„Ross, warum erzählst du uns das alles?“, fragte Tang.
„Weil ich noch nicht dahintergekommen bin, welche Struktur diese Mine hat und wie man sie schnell und einfach durchsuchen kann. Damit ihr euch nicht wundert, wenn ich euch erst einmal an merkwürdige Orte führe.“
„Na, Hauptsache du fängst mal an zu führen. Wir verlieren Zeit.“
„In Kampfstellung! Skelette!“
* * *
Es war seltsam, doch dieser Haufen Skelette blieb der einzige. Fast eine Stunde lang zogen sie weiter durch den schnurgeraden Tunnel, ohne irgendetwas oder irgendjemandem zu begegnen. Abzweigungen zu Strecken hatte der Tunnel ebenso keine.
Obwohl die Mine angeblich steinalt war, sahen sie keinerlei Brüche. Selbst einzeln herumliegende Brocken waren selten. Danger Babe und Tang wunderten sich darüber, und Ross erzählte ihnen von den Besonderheiten der Instandhaltung von Minen. Minen wurden mit bestimmten Eigenschaften versehen, darunter solchen, die dafür sorgten, dass praktisch alle Schäden wieder verschwanden. Es war eine Art Regeneration, nur dass es sich um keinen lebenden Organismus handelte, sondern um eine unterirdische Struktur.
Das war der Grund, weshalb die Mine trotz ihres respektablen Alters kaum Zeichen des Verfalls aufwies: Ihre Konstruktion – oder Struktur – stützte sich immer noch selbständig.
Und dann kamen sie an eine Stelle, an der ein Bruch ihnen den Weg komplett versperrte. Sie brauchten sich erst gar keinen Illusionen hinzugeben, sie könnten sich mit einer Schaufel und bloßen Händen irgendwie hindurchgraben: Viele Tonnen Geröll türmten sich bis zur Gewölbedecke auf. Ross nahm an, der Bruch war das Ergebnis von Geschehnissen, die ewige Zeiten zurücklagen, und offensichtlich hatte die Spielmechanik in diesem Fall nicht aufräumt: Wie gesagt war der Stollen mit dem darin vergrabenen Magier absichtlich zugeschüttet worden und hatte sich seither nicht verändert. Und das würde auch so bleiben. Zu Babes großem Verdruss mussten sie also umkehren. Wenigstens eine Stunde würden sie nun brauchen, um wieder an der Stelle anzugelangen, wo sie mit den Skeletten gekämpft hatten, und es war nicht gesagt, dass sie dort irgendetwas von Interesse finden würden. Es war vergeudete Zeit, und zudem stinklangweilig.
Doch das Mädchen täuschte sich. Am Ort des letzten Kampfes standen etwa dreißig Skelette und untersuchten das, was von ihren Kameraden übrig war. Es folgte ein heftiges, aber kurzes Gefecht. Das einzige, was die Gerippe gefährlich machte, war ihr hoher Schutz vor Kontrollzaubern. Ross, der seinen Intelligenzwert heruntergesetzt hatte, traf nur jedes zweite Mal mit seinem Sleep, wenn nicht noch seltener. Ansonsten gab es allerdings keine Probleme: Sie fielen schnell, ihr Angriffsschaden war hoch, ihre Angriffsgeschwindigkeit dafür jedoch niedrig. Zudem waren sie so dumm, dass es auf keine Kuhhaut passte – logisch, in Anbetracht dessen, dass sie Hohlköpfe waren.
Ab diesem Zeitpunkt trafen sie alle fünf bis sieben Minuten auf Einheiten der Skelettkrieger. Manchmal standen sie dicht beieinander, manchmal kamen sie auf sie zu. Ross glaubte, dass Letztere auch zuerst still herumgestanden hatten, und sich erst rührten, wenn sie verdächtige Geräusche hörten. Schwierigkeiten bereiteten ihnen diese Mobs nicht, trotz ihrer anständigen Stufen. Das Pet war viel höher als sie und darüber hinaus mit den Buffs eines Flaitings verstärkt, der kein blutiger Noob mehr war. Und wenn es brenzlig wurde, konnten sie es zu zweit heilen.
Um die Mittagszeit schickten sie Babe IRL. Ross verbrachte die mehr als drei Stunden, in denen sie allein waren, mit dem Craften neuer Gegenstände. Zum Glück hatte er einen ausreichenden Vorrat an Erz, Steinen und Loot. Außerdem arbeitete er an seiner Verzauberung, während Tang nach einem kurzen Besuch im Forum berichtete, was es dort Neues gab.
Babe kehrte zurück, und sie gingen weiter. Nach etwa vierzig Minuten kamen sie an eine Y-förmige Einmündung: Der Dungeon gabelte sich. Zwei Lorenspuren liefen nach links, zwei nach rechts weiter. Die beiden weiterführenden Tunnel waren merklich kleiner und äußerlich vollkommen identisch. Welche Richtung sie einschlagen sollten, wusste Ross nicht. Er wusste nur, dass der Plan dieser Mine komplexer war als der seiner ersten. Nichts erinnerte an das simple Schema des Hauptstollens mit rechtwinklig abzweigenden Strecken. Darüber hinaus war ihm hier in der ganzen Zeit kein einziger Klumpen Erz unter die Augen gekommen, mal abgesehen von denen, die ab und zu unter der Wracks verrotteter Loren verborgen lagen. Das musste bedeuten, dass sie den Bereich, in dem gefördert worden war, offensichtlich noch nicht erreicht hatten. Die Bergleute aus grauer Vorzeit mussten Blut und Wasser geschwitzt haben, um so tief in den Untergrund vorzudringen. Keine ihrer modernen Berufsgenossen hatten dieses Kunststück wiederholt.
Was mochte sie dazu getrieben haben?
An der Einmündung liefen sie geradewegs in einen Haufen Skelette hinein. Unter ihnen befand sich ein neuer Mob: eine völlig ausgedörrte Mumie von enormer Größe, bekleidet mit einem rostigen Kettenhemd, das sie über ihren verkrusteten Binden trug und das bis zu den Knien reichte. Bewaffnet war sie mit einer langen Hellebarde. Doch sie war elend langsam damit: Sie holte so lange Schwung, dass man getrost einen Espresso schlürfen konnte, während man darauf wartete, dass das Instrument niederfuhr. Und sobald das Pet sie angriff, zeigte sich, dass sie völlig hilflos war, da sie keinerlei Nahkampfwaffen besaß.
Die Mumie schenkte ihrer Mini-Einheit einen Helm seltener Klasse mit nahezu perfekten Eigenschaften für ihren Tank. Natürlich ging die Trophäe an den Norder.
Für den weiteren Weg entschieden sie sich für den linken Tunnel. Eineinhalb Stunden vergingen, während derer sie mit der gleichen Leichtigkeit Skelett- und Mumientruppen niedermetzelten. Trotz ihrer Stufe waren sie überhaupt keine Gegner. Sogar Babe konnte ihnen ordentlich Schaden verabreichen. Es stellt sich heraus, dass Angehörige der Schule des Lichts, zu denen Flaitinge von Geburt an zählten, natürliche Boni besaßen, die ihnen im Kampf gegen Untote halfen. Und wenn gegen gewöhnliche Mobs die Angriffszauber dieser Schule ungefähr so viel nützten, wie mit Bananen auf Oran Utans zu werfen, so waren sie gegen Untote hochwirksam.
Die ersten beiden Strecken hielt Ross zunächst für weitere Verzweigungen, weil sie merkwürdigerweise, anstatt im rechten Winkel vom Stollen abzugehen, willkürlich in verschiedene Richtungen liefen. Das Trio nahm den Weg ganz links, stieß dort auf drei Skelette und verwandelte sie in einen Haufen Knochen. Und dann bemerkte Ross etwas Neues in der Wand. Er zeigte mit dem Finger darauf:
„Schaut euch das an.“
„Was sollen wir uns anschauen?“, fragte Tang verständnislos.
„Das ist ein Edelstein. Ein Ametrin.“ Babe konnte den Stein sehen. Sie stellte ihre Standardfrage: „Wertvoll?“
„Kommt auf die Qualität an. Und er erfordert einen Bergbaustat von mindestens 41. Ich habe nur 23, ein bisschen mehr als die Hälfte von dem, was nötig ist...“
„Na, aber du hast doch ein astronomisches Glück, und eine Menge anderer nützlicher Stats! Komm schon, bau ihn ab!“
„Erst überprüfen wir die Strecke bis zum Ende, damit der Lärm keinen Skelettsturm auslöst. Das Klopfen der Hacke kann man sehr weit hören.“
Die Strecke zog sich etwa einen Kilometer hin, viel weiter, als Ross es je gesehen hatte. Neben Ametrinen gab es hier auch Taaffeite. Diese Edelsteine waren noch wertvoller, wurden aber nur ungern verwendet, hauptsächlich in Kombinationen und Items, wo sie sich bewährt hatten. Das Gleiche konnte man übrigens von allen Edelsteinen auf hohem Level sagen. Ihr Preis war so hoch, dass es einem schwerfiel, sich zu riskanten Experimenten durchzuringen, denn es gab nur wenige unterschiedliche Items, die sie enthielten, anders als bei billigeren Materialien.
Leider war der Taaffeit von Ross‘ großem Glück wenig beeindruckt und ließ sich nur schwer abbauen. Jeder zweite Versuch scheiterte. Kein Wunder – schließlich verlangte er sogar einen Bergbauwert von 47. Auf der anderen Seite waren High-Level-Ressourcen genau das Richtige, um diesen Stat zu steigern – solange man erfolgreich war.
Ross hätte wohl noch lange in diesem Stollen verweilt, aber er wusste, wann er die Geduld der anderen genug strapaziert hatte. Also gingen sie weiter. Mittlerweile hatte er den Aufbau der Mine grob verstanden und ignorierte die weiteren Strecken, an denen sie vorbeikamen. Der Logik des Spiels zufolge durfte dort nichts Neues zu finden sein, nur die immergleichen kleinen Gruppen von Skeletten sowie Edelsteine. Was sie finden mussten, waren andere Mobs: neuere und gefährlichere, von der Sorte, die die unmittelbaren Zugänge zum Bossbau bewachte. So war es bei der letzten Quest gewesen: Die erbittertsten Kämpfe hatten sie ausgefochten, als sie dem Ziel bereits ziemlich nahegekommen waren. Sie konnten auch jetzt von einem analogen Szenario ausgehen.
Im linken Stollen verbrachten sie 24 Stunden. Ross steigerte seinen Bergbau und seine Aufmerksamkeit, machte ein paar geeignete Schmuckstücke zur Ergänzung ihres Equipments und daneben einen ganzen Haufen Klunker, die ihnen in ihrer Lage nichts nützten, weil sie mindestens Stufe hundert erforderten. Sie würden sie irgendwann verkaufen können. Die nicht sonderlich gelungenen wollte Ross zur Weiterentwicklung seiner Verzauberung verwenden. Der Fortschritt hing nicht nur von der Qualität eines Gegenstands ab, sondern auch von seiner Stufe – wenn auch in viel geringerem Maße.
Der linke Stollen endete nicht in einem Bruchsteinhaufen, sondern in einer Sackgasse. Hier hatten die Bergleute der Vergangenheit offenbar beschlossen aufzuhören. Zurückgelassene Loren, Haufen von Abraumgestein und sogar ein paar rostige Spitzhacken mit verrotteten Griffen bildeten die passende Kulisse.
Für den Rückweg zur Gabelung des Stollens brauchten sie mehrere Stunden. Auch wenn die alten Skelette nicht von neuen abgelöst wurden, zog sich der Tunnel endlos hin. Sie waren zu weit gekommen.
Hier, an der Verzweigung der drei Tunnel, wartete ein Empfangskomitee auf die drei Helden. Den Skeletten hatte es offenbar gar nicht gefallen, dass man ihre Einheiten vernichtet hatte, und so hatten sie beschlossen, diesen strategischen Punkt mit einem seriösen Aufgebot abzuriegeln. Bedauerlicherweise bestand dieses nur aus den unbedeutenden Fußsoldaten, die dem Trio mittlerweile zum Hals heraushingen. Einen Teil lenkte der Norder auf sich, während einige das Pet angriffen, und fünf Minuten später war von der zwanzigköpfigen Einheit der Untoten nichts übrig als ein Berg staubiger Knochen und Fetzen schmutziger Binden.
Nun gingen sie also in den rechten Tunnel. Bald zweigten auch hier die ersten Strecken ab, und darin gab es statt Edelsteinen etwas anderes zu entdecken: Platinerz. Hier und da fanden sie auch Kristalliterz. Wahrscheinlich waren die Vorkommen noch viel reicher, doch wegen seines hohen Levels war es viel schwieriger zu entdecken.
Je tiefer sie kamen, desto stärker wurden die Skelette. Sie trugen nun öfter hochwertige Rüstungen, und allmählich wirkten auch ihre Waffen respekteinflößend – Rost hin oder her. Im Kampf bereiteten sie nach wie vor wenig Probleme, aber die Veränderungen ließen darauf schließen, dass die Gruppe auf dem richtigen Weg war. Die Richtung musste die zur Höhle des Bosses sein.
Zwei Tage lang liefen sie durch die Tunnel der Erzmine. Der Abend rückte näher, als sie vor sich einen verdächtigen Schimmer sahen.
„Babe, lösch‘ dein Licht“, befahl Ross.
„Was ist das?“, flüsterte das Mädchen angespannt.
„Ich weiß nicht. Sieht aus wie ein Lagerfeuer.“
„Es gibt keinen Rauch. Nicht mal eine Spur von Rauch liegt in der Luft.“
„Seht doch selbst – wie Glut von einem Feuer.“
„Stimmt. Was kann das sein?“
„Ich habe keine Ahnung. Ich gehe voran, ihr bleibt dicht hinter mir. Beim kleinsten Anzeichen, dass sich irgendwas tut, entzündest du sofort deine Lichtkugel.“
„Wir werden stolpern. Man kann nicht mal sehen, wo man hintritt.“
„Keine Sorge, der Boden ist eben, und es liegen keine Steine herum. Seid nicht ängstlich und bleibt einfach zwischen den Radrillen. An denen könnt ihr euch orientieren.“
„Hm, klar, wir können ja krabbeln und sie mit den Fingern ertasten“, brummte Tang.
Der Tunnel endete, aber dieses Mal nicht in einer Sackgasse. Hier waren die Erbauer der Mine auf eine natürliche Höhle gestoßen und hatten aufgehört. Das Bild war ihnen schon vertraut: Überreste zurückgelassener Loren, Schutthaufen und der morsche Griff einer Spitzhacke, der aus einem von ihnen herausragte. Einen Unterschied gab es allerdings: einen ungleichmäßigen Durchbruch am Ende des Stollens. Aus ihm drang das verdächtige Leuchten.
Ross schlich sich äußerst vorsichtig durch den „Lorenfriedhof“, kehrte dann schnell zurück und erläuterte die Lage:
„Hinter dem Loch öffnet sich eine Höhle. An ihren Wänden wachsen so etwas wie Flechten, und von ihnen kommt das Leuchten. Es sind auch Skelette da. Aber sehr merkwürdige.“
„Merkwürdig? In welcher Hinsicht?“, fragte Tang.
„Sie sind größer als die, die wir bisher gesehen haben, und alle tragen schwarze Schilde und spitz zulaufende Helme. Solche habe ich noch nie gesehen.“
„Sieht aus, als seien wir auf dem richtigen Weg.“
„Anscheinend.“
„Sollen wir kämpfen?“, fragte Babe.
Ross schüttelte den Kopf:
„Lasst uns damit bis morgen warten. Es ist schon spät. Wenn wir Krach machen, könnte Verstärkung anrücken, und es wäre ungeschickt, wenn sich der Kampf in die Länge zieht. Es ist Auslog-Zeit für dich.“
„Mann, ihr habt so ein Glück, dass ihr gar nicht weg müsst...“
„Glück würde ich das nicht nennen“, schüttelte Tang den Kopf.
„Ich hatte den Eindruck, du wärst ganz zufrieden?“
„Manchmal würde ich gerne meine Enkelkinder verwöhnen. Ich vermisse sie oft.“
„Wieso spielen sie nicht auch?“
„Mach keine Witze darüber. Die Einzigen, die sich für mich interessieren, sind die Allerkleinsten, und Kinder in ihrem Alter dürfen hier nicht mitspielen.“
„Ich will euch aber nicht in der Nähe dieser Skelette allein lassen. Wieso gehen wir nicht zurück zu den Strecken? Dort tropft auch an manchen Stellen Wasser von den Decke, und es ist nicht so unheimlich.“
„Okay“, stimmte Ross zu. „Wir gehen zurück, setzen uns in die allererste Strecke, und du lässt deinen Körper dort.“
„Und wenn da Skelette sind?“
„In den Strecken sind nur wenige, oder gar keine. Und wenn, sollte das Pet sich um sie kümmern können. Tang kann sie außerdem leicht aufhalten. Und meine Heals reichen ihm zum Überleben.“
„Ich buffe euch noch mal, bevor ich gehe.“
„Gut.“
* * *
Babes Vorschlag zurückzugehen, gab Ross die Gelegenheit, zu seiner ungeliebten Routine überzugehen: Die halbe Nacht lang war er damit beschäftigt, die Ressourcen in der Strecke abzubauen. Die Erze, die er hier fand, waren extrem wertvoll, weshalb sein Bergbau in wahnsinnigem Tempo wuchs. Synchron dazu stieg auch seine Aufmerksamkeit an. Es war eine einmalige Gelegenheit, die er einfach nicht verschenken konnte.
Es war nur schade, dass nur der linke Tunnel der Mine Edelsteinvorkommen aufwies. Die Steine waren leicht, beanspruchten nicht viel Platz und würden einen Preis erzielen, der sich, gemessen am Gewicht, kaum mit dem von Metall vergleichen ließ.
Ein anderer Nachteil war, dass er, wenn er hochstufige Ressourcen verwendete, für gewöhnlich auch High-Level-Items erhielt. Es gab zwar Methoden, das Level des Endprodukts zu senken, aber die Chancen waren nicht groß, und um sie zu verbessern, musste man eine Menge sekundärer und Zusatzattribute hochschrauben. – Und selbst dem großen Helden mit seiner Bandbreite seltener Stats fehlte dazu vieles.
In den Abbaupausen erstellte Ross Schriftrollen mit einer einzigen Fähigkeit: Chaos-Pfeilen. Für Tang. Wenn ihre Überlegungen bezüglich der Natur des Bosses korrekt waren, würde der Norder alles daransetzen müssen, ihm maximalen Schaden zuzufügen, während Ross den Tank spielte. Da praktisch niemand in der Zweiten Welt eine wirksame Verteidigung gegen die Magie des Chaos besaß, würden ihm die Schriftrollen einen guten Dienst erweisen.
Nicht umsonst hatten sie Agitrick so unverschämt viel Erz für das Material bezahlt.