5. KAPITEL

Andrea glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können. „Unsere was?“, fragte sie entsetzt.

„Unsere Hochzeit natürlich“, erwiderte Nikos erstaunt. Es kam ihm vor, als hätte Andrea sich im Bruchteil einer Sekunde in eine andere Person verwandelt.

Sie sah ihn fassungslos an. „Unsere Hochzeit?“ Das letzte Wort brachte sie kaum heraus. „Was ist das? Ein schlechter Scherz? Oh nein!“, rief sie, als sie zu erkennen glaubte, was los war, „Sie sind verrückt …“

Entsetzt wirbelte sie herum und wollte von der Terrasse flüchten, doch Nikos packte ihren Arm. „Wie hast du mich genannt?“

Er drückte fester zu, und sie zuckte vor Schmerz zusammen. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien, aber es gelang ihr nicht. „Lassen Sie mich sofort los!“, schrie sie aufgebracht.

Nikos musterte sie mit finsterer Miene. „Was, zum Teufel, geht hier vor?“, wollte er wissen. „Ich wollte dir nur versichern, dass du freie Hand hast, was die Planung unserer Hochzeit angeht. Allerdings muss ich auf einer Trauung in Griechenland bestehen.“ Es war ihm ein Rätsel, warum Andrea so erschrocken reagierte. Diese Ehe war doch von ihrem Großvater eingefädelt worden – warum dann also die Aufregung?

„Einer Trauung?“, fragte sie noch einmal ungläubig.

„Natürlich. Was ist daran so schwer zu verstehen?“ So langsam verlor er die Geduld.

„Ich soll Sie heiraten?“

Jetzt reichte es! Sie tat ja gerade so, als wäre das der abwegigste Vorschlag, den sie je gehört hatte! Wütend funkelte er sie an und ließ sie los.

Andrea rieb sich die schmerzende Stelle und hätte sofort wieder die Flucht ergriffen, wenn Nikos sich ihr nicht in den Weg gestellt hätte.

„Wir müssen reden“, sagte er ungehalten.

Sie schüttelte energisch den Kopf und dachte verzweifelt darüber nach, wie sie diesem Albtraum am besten entkommen konnte.

„Wenn du mich nicht heiraten willst, warum hast du mich dann geküsst?“, wollte er wissen.

„Sie sind total verrückt!“ Entsetzt versuchte sie, an ihm vorbeizukommen, doch er ließ es nicht zu.

Nikos seufzte ungeduldig und blieb starr stehen. Warum war sie plötzlich so hysterisch? Es kam ihm beinahe vor, als wüsste sie nichts von der geplanten Heirat. Das war aber doch nicht möglich! Wieso also dieser Aufstand? Wollte sie ihn vielleicht gar nicht zum Mann nehmen? War das der Grund für ihre unerklärliche Reaktion? Das kann gut sein, dachte er und spürte, wie die Wut in ihm aufstieg. Was, wenn er nicht gut genug für Yiorgos Coustakis’ Enkelin war? Immerhin war er „nur“ der uneheliche Sohn einer Bardame und eines unbekannten Seemanns!

Dieser Gedanke schmerzte ihn und ließ Nikos jedes Mitgefühl verlieren. Warum hatte sie ihrem Großvater nicht erzählt, dass sie so gegen diese Ehe war? Die Antwort lag auf der Hand. Es wäre dem alten Mann egal gewesen.

Nun, es war auch für ihn, Nikos, nicht wichtig. Er würde diese Frau heiraten, ob sie wollte oder nicht. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. „Sei still“, befahl er kühl, „du gehst nirgendwohin, bevor du dich nicht beruhigt hast.“

Plötzlich durchflutete ihn ein heftiger Schmerz, und Nikos fluchte laut. Andrea hatte ihm gegen das Schienbein getreten, sich losgerissen und rannte jetzt, so schnell sie nur konnte, auf die große Terrassentür zu.

Nikos biss die Zähne zusammen und lief ihr hinterher. An der Esszimmertür holte er sie ein, packte sie an den Schultern und schüttelte sie rau. „Schluss damit!“, sagte er aufgebracht. „Benimm dich gefälligst!“

Plötzlich wurde ihm bewusst, warum er so wütend war. Noch nie hatte ihn jemand so verletzt. Warum wollte sie ihn nicht heiraten? Er war doch eine gute Partie und weder alt noch hässlich. Es war einfach unerträglich! Diese letzten Wochen hatte er mit sich gerungen und sich dann schließlich damit abgefunden, eine ihm völlig Unbekannte zu heiraten, und dann stellte sich heraus, dass sie gar nicht an ihm interessiert war! Ganz im Gegenteil! Es schien für sie das Ende der Welt zu bedeuten, wenn sie ihn zum Mann nehmen musste!

Andrea presste die Hände gegen seine Brust und machte sich los. Ihr Herz klopfte wild, und sie spürte, wie Wut in ihr hochstieg und die Panik verdrängte.

Sie konnte nicht glauben, was sie da gehört hatte. Das war doch nicht wahr! Bitte nicht! „Das mit der Hochzeit ist ein Witz, stimmt’s?“, fragte sie entnervt, „irgendein Scherz, den ich überhaupt nicht lustig finde.“

Jetzt verlor auch Nikos die Geduld. Ach, so sah sie das also! Sie war also nicht bereit, den vaterlosen Emporkömmling aus den Slums zu heiraten! Drohend betrachtete er sie, und sie zuckte zusammen. Er machte ihr Angst!

„Du bist die Erbin des Coustakis-Imperiums“, sagte er kalt, „und ich bin der Mann, der es einmal übernehmen wird, wenn sich dein Großvater zur Ruhe setzt. Eine Ehe mit dir ist also nur logisch.“

„Die … Erbin …?“ Andrea blickte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Verstehe ich Sie richtig, Mr Vassilis? Sie wollen mich heiraten, damit Sie irgendwann einmal das Unternehmen meines Großvaters leiten können?“

Erleichtert nickte er. „Du hast es erfasst.“

Das war ja viel schlimmer, als sie es sich in ihren furchtbarsten Albträumen ausgemalt hatte. „Ich muss Sie leider enttäuschen, Mr Vassilis, denn ich werde Sie nicht heiraten. Sie müssen sich eine andere reiche Erbin suchen.“

Als sie sich abwenden wollte, hielt er sie am Arm fest. „Du beleidigst mich, Andrea.“

Sie spürte, wie ihr ein Schauder über den Rücken lief. Mit diesem Mann war nicht zu spaßen. Trotzdem war sie nicht bereit, sich von ihm einschüchtern zu lassen.

Ich beleidige Sie? Ganz im Gegenteil. Sie sind Gast im Hause meines Großvaters und sollten sich entsprechend benehmen.“ Andrea versuchte, geduldig zu bleiben, was ihr unter diesen Umständen sehr schwerfiel. „Ich verstehe natürlich, dass die griechische Mentalität anders als die englische ist, aber auch in diesem Land bedeutet ein Kuss auf der Terrasse sicher nicht das Ja zu einer Eheschließung! Sie haben mich auch nicht kompromittiert, falls Sie das im Sinn hatten. Deshalb können Sie meinen Großvater auch nicht erpressen, nur weil ich in Ihre Arme gesunken bin wie ein … Dummkopf!“

Sie war ja selbst an allem schuld! Das hatte sie davon, wenn sie mit einem umwerfenden Fremden in einer lauen Nacht unter einem romantischen Sternenhimmel auf der Terrasse stand!

Yiorgos Coustakis’ Erbin! So hatte er sie genannt! Was für eine Ironie! Beinahe hätte sie laut gelacht, denn sie konnte sich lebhaft die Reaktion ihres Großvaters ausmalen, wenn Nikos Vassilis tatsächlich um ihre Hand anhielt – und zwar unter dem Vorwand, ihre Ehre retten zu wollen! Dabei hatte der alte Mann sie doch als Tochter einer Hure bezeichnet!

„Erpressen?“, fragte Nikos wütend. Was war mit dem Mädchen los? Sie stellte ihn ja auf eine Stufe mit Yiorgos Coustakis! Das war unerträglich! „Wie kannst du es wagen, mir so etwas zu unterstellen?“

Andrea lachte spöttisch. „Wie sollte ich es sonst nennen? Sie haben versucht, mich in eine Falle zu locken, damit Sie das Firmenimperium unter Ihre Kontrolle bekommen. Lassen Sie sich eins gesagt sein, Mr Vassilis: Mein Großvater wird Sie auslachen!“

„Das glaube ich nicht“, erwiderte er kalt, „es war nämlich seine Idee.“

Andrea glaubte, sich verhört zu haben. „Wollen Sie mir tatsächlich weismachen, dass mein Großvater davon …“ Ihr fehlten die Worte. „Er will diese Hochzeit?“, fragte sie schließlich leise.

„Selbstverständlich“, antwortete er erstaunt. Hatte sie wirklich nichts davon gewusst? War der alte Mann so rücksichtslos gewesen und hatte seine Enkelin nicht über seine Pläne aufgeklärt? Wahrscheinlich ist das wieder einer seiner „kleinen Witze“, dachte Nikos erbost.

„Ich soll also wirklich mit Ihnen vor den Traualtar treten …“ Andrea schüttelte den Kopf. „Wieso bloß?“

„Das liegt doch auf der Hand. Wenn wir verheiratet sind, werden die Firma deines Großvaters und meine fusionieren. Ein halbes Jahr später wird der alte Mann in Ruhestand gehen, und ich werde die Geschäftsführung übernehmen. Der Vorvertrag ist schon unterschrieben.“ Er war nicht bereit, die Gefühle dieses Mädchens länger zu schonen. Ihre Reaktion auf die bevorstehende Eheschließung war schon beleidigend genug gewesen, und er wollte ihr zeigen, wer Herr im Haus war.

„Wie günstig für Sie“, erwiderte Andrea ausdruckslos.

„Stimmt.“ Er lächelte spöttisch.

„Entschuldigen Sie mich bitte“, sagte sie und drängte sich an ihm vorbei. Wütend rannte sie durch das Esszimmer und riss die großen Flügeltüren auf, die zur Bibliothek führten.

Als sie in den Raum gestürmt kam, blickte ihr Großvater erstaunt auf und vergaß einen Moment lang die vielen flackernden Bildschirme mit den Börsennotierungen. „Verschwinde!“, befahl er ungehalten.

Andrea dachte nicht daran. Sie blieb vor Yiorgos Coustakis stehen und zeigte anklagend auf Nikos, der ihr gefolgt war. „Dieser Mann besteht darauf, mich heiraten zu wollen. Du sagst ihm jetzt sofort, dass er sich zum Teufel scheren soll.“

Yiorgos Coustakis’ Miene verfinsterte sich. „Das werde ich nicht tun. Warum habe ich wohl sonst nach dir geschickt? Geh jetzt hinaus, ich habe genug von deinem Gejammer.“

Doch so schnell wurde er seine Enkelin nicht los. „Bist du völlig verrückt geworden? Du lockst mich hierher, überrumpelst mich und glaubst auch noch, dass ich mitspielen werde?“

Der alte Mann stand auf, und obwohl er nicht größer war als Andrea, wirkte er plötzlich sehr Furcht einflößend.

Beinahe hätte sie sich einschüchtern lassen, aber sie war viel zu wütend, um über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. „Das kann nicht dein Ernst sein. Du bist wirklich verrückt …“

„Ruhe!“, brüllte Yiorgos Coustakis und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen! Geh sofort auf dein Zimmer! Ich werde mich morgen mit dir befassen.“

„Wie bitte?“, fragte sie ungläubig. „Du kannst mir gar nichts befehlen.“

„Oh doch! Du bist meine Enkelin, und ich fordere Gehorsam von dir!“

„Fordere, was du willst. Ich bin nicht dein Diener“, erwiderte sie kühl. „Außerdem existiert das Wort ‚Gehorsam‘ nicht in meinem Wortschatz.“

Nikos betrachtete sie stirnrunzelnd. Sie hatte Mut, das musste er ihr lassen. Sicher hatte noch nie jemand mit dem Oberhaupt der Coustakis-Familie so gesprochen. Sie wagte es tatsächlich, diesem kalten, rücksichtslosen Mann Paroli zu bieten.

„Du verlässt jetzt sofort diesen Raum, oder ich werde dich hinauswerfen lassen“, sagte der Patriarch, drückte den roten Knopf der Gegensprechanlage und gab einen kurzen Befehl auf Griechisch. Dann wandte er sich wieder Andrea zu.

Diese war viel zu aufgebracht, um Angst zu haben. „Ich verschwinde erst“, sagte sie mit eiskalter Stimme, „wenn du mir zusicherst, dass ich ihn nicht heiraten muss.“ Sie zeigte auf Nikos, der noch immer schweigend an der Tür stand.

„Halt den Mund! Du machst mir in meinem Haus keine Schande. Hat deine Mutter dir denn nicht beigebracht, wie man sich zu benehmen hat? Du wirst mit Nikos Vassilis vor den Traualtar treten, und zwar schon nächste Woche. Die Gründe gehen dich nichts an. Und damit ist diese Unterhaltung beendet.“

Andrea spürte, wie sich alles um sie her zu drehen begann. Sie träumte, eine andere Erklärung gab es dafür nicht … „Du kannst mich nicht zwingen“, antwortete sie leise, und ihr Herz klopfte wie wild. „Das ist Wahnsinn, und ich denke nicht daran, dir zu gehorchen. Ich werde diesen Mann nicht heiraten. Ihr seid ja alle verrückt!“

Sie hörte, wie Nikos Vassilis tief durchatmete, aber sie achtete gar nicht darauf. Der Zorn, der sich seit Jahren aufgestaut hatte, brach sich Bahn. Yiorgos Coustakis hatte ihre Mutter schändlich behandelt, und deshalb schuldete sie, Andrea, ihm gar nichts!

Bevor sie sich’s versah, war ihr Großvater um den Schreibtisch gegangen und stand jetzt mit wutentbranntem Gesicht vor ihr. Er hob die Hand und gab ihr eine Ohrfeige.

Andrea schrie auf und hielt sich die Wange. Einen Moment lang waren der Schmerz und der Schock überwältigend. Sie konnte nicht glauben, dass der alte Mann sie tatsächlich geschlagen hatte. Erschrocken wich sie einige Schritte zurück und wäre dabei beinahe über den Saum ihres langen Kleides gestolpert.

„Geh sofort in dein Zimmer“, befahl Yiorgos Coustakis wieder, und sein eiskalter Blick jagte ihr einen Schauder über den Rücken.

Sie ließ die Hand sinken und straffte sich stolz. Ihr Großvater sollte nicht denken, dass er gewonnen hatte. „Wenn du mich noch einmal anrührst, wirst du es bereuen“, erwiderte sie ruhig und wunderte sich, dass ihre Stimme nicht bebte. „Ja, ich gehe, aber aus eigenem Willen. Und eins lass dir gesagt sein: Ich werde dir nicht gehorchen, denn ich denke nicht daran, ein Pfand in deinem teuflischen Spiel zu sein. Scher dich zum Teufel, Yiorgos Coustakis!“

Jetzt hatte sie den Bogen endgültig überspannt. Ihr Großvater fluchte auf Griechisch und hob wieder die Hand. Andrea versuchte, den Schlag abzuwehren, doch es gelang ihr nur teilweise. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie, als der alte Mann ihren rechten Arm traf, und sie schrie entsetzt auf. Plötzlich spürte sie, wie sie von hinten gepackt und aus der Gefahrenzone gezogen wurde.

„Genug!“, sagte Nikos heiser.

In Yiorgos Coustakis’ Blick stand ein solch brennender Hass, dass jeder die Flucht ergriffen hätte, doch Andrea war viel zu aufgewühlt, um sich darüber Gedanken zu machen. Als ihr Großvater plötzlich zur Tür sah, wandte auch Andrea sich um und entdeckte zwei Sicherheitsleute, die nur auf den Befehl des alten Mannes warteten.

„Schafft sie mir aus den Augen!“, brüllte Yiorgos Coustakis mit hochrotem Gesicht.

Die Uniformierten gingen auf Andrea zu, doch Nikos hob die Hand. „Stopp!“, rief er, und die beiden blieben stehen. „Das ist nicht nötig, Yiorgos.“

„Dann kümmere du dich um sie“, sagte dieser wütend. „Am besten zeigst du ihr gleich einmal, wer Herr im Haus ist. Ich leihe dir gern eine Peitsche.“ Er hob wieder die Hand, als wollte er schon einmal mit der Bestrafung beginnen, und Andrea zuckte zusammen. Nikos reagierte sofort und zog sie aus dem Zimmer.

„Lassen Sie mich los!“, schrie sie, als sie im Entree standen, aber er gehorchte erst, als er die Tür zur Bibliothek hinter sich geschlossen hatte. Die beiden Sicherheitsleute gingen schweigend an ihnen vorbei, doch dann fiel Nikos etwas ein. Er rief sie zurück und befahl: „Holen Sie Kyrios Coustakis’ Diener. Er braucht vielleicht ein Beruhigungsmittel.“

Die Männer nickten und gingen davon. Dann wandte Nikos sich der Frau zu, die er heiraten sollte.

Er atmete tief durch und versuchte, das Ganze ruhig zu sehen. Ein Rückzieher kam nicht infrage, dafür stand zu viel auf dem Spiel. Allerdings war er erzürnt darüber, dass er in diese schmutzige Geschichte mit hineingezogen worden war. Warum hatte der alte Mann seine Enkelin nicht vorher über seine Pläne informiert? Es war nämlich nicht gerade berauschend, zwischen die Fronten zu geraten – vor allem, wenn die Gegner so unversöhnlich waren.

Er brauchte einen Drink, und zwar einen starken. Sofort! Vielleicht würde das seine zukünftige Frau auch beruhigen. Stirnrunzelnd betrachtete er sie. Sie hatte ihre Hand sinken lassen, aber ihre Wange war noch gerötet. Sanft umschloss er ihr Gesicht und beugte sich dann hinunter. „Lass mich sehen.“

Sofort versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. „Fassen Sie mich nicht an!“

Er spürte, wie aufgebracht sie noch war, und ließ sie los. „Du solltest dich beruhigen, Andrea. Ich werde uns einen Drink machen.“ Energisch nahm er ihren Arm und führte sie in den Salon. Sie sank auf das Ledersofa, und er ging zur Bar und füllte zwei großzügig bemessene Brandys in die teuren Kristallgläser. Danach ging er zu Andrea und reichte ihr eins. „Trink“, befahl er.

Gehorsam probierte sie von der dunklen Flüssigkeit, und der Alkohol entfaltete sofort seine Wirkung. Sie nahm noch einen Schluck und spürte, wie sie ruhiger wurde. Verstohlen betrachtete sie Nikos, der mit verschlossener Miene am anderen Ende des Raums stand. Er schien nicht gerade glücklich zu sein. Schnell blickte sie zur Seite.

Ihre Wange schmerzte immer noch, und sie hielt das kühle Glas dagegen. Ich muss weg von hier, dachte sie verzagt. Gleich morgen früh! In London war sie sicher vor dem Monster, als das sich ihr Großvater entpuppt hatte.

Sie hatte keine andere Wahl, selbst wenn sie mit leeren Händen zurückkehren musste.

Irgendwie kam ihr das Ganze immer noch wie ein Albtraum vor. Sie konnte es einfach nicht glauben. „Ist es wirklich wahr?“, fragte sie unwillkürlich.

Nikos runzelte die Stirn.

„Soll ich Sie tatsächlich … heiraten?“ Sie brachte das letzte Wort kaum über die Lippen.

„Ja, es stimmt“, antwortete Nikos kühl. „Das hat dein Großvater dir eben doch wohl eindrucksvoll demonstriert.“

„Dieser Mistkerl!“

Nikos’ Miene verfinsterte sich. Er mochte Yiorgos Coustakis auch nicht – es gab wahrscheinlich niemanden auf der Welt, der den Alten wirklich gern hatte –, doch Andrea hätte sich ihm gegenüber nie so verhalten dürfen. Sie hatte es tatsächlich gewagt, ihn in Gegenwart eines anderen Mannes anzuschreien und sich ihm zu widersetzen. Damit hatte er sein Gesicht verloren, und das auch noch vor demjenigen, den er als Nachfolger auserkoren hatte. Warum wehrte Andrea sich überhaupt? Immerhin war es ihr Großvater, der ihr mit seinem Reichtum ein luxuriöses Leben in der High Society von London finanzierte, und dafür schuldete sie ihm Dank und vor allem Respekt. Er, Nikos, hätte die Angelegenheit allerdings ohne Gewalt gelöst, aber es stand ihm nicht zu, den alten Mann zu kritisieren.

„Du wirst dieses Schimpfwort nicht mehr in den Mund nehmen“, sagte er kalt.

„Oder was?“, fragte sie spöttisch. „Wirst du mich dann auspeitschen?“

Nikos fluchte leise. Verdammt! Er hätte schon lange in Xanthes wundervoll weichen Armen liegen und ihre angenehme Gesellschaft genießen können.

Nur leider lag er jetzt nicht mit Xanthe Palloupis im Bett, sondern musste sich mit dieser, wenn auch umwerfend aussehenden, Nervensäge herumschlagen! „Du benimmst dich wirklich unmöglich“, sagte er aufgebracht, „und dagegen muss etwas getan werden.“

Andrea knallte das Glas auf den Tisch und stand auf. „Sie sollten jetzt gehen, Mr Vassilis. Ein kleiner Tipp noch von mir: Wenn Sie nächstes Mal eine Frau heiraten wollen, halten Sie vorher um ihre Hand an. Ich weiß ja, wie gern Sie Coustakis Industries in Ihre schmutzigen Finger bekommen möchten, doch ich werde Ihnen dabei nicht helfen. Für mich sind Sie nur ein mieser Mitgiftjäger.“ Sie wandte sich ab, rannte aus dem Zimmer und eilte die Marmortreppe empor.

Nikos war außer sich vor Wut. Er stürmte nach draußen, stieg in seinen Sportwagen und brauste wie von Dämonen gehetzt davon.

Zitternd zog Andrea Tonys Handy aus der Tasche und wählte die Nummer ihres Freundes. „Es hat nicht geklappt“, sagte sie, als er sich meldete, „ich komme nach Hause. Mach dir keine Sorgen.“ Sie atmete tief durch und spürte, wie aufgewühlt sie immer noch war. „Nein, es ist alles in Ordnung, ich möchte nur wieder nach London zurück. Ich werde mich morgen früh vom Athener Flughafen melden. Wenn du nichts hörst, löse bitte Alarmstufe Gelb aus, okay? Wenn ich Heathrow nicht erreiche und dich auch bis morgen Abend nicht angerufen habe, ist Alarmstufe Rot angesagt. Alles klar?“ Sie biss sich auf die Lippen. „Mein Großvater ist genau so, wie wir gedacht haben.“

Da sie Tonys Telefonrechnung nicht unnötig in die Höhe treiben wollte, verabschiedete sie sich gleich darauf von ihm. Es war sehr beruhigend gewesen, mit jemandem zu sprechen, der ganz normal war und keine verrückten Pläne mit ihr hatte!

Es dauerte lange, bis sie endlich einschlief, und als sie am nächsten Morgen erwachte, stand Zoe an ihrem Bett und informierte sie, dass ihr Großvater sie sofort zu sehen wünschte.

Gut, dachte sie, das kommt mir sehr entgegen. Er konnte ihr gleich einen Fahrer für die Fahrt zum Flughafen zur Verfügung stellen. Schnell streifte sie sich eine rote Bluse und die Jeans über, die sie aus London mitgebracht hatte, und ließ sich zum Schlafzimmer ihres Großvaters führen.

Er saß, gestützt von vielen Kissen, in einem riesigen Bett, das genauso gut nach Versailles gepasst hätte. Andrea betrachtete ihn prüfend. Er sah nicht gut aus, und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass er ein alter Mann war und nicht mehr lange zu leben hatte.

Ich werde höflich bleiben, schwor sie sich. Sie würde es jedenfalls versuchen! Langsam ging sie zu ihm und spürte Yiorgos Coustakis’ hasserfüllten Blick auf sich. Er konnte zwar nicht aufstehen, war aber immer noch der Furcht einflößende, mächtige Mann, der seine Konkurrenten in Angst und Schrecken versetzte.

„Dein Verhalten ist unerträglich“, sagte er ohne Umschweife. „Wenn ich dich erzogen hätte, würdest du mir jetzt gehorchen, dafür hätte ich schon mit der Peitsche gesorgt!“

Andrea warf all ihre guten Vorsätze über Bord. Dieser Widerling verdiente keine Rücksicht und auch kein Mitleid. Diesmal aber würde sie nicht die Kontrolle verlieren und ihn anschreien. Stattdessen stand sie nur schweigend da und betrachtete ihn kalt.

„Anscheinend hast du es endlich kapiert!“ Yiorgos Coustakis schien sehr zufrieden. „Eine Frau hält den Mund, bis sie aufgefordert wird zu reden. Schade nur, dass du dich gestern vor deinem zukünftigen Ehemann wie eine Furie benommen hast.“

„Ich werde Nikos Vassilis nicht heiraten“, erwiderte sie ausdruckslos.

Ihr Großvater lachte höhnisch. „Du hast noch Glück, denn normalerweise würde er einen Rückzieher machen, so, wie du dich benommen hast. Aber zum Glück bringst du ja Coustakis Industries als Mitgift in die Ehe, sodass er sicher ein Auge zudrücken wird. Du musst dein Geld also nicht wie deine Mutter als Hure verdienen!“

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Die Unterhaltung ist beendet“, sagte Andrea, und ihre Stimme bebte vor unterdrückter Wut, „ich fahre sofort nach London zurück. Sorge bitte dafür, dass ich zum Flughafen gebracht werde.“

Yiorgos Coustakis’ Gesicht lief rot an. „Du gehst nirgendwohin, sondern bleibst bis zu deinem Hochzeitstag in deinem Zimmer – es sei denn, du benimmst dich so, wie es einer Frau zusteht! Ich bin der Herr im Haus, und du hast das zu respektieren!“ Er schlug mit der Faust auf das Bett. „Glaub mir, ich habe Mittel und Wege, um dich zur Einsicht zu bringen.“

Andreas Gesicht wurde aschfahl, als sie an die beiden kräftigen Sicherheitsleute dachte. Meinte er die Drohung wirklich ernst?

Ihr Großvater nickte grimmig. „Jetzt hast du es kapiert, stimmt’s? Ich habe deinen Vater oft genug mit meinem Gürtel geschlagen, bis er Gehorsam gelernt hatte!“ Seine Miene wurde finster. „Doch dann hat er diese Hure kennengelernt und es gewagt, sich mir zu widersetzen. Ich habe ihn enterbt und hinausgeworfen. Ja, du hast richtig gehört. Wenn er es nicht so eilig gehabt hätte, zu diesem Weibsstück zurückzukommen und dabei einen teuren Sportwagen in seine Einzelteile zu zerlegen, wäre er jetzt arm wie eine Kirchenmaus.“

Andrea konnte sich gut vorstellen, wie furchtbar ihr Vater unter Yiorgos Coustakis gelitten haben musste. „Du gemeiner alter Mann“, flüsterte sie.

„Verschwinde“, brüllte er.

„Oh ja, das werde ich“, entgegnete sie, „selbst wenn ich zu Fuß zum Flughafen gehen muss.“

„Du wirst nichts dergleichen tun. Ich werde dich einsperren lassen, bis du Nikos Vassilis geheiratet hast.“

Andrea betrachtete ihn ruhig. Er konnte nicht jeden herumkommandieren, und genau das würde er jetzt lernen. „Das würde ich an deiner Stelle nicht tun. Wenn ich mich nämlich bis heute Abend nicht telefonisch bei einer bestimmten Person gemeldet habe, wird die englische Botschaft in Athen informiert, dass ich hier gegen meinen Willen festgehalten werde. Das wird ein gefundenes Fressen nicht nur für die Presse!“

Das hatte gesessen! Ihr Großvater fluchte laut auf Griechisch und fragte dann: „Und was ist, wenn ich dich zwinge, diesen Anruf zu machen?“

Ihr lief ein Schauder den Rücken hinunter, aber sie zeigte ihre Angst nicht. „Das wird dir auch nichts nützen“, erwiderte sie kühl, „denn ich habe ein Passwort ausgemacht. Wenn ich das falsche nenne, weiß die Person sofort Bescheid und wird alles in die Wege leiten, um mich zu schützen.“

Plötzlich war ihr Großvater wie ausgewechselt. All seine Wut schien verraucht zu sein, und sein Blick war ausdruckslos. „Was spricht eigentlich gegen Nikos Vassilis? Er ist doch ein gut aussehender Mann.“

Erstaunt betrachtete sie ihn. War das eine neue Taktik, um sie zum Einlenken zu bewegen? „Bemüh dich nicht, ich werde ihn nicht heiraten.“

„Wieso nicht? Viele Frauen würden alles dafür geben, mit ihm vor den Traualtar treten zu können, und das nicht nur wegen seines Geldes. Was willst du mehr?“

„Wegen seines Geldes?“, fragte sie erstaunt. „Ich dachte, er wäre ein Mitgiftjäger und hat es nur auf deine Firma abgesehen.“

Yiorgos Coustakis lachte spöttisch. „Er will sein Vermögen nur mehren, das ist alles. Ich würde mein Imperium ganz bestimmt keinem unbedarften Emporkömmling anvertrauen! Nikos Vassilis ist reich, das habe ich genau überprüft, und er wird mein Unternehmen nicht durch Inkompetenz ruinieren!“ Ihr Großvater hielt einen Moment erschöpft inne. „Nikos’ Privatvermögen beläuft sich auf mehr als zwanzig Millionen Euro, und seit einiger Zeit strebt er eine Fusion mit meiner Firma an“, fuhr er schließlich fort. „Er ist ehrgeizig, und ich habe mich schließlich bereit erklärt, den Vorvertrag zu unterzeichnen. Allerdings habe ich den Preis erhöht – er muss dich heiraten, damit sich sein Traum erfüllt.“

Andreas Gedanken rasten, als sie versuchte, das Gesagte zu verarbeiten. „Warum gerade ich?“, fragte sie dann unverblümt. „Fünfundzwanzig Jahre lang hast du meine Existenz verleugnet … genau seit dem Tag, an dem deine Sicherheitsleute meine Mutter mit Gewalt in ein Flugzeug nach London gesetzt haben.“

Yiorgos Coustakis schien nicht im Geringsten zu bedauern, wie er die schwangere Geliebte seines Sohnes behandelt hatte. „Warum?“, wiederholte er. „Ganz einfach. Du trägst mein Blut in dir, auch wenn es verunreinigt ist. Wenn du Nikos Vassilis geheiratet hast, wird er über mein Vermögen wachen und es eurem Sohn vermachen. Dann endlich habe ich den Erben, auf den ich so lange gewartet habe – auch wenn ich es nicht mehr erleben werde.“

Das also steckte dahinter! Ihr Großvater wollte Unsterblichkeit, koste es, was es wolle. Und sie war die Einzige, die ihm seinen letzten Wunsch erfüllen konnte.

Plötzlich fielen ihr Tonys Worte wieder ein. Eine Hand wäscht die andere. Du gibst ihm etwas, und er revanchiert sich bei dir dafür. Genau darum war sie hierhergekommen. Sie wollte Geld für ihre Mutter … und hätte damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Kim würde ihre Wohnung im warmen Süden bekommen, und außerdem war es auch wie eine späte Genugtuung.

Andreas Großvater betrachtete sie lauernd. Er sah in ihr nichts als ein Mittel zum Zweck. Auch gut, dachte sie energisch, aber dafür muss er bezahlen. Vor fünf Minuten noch hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als aus diesem überfrachteten Palast zu verschwinden. Jetzt aber hatte sie ihre Meinung geändert. Sie würde nicht mit leeren Händen abreisen.

Yiorgos Coustakis lächelte spöttisch, und es schien, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Was wird es mich kosten, damit du Nikos Vassilis heiratest?“

„Fünfhunderttausend Pfund Sterling“, antwortete sie sofort, „zahlbar auf ein Konto bei einer Londoner Bank meiner Wahl und auf meinen Namen – Andrea Fraser.“

Sie hatte bewusst den Nachnamen ihrer Mutter gewählt, um dem alten Mann zu zeigen, dass sie keine Coustakis war und nie sein würde.

Ihr Großvater lachte höhnisch. „Für die Tochter einer Hure bist du ganz schön überheblich! So viel bist du gar nicht wert!“

Sie ließ sich ihren Ärger nicht anmerken. „Du willst etwas von mir, und dafür musst du bezahlen. Nimm an, oder lass es.“

In seinem Blick lag unverhohlene Wut. „Das ist doch blanker Unsinn. Wenn du erst einmal mit Nikos Vassilis verheiratet bist, kannst du dir jeden erdenklichen Luxus leisten. Du solltest mir dankbar sein, dass ich dich aus deinem Elend befreit habe.“

„Fünfhunderttausend“, sagte sie unbeeindruckt. Sie hatte mit Tony alles genau ausgerechnet. Damit würde sie die Schulden ihrer Mutter begleichen und ihr eine Wohnung kaufen können. Wenn sie den Restbetrag klug anlegte, konnte Kim noch viele Jahre lang davon sorglos leben. „Zahlbar sofort, oder ich fliege heute noch nach London zurück.“

Yiorgos Coustakis’ hasserfüllter Blick schien sie zu durchdringen.

Er konnte es kaum glauben, dass sein „Werkzeug“ es wagte, eine solch unverschämte Forderung zu stellen. „Nein“, erwiderte er kalt, „zahlbar nach deiner Hochzeit.“

Andrea lachte spöttisch. „Dann werde ich diesen Mann nicht heiraten. Ich will das Geld vorher.“ Einen kurzen Moment lang kamen ihr Zweifel. War sie denn verrückt geworden? Was tat sie eigentlich? Sie verkaufte sich, ohne zu zögern, an diesen Widerling, der über Leichen ging.

Doch dann warf sie alle Vorbehalte über Bord. Skrupel waren hier fehl am Platz. Jetzt oder nie – wenn sie nachgab, war die letzte Möglichkeit vertan, für ihre Mutter Gerechtigkeit zu erlangen. Auch wenn sie, Andrea, dafür einen Wildfremden heiraten musste … Einen Unbekannten, in dessen Armen sie sich so geborgen gefühlt hatte.

Ich darf nicht darüber nachdenken, ermahnte sie sich energisch. Dafür ging es hier um zu viel. Auch Nikos Vassilis ließ sich für eine Heirat gut bezahlen. Immerhin brachte sie Coustakis Industries mit in die Ehe. Sie brauchte sich also nicht zu schämen, wenn sie sich so teuer wie möglich verkaufte. Außerdem tat sie es ja nicht für sich selbst, sondern für ihre kranke Mutter.

Sie blickte dem alten Mann direkt in die Augen und zeigte ihm so, dass sie nicht bereit war, nachzugeben. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis er endlich sagte: „Also gut. Du bekommst das Geld am Hochzeitsmorgen – und nicht eine einzige Minute früher. Und jetzt verschwinde!“