Als Andrea aufwachte, fiel das Sonnenlicht durch die schweren Vorhänge. Nikos’ Hand lag noch immer auf ihrem Bein, und sie spürte, wie sich das Bett leicht hin- und herbewegte. Plötzlich fiel ihr alles wieder ein. Sie befand sich nicht auf festem Boden, sondern an Bord einer Jacht … und sie, Andrea, lag mit dem Rücken an Nikos geschmiegt, der im Schlaf zärtlich den Arm um sie gelegt hatte.
Als sie sich bewegte, öffnete auch Nikos die Augen, und sein Körper reagierte sofort. Wie gern hätte er seine Frau noch einmal geliebt. Aber er wollte sie nicht überfordern. Es würde sich bestimmt für ihn auszahlen, wenn er sich etwas zurückhielt. Deshalb ließ er Andrea los, streckte sich ausgiebig und stand dann auf. „Heute Morgen werden wir im Bett frühstücken und danach die Schönheiten Kretas erforschen!“, sagte er betont locker, streifte sich den Bademantel über und ging dann zum Telefon, um beim Steward die Bestellung aufzugeben.
Es war ein wunderbarer warmer Frühsommertag, und es dauerte nicht lange, bis Nikos es wieder richtig genoss, am Steuer des Jeeps zu sitzen und Andrea die Sehenswürdigkeiten der griechischen Insel zu zeigen.
Sie machten sich auf den Weg zur Samaria-Schlucht, von der Andrea schon so viel gehört hatte. „Ich kann sie zwar nicht durchqueren“, sagte sie bedauernd, „aber so habe ich sie wenigstens einmal gesehen.“
Am Eingang der Schlucht setzten sie sich in ein kleines cafeneion, tranken einen Kaffee und betrachteten fasziniert die kahlen Höhen der Berge, die sie umgaben.
„Was hältst du davon, wenn wir morgen mit der Jacht nach Agia Roumeli fahren?“, fragte Nikos schließlich und lehnte sich zufrieden zurück. „Dort befindet sich der Ausgang der Samaria-Schlucht, der außer zu Fuß nur vom Wasser aus zugänglich ist.“
Andrea nickte. Ihr war alles recht, Hauptsache, sie war mit Nikos zusammen. „Was bedeutet eigentlich agia?“, wollte sie wissen. „Es gibt sehr viele Orte, die so heißen.“
Nikos lachte. „Das bedeutet ‚die Heilige‘. Agios ist das männliche Gegenstück dazu.“ Er betrachtete Andrea einen Moment lang nachdenklich. „Du musst unbedingt die Sprache deiner Väter lernen, Andrea mou. Das ist ganz besonders wichtig, weil du ja auch in Griechenland leben wirst.“
Sie schwieg, denn damit sprach er ein Thema an, über das sie nicht nachdenken wollte. „Was heißt mou?“, fragte sie schließlich leise. „Du sagst immer wieder Andrea mou.“
„Meine Andrea“, erwiderte er und blickte ihr direkt in die Augen.
Schnell sah sie zur Seite. Ich darf nicht schwach werden, dachte sie erschrocken. „Können wir etwas essen gehen? Ich habe einen Bärenhunger.“ Vielleicht konnte sie ihn so ablenken.
Er nahm ihre Hand und liebkoste mit dem Daumen sanft ihre Haut. „Das habe ich auch, pethi mou“, flüsterte er.
Doch es würde noch viele Stunden dauern, bis auch er seine Begierde stillen konnte. Erstaunlicherweise machte es ihm nichts aus, denn er hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt. Andrea war wie ausgewechselt. In Athen war sie die unnahbare Engländerin gewesen. Jetzt war sie lebenslustig, warmherzig und an allem interessiert. Weshalb war die Spannung zwischen ihnen plötzlich verschwunden? Lag es daran, dass er sie zu seiner Frau gemacht hatte?
Und das war sie jetzt, und zwar ohne Vorbehalt. Kein anderer Mann würde sie je berühren dürfen, und niemand würde ihr mehr wehtun. Er, Nikos, war da, um sie zu beschützen und sie auf Händen zu tragen. Die Geister der Vergangenheit waren vertrieben, und von nun an würde es für Andrea und ihn nur noch den Weg ins Glück geben.
Vor ihrer Hochzeitsnacht hatte Andrea ihm zwar zu verstehen gegeben, dass sie wieder nach London zurückkehren wollte, doch das war inzwischen vergessen. Sie hatte Angst vor ihm gehabt. Aber er hatte ihr bewiesen, dass es nichts zu befürchten gab – ganz im Gegenteil!
Die Zukunft sah sehr vielversprechend aus, und Nikos war entschlossen, alles dafür zu tun, dass es auch so blieb.
Andrea betrachtete den Mann neben ihr verstohlen, als sie die Serpentinenstraße zur Südküste hinunterfuhren. Er war einfach umwerfend, und das machte die ganze Sache noch viel schwerer. Immer wieder musste sie an seine Worte denken. Sie sollte hier in Griechenland leben und seine Frau bleiben …
Das war unmöglich!
Oder vielleicht doch nicht? Schon bald musste sie Farbe bekennen, und ihr graute davor. Heute jedoch wollte sie sich amüsieren und alles andere vergessen.
Sie hatte noch einige Tage Galgenfrist. Gestern Morgen hatte sie Tony angerufen und ihm mitgeteilt, dass der Plan sich geändert hatte. Ihr Freund hatte sich Sorgen gemacht, obwohl sie das vereinbarte Passwort genannt hatte, doch sie konnte es nicht ändern. Schnell hatte sie ihm mitgeteilt, dass sie noch nicht nach Hause kommen, ihm aber Bescheid geben würde, wenn es so weit war.
„Ich bin auf der Jacht meines Großvaters“, hatte sie ihm gesagt, „aber keine Angst, er ist nicht hier. Mir geht es gut, wirklich. Ich muss jetzt auflegen, es kommt jemand. Bitte grüße Mum ganz herzlich von mir. Ich bin bald zurück – vertrau mir.“
Werde ich das wirklich sein? dachte sie verzagt und betrachtete schweigend die kahle Bergwelt. Andrea hatte keine Ahnung, was sie eigentlich hier machte. Sie kam sich wie eine Schiffbrüchige auf einem unbekannten Ozean vor, hilflos fortgetragen von den allgegenwärtigen Wellen …
Sie aßen in einem kleinen Restaurant in Sougia zu Mittag, von wo aus sie einen wundervollen Blick auf das Meer hatten.
„Der Kellner hat mir gerade von einer alten römischen Ausgrabungsstätte erzählt“, sagte Nikos. „Leider kann man nicht mit dem Wagen hinfahren, sondern muss zu Fuß dorthin gehen. Vielleicht können wir ja mit der Jacht dort vor Anker gehen.“
„Wie lange müsste ich laufen?“, fragte Andrea.
„Eine Stunde, aber der Weg soll sehr uneben sein. Ich möchte dich nicht in Gefahr bringen.“
„Es tut mir leid, dass ich eine solche Belastung für dich bin“, flüsterte sie.
Nikos nahm ihre Hand. „Das bist du doch gar nicht! Du bist bewundernswert tapfer gewesen, Andrea mou. Wenn ich nur daran denke, was du durchlitten haben musst … Es ist unvorstellbar!“
Seine mitfühlenden Worte trieben ihr Tränen in die Augen. Nikos spürte es und liebkoste sanft ihre Finger. „Sei nicht traurig, agape mou. Stell dir nur vor, dein Großvater wäre nicht so reich gewesen! Mit seinem Geld konntest du dir die besten Ärzte und Kliniken leisten, und es wurde alles getan, um dir das Leben zu erleichtern. Ich weiß, Gesundheit kann man nicht kaufen, aber es hilft ungemein, wenn man vermögend ist. Dafür solltest du deinem Großvater dankbar sein, denn es gibt viele Menschen, denen es wesentlich schlechter ergangen ist als dir.“
Andrea hatte das Gefühl, als hätte er ihr einen Faustschlag versetzt. Sie sah wieder den Brief vor sich, den der alte Mann ihrer Mutter geschickt hatte, als diese um Geld für Andreas Behandlung gebeten hatte. Kim hatte Yiorgos Coustakis alle medizinischen Unterlagen zukommen lassen, in denen auch die immensen Kosten für die Operationen und die Physiotherapie aufgelistet waren. Ihr Großvater hatte die Berichte zurückgesandt und ihrer Mutter unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er das Ganze für maßlos übertrieben hielt und Kims plumpen Versuch, ihm Geld zu entlocken, durchschaut hatte.
Doch das war nicht alles gewesen. Wenig später war ein zweiter Brief gekommen, diesmal von der Anwaltskanzlei ihres Großvaters: Man hatte Kim mit rechtlichen Schritten gedroht, wenn sie noch einmal versuchen sollte, mit Yiorgos Coustakis Kontakt aufzunehmen.
Nikos sah, wie Andreas Miene finster wurde. Er hatte seine Frau nicht verletzen wollen, aber es wurde Zeit, dass sie verstand, worum es im Leben ging. Sie nahm ihren Reichtum als selbstverständlich hin und hatte den Blick dafür verloren, dass es auch Armut auf dieser Welt gab. Allerdings hatte er das Gefühl, als schmeckte ihr ein billiges Essen in einer Taverne besser als ein delikates Mahl in einem eleganten Restaurant.
Wenn sie genau wie er für ihr Geld hätte arbeiten müssen, würde sie wahrscheinlich die schönen Dinge zu schätzen wissen.
Und was ist mit dir? fragte seine innere Stimme. Musste es wirklich immer das Beste sein?
Schnell verdrängte er diesen Gedanken. Er hatte Tag und Nacht gearbeitet, und es war sein gutes Recht, ganz oben zu stehen. Coustakis Industries war die Trophäe, die er sich redlich verdient hatte.
Ganz zu schweigen von der Coustakis-Erbin, die ihm jetzt gegenübersaß … seine wundervolle, atemberaubende Frau, die er schon bald wieder lieben würde. „Ich freue mich schon auf heute Nacht, Andrea mou“, flüsterte er und küsste sanft ihre Hand. „Ich kann es kaum noch erwarten.“
Sie errötete, als sie diese leidenschaftlichen Worte hörte, und er lehnte sich zufrieden zurück. Das Leben war einfach wunderbar!
Und die Nacht war sogar noch besser. Den ganzen langen Nachmittag hatte Andrea gespürt, wie die Flammen der Begierde in ihr immer höher loderten, bis es beinahe nicht mehr auszuhalten war. Während der Fahrt nach Chania und dem anschließenden Abendessen in einem Restaurant am Hafen der kleinen Stadt hatte Andrea nur Augen für Nikos gehabt. Als sie schließlich die Jacht erreicht hatten, die in der Souda-Bucht vor Anker lag, eilten sie die Gangway hinauf und verschwanden sofort in der Eignerkabine.
Ihr Liebesspiel in dieser Nacht war eine Offenbarung. Andrea wusste genau, in welche Höhen ungezügelte Leidenschaft sie tragen konnte, und sie konnte nicht genug davon bekommen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so wild, begehrenswert und mutig gefühlt.
„Es kommt mir so vor“, sagte Nikos heiser, als sie sich auf ihn setzte und ihm zeigte, wie sehr sie sich nach ihm sehnte, „dass du die verlorene Zeit wieder aufholen willst.“ Er umschloss ihren Po, hob Andrea an und hielt sie so, wie er sie haben wollte. Dann lehnte er sich entspannt zurück und schenkte ihr ein Lächeln. „Nimm mich“, flüsterte er, „ich bin dein …“
Und Andrea kostete jeden Moment aus. Ganz langsam wurde sie mit Nikos eins und übernahm die Kontrolle über ihr Liebesspiel.
So ging es die ganze Nacht bis weit in den nächsten Morgen hinein. Sie nahmen und gaben, fachten ihre Leidenschaft ins Unermessliche an und lagen erschöpft, aber glücklich nebeneinander.
„Sollten wir nicht aufstehen?“, flüsterte Andrea irgendwann einmal und schmiegte sich enger an Nikos’ Brust.
„Wir sind in den Flitterwochen, Andrea mou. Niemand hetzt uns, wir haben alle Zeit der Welt“, antwortete Nikos und liebkoste ihr Ohrläppchen. Wieder spürte sie, wie die Begierde in ihr aufstieg – was erstaunlich war, denn es war noch nicht lange her, seitdem sie das letzte Mal eins gewesen waren!
„Vielleicht sollten wir tatsächlich das Bett verlassen“, sagte Nikos lächelnd und spielte weiter mit ihrem Ohrläppchen, „aber vorher sollten wir noch ein Bad nehmen …“
Sich in einem Jacuzzi zu lieben war eine ganz neue, atemberaubende Erfahrung, und es war schon früher Nachmittag, als die beiden das Deck betraten und unter einem Sonnensegel zu Mittag aßen, während die bergige Küstenlandschaft Kretas langsam an ihnen vorbeizog.
Der Kapitän ließ das Beiboot zu Wasser, und sie fuhren hinaus zu einem kleinen, fast menschenleeren Strand. Gerade als Andrea sich zu entspannen begann, reichte Nikos ihr einen Badeanzug, den er zwischen den Handtüchern versteckt hatte.
„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte er, als er ihren erschrockenen Blick sah, „niemand wird deine Beine beachten. Sie werden viel zu sehr damit beschäftigt sein, deinen schönen Körper zu bewundern.“ Er beugte sich vor und küsste sie. „Tu es für mich, Andrea mou. Vertrau mir.“
Wie konnte sie da Nein sagen? Sie konnte ihm seine Bitte einfach nicht abschlagen.
Er hielt ein riesiges Badehandtuch als Schutz vor sie, und sie streifte sich schnell den schwarzen Badeanzug über, den er für sie gekauft hatte. Zuerst war sie nervös, doch sie merkte schnell, dass Nikos recht gehabt hatte. Die wenigen Strandbesucher waren viel zu sehr mit sich beschäftigt, um auf sie zu achten.
„Lass uns schwimmen gehen“, rief Nikos. Er zog sich bis auf die Badehose aus, nahm dann Andreas Hand, und sie liefen gemeinsam in das blaue, kristallklare Wasser. Es war noch ziemlich kalt, und Andrea blieb erschrocken stehen, doch Nikos lachte nur. Er zog sie erbarmungslos weiter, ließ sie dann los und tauchte elegant unter den sanften Wellen hindurch. Gleich darauf schwamm er wieder auf sie zu und winkte fröhlich. „Komm zu mir, Andrea. Du wirst mir noch dankbar sein!“
Als sie fünfzehn Minuten später wieder am Strand standen, fühlte sie sich wie neugeboren. Nikos legte ihr ein Badehandtuch um die Schultern, trocknete sich dann ab und setzte sich neben sie in den Sand.
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Sein noch feuchtes Haar glänzte in der Sonne, und Andrea hätte es gern berührt. Auch er lächelte sie an, und in seinem Blick lag die Leidenschaft, die er für sie empfand, und die sie sehr glücklich machte.
Es war wirklich schade, dass sie heute Abend wieder auf diese riesige, ungemütliche Jacht zurückkehren mussten! Alles dort erinnerte sie daran, warum sie eigentlich nach Griechenland gekommen war – und daran, dass sie eine Entscheidung zu treffen hatte.
Aber dazu war sie noch nicht bereit. „Müssen wir wirklich wieder zurück?“, fragte sie leise.
Überrascht sah er sie an. „Wieso? Gefällt es dir an Bord nicht?“ Nikos konnte sich nur schwer vorstellen, dass jemand den Luxus auf diesem schwimmenden Palast nicht zu schätzen wusste.
„Könnten wir nicht auf Kreta übernachten?“
Er nickte lächelnd. „Natürlich. Ich werde dafür sorgen, dass man uns eine Suite in einem Hotel reserviert. Oder möchtest du lieber in einer Villa wohnen?“
„Müssen wir uns denn festlegen? Wir sind an so vielen kleinen Hotels vorbeigekommen. Irgendwo wird sicher noch ein Zimmer frei sein. So könnten wir ungehindert die Insel erforschen und übernachten, wo wir wollen.“
„Das würde dir gefallen?“
„Oh ja, Nikos, sehr sogar! Das macht bestimmt Spaß! Ich habe so etwas noch nie getan.“
Fünf wundervolle, unvergessliche Tage lang fuhr Andrea mit Nikos im Jeep über die Insel und entdeckte die Sehenswürdigkeiten. Fünf leidenschaftliche, heiße Nächte verbrachte sie in seinen Armen. Alle Sorgen waren vergessen, und sie war so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Es war eine ganz besondere Zeit, und sie war entschlossen, sie voll auszukosten.
Immer wieder erinnerte sie sich daran, was er ihr in Knossos gesagt hatte. „Wir müssen unser Leben genießen, Andrea, und das Beste daraus machen. Das gilt für unsere Gedanken, Herzen und besonders für unsere Leidenschaft.“
Genau das hatte sie vor. Denn ihr war nur zu gut bewusst, dass das Glück nur von kurzer Dauer sein würde.
Als sie am letzten Abend zur Souda-Bucht fuhren, wo die Jacht vor Anker lag, ging die Sonne gerade unter und tauchte das Meer in einen atemberaubend goldenen Schein. Aber Andrea hatte keinen Blick für die Schönheit der Natur. Die wunderbare Zeit mit Nikos war fast vorüber. Sie blickte den Mann neben ihr an und prägte sich seine Gesichtszüge ein. Ich liebe ihn, gestand sie sich verzagt ein. Doch das würde sie ihm nie gestehen.
Andrea ging unruhig auf dem Oberdeck auf und ab, während der Kapitän die Jacht auf Piräus zusteuerte. Im Osten wurde es langsam hell. Unser letzter Tag bricht an, dachte sie traurig. Nikos schlief völlig erschöpft vom Liebesspiel in dem großen Bett und hatte nicht bemerkt, dass Andrea sich davongeschlichen hatte.
Wie hatte es nur so weit kommen können? fragte sie sich immer wieder. Sich in Nikos zu verlieben, war nicht Teil des Plans gewesen! Verzweifelt blickte sie hinaus auf das Meer.
Es war alles nur ein Traum! Sie gehörte nicht auf eine Luxusjacht. Ihr Leben spielte sich in der kleinen Sozialwohnung ab, in der ihre Mutter auf einem Berg unbezahlter Rechnungen saß. Und zwar nur, weil sie sich zu völlig überhöhten Zinsen hatte Geld leihen müssen, damit ihre Tochter operiert werden konnte. Ihr war es einzig und allein zu verdanken, dass sie, Andrea, wieder gehen konnte.
Nur deshalb war sie nach Griechenland gekommen. Sie hatte ihre Mutter endlich aus ihrem Käfig befreien und ihr das Glück schenken wollen, das sie verdiente.
Und nichts würde sie davon abhalten können. Das „Bestechungsgeld“ ihres Großvaters befand sich sicher auf ihrem Bankkonto. Jetzt musste sie nur noch nach Hause zurückkehren und es ausgeben.
Dafür musste sie aber Nikos vergessen. Sie würde ihn nie wiedersehen … ihn nicht mehr lieben und nicht mehr in den Armen halten können … Ein kalter Schauer überlief sie.
Na und, dachte sie, was bedeutet das schon? Er empfand nichts für sie, und er hatte sie nur geheiratet, um an die Firma ihres Großvaters zu kommen. Gut, er hatte sie nicht nur dem Namen nach zu seiner Frau gemacht, aber das war bei griechischen Ehemännern ganz normal. Selbst ihre Narben hatten ihn nicht abgeschreckt, was allerdings auch nichts zu sagen hatte. Er liebte sie nun mal nicht und hätte sicher auch kein Verständnis dafür, wenn sie ihm ihre Liebe gestand.
Sie verschränkte die Arme, aber auch das wärmte sie nicht. Unglücklich stellte sie sich vor, was geschehen würde, wenn er die Wahrheit über sie herausfand. Die umworbene Coustakis-Erbin war in Wirklichkeit die verachtete, ausgestoßene, uneheliche Enkelin eines alten, verbitterten Mannes. Der reiche Nikos Vassilis wollte bestimmt keine Frau, die aus ärmlichen Verhältnissen kam!
Verzweifelt barg sie das Gesicht in den Händen. Noch nie hatte sie sich so einsam gefühlt!
Auch Nikos hatte beim Frühstück, das sie diesmal unter Deck einnahmen, nicht die beste Laune. Während der Woche auf Kreta hatte er alle Probleme verdrängt, doch jetzt musste er sich mit den Folgen der Fusion von Vassilis Inc. und Coustakis Industries befassen. Er hatte schon vor dem Frühstück mit seiner Sekretärin und seinen Direktoren telefoniert und die ersten Schritte in die Wege geleitet. Doch irgendwie hatte er gar keine Lust zu arbeiten. Er wollte viel lieber mit seiner Frau zusammen sein und sie lieben …
Nein! ermahnte er sich energisch, das musste warten. An diesem Abend würde er sehr spät nach Hause kommen, und Andrea würde lernen müssen, dass er nur begrenzt Zeit für sie hatte … jedenfalls, bis die Fusion abgewickelt war.
Ahnte sie es vielleicht schon? Er betrachtete sie genauer. Sie schien wie ausgewechselt zu sein, wirkte verspannt und aß so gut wie nichts. Jetzt war sie wieder die unnahbare Frau, die er in Athen geheiratet hatte.
„Es tut mir leid, dass wir nicht länger bleiben konnten“, sagte er, als das Schweigen unerträglich wurde, „aber ich muss mich wieder um meine Geschäfte kümmern. Eine Fusion bedeutet viel Arbeit.“
Sie blickte ihn ausdruckslos an. „Das glaube ich“, erwiderte sie dann kühl. Er trug wieder seinen Anzug und schien Meilen von ihr entfernt zu sein. Der Nikos, mit dem sie sieben glückliche Tage auf Kreta verbracht hatte, war verschwunden, und an seiner Stelle saß der Mann, der sie geheiratet hatte, um an das Coustakis-Firmenimperium zu kommen.
Sich in Nikos Vassilis zu verlieben war ein furchtbarer Fehler gewesen. Ihn zu korrigieren würde zwar wehtun, aber es war notwendig.
Wenig später stand sie neben ihm und beobachtete, wie der Kapitän die Jacht sicher in den Hafen von Piräus steuerte. Bald darauf saß sie in einer dunklen, von einem Chauffeur gelenkten Limousine und war mit Nikos auf dem Weg zurück nach Athen. Es gab noch einen dritten Fahrgast, ein junger Mann, der Nikos’ Assistent war und der seinem Chef gleich einen Stapel Papiere vorlegte. Es dauerte nicht lange, und die beiden unterhielten sich über geschäftliche Angelegenheiten. Andrea wandte sich ab, sah aus dem Fenster und hing ihren trüben Gedanken nach. Sie hatte das Gefühl, sich in einem Albtraum zu befinden, und sie fühlte sich schwach und schlecht.
Als der Wagen vor dem imposanten Firmengebäude von Vassilis Inc. hielt, erklärte Nikos: „Yannis fährt dich in unsere Wohnung. Ich kann dich leider nicht begleiten, denn ich werde dringend im Büro erwartet. Es ist etwas Unvorhergesehenes geschehen, und deshalb hat Demetrios uns auch abgeholt. Aber ich werde mich bemühen, heute Abend so früh wie möglich nach Hause zu kommen. Bis dahin …“ Er beugte sich vor, um sie zu küssen.
Das war mehr, als Andrea ertragen konnte. Schnell drehte sie den Kopf zur Seite, und Nikos presste die Lippen nur auf ihre kalte Wange.
Er hat mein Herz gebrochen, dachte sie, als sie beobachtete, wie Nikos mit seinem Assistenten in dem großen Gebäude verschwand. Als er nicht mehr zu sehen war, lehnte sie sich zurück und schloss die Augen.
Es kostete sie viel Kraft, die Tränen zurückzudrängen, doch sie wollte sich vor dem Fahrer keine Blöße geben. Ohne zu zögern bat sie ihn, sie zum Flughafen zu bringen. Er schien überrascht, aber er gehorchte ihr ohne Widerworte.
Mit bebenden Fingern schrieb sie einen kurzen Brief.
Lieber Nikos,
ich fliege nach England zurück, denn wir haben beide das erreicht, was wir wollten. Du hast Coustakis Industries bekommen und ich mein Geld. Ich möchte Dir noch einmal für die wundervolle Zeit auf Kreta danken, Du warst ein rücksichtsvoller, wunderbarer Liebhaber. Für die Zukunft wünsche ich Dir alles Gute, und ich bin sicher, dass Du Coustakis Industries sehr erfolgreich leiten wirst. Bitte weise Deine Anwälte an, die Scheidung so bald wie möglich einzureichen. Danke.
Andrea
Sie bat den Chauffeur, Nikos diese Notiz zu geben, stieg dann aus und betrat, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Terminal.