Versprechen
Irgendwann stand ich wieder auf und sah mich zu der Hütte um. Mein Herz wurde jede Sekunde schwerer.
Abschiede waren immer schwer, aber der hier übertraf mit Abstand alles, was ich jemals erlebt hatte.
In der Hütte hatte für mich ein neuer Lebensabschnitt begonnen und jetzt stellte sich heraus, dass ich wieder neu anfangen musste.
Auf einmal nahm ich ein Motorengeräusch wahr und schaute mich um. Zwischen den Bäumen nahm ich Bewegung wahr, ich erkannte kurz darauf ein schwarzes Auto. Viele Menschen hatten schwarze Autos, doch mein Herz schlug sofort höher.
Ich ging die Treppe herunter. Ein schwarzer Cherokee fuhr zwischen den Bäumen auf den Platz vor dem Haus. Die Sonne spiegelte sich in der Scheibe, aber ich erkannte das Nummernschild.
Er war wirklich hier.
Ich konnte es nicht fassen.
Der Motor verstummte, das Geräusch der Handbremse ertönte und ich schaffte es nicht, mich einen Millimeter zu bewegen. Gefühlte Stunden dauerte es, bis die Tür aufging und als Church ausstieg, presste ich die Lippen aufeinander.
Er schlug die Tür zu und legte die Hand an die Scheibe. Dann sahen wir uns an und ich musste lächeln.
Es war dieser Moment, der aus meinem Traum Realität werden ließ.
Das hier war er.
Unser Moment.
Church ging los und ich holte laut Luft. Er wurde schneller und verlangsamte sein Tempo wieder, als er beinahe bei mir war.
»Du bist hier«, sagte er leise und ich nickte.
Er umfasste meine Wangen und beugte sich zu mir. Und als er mich küsste, als er mich in seine Welt entführte, schloss ich die Augen und ließ es einfach geschehen.
Sein Kuss war wie ein stilles Versprechen an mich.
Er legte die Stirn an meine. »Du bist hier.«
»Ich habe dir etwas versprochen«, flüsterte ich und wir sahen uns an. In seinen Augen standen so viele Dinge, aber die Gewissheit, dass er mich für immer halten wollte, war am lautesten.
»Du bist ganz kühl.«
»Ich habe lang auf dich gewartet.«
»Bitte schick mich nie mehr weg«, flehte er mich an und ich nickte.
»Das werde ich nie mehr tun.«
»Bitte lass mich nie mehr allein.«
»Das werde ich nicht«, versicherte ich und meine Stimme kippte.
Er küsste mich erneut, mit so viel Liebe und doch so verzweifelt, dass mein Herz gleichzeitig brach und heilte.
»Du bist wie der Wind zwischen den Blättern, der sie zum Tanzen bringt«, flüsterte er an meinen Lippen und brachte mich zum Lächeln. Mit den Fingern kämmte er sanft durch meine dunklen Haare und legte die Stirn zurück an meine. »Ich fasse es nicht, dass du hier bist.«
Wir sahen uns wieder an und ich studierte zum wiederholten Mal das dunkle Braun seiner Augen, das von so viel Gefühl und Wärme umgeben war.
Zumindest, wenn er mich ansah.
Ich zog den Zettel aus meiner Hosentasche und faltete ihn auseinander. Vor meiner Brust hielt ich ihm diesen hin. »Wann hast du das geschrieben?«
»Einen Tag, bevor wir gefahren sind.«
»Wieso hast du mir den Zettel nicht gegeben?«, wisperte ich.
»Ich hatte Angst davor, es zuzugeben.« Nervös rieb er sich über den Hinterkopf. »Erst wollte ich ihn dir geben und dann war ich nicht mehr sicher. Also habe ich ihn da versteckt und wollte das Schicksal entscheiden lassen.«
»Das Schicksal? Du bist der rationalste Mensch, den ich kenne, und du wolltest das Schicksal entscheiden lassen?«
Church seufzte und wirkte dabei unendlich beschämt. »Es war eine idiotische Idee. Ich hätte es dir einfach sagen sollen.« Er griff meine Hand, danach holte er die Tasche von der Bank und wir gingen gemeinsam auf die Veranda. »Ich habe die Hütte für zwei Wochen gemietet.« Er sah mich an und zog den Schlüssel aus der Tasche. »Keine Ahnung, wieso.«
Er brachte mich zum Lächeln.
Gemeinsam betraten wir die Hütte, die mir unendlich vertraut war und Church feuerte den Kamin an, nachdem er auch seinen Koffer geholt hatte. Bereits eine Stunde später wurde es wohlig warm im Raum und wir kuschelten uns gemeinsam auf die Couch und schauten ins Feuer.
Das Knistern und Knacken der Holzscheite beruhigte mich und das Lodern der Flammen war beinahe einlullend.
»Wo ist Loki?«, wollte ich wissen und schmiegte mein Gesicht in seine Halsbeuge.
»Der ist in New York geblieben. Asher spielt den Hundesitter für mich.«
»Du hast den Vertrag unterschrieben.«
»Hm-mh«, machte er und küsste meine Stirn sanft. Mit den Fingern kitzelte er meinen Oberarm und meine Hüfte. »Die drei Musiker von Ivory Dice freuen sich schon auf mich. Ihr alter Manager ist bei einem Busunfall bei der letzten Tour ums Leben gekommen.«
Ich hob den Kopf und schaute Church an. In seinen Augen stand Mitgefühl und eine Spur Trauer. »Das tut mir sehr leid für sie.«
»Die letzten Monate waren hart für sie, umso mehr hoffe ich, ihnen unter die Arme greifen zu können.«
»Ich hatte unrecht«, flüsterte ich und küsste seinen Mundwinkel sanft.
»Ach ja?« Ein neckender Ausdruck entstand auf seinen Zügen.
»Du bist kein Pessimist, du bist Optimist. Du glaubst immer an das Gute im Menschen.« Er hatte von Anfang an das Gute in mir gesehen, obwohl ich mich ihm gegenüber unfair verhalten hatte. Obwohl ich ihm bei den ersten Treffen gar keine Chance geben wollte. »Ich war bei May.«
Church suchte meinen Blick. »Und?«
»Sie ist glücklich.«
»Ist es nicht das, was du wolltest?«
»Sie hat einen Mann und ein Kind.« Ich wusste nicht genau, wieso ich ihm ausgerechnet das sagte. Vielleicht wollte ich das ebenfalls. Heiraten, Kinder bekommen. Zur Ruhe kommen.
Wenn ich Church ansah, wusste ich, dass ich das mit ihm haben wollte und dass er mir geben konnte, was May in Billie gefunden hatte. Was mein Dad in meiner Mom gefunden hatte.
Vorsichtig ließ ich meine Finger über den Stoff seines Hemds am Unterarm wandern. Ganz langsam und als ich sein Handgelenk berührte, öffnete er schließlich seine Hand.
Ich schob meine Finger zwischen seine.
Sofort fühlte ich mich freier.
»Das freut mich für sie«, antwortete er voller Wärme.
»Du hast Schneider nichts von meinen neuen Songs gesagt. Danke dafür.« Ich senkte den Blick auf seine Brust. »Und Harolds hat mir gesagt, du wolltest das PDF über mich nicht lesen.«
»Ich habe die ersten Seiten überflogen, das hat mir gereicht. Daraufhin habe ich ihn angerufen und klargestellt, dass ich das nicht lesen werde.«
»Ich hätte dir das nicht unterstellen dürfen, aber alles hat zusammengepasst. Beinahe alles, was du für mich getan hast, stand in diesem Bericht.«
»Ich hatte keine Ahnung, ob dir gefällt, was ich tue.«
»Das hat es. Alles.« Wir sahen uns wieder an, wodurch ich automatisch glücklich wurde. »Deine ganze Art war so gruselig perfekt, dass ich sofort daran gezweifelt habe, wer du bist.«
»Ich verstehe dich. Vermutlich hätte ich genauso gedacht.«
Es erleichterte mich, dass Church mir verzieh.
Und ich konnte kaum glauben, dass wir wieder hier waren.
In unserem kleinen Paradies.
Wo die Welt um uns herum nicht existierte und Traum und Realität eins wurden.
Wo er meine und ich seine Serenade war.
»Es tut mir leid, Cleo. Ich hätte mit offenen Karten spielen sollen … Denn da war von Anfang an mehr zwischen uns und ich hoffe, du weißt, dass ich es gemerkt habe. Ich liebe es, wie du die Nase beim Komponieren rümpfst, wie du vor dem Spiegel übst, nur eine Augenbraue zu heben. Und auch die Geschichten über deine Eltern und dass das Haus deiner Oma nach Apfelkuchen gerochen hat und auch, dass du bei jedem Schluck Kaffee die Augen schließt …«
Er musste sich nicht entschuldigen.
Ich wusste es doch längst.
Wäre es nicht so, würden wir jetzt nicht hier liegen und darüber sprechen. Dann würde Church mich zum Teufel jagen und vermutlich nicht einmal mehr mit mir reden wollen.
Mrs Hayes hatte mich als Erste darauf gestoßen. Auf seinen Blick, wenn er mich musterte. Auf dieses kleine Leuchten in seinen Augen, das mit der Zeit immer intensiver geworden war.
»Ich weiß«, sagte ich sanft. »Es ist in Ordnung. Ich bin nicht wütend auf dich. Es war im ersten Moment ein Schock, als ich diesen Bericht gesehen habe. Ich dachte, ich wäre wieder ganz allein.«
»Ich bin hier.« Church umfasste meine Finger und drückte sanft, aber bestimmt zu.
Und endlich verstand ich das Gefühl von Heimat.
Das von Ankommen.
Das von gemeinsam gegen den Rest der Welt.
Einen kurzen und doch unendlichen Moment schauten wir uns an. »Danke.«
»Wofür?« Er legte seine Hand an meine Wange und strich leicht mit dem Daumen über meine Haut.
»Dafür, dass du mich nicht zum Teufel jagst.«
Er lächelte und ließ seinen Blick langsam über mein Gesicht wandern, ehe er mir wieder in die Augen sah. »Solange das nicht zur Regel wird, kann ich wohl ein Auge zudrücken.« Das entlockte mir ein leises Lachen.
»Ich liebe dich«, flüsterte ich und schloss die Augen, ließ meine Schläfe an seine Schulter sinken. »Bleibst du bei mir?«
»Ja«, flüsterte er an meinem Scheitel.
»Tanzen wir gemeinsam zu Michael Jackson?«
»Hm-mh.«
»Schreiben wir unsere eigene Serenade?«
»Hm-mh.«
Ich rückte dichter an ihn heran und er zog mich in seinen Arm, bis ich meinen Kopf an seine Brust sinken ließ. Mit einem Lächeln atmete ich aus und er begann, durch meine Haare zu streicheln.
»Liebst du mich, Church?«
»Ja, das tue ich.«