„Wo möchtest du wohnen, Mum? An der Küste oder lieber in den Bergen?“, fragte Andrea betont fröhlich, als sie den Tisch für das Abendbrot deckte. Seit sie vor zwei Wochen aus Athen zurückgekommen war, hatte sie sich bemüht, immer gut gelaunt zu wirken. Sie hatte ihrer Mutter strahlend von Yiorgos Coustakis’ Großzügigkeit berichtet und gleich damit begonnen, ihre Schulden zu begleichen und nach einer passenden Wohnung in Spanien zu suchen.
Trotzdem spürte Andrea, dass ihre Mutter sich Sorgen um sie machte. Sie hatte zwar Andreas sonnengebräunte Haut und ihr neues Selbstvertrauen beim Gehen bemerkt, aber sie schien trotzdem zu ahnen, dass etwas nicht stimmte.
Ihre Mutter zu beunruhigen war das Letzte, was Andrea wollte. Deshalb versuchte sie, Kim abzulenken. Während sie das Abendessen zubereitete, sprach sie über Spanien und das gesunde Klima. Sie konnte es kaum erwarten, endlich alle Brücken hinter sich abzubrechen und ein neues Leben anzufangen.
Vielleicht konnte sie dann auch Nikos vergessen.
Der Schmerz war immer noch unerträglich. Sie durfte nicht darüber nachdenken. Diese Episode war vorbei – für immer. Jetzt ging es nur noch darum, dass ihre Mutter glücklich war.
Andrea schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Es wird alles wunderbar werden, Mum, vertrau mir.“
Lächelnd ging ihre Mutter auf sie zu und nahm ihre Hand. „Ich bin so froh, dass ich dich habe, Darling. Du bist die beste Tochter auf der Welt.“
„Ich liebe dich so sehr“, flüsterte Andrea mit Tränen in den Augen. Sie war so froh, dass sie all die Mühe auf sich genommen hatte und jetzt ihrer Mutter ein Leben in Würde bieten konnte.
Was machte es da schon, dass ihr Herz gebrochen war! Dass jeder Gedanken an Nikos schmerzte.
Plötzlich klingelte es, und die beiden Frauen zuckten zusammen.
„Geh nicht hin, Mum“, sagte Andrea schnell, als sie sah, wie nervös ihre Mutter war, „sie hören sicher gleich wieder damit auf.“
Beinahe jeden Tag klingelten die Kinder aus der Nachbarschaft Sturm und versuchten, Geld zu schnorren – und sie wurden dabei immer aggressiver. Ich danke Gott, dass wir in vierundzwanzig Stunden schon in Malaga sind, dachte Andrea erleichtert, auch wenn es nur für zwei Wochen ist. Sie wollten sich in aller Ruhe nach einer passenden Wohnung umsehen. Das war für Andrea eine willkommene Ablenkung, denn so musste sie nicht länger ihren Erinnerungen nachhängen.
Aber die Rangen gaben so schnell nicht auf. Es klingelte wieder, und Andrea seufzte leise. „Also gut, ich werde sie verscheuchen.“ Sie verließ die Küche, ging zur Tür, riss sie auf … und wollte ihren Augen nicht trauen.
Nikos Vassilis stand vor ihr, und seine finstere Miene verhieß nichts Gutes. Er drängte sich an Andrea vorbei und wandte sich ihr dann zu. „Wenn du mich noch einmal verlässt, wirst du mich kennenlernen!“ Seine Stimme war eiskalt, und Andrea lief ein Schauder den Rücken hinunter.
„Wie … was …?“, flüsterte sie schließlich, als sie sich von dem Schock erholt hatte.
„Du willst wissen, wie ich dich gefunden habe?“, fragte er spöttisch. „Das war wirklich nicht ganz einfach, das kann ich dir versichern.“ Er blickte sich in dem schäbigen kleinen Flur um und schnitt ein Gesicht. „Kein Wunder, dass die Privatdetektive so lange gebraucht haben, um dich aufzuspüren! Wer kommt schon darauf, dass du dich in diesem Rattenloch verkriechst?“
„Dieses Rattenloch“, sagte Andreas Mutter kühl, die inzwischen aus der Küche gekommen war, „ist mein Zuhause, Mr …?“
„Nikos Vassilis“, antwortete Nikos kurz angebunden. „Ich will Andrea abholen.“
„Ich komme nicht mit dir“, rief Andrea erschocken. Sie konnte nicht glauben, dass Nikos tatsächlich vor ihr stand. Mit seinem teuren Anzug und den Designerschuhen wirkte er in der kleinen, armseligen Wohnung wie ein Fremder von einem anderen Stern.
„Was ist hier los?“, fragte Kim beunruhigt.
„Nichts!“, erwiderte Andrea sofort. „Mr Vassilis hat sich geirrt und wird gleich wieder gehen.“
„Falsch.“ Nikos’ Blick war wie ein Schlag ins Gesicht. „Pack sofort deine Sachen, und vergiss deinen Pass nicht.“
„Ich denke nicht daran.“
„Du kommst mit mir nach Athen.“ Es war Nikos deutlich anzumerken, dass er keinen Widerspruch dulden würde. „Deine überstürzte Abreise hat deinen Großvater sehr verärgert. Er fühlt sich betrogen, weil du zwar sein Geld angenommen, aber deinen Verpflichtungen nicht nachgekommen bist. Deshalb verlangt er deine Rückkehr nach Athen. Wenn du dich weigerst, ist die Fusion null und nichtig.“
Sie lachte höhnisch. „Das können wir ja nicht zulassen, oder? Immerhin war das der springende Punkt unserer Vereinbarung.“
„Auch du hast gewisse Vorteile davon gehabt“, sagte er unbeeindruckt, und Andrea wusste genau, was er damit meinte. Sie errötete und spürte, wie sein Blick sie durchdrang. Als sie schließlich aufsah, stellte sie fest, dass er lächelte. Doch es war ein kaltes Lächeln, das ihr Angst einjagte.
„Auch ich fühle mich durch dein plötzliches Verschwinden betrogen, Andrea“, sagte er leise, und plötzlich lag etwas in seinem Blick, das sie nicht deuten konnte. Was war es? Schmerz? Oder hatte sie sich nur geirrt?
Doch gleich darauf war er wieder der unbarmherzige Geschäftsmann. Er wandte sich ihrer Mutter zu, die nervös neben ihnen stand und nicht wusste, was hier gespielt wurde. „Ich möchte mit Andrea allein sprechen. Seien Sie bitte so nett und …“
„Nein“, unterbrach Andrea ihn schnell. „Ich habe dir nichts zu sagen.“
„Das spielt keine Rolle, Andrea mou.“ Das Wort, das einst wie eine Liebkosung gewesen war, klang jetzt hart und unversöhnlich.
Kim legte Andrea schützend den Arm um die Schultern. „Bitte verlassen Sie meine Wohnung, Mr Vassilis. Meine Tochter möchte nichts mit Ihnen zu tun haben.“
Der Schock war Nikos deutlich anzumerken. Er atmete tief durch und blickte Andrea ungläubig an. „Diese Frau ist deine Mutter?“, fragte er entsetzt.
Kim straffte sich energisch. „Ja, das stimmt, Mr Vassilis. Und vielleicht hätten Sie die Güte, mir zu erklären, was hier vorgeht?“
Nikos sah die beiden Frauen mit zusammengekniffenen Augen an. Andrea wusste genau, was er dachte. Sie hatte kaum Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, denn Kim war blond und hatte blaue Augen, während sie, Andrea, rote Haare und kastanienbraune Augen hatte – ein Erbe ihrer Großmutter und ihres griechischen Vaters.
Doch anscheinend war Nikos überzeugt, dass Kim die Wahrheit sagte. Er wandte sich wieder seiner Schwiegermutter zu. „Also gut, Mrs Coustakis …“
„Nein“, unterbrach Kim ihn, „mein Name ist Fraser. Andreas und ich waren niemals verheiratet.“ Ihre Stimme war ruhig, und es war klar, dass sie sich deswegen nicht schämte.
Das schien ebenfalls ein gewaltiger Schock für Nikos zu sein, und Andrea spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. Er hatte kein Recht, ihre Mutter zu verurteilen! „Sieh genau hin“, sagte sie aufgebracht und zeigte auf die schäbige Einrichtung, „so lebe ich! Ich bin nicht die Frau, für die du mich gehalten hast. Oder glaubst du immer noch, dass ich eine reiche Erbin bin und nur zum Spaß in diesem Loch hause?“
Schweigend ging Nikos zur Wohnzimmertür, öffnete sie, betrat dann den Raum und blickte sich forschend um. Alles war sauber und ordentlich, doch der Teppich war billig und verschlissen, und das Sofa, auf dem Andrea schlief, schäbig und alt.
„Du lebst also wirklich hier?“, fragte er ausdruckslos und schien es immer noch nicht fassen zu können.
Andrea war ihm gefolgt und stand jetzt an der Tür. Sie verschränkte die Arme und erwiderte kühl seinen Blick. „Ja, und zwar schon mein ganzes Leben lang.“
„Warum?“
Sie lachte bitter. „Weil wir uns nichts Besseres leisten konnten. Als ich noch klein war, haben wir von Sozialhilfe gelebt, und die Stadt hat uns hier in diesem Hochhaus untergebracht. Wir hatten noch Glück, denn normalerweise hat eine allein stehende Mutter kein Anrecht auf eine eigene Wohnung. Als ich dann zur Schule ging, hat Mum einen Teilzeitjob angenommen, damit wir nicht länger auf staatliche Hilfe angewiesen waren.“
„Das kann ich nicht glauben“, erwiderte Nikos kopfschüttelnd. „Immerhin ist Yiorgos Coustakis dein Großvater.“
„Na und?“, fragte sie und lachte höhnisch. „Er hat uns klargemacht, dass er nichts mit uns zu tun haben will. Meine Mutter hat mich ganz allein großgezogen.“
Nikos presste die Lippen zusammen und sah sich noch einmal in dem armseligen Zimmer um. „Du willst mir also weismachen, dass dein Großvater euch nicht unterstützt hat?“
„Genau. Ich bin eben keine Coustakis.“
„Was hast du getan, Andrea?“, fragte Kim entsetzt. „Ich dachte, der alte Mann hat dir das Geld aus freien Stücken gegeben. Wenn du ihn dazu gezwungen hast, musst du es ihm zurückgeben!“
„Das kommt nicht infrage“, erwiderte Andrea schnell. „Es steht dir zu, Mum. Ich habe damit unsere Schulden bezahlt, und schon morgen sind wir in Spanien und suchen dort eine Wohnung für dich.“
„Schulden?“ Nikos blickte die beiden Frauen stirnrunzelnd an.
Kim wandte sich ihm zu. „Ja, Sie haben richtig gehört, Mr Vassilis. Andrea hatte als Kind einen Autounfall, und die Operationen und Therapien waren sehr teuer. Ich musste mir Geld leihen, um die Behandlung bezahlen zu können. Nur so konnte ich meine Tochter vor einem Leben im Rollstuhl bewahren. Wir haben alles getan, Mr Vassilis, um unsere Schulden zu begleichen. Andrea hat sogar zwei Jobs angenommen, doch das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Nikos schüttelte ungläubig den Kopf. „Wieso haben Sie Yiorgos Coustakis nicht um Hilfe gebeten?“
Andrea lachte spöttisch. „Das hat Mum versucht. Sie hat ihn angefleht, wenigstens einen Teil der Kosten zu übernehmen, und versprochen, alles so schnell wie möglich zurückzuzahlen. Deshalb hat sie ihm die Krankenberichte zugeschickt, doch er hat sich strikt geweigert, einer Mitgiftjägerin auch nur einen Penny zu geben. Er hat sogar seine Anwälte auf uns gehetzt und uns mit einer Anzeige gedroht, wenn wir ihn noch einmal belästigen! Deswegen habe ich das Geld gebraucht. Ich habe unsere Schulden beglichen und möchte jetzt meiner Mum eine Wohnung in Spanien kaufen. Von der halben Million Pfund ist noch genug übrig, um ihr ein sorgloses Leben zu ermöglichen, und das ist genau das, was sie verdient hat!“
Nikos war fassungslos. „Er hat dir nur fünfhunderttausend Pfund bezahlt?“, fragte er, und seine Miene wurde finster, als Andrea nickte. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie groß das Vermögen deines Großvaters ist?“ Er ging auf sie zu und packte sie an den Armen. „Die halbe Million ist nur ein Almosen für ihn!“
Hastig befreite sie sich aus seinem Griff. „Das ist mir egal. Ich wollte nur dafür sorgen, dass es Mum gut geht. Sie hat Asthma, und diese feuchte Wohnung ist Gift für sie …“
Nikos hörte ihr gar nicht zu, sondern betrachtete wieder ungläubig die schäbige Einrichtung.
Es war Kim, die schließlich das Schweigen brach. „Sie haben mir immer noch nicht verraten, weswegen Sie hier sind, Mr Vassilis.“
Nikos wirbelte herum. „Das ist eine gute Frage“, antwortete er, „denn nun, da ich die Wahrheit kenne, hat sich alles geändert.“
Andrea verspannte sich. Natürlich, dachte sie, darauf hätte ich wetten können! Er hatte sie nach Griechenland holen wollen, und jetzt konnte er es sicher nicht erwarten, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.
Verstohlen betrachtete sie ihn. Sein Blick war hart, und es war ihm deutlich anzumerken, wie entsetzt er war. Doch trotzdem war er der Mann, den sie über alles in der Welt liebte … und den sie in diesem Moment endgültig verloren hatte. Ganz unschuldig daran war sie allerdings auch nicht, denn sie hätte ihm von Anfang an reinen Wein einschenken müssen. Er hatte jedes Recht, wütend auf sie zu sein.
Sie atmete tief durch. „Es tut mir leid, Nikos. Ich hatte keine Ahnung, dass mein Großvater sich nicht an die Abmachung halten würde. Immerhin habt ihr einen Vertrag unterschrieben.“
Er schüttelte den Kopf. „Das hat sich erledigt. Es wird keine Fusion geben. Niemals.“
Was sollte das heißen? Das war doch Nikos’ größter Traum gewesen! „Ich hätte es dir gestehen sollen. Bitte verzeih mir.“ Was sollte sie auch sonst sagen? Es war alles aus und vorbei. Sie war arm, entstellt und zu allem Überfluss auch noch Yiorgos Coustakis’ uneheliche Enkelin. Es war verständlich, dass Nikos so schnell wie möglich in seine Welt zurückkehren wollte, in der sie keinen Platz hatte und auch nie haben würde.
Nikos ging zum Fenster und blickte hinaus auf die trostlosen Hochhäuser. Er dachte an die lange Reise, die er unternommen hatte … er, ein Straßenjunge aus Athen, der nur eins im Sinn gehabt hatte: Geld zu machen. Und es war ihm gelungen, ganz nach oben zu kommen. Die Fusion mit Coustakis Industries wäre das Sahnehäubchen gewesen.
Aber er war noch jung. Wer wusste schon, welchen Herausforderungen er sich stellen und was er sich noch alles mit seinem Geld kaufen konnte? Und plötzlich sah er das Gesicht eines alten Mannes vor sich, der die Menschen eiskalt ausnutzte und sich um die Gefühle anderer keine Gedanken machte.
Will ich so werden? fragte er sich, und die Antwort lag auf der Hand. Ohne zu zögern, zog er sein Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein. „Hier spricht Nikos Vassilis“, sagte er, als sich der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung meldete, „ich habe eine Nachricht für Yiorgos Coustakis. Richten Sie ihm aus, dass ich Kim Fraser und ihre Tochter in London besucht habe. Die Fusion ist gestorben.“
Er beendete die Verbindung, klappte das Handy wieder zu und blickte dann Andrea an. „Er wird dafür bezahlen, was er euch angetan hat, das verspreche ich dir“, sagte er dann leise.
Andrea blickte ihn starr an. Sie konnte nicht glauben, was sie da eben gehört hatte.
„Ich habe gewusst, dass er ein rücksichtsloser Mann ist“, fuhr Nikos fort, „aber ich hatte keine Ahnung, wie tief er wirklich gesunken ist.“ Er blickte sich wieder in dem Zimmer um. „Christos, wie kann man seine eigene Familie nur so behandeln! Wenn ich nur daran denke, dass er keinen Finger gerührt hat, obwohl seiner Enkelin ein Leben im Rollstuhl drohte … Was für ein Unmensch ist Yiorgos Coustakis eigentlich?“
Er schloss kurz die Augen und versuchte, ruhig zu bleiben. Dann zog er noch einmal sein Handy aus der Tasche. „Nun, die Welt wird schon bald die Wahrheit erfahren“, sagte er und wählte erneut eine Nummer. „Demetrios“, sagte er dann und führte auch dieses Gespräch auf Englisch, „bereiten Sie bitte eine Pressemitteilung vor. Die Fusion mit Coustakis Industries hat sich erledigt. Ja, Sie haben richtig verstanden. Ich werde den Medien die Gründe dafür persönlich darlegen, und ich kann Ihnen versichern, dass es einen großen Skandal geben wird. Ich rufe Sie in einer Stunde wieder an, wenn Sie die Direktoren informiert haben.“ Er klappte das Handy wieder zu.
„Mr Vassilis“, bat Kim, und ihre Stimme bebte, „bitte erklären Sie mir das alles.“
„Ganz einfach, Miss Fraser“, erwiderte Nikos beruhigend, als er sah, wie aufgeregt Andreas Mutter war, „ich habe beschlossen, Coustakis Industries nicht zu übernehmen. Ich möchte nichts mit einem Mann zu tun haben, der sich Ihnen und Andrea gegenüber so unmenschlich verhalten hat.“
„Aber die Fusion hat dir doch so viel bedeutet“, sagte Andrea, die immer noch völlig überrascht war.
Nikos winkte lässig ab. „Jetzt nicht mehr. Für mich ist nur noch eine einzige Sache wichtig.“ Er ging auf Andrea zu, blieb vor ihr stehen und liebkoste sanft ihre Wange. „Kannst du dir nicht vorstellen, was es ist, Andrea mou?“, fragte er leise.
In seinem Blick lag so viel Verlangen, dass Andrea beinahe schwindelig wurde. Sie war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Als du mich verlassen hast, war ich am Boden zerstört, agape mou. Es war, als hättest du mir einen Stich mit einem Messer versetzt … und zwar direkt ins Herz. Komm wieder zurück zu mir, pethi mou, ich bitte dich.“
„Warum?“, fragte Andrea heiser. „Es gibt doch keine Fusion, also brauchst du mich nicht mehr.“
Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Da irrst du dich, Andrea. Ich brauche dich wie die Erde die Sonne. Ohne dich kann ich nicht atmen … nicht leben. Ich wünsche mir, dass du Tag und Nacht an meiner Seite bist und mein Leben mit mir teilst, in guten wie in schlechten Zeiten.“ Er umschloss ihr Gesicht und sah ihr direkt in die Augen.
Sie konnte es immer noch nicht fassen. „Ich verstehe nicht …“
Wieder lächelte er zärtlich, und sie spürte, wie ihr Puls zu rasen begann. Konnte es wahr sein?
„Oh doch, das tust du. Ich brauche dich so sehr, agape mou. Habe ich es dir nicht jede Nacht und auch am Tag bewiesen? Und hast nicht du es mir auch gezeigt?“
„Was meinst du damit?“, fragte sie leise.
Er beugte sich vor und betrachtete sie zärtlich. „Wir haben uns ineinander verliebt, Andrea mou.“
„Verliebt …“, flüsterte sie.
„Ja, genau so ist es gewesen. Ich sehe es jetzt ganz klar vor mir.“ Es war ihm deutlich anzumerken, dass er von seinen Worten überzeugt war. „Es kann nichts anderes sein. Als du mich so plötzlich verlassen hast, war mein Leben nur noch ein Scherbenhaufen. Ich habe mich furchtbar einsam gefühlt. Und es kann nur die Liebe sein, die deine Augen trotz der Tränen wie Diamanten funkeln lässt. Weine nicht, Andrea mou, es wird alles gut.“
„Aber du liebst mich doch gar nicht …“, flüsterte sie atemlos, „du hast mich doch nur geheiratet, um Coustakis Industries zu bekommen.“
„Unsere Ehe, liebste Andrea, ist das einzig Gute, was aus dieser verdammten Fusion entstanden ist. Zuerst war es für mich nur eine Vernunftehe, aber ich hatte mir trotzdem vorgenommen, dich zu respektieren und dich als meine Frau zu betrachten. Aber auf Kreta ist daraus plötzlich viel mehr geworden. Ich habe erkannt, dass ich ohne dich nicht leben kann. Als du mich verlassen hast, wurde mir klar, wie sehr ich dich liebe. Dieses Gefühl hat mich zuerst erschreckt, aber dann fand ich es einfach wundervoll. Ja, Andrea mou, ich habe mich in dich verliebt, und ich bin dein – mit Leib und Seele!“
„Das kann nicht sein“, sagte sie ungläubig, „wir kommen aus zwei ganz verschiedenen Welten, das habe ich dir doch schon in Griechenland gesagt. Sieh dich nur um.“ Sie zeigte auf das schäbig eingerichtete Wohnzimmer.
Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Da irrst du dich, pethi mou. Wenn wir wieder in Athen sind, werde ich dir zeigen, wo ich geboren wurde und gelebt habe, bis es mir als junger Mann gelungen ist, mich aus dem elenden Sumpf herauszuziehen. Ich habe meinen Vater nicht gekannt, Andrea, und meiner Mutter war es egal, ob ich lebte oder starb. Doch das hat mich in meinem Entschluss, reich und anerkannt zu werden, nur noch bestärkt. Und es ist mir gelungen.“
Er atmete tief durch, und Andrea betrachtete ihn plötzlich mit ganz anderen Augen. Zum ersten Mal sah sie den Mann hinter der Maske. Er war mutig und entschlossen gewesen und hatte etwas aus sich gemacht, obwohl er aus ärmlichen Verhältnissen gekommen war.
„Eins habe ich durch dich gelernt“, fuhr Nikos fort und strich ihr über die Wange, „es ist nicht das Gold, das zählt. Der wahre Reichtum befindet sich in uns, hier …“ Er zeigte auf sein Herz, blickte dann Andrea zärtlich an und nahm ihre Hände. „Ich bitte dich … nein, ich flehe dich an, agape mou, komm zurück zu mir und schenke mir deine Liebe. Lass mich dir jeden Wunsch von den Augen ablesen und dir beweisen, wie unendlich ich dich liebe.“
Er küsste ihr die Tränen fort, die ihr die Wangen hinunterliefen, und sah Andrea bittend an.
„Ja“, flüsterte sie, und er presste sofort die Lippen auf ihre. Der Kuss war sanft, verheißungsvoll und ein Vorgeschmack auf die goldene Zukunft, die sie erwartete.
Schließlich ließ Nikos sie los und wandte sich Kim zu. „Haben wir Ihren Segen?“, fragte er ruhig.
Andreas Mutter zögerte nicht eine Sekunde. „Aber ja, natürlich“, rief sie glücklich.