Nikos stand im reich verzierten Salon und wartete ungehalten darauf, dass das Abendessen endlich beginnen würde. Nur leider schien sein Gastgeber es nicht gerade eilig zu haben. Zuerst hatten sie Brüderschaft getrunken, da sie ja immerhin bald verwandt sein würden, und nun erzählte Yiorgos Coustakis gerade von seinem neuesten Spielzeug – einer fünfzig Meter langen Jacht, die in der Woche zuvor in seinen Besitz übergegangen war. Er langweilte Nikos mit endlosen Beschreibungen der protzigen Inneneinrichtung und beschwerte sich unentwegt, wie teuer diese Errungenschaft gewesen war. Wenigstens war der alte Mann in guter Stimmung, denn seine Augen funkelten, und er lachte einige Male laut.
„Und du, mein Freund“, sagte er und schlug Nikos auf die Schulter, „wirst der Erste sein, der sie ausprobieren darf, denn ihr werdet eure Flitterwochen dort verbringen. Was hältst du davon?“
Nikos lächelte zufrieden. Sehr gut, dachte er, das wird der Welt zeigen, wer der zukünftige Herr im Haus ist!
In diesem Moment öffnete ein Bediensteter die großen Flügeltüren zum Salon, und unwillkürlich blickte Nikos auf. Jemand war hereingekommen.
Es war die umwerfende Fremde, die er auf der Terrasse gesehen hatte! Was, zum Teufel, hatte sie hier zu suchen?
Die Frau blieb einen Augenblick stehen und schritt dann langsam auf sie zu. Ihr Gang war geschmeidig, und ihre hochgesteckten roten Haare betonten ihr wundervolles Gesicht. Ganz zu schweigen von dem restlichen Körper …
Nikos atmete tief durch. Das Kleid stand ihr einfach fantastisch. Ihre sanfte Haut wirkte wie Seide, sie hatte einen Schwanenhals, und ihre nackten Schultern schienen wie gemeißelt zu sein.
Wie gern hätte er sie liebkost …
Doch dann stellte er fest, dass Yiorgos Coustakis ihn lauernd beobachtete. Was sollte das? Hatte der alte Mann seine Geliebte zum Essen eingeladen, um sie ihm, Nikos, vorzuführen und seine Reaktion zu beobachten? Sollte er die verbotenen Früchte nur sehen, aber nicht davon naschen dürfen? Nikos’ Miene wurde finster.
Als Andrea den Salon betrat, entdeckte sie sofort den Mann, an den sie vor noch nicht allzu langer Zeit gedacht hatte. Erschrocken blieb sie stehen, fasste sich dann aber sofort. Es war ihr nicht entgangen, dass der Fremde sie sehr interessiert betrachtete … doch genau wie am Nachmittag dauerte es nur den Bruchteil einer Sekunde, bis das Interesse in Abscheu umschlug.
Und wieder spürte sie, wie Wut in ihr aufstieg. Sie straffte sich und ging auf die beiden Männer zu. Die ganze Zeit blickte sie dem Unbekannten stolz in die Augen.
„Nun, was hältst du von ihr?“, fragte Yiorgos Coustakis seinen zukünftigen Geschäftspartner, als Andrea vor ihnen stand.
Was sollte das nun wieder? Wollte der alte Mann ihn in Verlegenheit bringen? Nikos gab die einzig vernünftige Antwort. „Du hast wirklich einen exzellenten Geschmack, Yiorgos.“
Sie sprechen Griechisch, dachte Andrea. Natürlich! Was denn sonst! Verstohlen betrachtete sie die beiden.
„Du hast großes Glück“, fuhr Nikos fort und überlegte verzweifelt, was er noch sagen konnte, ohne seine Abneigung zu verraten. Wenn doch der Abend schon vorüber wäre!
„Ich mache sie dir zum Geschenk“, sagte Yiorgos Coustakis und lächelte zufrieden.
Nikos glaubte, sich verhört zu haben. Wurde der alte Mann jetzt auch noch senil? Oder sollte das ein Bonbon sein, damit er leichter über die unscheinbare Enkelin hinwegkam? „Das ist wirklich großzügig, Yiorgos“, erwiderte er schnell, „aber das kann ich nicht annehmen.“
„Warum nicht?“, wollte Yiorgos Coustakis kurz angebunden wissen. „Ich dachte …“ Gespielt erstaunt schwieg er, um den Augenblick der Wahrheit noch länger hinauszuzögern. Es machte ihm zu großen Spaß, diesen arroganten, ehrgeizigen Emporkömmling zappeln zu lassen. „Wir waren uns doch einig. Du wolltest meine Enkelin heiraten und konntest es gar nicht erwarten, sie endlich kennenzulernen.“ Vergnügt beobachtete er, wie Nikos allmählich verstand, in welche perfide Falle der Alte ihn gelockt hatte.
„Das ist meine Enkelin, Nikos. Was hast du denn geglaubt?“
Nikos hatte das Gefühl, als müsste er gleich im Erdboden versinken. Nur seine jahrelange Erfahrung ließ ihn nicht das Gesicht verlieren. „Das hier ist tatsächlich meine zukünftige Braut?“, fragte er kühl.
Yiorgos Coustakis lachte höhnisch und freute sich immer noch, dass er Nikos einen Streich gespielt hatte. Er wusste ganz genau, was der jüngere Mann gedacht hatte, und er hatte sich einen Spaß daraus gemacht, ihn in die Irre zu führen. Schließlich wandte er sich seiner Enkelin zu. „Ich möchte dir jemanden vorstellen“, sagte er auf Englisch.
Andrea hatte in der Zwischenzeit den Blick nicht von dem Fremden lösen können. Sie hatte ihn ja schon auf der Terrasse für bemerkenswert attraktiv gehalten, doch im Smoking sah er einfach atemberaubend aus!
„Das ist Nikos Vassilis, einer meiner Geschäftsfreunde“, sagte Yiorgos Coustakis.
Nikos konnte es immer noch nicht glauben. Theos, die Frau war wirklich fantastisch! War sie wirklich ein Mitglied der Coustakis-Familie? Das konnte eigentlich gar nicht sein. Der alte Mann hatte ihn eben schon einmal hereingelegt, vielleicht …
Ach was, dachte er, das ist mir so etwas von egal! Plötzlich war die auferstandene Aphrodite nicht eine verbotene Frucht, sondern ganz in seiner Reichweite.
Erschrocken sah Andrea, wie ihr Gast sie von Kopf bis Fuß verlangend betrachtete. Du meine Güte, ging er immer gleich so zur Sache? Dennoch wehrte sie sich nicht, als er galant ihre Hand nahm und sie sanft mit seinen Lippen berührte.
„Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er höflich. „Sie heißen …?“
Sie sah ihn an, und ein heißer Schauer überlief sie. Doch dann fasste sie sich und flüsterte: „Andrea …
„Andrea …“, wiederholte er mit verführerischer Stimme, „das ist ein sehr schöner Name.“
Er hielt ihre Hand noch eine kleine Ewigkeit fest, ließ sie dann los und hakte Andrea unter. „Du bist wirklich ein Teufel, Yiorgos“, sagte er zu seinem Gastgeber, „aber der Witz war gut, das muss ich dir lassen.“
Andrea blickte die beiden fragend an, denn Nikos hatte wieder Griechisch gesprochen. Was war los? Warum lachten sie? Doch sie hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn Nikos hatte sich ihr wieder zugewandt. „Darf ich Sie ins Esszimmer begleiten?“
Eigentlich hätte sie ja Nein sagen und sich aus seinem Griff befreien müssen, doch sie brachte es nicht fertig. Wie im Traum ließ sie sich von ihm in den riesigen Speisesaal führen.
Yiorgos Coustakis hatte am Kopfende des langen Mahagonitisches Platz genommen, und seine Enkelin und Nikos saßen rechts und links von ihm. Als Nikos die Frau ihm gegenüber ansah, wurde ihm bewusst, wie glücklich er sich schätzen konnte.
Eine schönere Braut hätte er sich nicht wünschen können. Selbst mit einer unscheinbaren Ehefrau wäre er zufrieden gewesen, doch mit dieser Venus an seiner Seite und in seinem Bett war er der zufriedenste Mann auf der ganzen Welt! Plötzlich war das Eheleben eine Verlockung und keine Bürde mehr!
„Du hast mir verheimlicht, Yiorgos, dass deine Enkelin eine englische Mutter hat“, sagte er auf Griechisch und spürte Andreas Blick auf sich.
Der alte Mann lehnte sich zurück und lächelte spöttisch. „Das sollte eine Überraschung sein.“
„Noch eine?“ Nikos fragte sich, was Yiorgos Coustakis noch für ihn in petto hatte. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Andrea. „Wohnen Sie mit Ihrer Mutter in England?“, wollte er auf Griechisch wissen.
Andrea blickte ihn an und wollte etwas antworten, doch ihr Großvater ließ es nicht zu. „Sie spricht kein Griechisch“, sagte er schnell auf Englisch.
Nikos betrachtete seine zukünftige Braut erstaunt. „Wieso nicht?“ Auch er benutzte jetzt Andreas Muttersprache.
„Ihre Mutter hat ihren eigenen Kopf, was Erziehung angeht“, sagte der alte Mann kurz angebunden.
Andrea funkelte ihn aufgebracht an, doch als er ihr einen warnenden Blick zuwarf, zuckte sie zusammen. Wieder musste sie an seine unverblümte Drohung denken: Wenn du mir nicht aufs Wort gehorchst, sitzt du im nächsten Flugzeug nach London. Genau das durfte nicht geschehen, denn ihre Mutter verließ sich auf sie. Egal, was geschah, Kim sollte ihre Wohnung im sonnigen Süden haben – selbst wenn es Yiorgos Coustakis dadurch gelingen würde, sein rücksichtsloses Verhalten zu vertuschen. Also biss sie sich auf die Lippe und schwieg.
Nikos hatte sie amüsiert betrachtet. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass Andrea ihrem Großvater gern widersprochen hätte, und er fragte sich, warum. Wie mochte ihre Mutter wohl sein? War sie von Yiorgos Coustakis verstoßen worden, weil sie „andere“ Vorstellungen vom Leben hatte? Wahrscheinlich war sie eine verwöhnte, spitzzüngige Engländerin, die gern beim Polospiel zusah und teuer gekleidet eine Party nach der nächsten besuchte. Warum hatte sie Andreas Coustakis überhaupt geheiratet? Die Ehe hatte ja auch nicht lange gehalten, denn sonst hätte er, Nikos, etwas davon gehört. Soweit er wusste, hatte es auch keine trauernde Witwe bei der Beerdigung gegeben. Und wieso hatte Yiorgos Coustakis erlaubt, dass seine Enkelin in England erzogen wurde? Immerhin war sie die Erbin seines Imperiums! Was hatte ihm seine Großzügigkeit eingebracht? Nichts! Andrea sprach nicht einmal Griechisch!
Ich könnte es ihr beibringen, dachte er und stellte sich vor, wie er diese wundervolle Frau in den Armen hielt und sie noch viel mehr lehrte … wie man einen Mann verwöhnte, zum Beispiel …
In diesem Moment wurde das Essen serviert, und Nikos widmete sich den erlesenen Speisen. Immer wieder blickte er zu seiner zukünftigen Braut hinüber. Wie alt mochte sie wohl sein? Fünfundzwanzig? Eher jünger, denn sonst hätte Yiorgos bestimmt schon lange einen Ehemann für sie gefunden. Das Leben in der elitären englischen High Society hatte sie wohl mehr reifen lassen, als wenn sie in Griechenland erzogen worden wäre.
Plötzlich fiel ihm siedend heiß noch etwas ein. War sie überhaupt noch unschuldig? Englische Mädchen verteilten ihre Gunst sehr großzügig – das wusste doch jeder Grieche! Er überlegte sich, ob er Yiorgos Coustakis danach fragen sollte, doch er entschied sich dagegen. Die Antwort lag sowieso auf der Hand: Willst du wirklich auf die Fusion verzichten, mein Freund?
Es war sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Unschuldig oder nicht, er würde Andrea Coustakis heiraten, weil sie Coustakis Industries als Mitgift in die Ehe brachte.
Die Bediensteten räumten das Geschirr ab, und Andrea lehnte sich zurück. Das Essen war hervorragend gewesen – irgendwann hatte sie aufgehört, die Gänge zu zählen –, und das hatte sie etwas von dem beunruhigenden Mann abgelenkt, der ihr gegenübersaß. Als er sie plötzlich ansprach, zuckte sie zusammen.
„Wo genau in England wohnen Sie?“, fragte er höflich.
„In London“, erwiderte sie und wagte es, ihn kurz anzublicken.
„Das ist eine wunderbare Stadt, aber es geht dort auch sehr hektisch zu.“
„Ja.“ Sie nickte und dachte daran, dass sie zwei Jobs hatte, an den Wochenenden und abends arbeiten musste und jeden Penny sparte, um die Schulden ihrer Mutter begleichen zu können. Da auch Kim in einem Supermarkt angestellt war, hatten sie nur wenig freie Zeit, die sie gemeinsam verbringen konnten.
„Welche Nachtclubs sind denn gerade angesagt?“, wollte Nikos wissen und nannte einige Namen, die Andrea nur aus Zeitungen kannte.
„Das weiß ich nicht“, antwortete sie ehrlich, „denn das ist nicht die Abendunterhaltung, die ich bevorzuge.“
„Ach ja“, sagte Nikos erstaunt, „wohin gehen Sie dann?“
„Ins Theater. „Das war nicht gelogen, denn das schönste Geschenk, das sie ihrer Mutter und sich machen konnte, war ein Besuch des National Theatre oder eine Aufführung der Royal Shakespeare Company. Allerdings waren die Karten teuer, und deshalb konnten sie sich so einen Luxus nicht sehr oft leisten.
Nikos zählte einige berühmte Musicals auf, die im Londoner West End gespielt wurden. Er ist anscheinend öfter in der Stadt, dachte sie und schüttelte den Kopf. Tickets für diese Veranstaltungen waren für sie unerschwinglich.
„Ich mag Shakespeare“, sagte sie und spürte sofort, dass sie die falsche Antwort gegeben hatte, denn ihr Großvater blickte sie verächtlich an. Was, zum Teufel, war an dem großen englischen Dichter auszusetzen? Sie musste nicht lange auf eine Erklärung warten.
„Frauen sollten mit ihrer Bildung nicht angeben“, sagte Yiorgos Coustakis kurz angebunden, „denn Männer mögen so etwas nicht.“
Andrea konnte es nicht fassen. Waren die Griechen wirklich so engstirnig und arrogant? Fragend sah sie zu Nikos hinüber. War er der gleichen Meinung? Hatten auch bei ihm weibliche Wesen keine Rechte?
Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Welches Stück von Shakespeare mögen Sie am liebsten?“, fragte er ruhig.
„Viel Lärm um nichts“, erwiderte sie sofort und störte sich nicht daran, dass ihr Großvater wütend schnaubte. „Beatrice ist meine Lieblingsheldin! Ich finde es toll, dass sie auf alles eine Antwort hat und sich nicht von Benedict unterkriegen lässt. Das ist ein richtiger Kampf der Geschlechter!“
Nikos wünschte sich, er hätte nicht gefragt. Kampf der Geschlechter? Was für ein Unsinn war das denn? Es wäre besser gewesen, wenn das Mädchen in Griechenland erzogen worden wäre, denn dann würde sie es nie wagen, so etwas zu äußern!
Andrea sah sofort, dass sie ihn verärgert hatte, und ihre Miene wurde finster. Nikos Vassilis war ein umwerfender Mann, doch wenn man hinter die attraktive Fassade blickte, war er genauso ein Macho wie ihr Großvater.
Unvermittelt stand ihr Großvater auf und blickte Nikos bedeutungsvoll an. „Wir werden in zwanzig Minuten den Kaffee im Salon trinken, nachdem ich die Börsennotierungen überprüft habe.“ Er drehte sich um und ging hinaus.
Auch Nikos hatte sich erhoben. Er wartete, bis der alte Mann das Zimmer verlassen hatte, und wandte sich dann Andrea zu. „Sogar in seinem Alter ist er nicht bereit, die Zügel für einen Moment aus der Hand zu geben.“
„Er hat doch schon genug Geld“, antwortete sie kurz angebunden.
„Sie können sich nicht beschweren, Andrea. Der Reichtum Ihres Großvaters erlaubt Ihnen ein Leben im Luxus.“
Wie gern hätte sie ihn über die wahre Natur seines Gastgebers aufgeklärt. Aber wenn sie Nikos Vassilis von der Leiche in Yiorgos Coustakis’ Keller erzählen würde, schickte der alte Mann sie bestimmt gleich wieder nach London, und genau das musste sie verhindern.
Nikos ging um den Tisch herum und blieb vor Andrea stehen. „Kommen Sie“, sagte er und hielt ihr lächelnd die Hand hin, „wir haben zwanzig Minuten für uns. Das müssen wir ausnutzen.“
Seine Gesellschaft war der ihres Großvaters sicher vorzuziehen. Deshalb hakte Andrea sich bei ihm ein und ließ sich auf die Terrasse führen. Wieder verspürte sie ein seltsames Gefühl, als sie Nikos berührte. Der wundervolle Himmel, an dem viele blitzende Sterne standen, und die warme Nacht taten ein Übriges, um ihr Herz schneller klopfen zu lassen. Schnell befreite sie sich aus Nikos’ Griff, stellte sich an das Geländer und blickte hinaus in den dunklen Garten.
Ein leises, anhaltendes Zirpen weckte ihre Aufmerksamkeit. „Was ist das für ein Geräusch?“, fragte sie erstaunt.
„Das sind Zikaden“, antwortete Nikos und stellte sich hinter sie. „Sie sehen aus wie Heuschrecken und leben in Büschen. Ihr Zirpen ist charakteristisch für die Mittelmeerregion“, fuhr er fort. „Sie haben doch sicher schon von diesen Tieren gehört?“ Stirnrunzelnd betrachtete er sie. Selbst wenn sie in England aufgewachsen war, hatte sie ihren Großvater sicher oft besucht. Zikaden sollten ihr also nicht fremd sein.
Andrea schüttelte den Kopf, war aber in Wirklichkeit ganz woanders. Sie erinnerte sich wieder daran, wie ihre Mutter von dem Mann gesprochen hatte, den sie über alles geliebt hatte. Ihre Stimme hatte fröhlich und entspannt geklungen, und sie hatte ihrer Tochter geschildert, wie sie am Strand entlanggegangen waren … wie das Wasser des Mittelmeers sanft ans Ufer geschlagen war und die Zikaden im Hintergrund gezirpt hatten …
„Woran denken Sie?“, fragte Nikos leise und ließ die Hand sanft über ihre nackte Schulter gleiten.
Deine Berührung fühlt sich so gut an … irgendwie elektrisierend, dachte sie verträumt.
„Geht es um einen Mann?“, wollte er wissen, und sein Tonfall wurde schärfer.
„Ja …“
Er ließ die Hand sinken. „Wie heißt er?“
Erst jetzt bemerkte sie, wie aufgebracht seine Stimme klang. Was war los mit ihm? „Andreas“, antwortete sie kühl.
„Andreas … und weiter?“ Er straffte sich und betrachtete sie mit finsterer Miene.
Wollte er sie etwa einschüchtern? Das hier war doch keine Inquisition! Dennoch beschloss sie, ihm reinen Wein einzuschenken. „Andreas Coustakis, mein Vater.“
Nikos nickte kurz, und es war ihm anzumerken, wie unangenehm ihm das war. „Ich muss mich entschuldigen, Andrea. Haben Sie ihn gekannt?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein“, antwortete sie, und ihr Herz wurde schwer, als sie daran dachte, dass ihr Vater wahrscheinlich auf der gleichen Terrasse gestanden hatte wie sie jetzt. Er hatte in diesem Haus gelebt und es in der Nacht des Unfalls wütend verlassen … „Meine Mutter spricht oft von ihm“, fuhr sie dann leise fort.
Er hörte, wie ihre Stimme bebte. Auch er hatte seinen Vater nie kennengelernt, und seine Mutter hatte so gut wie nichts von ihm gewusst. Es hatte sie auch nicht interessiert. Er war ein Seemann auf Landurlaub gewesen und aus dem Norden gekommen. Vielleicht war er Skandinavier gewesen, denn er, Nikos, war sehr groß für einen Griechen.
Andreas Mutter hingegen hatte ihren Mann so geliebt, dass sie ihrer Tochter immer wieder von ihm erzählte. Was hat Andrea für ein Glück, dachte er beinahe neidisch. Wie gern hätte er auch mehr über seinen Vater erfahren …
„Wie ist er denn so gewesen?“, fragte Nikos mitfühlend.
„Er hat meine Mutter vergöttert“, erwiderte sie leise, „er hat sie immer ‚meine süße Taube‘ genannt und versprochen, ihr die Sterne vom Himmel zu holen …“ Sie zögerte einen Moment. „Und dann ist er gestorben, und der Traum war zu Ende.“
Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Nikos legte die Arme um Andrea und zog sie an sich. „Ganz ruhig“, sagte er und strich ihr übers Haar.
Einen Moment lang genoss sie seine Liebkosungen und fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder sicher und getröstet. „Es tut mir leid“, sagte sie schließlich, „es muss an diesem Ort liegen. Mein Vater hat in diesem Haus gewohnt. Erst jetzt wird mir bewusst, wie real er war.“ Sie wollte sich aus seinem Griff befreien, doch er ließ es nicht zu.
„Weinen Sie ruhig um ihn, denn damit ehren Sie ihn, Andrea.“
Sie blickte auf. Die Tränen an ihren Wimpern schimmerten wie Diamanten, und ihr sanfter Mund war mehr als verführerisch.
Nikos konnte sich einfach nicht beherrschen. Langsam senkte er den Kopf und presste die Lippen auf ihre.
Erschrocken wollte sie sich wehren, doch er zog sie näher an sich und ließ seine Zunge spielen. Es dauerte nicht lange, und Andrea war ihm erlegen. Sie bebte am ganzen Körper und gab jeden Widerstand auf. Nikos spürte, wie die Leidenschaft in ihm aufstieg. Sein Kuss wurde fordernder, und er ließ die Hände über Andreas Rücken gleiten und umfasste ihren Po.
Andrea stöhnte leise auf. Sie konnte nicht mehr klar denken und ihre Emotionen unter Kontrolle bringen. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Heiße Begierde schien durch ihre Venen zu fließen und riss sie mit in den Strudel der Lust.
Doch plötzlich wurde ihr bewusst, wo sie sich befanden, und sie schüttelte den Kopf. „Nein …“
Was war bloß in sie gefahren? Sie kannte ihn doch gar nicht. „Nein“, flüsterte sie noch einmal und versuchte, ihn fortzustoßen.
Sofort ließ Nikos sie los, obwohl er sie am liebsten noch näher an sich gepresst und ihren verführerischen Körper länger genossen hätte. Er wollte die Hände über ihre vollen Brüste gleiten lassen und jeden Zentimeter ihrer seidenen Haut liebkosen.
Theos, er begehrte diese Frau! Die Leidenschaft, die er für Andrea empfand, war überwältigend und trieb ihn beinahe in den Wahnsinn. Dieses Gefühl war neu und erschreckend zugleich. Bei Esme und Xanthe war es etwas ganz anderes gewesen – und auch bei allen anderen Frauen, mit denen er bis jetzt geschlafen hatte. Er hatte mit allen nur guten Sex haben wollen, ganz ohne jede Verpflichtung.
Hatte es vielleicht damit zu tun, dass er Andrea heiraten sollte? Hatte diese Tatsache etwas in ihm ausgelöst, das ihn völlig überwältigte? Noch nie hatte er eine Frau ganz allein für sich besitzen wollen. Seine Geliebten hatten es mit der Treue nie genau genommen, und es war ihm immer egal gewesen. Für sie war er eben nur ein weiterer wohlhabender Mann, mit dem sie ins Bett gingen. Esme Vandersee zum Beispiel hatte einen ganzen Hofstaat an Verehrern und suchte sich ihre Liebhaber nach Lust und Laune aus. Und Xanthe ließ sich ihr luxuriöses Leben nicht nur von ihm allein finanzieren, denn dazu hatte sie viel zu hohe Ansprüche. Natürlich war sie taktvoll genug, die Männer streng getrennt zu halten. Trotzdem hätte Nikos auf Anhieb sechs reiche Athener nennen können, die ihre Gunst genossen.
Er hatte nichts dagegen. Sollten sie sich doch amüsieren.
Der Gedanke aber, dass Andrea Coustakis vielleicht einen anderen liebte, war unerträglich gewesen. Er wollte der einzige Mann in ihrem Leben sein, koste es, was es wolle. Noch nie hatte er so etwas für eine Frau empfunden, und er gab sich diesem neuen Gefühl ganz hin.
Andrea stand an das Geländer gepresst und betrachtete ihn schweigend. In ihrem Blick lag Angst.
„Es tut mir leid, Andrea“, sagte Nikos sanft, „ich wollte dich nicht erschrecken.“ Als sie nicht antwortete, lächelte er und ließ die Hand noch einmal sanft über ihre Wange gleiten. „Du bist so wunderschön, und deshalb habe ich einfach den Kopf verloren.“
Sie bebte am ganzen Körper und brachte kein Wort heraus.
„Sieh mich nicht so an“, fuhr er schnell fort, „ich verspreche dir, ich werde dich ohne deine Einwilligung nicht mehr berühren. Aber ich werde alles daransetzen, dass du mich bald darum bittest“, fügte er ernst hinzu und wich einige Schritte zurück. „Komm, wir haben noch so viel zu besprechen.“
Sie ließ sich von ihm unterhaken und ging mit ihm die große Terrasse entlang. Die Nachtluft kühlte ihr heißes Gesicht, und Andrea atmete tief durch und versuchte, die Fassung wiederzugewinnen.
Sie kannte diesen Mann nicht, und trotzdem stand sie hier mit ihm unter dem Sternenhimmel und ließ sich von ihm küssen – und zwar auf eine Weise, die sie schwindelig gemacht und ihre Gefühle in ein Chaos gestürzt hatte.
Komm, wir haben noch so viel zu besprechen. Was sollte das heißen? Hatte er diese Worte nur so dahergesagt, oder steckte etwas anderes dahinter?
„Ich wüsste nicht, was ich mit Ihnen zu besprechen hätte“, erklärte sie deshalb schnippisch und zog es vor, beim formellen „Sie“ zu bleiben. Fragend blickte sie ihn an und war wieder so fasziniert von seinen markanten Gesichtszügen, dass sie bis auf ein einziges Wort nicht verstand, was er antwortete.
Schockiert blieb sie stehen. „Was haben Sie da gerade gesagt? Wiederholen Sie das bitte!“
Nikos lächelte sie an. „Wir sollten uns über unsere Hochzeit unterhalten, Andrea“, sagte er sanft.