Habitatring, Suite 959:
Die kleine Horta hatte noch keinen Namen, aber sie wurde ungeduldig. Monatelang hatte sie in einer dunklen, wohligen und nahrhaften Welt gelebt. Jetzt war die Behaglichkeit eng und hinderlich geworden, und die Reste der harten Schale, die sie umgab, konnten ihren Appetit nicht mehr stillen. Sie verlangte nach mehr, und irgendwie wusste sie, dass das, was sie brauchte, hinter der Schale lag.
Säure drang aus ihren Poren, und sie presste sich gegen die Begrenzung ihrer Welt. Plötzlich löste sich die Enge auf, und zu ihrem Erstaunen war nun alles viel größer und offener als zuvor. Sie schob sich vorwärts, vom Instinkt getrieben und von diesem seltsamen neuen Universum angelockt. Schon nahm sie aufregende, unterschiedliche Geschmacksempfindungen in der Luft wahr. Der hohe, schwarze Sockel, auf dem sie lag, reizte ihre Fühler mit dem faszinierenden Aroma von Mineralien, die ihren Hunger nur verstärkten. Ihre Säuren lösten die Nahrung aus dem Boden, damit ihre gierigen Fransen sie aufsaugen konnten.
Überall in ihrer Umgebung war Bewegung. Andere Geschöpfe – die genauso waren wie sie – schlüpften aus ihren Eiern. Der dunkle und leere Raum, der sie umgab, war mit dem rötlichen Glühen und dem Rauch brennender Schalen erfüllt. Doch neben diesen Gerüchen und dem köstlichen Geschmack des Sockels spürte sie etwas noch Besseres, etwas Unwiderstehliches, das fern, aber doch verlockend nahe war.
Gemeinsam mit ihren Brüdern und Schwestern grub sich die neugeborene Horta durch den Sockel nach unten. Unter der äußeren Hülle stieß sie auf weitere Delikatessen, auf kristalline Strukturen und winzige, oft nur mikroskopisch kleine Appetithäppchen, die sich aus verschiedensten Elementen und Legierungen zusammensetzten. Obwohl dieses Naschwerk durchaus seinen Reiz hatte, stellte sie schnell fest, dass es auf Dauer keine Erfüllung darstellte. Ihr Hunger war so groß, dass sie etwas Reichhaltiges und Kompaktes brauchte. Es war frustrierend, von Leckerbissen zu naschen, die bereits verdaut waren, kaum dass sie sie entdeckt hatte.
Ihre Geschwister drängelten sich überall in ihrer Umgebung und schrien genauso wie sie vor Hunger und Aufregung. Als sie den Boden des Raumes erreichte, kaum zehn Minuten nachdem sie ihr Ei verlassen hatte, war der gesamte Sockel von den Hortas aufgefressen worden. Nur noch ein rauchendes Dreieck aus verkohlten Rückständen markierte die Stelle, an der zuvor die Eier gelegen hatten.
Wohin jetzt? Die kleine Horta war völlig verwirrt über das Durcheinander aus Geschmacksempfindungen, das auf sie einströmte. Wohin sollte sie sich als nächstes graben? Was sollte sie fressen? Mit den Spitzen ihrer Fühler spürte sie immer noch die Verlockung einer Delikatesse, die köstlicher als alles andere war, was sie bislang zu sich genommen hatte, doch ihre Sinne waren durch die fremdartige Umgebung so sehr verwirrt, dass sie dieses Ziel nicht ohne weiteres lokalisieren konnte. Sogar die Schwerkraft wirkte an diesem Ort irgendwie unnatürlich. Und sie war so hungrig, und es gab so viele andere essbare Dinge …!
Ihre Geschwister klangen genauso orientierungslos wie sie. Sie verteilten sich in alle Richtungen und gruben sich in die Wände und den Boden. Der brennende Geruch ihrer ätzenden Spuren regte den Appetit der Horta nur noch mehr an und verdeckte beinahe die undeutliche Witterung der Nahrung, nach der es sie am meisten verlangte. Sie roch Polymere und Plastik, Metalle in reiner und gebundener Form, seltene Erden und Isotope. Ein junger Horta konnte kaum so viele Reize auf einmal ertragen, dennoch war es gleichzeitig zuviel und auf seltsame Weise nicht genug.
Mit einem Mal empfand die Horta eine Abwesenheit und eine Sehnsucht, die nichts mit ihrem körperlichen Hunger zu tun hatte. Irgend jemand hätte für sie da sein sollen, erkannte sie, jemand, der sie führte, sich um sie sorgte und sie beschützte. Mutter!, dachte sie mit einem Verlangen, das ihr angeboren war. Wo war Mutter?
Als die Horta nach ihrer Mutter schrie, vibrierte der Boden unter ihr. Der verzweifelte Ruf klang wie eine Alarmsirene. Doch niemand antwortete ihr, und nach einer scheinbar endlosen Minute spürte die kleine Horta, wie ihr Drang nach Nahrungsaufnahme wieder stärker wurde. Also vertraute sie auf ihre Instinkte und tat das, was jeder Horta tat, wenn er verwirrt und gereizt und ganz auf sich allein gestellt war. Sie grub sich tief in die Masse von Deep Space Nine hinein, wobei sie alles fraß, was ihr in den Weg kam.
Sie fügte den Löchern, die ihre Geschwister hinterlassen hatten, einen neuen Krater hinzu, als sie sich einen Tunnel in den Boden grub. Sie brannte sich durch offene Schaltkreise und solide Maschinen. Seltsame Energieformen kitzelten ihre Haut, als sie den direkten Fluss von Elektronen und ionisierten Partikeln unterbrach. Die Horta spürte kaum etwas von der Strahlung, da sie nur an festen Substanzen interessiert war. Außerdem gab es so viele neue Geschmacksrichtungen zu entdecken. Sie konnte sich gar nicht schnell genug weitergraben.
An diesem Morgen war Keiko O'Briens Klassenzimmer überfüllt. Sie vermutete, dass viele der Touristen, die gegenwärtig DS Nine besuchten, ihre Schule als kostenlose Kindertagesstätte benutzten. Die Schüler, die an ihren Tischen hinter den kleinen Individualcomputern saßen, entstammten mehr als einem Dutzend Spezies. Ein Gewirr aus Sprache, Knurren, Quieken und Zirpen erfüllte den Raum, als die Kinder in den letzten Minuten vor dem Beginn des Unterrichts miteinander tratschten und scherzten. (Die Hausarbeiten und Aufzeichnungen waren schon früher auf der Promenade ausgetauscht worden, wie Keiko genau wusste.) Jake Sisko war nicht anwesend, bemerkte sie. Vermutlich trieb er sich wieder einmal mit seinem Ferengi-Freund herum. Sie überlegte, ob sie Jakes Vater von seiner Abwesenheit Mitteilung machen sollte. Sie würde ihn nur sehr ungern damit belästigen, da Commander Sisko sicherlich schon genügend Sorgen hatte, ohne dass sie ihn an den schlechten Umgang seines Sohnes erinnern musste. Vielleicht hatte Miles eine Idee, wie sich das Thema am besten anschneiden ließ. Sie beschloss, die Angelegenheit sofort mit ihrem Mann zu besprechen, wenn sie nach Hause gekommen war.
Jetzt musste sie ihre Klasse unterrichten. Sie warf einen Blick auf den Datenblock in ihrer Hand, um nachzusehen, was heute auf dem Lehrplan stand. »Guten Morgen«, sagte sie gutgelaunt und lächelte ihre Schüler freundlich an, womit sie gleichzeitig die allgemeinen Gespräche zum Verstummen brachte. »Gestern haben wir über den Mond gesprochen, der in ein paar Tagen DS Nine passieren wird. Kann sich jemand daran erinnern, wie dieser Mond heißt?«
Die kleine Molly, die an einem Tisch in der ersten Reihe saß, hob ihre Hand. Keiko war nicht überrascht, denn ihre Tochter hob jedes Mal die Hand, ob sie nun die Antwort wusste oder nicht. Mit drei Jahren war Molly eigentlich zu jung, um bereits am Schulunterricht teilnehmen zu können; das meiste von dem, was durchgenommen wurde, verstand sie nicht. Aber es machte ihr Spaß, den Unterricht ihrer Mutter zu verfolgen. Außerdem waren zuverlässige Babysitter – wie so viele andere Dinge – Mangelware auf der Station. Zum Glück verhielt Molly sich meistens ruhig, während sie auf ihrem Computer spielte oder Bilder zeichnete.
Keiko lächelte Molly zu, rief dann jedoch ein zehnjähriges bajoranisches Mädchen in der dritten Reihe auf. »Der Verlorene Sohn«, antwortete Yelsi stolz. Ein traditionelles Ohrgehänge lugte hinter den dunkelbraunen Zöpfen des Mädchens hervor.
»Gut«, sagte Keiko und wandte sich dann wieder an die ganze Klasse. »Kann auch jemand erklären, warum er so genannt wird?« Ein junger Tellarit, dessen borstige gelbe Mähne auf die bevorstehende Pubertät hinwies, hob eine dreifingrige Hand. »Ja, Gann?«
»Das geht auf ein altes bajoranisches Märchen zurück«, antwortete er mit einem Grinsen. Keiko bemerkte, wie Yelsi und die anderen bajoranischen Kinder Gann böse Blicke zuwarfen.
O nein!, dachte Keiko. Seit dem Bombenanschlag bajoranischer Fundamentalisten auf ihr Klassenzimmer – angeblich wegen einer Beleidigung ihres religiösen Empfindens – war sie sehr vorsichtig geworden, wenn es um die Kultur und den Glauben Bajors ging. Gleichzeitig schämte sie sich dafür, was viel schlimmer war. Nun, es hatte sich zwar herausgestellt, dass dieser spezielle Zwischenfall nur einen Mordanschlag gegen einen unliebsamen religiösen Führer vertuschen sollte, doch Keiko wusste sehr genau, dass der Konflikt zwischen der Religion Bajors und der Wissenschaft der Föderation damit keineswegs beigelegt war. Der Streit konnte jeden Augenblick wieder ausbrechen. Trotz ihrer Bedenken wollte Keiko die Sache nicht unter den Tisch kehren. Sie hoffte nur, dass sie diesmal Erfolg damit hatte.
»Nun, Gann, du musst wissen, dass es keinen Grund gibt, eine so respektlose Bezeichnung im Zusammenhang mit der bajoranischen … Religion zu benutzen.« Sie hätte fast ›Mythologie‹ gesagt, konnte sich aber noch im letzten Moment korrigieren. Ich spreche aus meinem Herzen, versuchte sie ihr Gewissen zu beruhigen, und ich will es den Bajoranern auch nicht zu leicht machen. »Dieser Mond ist nach einer Gestalt aus uralten Schriften benannt, die für viele Bajoraner heilig sind. Was würdest du sagen, wenn sich die anderen Schüler über die tellaritische Schriftrolle vom Ewigen Fasten lustig machen würden?« Gann wirkte verlegen und stampfte unbehaglich mit den Hufen auf. »Wir dürfen niemals vergessen, dass das Wurmloch eine wunderbare Gelegenheit ist, Mitglieder vieler Zivilisationen aus der ganzen Galaxis zusammenzubringen. Doch wenn wir diese Gelegenheit wirklich nutzen wollen, müssen wir aufgeschlossen gegenüber Personen sein, die anders aussehen oder anders denken als wir. Toleranz und Verständnis ist das, worum es auf Deep Space Nine im Grunde geht.«
Sie machte eine Pause. »Es gibt ein vulkanisches Sprichwort …«, begann sie, doch dann bemerkte sie, wie sich ohne jede Vorwarnung der Boden unter ihr plötzlich in Wellenbewegungen aufwarf.
Keiko trug an diesem Vormittag Sandalen mit schweren Gummisohlen. Trotzdem verspürte sie eine plötzliche Hitze unter den Füßen, die so intensiv war, dass sie unwillkürlich zurücksprang und überrascht ihren Datenblock fallen ließ. Das Gerät schlug nur wenige Zentimeter von der Stelle entfernt auf, wo der Boden des Klassenzimmers rot zu glühen begonnen hatte. Keiko beobachtete entsetzt, wie der Datenblock zischend zusammenschmolz. Der Geruch nach brennendem Plastik drang ihr in die Nase. Weißer Rauch stieg vom Boden auf.
Offenbar eine Art Plasmaleck, dachte sie. Dann wurde ihre Angst fast von einem plötzlichen Wutanfall verdrängt. Sie hatte Deep Space Nine schon immer gehasst. Diese Station ist eine Todesfalle, dachte sie. Ich wusste, dass eines Tages so etwas geschehen würde. Miles!, schrien ihre Gedanken. Wo bist du? Du hast mir versprochen, wir seien hier in Sicherheit.
Vom Datenblock war nur noch rauchende Asche übrig. Vor ihren Augen löste sich der Boden auf, und dann schob sich eine windende, formlose Masse aus steinartigem Material nach oben in den Raum. Das Ding hatte weder Kopf noch Gliedmaßen oder sonstige Merkmale, die Keiko hätte identifizieren können. Sie sah nur, wie sich die vordere Hälfte des Wesens vom Boden erhob; an seiner Unterkante befand sich ein Kranz aus Fransen. Es schwankte vor und zurück, als suchte es nach etwas.
Gann quiekte wie ein terranisches Schwein. Yelsi kreischte verängstigt, und kurz darauf schrien alle Kinder. Sie sprangen von ihren Plätzen auf, wobei einige die Tische umwarfen, und flüchteten zum Ausgang. Sie schubsten, drängelten und stiegen übereinander hinweg, um dem Monstrum zu entkommen, das so unvermittelt aufgetaucht war. Ein froschähnlicher Wollowan-Junge stieß sich mit seinen kräftigen Hinterbeinen ab und sprang über die Köpfe seiner Klassenkameraden hinweg, wobei er fast gegen die Decke geprallt wäre. »Wartet! Keine Panik! Denkt an unsere Notfallübungen!«, rief Keiko ihnen nach, doch es war sinnlos. Ihre Schüler konnten oder wollten ihr im Getümmel nicht zuhören. Als der Eindringling ein schrilles metallisches Kreischen ausstieß, wurde der Lärm unerträglich.
Soviel zum Thema Toleranz zwischen verschiedenen Spezies, dachte Keiko verbittert. Sie konnte den Kindern allerdings keinen Vorwurf machen, denn sie selbst hatte große Angst. Sie blickte sich hektisch nach Molly um. Zu ihrer Überraschung saß ihre Tochter immer noch an ihrem Tisch und beobachtete das Geschöpf mit unverkennbarer Faszination. Für Molly schien das unförmige Monstrum nicht furchteinflößender als ein Schleimteufel im Zookäfig zu sein. Nun, dachte Keiko mit bitterem Humor, wenigstens weiß ich jetzt, dass es jemanden gibt, der sich meine idealistischen Worte zu Herzen genommen hat.
Das Geschöpf bewegte sich auf die größtenteils verlassenen Tische zu, direkt in Mollys Richtung. Jeder Muskel in Keikos Körper wollte vorpreschen, sich ihre Tochter schnappen und davonlaufen, doch das Fremdwesen, dessen zerklüftete Haut in einem inneren Rhythmus pulsierte, befand sich genau zwischen ihr und Molly. Bis jetzt machte es keine eindeutig bedrohlichen Bewegungen, und genaugenommen wirkte es eher orientierungslos und möglicherweise verwirrt über die Umgebung, wenn man menschliche Maßstäbe anlegte. Keiko zwang sich dazu, sich nicht von der Stelle zu rühren. Sie wollte das Wesen nicht durch plötzliche Bewegungen provozieren.
Als Keiko ihren ersten Schock überwunden hatte, wobei ihr vielleicht auch Mollys furchtloses Beispiel half, versuchte sie die Situation rational zu analysieren. Das musste einer der Hortas sein, von denen Miles ihr erzählt hatte, erkannte sie. Angeblich waren sie friedlich, aber dieses hier schien irgendwie außer Kontrolle geraten zu sein. »Bleib ganz ruhig«, flüsterte sie. Odo müsste in den nächsten Minuten hier eintreffen. Und Miles ebenfalls, wie sie hoffte.
Der Horta glitt weiter auf Mollys Tisch zu. Keikos Herz schien sich in ihrer Brust zu verkrampfen. »Beweg dich nicht, Schatz«, sagte sie heiser, während sie hoffte, ihre Stimme würde das Wesen nicht irritieren. »Es wird dir nichts tun, das verspreche ich.« Gleichzeitig betete sie, dass sie die Wahrheit sagte. Sie alle hatten so viele Gefahren überlebt, sowohl hier als auch an Bord der Enterprise. Sie könnte es nicht ertragen, wenn sie jetzt ihre Tochter verlieren würde.
Im Gegensatz zu ihrer Mutter verhielt sich Molly völlig furchtlos. Während Keiko erschrocken nach Luft schnappte, hüpfte das Kind vom Stuhl und lief dem Horta entgegen, ihren kleinen Computer in den Händen. Es ist ein intelligentes Wesen, wiederholte Keiko in Gedanken wie ein Mantra. Es wird sie nicht fressen. Doch das Loch im Boden und die verkohlten Überreste des Datenblocks, von denen immer noch Rauch aufstieg, konnten ihre Ängste nicht gerade beschwichtigen.
Molly blieb nur wenige Schritte vor dem Horta stehen, der eine verätzte Spur im Rhodiniumbelag des Fußbodens hinterlassen hatte. Der Horta hielt ebenfalls inne und schien das kleine zerbrechliche humanoide Wesen zu mustern, das sich ihm in den Weg gestellt hatte. Keiko bemerkte, dass sie vor Schreck mit dem Atmen aufgehört hatte.
»H wie Horta«, sagte Molly im Brustton der Überzeugung. Keiko fiel ein, dass es eine Zeile aus einer von Mollys Lieblingsgeschichten auf ihren Chips war. Das Mädchen hob den Computer an und ließ das leichte Metallgerät vor dem Horta auf den Boden fallen. Es schlug mit einem leisen Scheppern auf die Metallplatten auf. »Und H wie Hunger.«
Der Horta gab einen Laut von sich, der fast wie ein Maunzen klang, und dann fiel es unvermittelt über den Computer her. Er zerschmolz ihn zu einem mineralischen Brei, den seine Fransen gierig aufsaugten.
Eine Welle der Erleichterung überwältigte Keiko, als sie mit einem Mal verstand. Natürlich! Miles hatte gesagt, dass die Hortas, die sich auf der Station befanden, noch gar nicht geschlüpft waren. Das hier musste ein Baby sein. Und was machte man mit einem unzufriedenen Neugeborenen? Man fütterte es!
Mollys Computer war bereits vollständig verzehrt, worauf der junge Horta wieder seinen ›Kopf‹ schwenkte und einen klagenden Laut von sich gab. Keiko ging schnell zu Molly hinüber, und dann holten sie einen Computer nach dem anderen, um das gefräßige Wesen damit zu füttern. Keiko zuckte innerlich zusammen, als sie zusah, wie ihre kostbaren Unterrichtsmittel im nicht vorhandenen Maul des Horta verschwanden. Erst der Bombenanschlag und jetzt das! Die Haushaltsabteilung von Starfleet wäre davon nicht sehr begeistert.
Doch wenn auf diese Weise der Horta zufriedengestellt und Molly in Sicherheit war, würde Keiko bereitwillig das gesamte Klassenzimmer samt Tischen und Stühlen verfüttern. Sie hoffte nur, dass Odo eintraf, bevor es dazu kam.
»F wie Frühstück«, buchstabierte Molly fröhlich. Keiko nickte nur und reichte ihr einen weiteren Computer.
Odo dachte, er wäre auf alle Eventualitäten gefasst. Doch dann geschah alles auf einmal.
Noch vor einer Minute hatte er in seinem Büro gesessen und mit strengem Ausdruck auf dem wächsernen Gesicht den Bildschirm seines Schreibtisches angestarrt, um sich über die Hortas zu informieren. Odo zog eine Grimasse, als er über die Morde las, die von der früheren Horta-Mutter vor mehr als acht Jahrzehnten begangen worden waren. Doch er kam zu dem Schluss, dass in diesem Fall mildernde Umstände vorlagen. Er stellte fest, dass die Hortas sich seitdem als außergewöhnlich gesetzestreues Volk erwiesen hatten.
Mit Ausnahme der Starfleet-Offiziere, die Kira auf ihrer Mission begleiteten, hatte Odo alle seine Sicherheitswächter über den gesamten Habitatring verteilt. Niemand hatte zur Zeit dienstfrei. Viele machten Überstunden. Nur Odo hielt sich derzeit im Sicherheitsbüro auf. Zum Glück befanden sich in den Zellen nur ein paar Betrunkene und Taschendiebe, und die Betrunkenen schliefen unter der Einwirkung von Quarks gesundheitsschädlichen Getränken.
Die farbige Darstellung eines erwachsenen Horta erschien auf dem Bildschirm. Odo ließ das Bild rotieren, um es aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Er empfand eine gewisse Bewunderung für den Mangel an bilateraler Symmetrie bei den Hortas. Sie hatten eine wesentlich angenehmere Gestalt als die Humanoiden, deren Körperformen er fast sein ganzes Leben lang hatte annehmen müssen. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Eimer aus glänzendem Stahl, der unauffällig in einer Ecke seines Büros stand. Er war jetzt schon seit zwölf Stunden in seiner festen Gestalt geblieben, und es wäre nicht schlecht, wenn er sich für ein paar Minuten entspannen könnte. Doch er wollte es nicht riskieren, wenn jederzeit ein Notfall eintreten konnte. Er tröstete sich mit der Gewissheit, dass DS Nine nicht besser vorbereitet sein konnte, falls die Angreifer zurückkehren sollten.
Nachdem ein lautes Gejohle auf der Promenade erklang, kam kurz darauf ein nackter humanoider Mann in sein Büro gerannt. Odo erkannte ihn als einen von Siskos Leuten aus dem Forschungsteam, das sich mit dem Wurmloch beschäftigte. »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«, schimpfte Odo, als er von seinem Schreibtisch aufstand. Sein rechter Arm streckte sich quer durch den Raum und griff in der nächsten leeren Zelle nach einer Decke. »Hier! Legen Sie sich das um. Sie machen sich lächerlich!«
Hervorragend, dachte er sarkastisch. Zu allem Überfluss hatte er es jetzt auch noch mit einem Fall von Exhibitionismus zu tun. Menschen! Manchmal war er der Meinung, sie hätten es nicht anders verdient, wenn sie sich von Quark über den Tisch ziehen ließen. Doch Gerechtigkeit blieb Gerechtigkeit, ungeachtet des Opfers. Und Quark blieb Quark.
Der Fähnrich war auf mitleiderregende Weise dankbar für die angebotene Decke. »Da ist ein Monster«, stammelte er. »Ich meine, wir haben einen fremden Eindringling an Bord, Sir. Nicht-humanoid und … heiß! Das Wesen hat sich drüben bei Quark durch die Wand gebrannt!«
Odo blickte auf seinen Bildschirm, auf dem immer noch die Illustration zu sehen war. Ein Horta? Sisko hatte gesagt, dass bis jetzt noch keiner der Hortas geschlüpft war. Aber das hier konnte kein Zufall sein. Etwas stimmte nicht. Sein Körper verfestigte sich zu einem Zustand höchster Alarmbereitschaft, und er schärfte seine Sinne.
»Wann und wo?«, wollte er wissen. »Ich brauche Einzelheiten.« Er hob die Hand an seinen Kommunikator und war bereit, die Verbindung zu Sisko und zur Zentrale zu öffnen.
Der Fähnrich schien aus einem unerklärlichen Grund zu zögern, Details preiszugeben. »Ich war außer Dienst, verstehen Sie. Und dann, nun ja, war da diese Vulkanierin …«
Odo packte den jungen Mann an den Schultern, während es ihn danach drängte, eine schnelle und klare Antwort aus diesem stotternden Humanoiden herauszuschütteln. Doch bevor er noch ein weiteres Wort sagen konnte, hörte Odo Schreie von der Promenade. Angstschreie.
»Bleiben Sie hier«, befahl er dem Fähnrich. »Sie rühren sich nicht von der Stelle!« Odo ließ den verwirrten Mann stehen, der die Decke um seinen absurden humanoiden Körper hüllte, und eilte auf den breiten Korridor vor seinem Büro. Was er dort sah, war das totale Chaos.
Es schien tatsächlich alles auf einmal zu geschehen. Eine Horde hysterischer Kinder stürmte schreiend die Promenade entlang. Die Deckenbeleuchtung flackerte und drohte ganz zu erlöschen. Funken spritzten aus den Wänden und dem Boden. Odo wünschte sich, er hätte einen Geruchssinn, damit er Rauch bemerken konnte, falls ein Feuer ausbrach. Händler und Souvenirjäger quollen aus den Läden und Seitengängen. Niemand wusste, was vor sich ging, trotzdem wurde der Tumult immer größer. Odo streckte seinen Oberkörper, bis er über die Menge hinwegblicken und sich auf der Promenade umsehen konnte. Zuerst erkannte er keinen Anlass für die Panik, sondern sah nur verwirrte und verängstigte Wesen. Dann war es, als wären ihm mit einem Mal die Augen geöffnet worden, denn nachdem er den ersten Horta gesehen hatte, waren sie plötzlich überall, wohin er auch blickte.
Sie fielen von der Decke und durchschlugen Markisen und helle Leuchtreklamen, was ihnen jedoch nichts auszumachen schien. Der Sprühnebel aus Säure, den ein stürzender Horta wie einen Kometenschweif hinter sich herzog, setzte ein Transparent aus Stoff in Brand. Sie kamen überall aus den Wänden hervor und hinterließen klaffende Löcher in der Struktur von DS Nine. Sie brachen aus dem Boden und veranlassten erschrockene Passanten zur panischen und überstürzten Flucht. Odo hörte Schreie und obszöne Rufe und sogar das unverkennbare Geräusch von wütenden Fausthieben gegen Fleisch und Knochen. Ein vogelähnlicher Händler flatterte hilflos mit den Flügeln, während seine Krallen am zähflüssigen Protoplasma eines hysterischen Geloiden festklebten. Odos Sicherheitsleute versuchten zu den Hortas zu gelangen, wurden jedoch durch den Mob aus angeblich intelligenten Wesen behindert, die dem Wahnsinn zu entfliehen versuchten, der mitten unter ihnen ausgebrochen war.
»Bringen Sie die Leute nach draußen!«, schrie er seinen Leuten zu, um sich im Lärm verständlich zu machen. »Räumen Sie die Promenade!« Verdammt!, fluchte er. Wo sollte er all diese Leute nur unterbringen? Gab es überhaupt einen Ort auf DS Nine, wo sie vor den Hortas in Sicherheit waren?
Es war ein Labyrinth aus in Gold gepresstem Latinum. Unzählige Barren des kostbaren Materials waren übereinandergestapelt, wie Mauern aus glänzenden Ziegelsteinen, die Jakes Kopf mindestens einen Meter hoch überragten. Latinum, so weit das Auge reichte, staunte er. Das war bestimmt eins von Quarks persönlichen Lieblingsprogrammen.
»Computer, Simulation abbrechen«, sagte Jake, doch die verwandelte Holokammer reagierte nicht. Nog wusste zweifellos, wie sich das Labyrinth deaktivieren ließ, aber es ging genau darum, Nog wiederzufinden. Drei mögliche Wege öffneten sich vor Jake, die er jeweils nur einige Meter weit einsehen konnte. »Komm schon, Nog!«, rief er. »Du kannst dich doch nicht ewig vor mir verstecken!«
»Die Ferengi haben das Versteckspiel erfunden!«, kam Nogs Stimme von irgendwo aus den Tiefen des Labyrinths. Jake versuchte, die Position seines Freundes einzuschätzen, und lief in den rechten Gang. Die Beleuchtung spiegelte sich auf der Goldoberfläche der hohen Latinumwände und ließ Jakes Augen tränen, was ihn daran erinnerte, dass Ferengi-Augen wesentlich unempfindlicher als die von Menschen waren. Er lief im Zickzack durch das Labyrinth, zuerst nach links, dann nach rechts und wieder nach links. Als er um die nächste Ecke kam, stand er plötzlich in einer Sackgasse. REINGEFALLEN!, verhöhnte ihn ein Graffito, das mit einem Phaser in die Wand gebrannt worden war, die ihm den Weg versperrte. Jake fluchte leise. Er war jetzt nicht in der richtigen Stimmung, um Quarks Vorliebe für Details zu bewundern.
Nur Gott wusste, was dieser Horta anstellen mochte, während er seine Zeit in diesem blöden Labyrinth verschwendete, dachte er. Er versuchte, auf demselben Weg zu seinem Ausgangspunkt zurückzukehren, bis er merkte, dass er sich hoffnungslos verirrt hatte. Das Latinum sah überall völlig gleich aus.
»Nog!«, brüllte Jake wütend. »Ich werde dir sowieso den Hals umdrehen. Aber wenn du mir nicht in den nächsten fünf Sekunden dein habgieriges Gesicht zeigst, werde ich dir einen noch grausameren Tod bereiten … indem ich dich an den Ohren packe!«
Er hörte ein erschrockenes Keuchen, das überraschend nahe klang. Jake wandte sich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und konnte hinter der nächsten Ecke gerade noch erkennen, wie eine untersetzte Gestalt hinter einer weiteren Biegung verschwand. Diesmal wirst du mir nicht entkommen, dachte Jake. Er jagte Nog durch einen zickzackförmigen Gang, ohne sich vom Anblick des in Gold gepressten Latinums irritieren zu lassen, das ausgereicht hätte, DS Nine mehrere Male aufzukaufen – wenn es nur real gewesen wäre.
Nog lief, als wäre ihm das gesamte Romulanische Reich auf den Fersen. Doch nicht zum ersten Mal triumphierten die langen Beine der Menschen über das natürliche Talent der Ferengi, sich schnellstens aus dem Staub zu machen. Jake packte Nog am Jackenkragen und riss ihn zurück. Nog wurde von den Beinen gerissen und stürzte rückwärts gegen Jake. Beide Jungen gingen zu Boden und stießen mit den Knien gegen die harten Latinumwände.
Jake stöhnte auf, als er den Schmerz spürte. Warum konnten die Ferengis keine Labyrinthe aus Heckensträuchern oder Schaumstoff bauen wie jeder andere auch? Er nahm Nog in den Schwitzkasten und ließ ihn nicht mehr los. »Ich dachte, du wolltest nach einem Händler suchen, an den du den Horta verkaufen kannst«, sagte er.
»Ich habe natürlich gelogen. Was hast du denn gedacht?«
Jake war so verblüfft über die Offenheit, mit der Nog seine Unehrlichkeit eingestand, dass er nicht wusste, was er darauf erwidern sollte. Er lockerte seinen Griff ein wenig. »Und was machen wir jetzt mit dem Horta?«, fragte er schließlich.
Nog antwortete nicht. Er wirkte völlig gebannt durch die Stapel aus Latinum, die sich direkt vor ihnen erhoben. »He, reiß dich zusammen!«, forderte Jake ihn auf. Er stand langsam auf, wobei er gleichzeitig auch Nog auf die Beine stellte. »Lass uns gehen. Wir müssen nach dem Horta suchen.«
»Jake«, sagte Nog nervös, während er immer noch auf die Wand des Labyrinths starrte. »Ich glaube, die Mühe können wir uns sparen.«
»Was?« Jake folgte Nogs Blick und sah, dass das weiße Strahlen des holographischen Latinums noch heller als zuvor schien. Das war mehr als nur eine Reflexion, wurde ihm klar, denn die Wand glühte regelrecht. Vor seinen Augen strahlte die Wand weiß und dann rot auf, bis das Licht verblasste und eine klobige, pulsierende Masse aus rauchendem Gestein zum Vorschein kam, die sich in ihre Richtung schob.
»Lass mich los! Lass mich los!«, kreischte Nog und zerrte verzweifelt an Jakes Armen. Schockiert über das plötzliche Auftauchen des Horta entließ Jake seinen Freund aus dem Schwitzkasten. Seine Arme fielen herab, als wären sie auf einmal erschlafft. Nog verbarg sich rasch hinter Jakes Rücken, um ihn als Schutzschild gegen den Horta zu benutzen.
»Wie hat er uns gefunden?«, fragte Jake. Was sollte er jetzt tun?
Der Horta kam näher. Jake vermutete, dass das Wesen durch die holographischen Wände irritiert war. Vermutlich waren sie nicht so schmackhaft wie das Original. »Immer mit der Ruhe«, sagte er in – wie er hoffte – beschwichtigendem Tonfall. »Bleib, wo du bist. Komm nicht näher.«
Als der Horta sich bis auf wenige Zentimeter an Jakes Schuhe herangeschoben hatte, sprang er zurück und stieß dabei gegen Nog. Der neugeborene Horta hatte offenbar niemals gelernt, aufs Wort zu gehorchen.
Nog, der sich hinter Jake zusammengekauert hatte, stieß einen weiteren Schrei aus. Als Jake sich schnell umdrehte, sah er noch einen Horta, der sich gerade durch das Labyrinth brannte. Er konnte es nicht fassen. Wieso waren es auf einmal zwei? Hatte sich der gestohlene Horta bereits vermehrt? Es gab keine andere Erklärung. Es sei denn …
Wir haben vergessen, das Stasisfeld zu reaktivieren, unter dem die anderen Eier lagen!
Es lief ihm kalt über den Rücken, als ihm das ganze Ausmaß dessen klar wurde, was er und Nog angestellt hatten. Vielleicht waren sogar mehr als nur zwei Hortas ausgebrochen. Vielleicht war keiner der Hortas in der Holokammer mit dem identisch, den sie in Quarks Lagerraum zurückgelassen hatten. Wenn das stimmte, waren vermutlich schon alle zwanzig geschlüpft – und es war nur Jakes und Nogs Schuld!
»Nog, lass uns von hier verschwinden.«
»Häh?« Nogs entsetzter Blick huschte zwischen den zwei sich nähernden Hortas hin und her.
»Schalte endlich dieses blöde Labyrinth ab, Nog!«
Diesmal kamen seine Worte an. Nog hörte auf zu zittern und riss sich zusammen. »Computer«, sagte er laut und deutlich. »Programmcode Midas. Beenden und speichern.«
Das Labyrinth verschwand und machte einer leeren blauen Kammer Platz, die von einem Netzmuster aus leuchtenden gelben Streifen durchzogen wurde. Die Hortas heulten protestierend auf. Sie klangen wie überladene Phaser, die kurz vor der Explosion standen. Jake und Nog nutzten den Augenblick der Verwirrung aus, um sich in den freien Bereich vor dem nächsten Ausgang zu flüchten. Als die Tür sich öffnete, hörte Jake sofort panisches Geschrei von unten.
Er wusste genau, was es zu bedeuten hatte. »Die Hortas«, stöhnte er auf. »Sie sind frei, Nog, alle, und sie fressen die Station auf!« Ein schreckliches Gefühl der Schuld erstickte seine Gedanken. Trotz der Schreie von der Promenade empfand er mehr Scham als Furcht. »Wir müssen etwas tun!«
»Uns verstecken?«, schlug Nog vor. »Einen Flitzer stehlen und fliehen?« Sie traten auf die leere Galerie hinaus. Jake atmete erleichtert auf, als sich die Tür zur Holokammer hinter ihnen schloss. Zumindest für den Augenblick waren sie von den zwei Hortas, die sich darin befanden, abgeschnitten.
»Nein«, sagte er. »Wir müssen irgendwie helfen. Wir müssen zumindest versuchen, diese Katastrophe wiedergutzumachen.«
Nog schüttelte den Kopf. »Diese Idee gefällt mir überhaupt nicht. Sie klingt viel zu … menn-schlich.« Kurzzeitig hellte sich seine Miene auf. »Glaubst du, dass es schon zu Plünderungen gekommen ist?«
»Es ist allein unsere Schuld«, stellte Jake fest.
»Na und?«, sagte Nog. »Niemand weiß, dass wir … oder?« Er blickte sich besorgt um und betrachtete eine Weile misstrauisch den Eingang zur Holokammer.
Jake ballte verzweifelt seine Hände zu Fäusten, atmete tief durch und versuchte es noch einmal. »Es geht um unsere Verantwortung, Nog.«
»Du meinst, um unser Überleben«, stellte sein Freund richtig.
»Verantwortung.«
»Überleben.«
So kommen wir nicht weiter, erkannte Jake. »Hör mir zu«, sagte er, »wir machen ein Geschäft.« Nog hörte auf, sich umzublicken, und schenkte Jake seine volle Aufmerksamkeit. Jake war nicht überrascht. Er wusste genau, dass es in der ganzen Galaxis keinen Ferengi gab, der einer geschäftlichen Verhandlung widerstehen konnte. »Wenn du mir dabei hilfst, dieses Chaos wieder in Ordnung zu bringen, werde ich nicht darauf drängen, dass wir unsere Taten beichten.«
Nogs Unterkiefer klappte herunter. Allein die Vorstellung, dass sie ihre Schuld eingestehen könnten, war ihm unbegreiflich. »Das würdest du niemals tun.«
»Wetten, dass?«, sagte Jake. Er bemühte sich, seinem Gesicht einen strengen und unerbittlichen Ausdruck zu geben, wie er ihn bei Odo beobachtet hatte. Nogs spitze Schneidezähne nagten an seiner Unterlippe, als er seine Situation kalkulierte. Der Ferengi kniff die Augen zu winzigen Schlitzen zusammen, als würde er nach einem mikroskopischen Schlupfloch im Geschäftsangebot suchen.
»Und du wirst es niemandem sagen?«, fragte Nog schließlich. »Nicht einmal deinem Vater?«
»Nicht einmal deinem Onkel«, versprach Jake ihm.
Nog streckte ihm seine Hand hin. »Abgemacht!«
Von der Promenade kam der Lärm von zersplitterndem Glas und der Gestank nach Rauch. Jake griff nach Nogs Hand und zerrte ihn zur Treppe. Vielleicht kann Odo freiwillige Helfer gebrauchen, dachte er hoffnungsvoll, oder Chief O'Brien.
Er musste eine Möglichkeit finden, wie er die Sache wiedergutmachen konnte. Er musste einfach.
»Commander!«, meldete O'Brien sich in der Zentrale. »Ich registriere Energieausfälle überall in der Station. Etwas beeinträchtigt die Mikrowellen-Verteilerknoten.«
Sisko fragte sich, was das zu sagen hatte. Er saß auf einem Hocker am Situationstisch und analysierte gerade eine Karte von Bajor, um – bislang erfolglos – nach einem sicheren Zufluchtsort für die Hortas zu suchen, wo sie nach dem Schlüpfen leben konnten. Er hielt nach einer Stelle Ausschau, die so isoliert oder ökologisch sicher war, dass Povas Rat keine Einwände mehr erheben konnte. Doch bis jetzt war er noch nicht fündig geworden. »Handelt es sich um eine der üblichen Fehlfunktionen der Station«, fragte er, »oder ist es etwas Ernsthaftes?«
»Es sieht gar nicht gut aus.« O'Brien runzelte verwundert die Stirn über die Daten, die er empfing. »Ich bin mir nicht sicher, aber es sieht fast so aus, als wäre da etwas – oder mehr als nur ein Etwas –, das sich quer durch DS Nine frisst und alles zerstört, was ihm in den Weg kommt.« Er warf Sisko einen Blick zu. »Glauben Sie, die Cardis könnten uns Mäuse hinterlassen haben?«
»Die Hortas«, erkannte Sisko sofort. Aber wie? Sie sollten doch erst in einigen Wochen schlüpfen. Und was war mit dem Stasisfeld! Er beschloss, dass diese Frage im Augenblick nicht so wichtig war. »Wir haben es mit zwanzig Horta-Babys zu tun, Chief. Sie sind ausgerissen und toben jetzt hungrig durch die Station.«
»Heiliger Strohsack!«, brummte O'Brien.
»Können Sie sie aufspüren?«, fragte Sisko.
O'Brien verzog das Gesicht. »Ich versuche es, Sir, aber es wird nicht einfach sein. Diese verfluchten Cardi-Sensoren sind nicht darauf angelegt, auf kleine Bestien zu reagieren, die aus Silizium bestehen. Ich könnte die Parameter rekonfigurieren – wenn es sein muss, auch über die toten Schaltkreise des Zentralcomputers –, aber die Hortas sind schon dabei, sämtliche internen Sensoren der Station lahmzulegen. Nur Gott weiß, welche Sensoren noch übrig sind, wenn ich es geschafft habe, sie neu einzurichten.«
Siskos Miene verfinsterte sich. Er erhob sich vom Hocker und kam auf die Beine. Alle Anzeichen deuteten auf eine bevorstehende Katastrophe hin. Er wusste, dass er sofort handeln musste. »Können Sie mir einen Eindruck geben, wie sie sich ausbreiten, Chief?«
»Nach den Schadensberichten zu urteilen«, sagte O'Brien, »hat es in der Umgebung der Suite neun fünf neun im Habitatring angefangen. Sie legen ein ganz schönes Tempo vor.« Er musterte jeden Bildschirm der technischen Station. »Hmm. Bisher noch nichts im Andockring.« Er blickte Sisko mit äußerst besorgtem Blick an. »Commander, ich schätze, einige von ihnen könnten bereits die Promenade erreicht haben.«
Mit anderen Worten, übersetzte Sisko, DS Nine erlebt gerade eine totale Horta-Invasion.
»Versiegeln Sie alle Turbolifts und Korridore zwischen der Promenade und der Zentrale«, befahl er. »Versuchen Sie sie einzuschließen – ohne ihnen Schaden zuzufügen.« Da O'Brien selbst ein kleines Kind hatte, wusste Sisko, dass er die Horta-Babys nicht unnötig in Gefahr bringen würde.
Jetzt muss ich nur noch dafür sorgen, dachte er, dass auch alle anderen Beteiligten ohne Schaden davonkommen.
Sisko tippte auf seinen Kommunikator. »Odo, Sisko hier. Wir haben ein Problem …«
»Was Sie nicht sagen, Commander!«, antwortete Odo sarkastisch, bevor er Sisko über den Tumult auf der Promenade informierte. Er fasste sich kurz, da er jede Menge zu tun hatte. Nachdem er die Verbindung unterbrochen hatte, stellte er befriedigt fest, dass sein Team es schaffte, ein gewisses Maß an Ordnung in die panische Fluchtbewegung zu bringen. Bajoraner, Ferengis, Menschen und andere verließen die Promenade, ohne sich gegenseitig in Lebensgefahr zu bringen. Gut, dachte er. Sein Personal sollte sich weiterhin darum kümmern, die Menge unter Kontrolle zu halten. Er würde sich direkt mit den Hortas auseinandersetzen.
Die Hortas machten den Eindruck, als hätten sie einen Riesenspaß. Mindestens drei von ihnen plünderten das Büro für Mineralprüfung, wo sie Regale umwarfen und seltene Erze und Edelsteine verzehrten. »Wie Kinder in einem Süßwarenladen«, brummte Odo, bevor er seinen Blick in eine andere Richtung wandte.
Ein einzelner Horta fiel mit aufgeregt vibrierenden Fransen über einen Imbissstand her. Das Wesen achtete nicht weiter auf die appetitlich ausgelegten Glops, sondern zog es vor, den Stand selbst zu verspeisen. Odo dachte unwillkürlich, dass der Horta damit einen überraschend guten Geschmack bewies.
Zwei weitere Hortas nahmen träge eine Mahlzeit im Replimat zu sich, wo sie die kleinen Esstische des Cafés auf der Promenade auflösten. Ein bajoranischer Priester floh aus seinem Tempel. Der Saum seiner scharlachroten Robe, die ihm um die Füße flatterte, rauchte. »Der Altar!«, rief er, hin und her gerissen zwischen Furcht und Zorn. »Ein Teufel frisst den Altar!«
Noch ein Horta kam aus dem Eingang zum Klassenzimmer gekrochen. Odo erinnerte sich an die schreienden Kinder und bewegte sich in diese Richtung. Lieutenant Moru, seine Stellvertreterin, traf noch vor ihm dort ein. Odo sah zu, wie die große bajoranische Frau, eine Veteranin zahlloser Schlachten und Notfälle, Chief O'Briens Frau und Tochter aus dem Gebäude führte und von der Promenade wegbrachte. Soweit er erkennen konnte, war ihnen nichts zugestoßen. Zufrieden, dass Mrs. O'Brien und das Kind in guten Händen waren, drehte er seinen Kopf in die andere Richtung, um sich ein Bild von der Katastrophe zu verschaffen.
Bis jetzt war Garaks Bekleidungsgeschäft vom Hunger der Hortas verschont geblieben. Der Cardassianer stand im dunklen Eingang zu seinem Laden, ein dünnes Lächeln auf den bleichen Lippen. Zweifellos machte er sich gedankliche Notizen für den Bericht, den er irgendwann abschicken würde … an wen auch immer. Odo wandte sich dem Schneider und Spion zu. »Sie scheinen an Ihren Waren nicht interessiert zu sein, Garak«, sagte er misstrauisch.
Garak hob die Hände und spielte lächelnd den Unschuldigen. »Ich führe nur die besten Naturfasern. Nichts Anorganisches oder Synthetisches.«
»Sehr praktisch«, stellte Odo fest.
Garak zuckte die Schultern und rückte dann seinen gutgeschnittenen hellbraunen Anzug zurecht. »Vielleicht kann ich Sie für ein T-Shirt mit dem Aufdruck ›Ich sah den Verlorenen Sohn‹ begeistern?«, sagte er grinsend.
»Verschwinden Sie endlich, sonst lasse ich Sie hinaustragen.«
»Machen Sie sich nur keine Umstände«, sagte der Cardassianer salbungsvoll. »Ich weiß, wann ich gebraucht werde.« Darauf schlich er langsam zu einem Ausgang.
Odo schnaufte angewidert. Eines Tages würde er dieser Schlange das Handwerk legen, aber nicht jetzt. Er sah, wie zwei Hortas eine verbrannte Spur hinterließen, die zu Dr. Bashirs Krankenstation führte. Odo nickte, als sein Entschluss feststand. Dort würde er anfangen. Glops und Mineralproben waren eine Sache, medizinische Apparaturen jedoch hatten eindeutig Vorrang.
Und was Quarks Bar betraf … nun, er würde auch dort irgendwann nach dem Rechten sehen, aber das hatte noch Zeit.
Rom stand mit zitternden Knien auf der Theke. Quark saß auf Roms Schultern und wünschte sich, er hätte einen kräftigeren und größeren Bruder.
Unter ihnen verwüstete ein tobender junger Horta die Einrichtung von Quarks Bar. Im Augenblick knabberte er am Spielrad in der Casinoabteilung. Da es hauptsächlich aus Plastik und billigem bajoranischem Holz bestand, verlor der Horta bald das Interesse daran und wandte seine brennende Neugier einem Chip-Automaten zu, der gewöhnlich alle möglichen Währungen entgegennahm, und das bei nur dreißig Prozent Bearbeitungsgebühr. Als Steuerungselement hatte Quark einen automatischen Translator der Föderation mit einigen Modifikationen benutzt.
Schwere Geldsäcke mit Barren in Gold gepressten Latinums hingen über Quarks beiden Schultern. Um die Hüfte hatte er sich einen Gürtel mit wertvollen Juwelen und seltenen antiken Münzen geschlungen. Quark spürte, wie Rom unter seinem Gewicht immer heftiger zitterte. »Vorsichtig, du Tölpel!«, rief er. »Tritt ja nicht auf die Cocktailservietten und pass auf die Pfütze aus verschüttetem Blubbersaft auf!«
»Ja, Bruder«, schnaufte Rom. Außer ihm und Quark und dem Horta hielt sich niemand in der Bar auf. Das übrige Personal und die Kundschaft waren beim ersten Auftauchen des Geschöpfes sofort geflüchtet. Sogar Morn hatte seinen gewohnten Platz an der Theke verlassen, um dem Monstrum zu entkommen. Zu schade, dachte Quark, denn sein riesenhafter Stammgast hätte ihn viel höher und länger als Rom tragen können. Quark überlegte kurz, ob er seine Dabo-Mädchen feuern sollte, weil sie unerlaubt ihren Arbeitsplatz verlassen hatten. Das hatte er nun davon, dass er Reptilien eingestellt hatte, tadelte er sich selbst. Er würde statt dessen ihr Gehalt kürzen.
Quarks Knopfaugen verfolgten den Weg des Horta durch seine Bar. Er hatte das Wesen natürlich sofort identifiziert, denn es geschah nur sehr wenig auf DS Nine, von dem er nicht früher oder später erfuhr. Trotzdem hatte er geglaubt, Ttans Nachkommenschaft wäre sicher in einem Stasisfeld untergebracht. Während er zusah, wie das hungrige Neugeborene einen massiven runden Tisch verzehrte, erinnerte er sich an die Weisheit eines alten Ferengi-Sprichwortes: Kinder sollen arbeiten und sich unsichtbar machen.
»Wie lange müssen wir hier noch stehenbleiben?«, winselte Rom.
»Bis das Vieh genug hat oder verschwunden ist«, sagte Quark schroff. Er wollte seine Profite so weit wie möglich außer Reichweite des Hortas halten. Obwohl ihn der Anblick schmerzte, wie seine Einrichtung zerstört wurde, war dieser Verlust zu verkraften. Das meiste waren ohnehin ›Fundsachen‹, die sich mühelos wiederbeschaffen ließen. Doch wenn der Horta auf den Geschmack von Latinum kam … Bei der Schatzkammer des Nagus, seine Ohren schmerzten schon beim bloßen Gedanken an diese Möglichkeit!
Vor seinen Augen verschwand eine komplette Kiste mit ›Gedenkmedaillen aus Anlass der Rückkehr des Verlorenen Sohnes‹ (die heimlich in Dr. Bashirs persönlichem Replikator hergestellt worden waren) im unsichtbaren Maul des Hortas. Verzweifelt stemmte Quark seine Fersen in Roms Rippen.
Quark vertraute keiner Bank, da er während seiner Jugend selbst mehr als ein zwielichtiges Geldinstitut geleitet hatte, doch jetzt wünschte er sich, er hätte einen größeren Teil seiner Gewinne auf ein anonymes Konto im Orion-System geschafft.
Ein Sicherheitswächter in brauner Uniform kam von der Promenade hereingestürmt. Einer von Odos Leuten. Er riss die Augen auf, als er den Horta und den Turm aus zwei balancierenden Ferengis auf der Theke sah. Er hielt sicheren Abstand zum Horta und rief in den Lärm der kochenden und schmelzenden Barhocker: »Alle Zivilisten müssen diesen Bereich sofort räumen. Befehl von Constable Odo.«
»Mit dem größten Vergnügen«, jubelte Rom. Quark musste ihn mit einem Schlag auf den vorgewölbten Schädel zur Vernunft bringen. Er hatte nicht die Absicht, seine Geschäftsräume kampflos dem Horta zu überlassen oder sich mit seinem wertvollen Besitz mitten in eine Horde wilder Flüchtlinge zu begeben. Es mochten durchaus Räuber und Taschendiebe am Werk sein, darunter auch einige, die noch nicht in Quarks Diensten gestanden hatten.
»Lassen Sie uns zufrieden, Vu Kuzas, oder ich werde Ihrer Frau – und allen anderen in Ihrem Tempel – erzählen, dass Sie regelmäßig meine Holokammern besuchen. Ganz zu schweigen von Ihren Spielschulden.« Der Bajoraner erbleichte und zog sich zum Ausgang zurück.
»Äh, Sie sind offiziell gewarnt worden«, sagte er. »Damit habe ich meine Aufgabe erfüllt.« Er wirkte noch schockierter als zuvor, als er aus der Bar verschwand. Das Schöne an religiösen Kulturen, dachte Quark vergnügt, waren die vielfältigen Gelegenheiten zur Erpressung, die sie einem boten.
Seine angenehmen Gedanken wurden von einem plötzlichen Beben unterbrochen. Als Quark nach unten blickte, sah er, dass der Horta sich auf die Theke gestürzt hatte, die er sich als Zufluchtsort ausgesucht hatte. Rom hielt Quarks Knie fest und schob sich zum anderen Ende vor. Quark geriet ebenfalls in leichte Panik, und er versuchte sich damit zu beruhigen, dass er in Gedanken Anträge auf Auszahlung seiner Versicherung ausfüllte, doch seine Ohren fühlten sich an, als wären sie mit eiskaltem Wasser gefüllt.
Odo, dachte er wütend. Wo, beim Teufel der Rezession, bleiben Sie?
»Eindringlingsalarm«, gab der Computer bekannt. »Feindselige Lebensformen greifen die Stationsfunktionen an. Maßnahmen zur Eliminierung werden eingeleitet …«
»Computer, Befehl zur Einstellung aller Verteidigungsmaßnahmen!«, erwiderte O'Brien. Er hatte die Ärmel seiner schwarzgelben Uniform bis über die Ellbogen hochgerollt. Während er in der Zentrale über seine Station gebeugt dastand, wartete er auf den unvermeidlichen Widerspruch des störrischen Hauptcomputers der Station. Ausgerechnet jetzt, wo er die ausgebrochenen Hortas einigermaßen eingekreist hatte! »Zum Teufel mit der cardassianischen Programmierung«, brummte er. O'Brien war sich nicht sicher, was genau der Computer zu unternehmen beabsichtigte, aber er wusste, dass es ihm nicht gefallen würde. In solchen Augenblicken wurde ihm klar, dass sie es immer noch nicht geschafft hatten, DS Nine vollständig unter die Kontrolle der Föderation zu bringen. Vor allem der Computer war O'Briens ewiger Fluch, und er konnte jetzt wirklich keinen zusätzlichen Ärger gebrauchen, während die Promenade von den Hortas verwüstet wurde. Außerdem wusste O'Brien sehr genau, wo sich seine Frau und seine Tochter zu dieser Tageszeit befanden – nämlich genau im Zentrum der Katastrophe.
Molly, Keiko, dachte er. Passt auf euch auf!
Er drehte sich um und warf einen Blick zum Büro des Commanders. Die Tür war geschlossen, aber er glaubte zu hören, wie sich Sisko laut mit jemandem stritt. O'Brien vermutete, dass sein Gesprächspartner irgendein bajoranischer Politiker war, der es immer noch ablehnte, die Verantwortung für die geschlüpften und ausgerissenen Hortas zu übernehmen. Womit das Problem wieder auf O'Brien zurückfiel – und an den Computer.
»Warnung«, beharrte die künstliche Stimme, »die Station wird angegriffen. Die Sicherheitsprotokolle erfordern, dass die unbefugt eingedrungenen Lebensformen sofort eliminiert werden. Aktivierung der Transporter …«
»Nein!«, brüllte O'Brien. Das verdammte Ding wollte die Hortas tatsächlich in den Weltraum hinausbeamen! Aber niemand würde diese kleinen Vielfraße ins Vakuum befördern, solange er noch etwas zu sagen hatte. »Computer, hör mir zu. Es handelt sich nicht um Eindringlinge. Sondern um … äh … Gäste, die sich ein wenig danebenbenehmen. Du wirst nichts unternehmen, was ihr Leben gefährden könnte, verstanden?«
Der Computer schwieg ein oder zwei Sekunden lang. O'Brien bildete sich ein, hören zu können, wie die Maschine ihre Dateien nach einem Schlupfloch durchsuchte. Sein Gesicht wurde rot. »Verstanden?«, wiederholte er.
»Warnung«, sagte der Computer. »Die Station ist von einer parasitären Infektion befallen. Die Gesundheits- und Quarantänevorschriften erfordern eine sofortige Sterilisierung. Aktivierung der Transporter …«
»Verdammt!«, fluchte O'Brien und schlug mit der Faust auf die Konsole. »Sofortige Einstellung der Sterilisierungsmaßnahmen!«
»Zur Aufhebung der Gesundheitsvorschriften wird die Genehmigung des Medo-Offiziers der Station benötigt.«
»Was?«, platzte es aus Miles heraus. Einen Augenblick lang war er total verblüfft. Was sollte er jetzt tun? Dr. Bashir war Lichtjahre entfernt und hatte vermutlich alle Hände voll mit den Cardassianern zu tun.
»Wiederaufnahme der Sterilisierungsmaßnahmen«, erklärte der Computer, wobei O'Brien hätte schwören können, dass die Stimme irgendwie hämisch klang. »Aktivierung der Transporter …«
»Computer, sofort damit aufhören!«, befahl O'Brien. Sein gerötetes Gesicht wurde nun bleich. Sein Herz klopfte rasend.
»Erfassung der Koordinaten des Infektionsherdes …«
Herr im Himmel, dachte O'Brien. Er hätte niemals geglaubt, er könnte einmal darum beten, dass Julian Bashir zur Stelle wäre. Die armen Horta-Babys …! O'Brien fühlte sich entsetzlich, aber viel schlimmer war, wie er sich schuldbewusst eingestehen musste, dass er irgendwo in den Tiefen seiner Seele darüber erleichtert war, dass das Horta-Problem so leicht gelöst wurde. Schließlich waren sie mehr als Gäste, die sich ungebührlich benahmen. Er musste sogar damit rechnen, dass sie in diesem Augenblick das Leben seiner Familie bedrohten.
Aber sie hatten es nicht verdient, im Weltraum den Tod zu finden.
»Computer«, meldete sich plötzlich eine andere Stimme. »Hier spricht Commander Benjamin Sisko. Sterilisierungsmaßnahmen einstellen. Transporter deaktivieren. Das ist eine Prioritätsorder der höchsten Autorisierungsstufe.« O'Brien blickte auf und sah, dass Sisko vor seinem Büro stand. Er war so sehr in seinen Kampf mit der gnadenlosen Software der Cardis vertieft gewesen, dass er nicht einmal gehört hatte, wie der Commander in die Zentrale gekommen war.
»Bestätigt«, sagte der Computer knapp. »Warnung: Die Infektion breitet sich weiter aus.«
»Halt endlich die Klappe!«, schimpfte O'Brien. Er empfand kaum Erleichterung, wenn er daran dachte, wie wenig gefehlt hätte, bis er zum Komplizen eines maschinellen Kindermordes geworden wäre. Bei diesem Gedanken bekam er weiche Knie. Seine Knochen fühlten sich an wie Gelatine, und er hatte das dringende Bedürfnis, sich irgendwo in einen Sessel fallen zu lassen – aber nicht, solange der Commander zusah.
»Gibt es Probleme?«, fragte Sisko und näherte sich O'Briens Station. O'Brien konnte Siskos Gesichtsausdruck entnehmen, dass sein Gespräch mit den Bajoranern keinen erfreulichen Verlauf genommen hatte.
»Keine, mit denen ich nicht fertig werde«, sagte er schroff. »Auch wenn ich jede Hilfe gebrauchen kann. Vielen Dank, Sir.«
»Keine Ursache«, erwiderte Sisko. Er blickte auf den Bildschirm vor O'Brien. Datenkolonnen in roter und türkiser Farbe wanderten über den Monitor. Es war ein Gemisch aus Schriftzeichen der Cardassianer und der Föderation, die eine technische Pigdinsprache ergaben, die nur auf DS Nine existierte. »Wie steht es um unser Hauptproblem, die Hortas?«
O'Brien bewegte schnell seine pummeligen Finger über die Konsole, um die Zeit wieder aufzuholen, die er mit dem Computer verloren hatte. Leider hatte die Situation sich während der Auseinandersetzung nicht auf wundersame Weise verbessert. »Es tut mir leid, Sir. Einige breiten sich im Habitatring aus, aber die anderen bewegen sich im zentralen Bereich nach oben. Aufgrund ihrer Silizium-Biologie und der vielen ausgebrannten Sensoren sind sie allerdings nur schwer zu verfolgen. Ich schäme mich nicht, wenn ich sagen muss, dass ich mir wünsche, Lieutenant Dax wäre hier. Sie könnte bestimmt mehr aus diesen Anzeigen herauslesen als ich.«
Das war die Untertreibung des Jahres, dachte O'Brien stumm. Ich bin Ingenieur und kein wissenschaftlicher Offizier und erst recht kein Spezialist für exotische Alien-Babys. Manchmal werde ich nicht mal aus meinem eigenen Gör schlau. Warum gibt mir niemand etwas, womit ich umgehen kann, zum Beispiel eine kaputte Warpspule oder ein instabiles Transportersignal?
»Tun Sie, was in Ihrer Macht steht, Chief«, sagte Sisko. »Können wir sie nicht irgendwie isolieren?«
»Ich versuche es, Commander, aber diese Biester sind schlimmer als Termiten. Sie kommen überall hindurch. Ich habe alle Verbindungstunnel mit Kraftfeldern abgesperrt, aber sie brennen sich einfach zu den Fracht- und Turboliftschächten durch – und wer weiß, wohin sonst noch. Sie brauchen unsere Transportwege überhaupt nicht, weil sie sich ihre eigenen Gänge schaffen. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie sich von Kraftfeldern aufhalten lassen.« O'Brien zuckte resignierend die Schultern. »Um ehrlich zu sein, die beste Methode, um sie zu verfolgen, ist, nach der Spur der Vernichtung Ausschau zu halten, die sie hinterlassen.«
Wie zur Bestätigung seines Berichts zeigte der Bildschirm plötzlich einen Verlust der Temperaturkontrollen im Verbindungssegment zwei an. O'Brien schaltete die Heizung schnell auf ein Notsystem in Deck 17 um. »Haben Sie bei den Bajoranern etwas erreicht, Sir?«
Sisko schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Pova bleibt stur. Er will keine Hortas auf Bajor dulden. Ich habe versucht, ihn zu umgehen, aber bislang hat die Leiterin des Rats noch nicht auf meine Anrufe reagiert.«
»Zu dumm, dass Kai Opaka uns nicht mehr zur Verfügung steht«, bemerkte O'Brien.
»Ja.« Siskos Blick schien für einen Moment nach innen gerichtet, und O'Brien erinnerte sich, wie nahe sich der Commander und die religiöse Führerin Bajors gestanden hatten. Vielleicht hätte er das Gespräch lieber nicht auf sie bringen sollen, überlegte er. Doch dann riss Sisko sich aus seinen Gedanken und blickte O'Brien an.
»Ich hoffe, Odo und seine Leute können verhindern, dass allzu viel Schaden auf der Promenade angerichtet wird – und dass sie bis zur Zentrale durchbrechen. Offen gesagt mache ich mir größere Sorgen wegen der Hortas, die im Habitatring geblieben sind, wo sich die Geschütztürme befinden. Wenn die Cardassianer einen weiteren Angriff starten sollten, stellen sie unsere einzige Möglichkeit zur Verteidigung dar. Nehmen Sie sich ein Team aus Sicherheitsleuten und Ingenieuren, um die Waffensysteme zu schützen. Ich werde hier die Stellung halten.«
O'Brien nickte und machte sich auf den Weg zum Turbolift. Dort blieb er kurz stehen und überblickte die OPS. Die Kommandozentrale war voll besetzt, und O'Brien kannte die meisten Mitglieder des diensthabenden Personals – Sanger, Eddon, N'Heydor. Alles gute Leute, aber er hätte sich trotzdem gewünscht, dass Kira und die anderen in dieser Situation verfügbar gewesen wären. Vorausgesetzt, sie waren überhaupt noch am Leben …
»Computer«, sagte Sisko hinter O'Brien. »Geschätzte Position der fremden Lebensformen.«
»Die Infektion breitet sich über die gesamte Promenade aus«, antwortete der Computer. Er sagte zwar nicht: »Genau wie ich es vorausgesehen habe«, aber O'Brien glaubte trotzdem, einen gewissen selbstgefälligen Unterton in der elektronischen Stimme zu hören.
»Bin schon unterwegs«, sagte er laut und ging weiter. Er musste ständig an seine Frau und Tochter denken und hätte sich am liebsten schnellstmöglich auf die Promenade gebeamt. Statt dessen machte er sich auf den Weg zu den Geschütztürmen.
Passen Sie gut auf sie auf, Odo, dachte er. Bitte!
Odo ließ seinen verlängerten Torso wieder auf normale humanoide Proportionen schrumpfen und sprintete zur Krankenstation. Im Gegensatz zu den zwei Hortas, die sich im Bummeltempo bewegten und sich ständig von den vielfältigen Sehenswürdigkeiten und Gerüchen der Promenade ablenken ließen, hielt Odo unbeirrt auf sein Ziel zu. Er erreichte den Eingang zur Krankenstation vor den Hortas und stellte sich den heranrückenden Geschöpfen in den Weg. Es schien ihre feste Absicht zu sein, die medizinische Station zu erkunden. Odo fragte sich, welche Vitamine oder radioaktiven Isotope Bashir dort aufbewahrte, dass dieser Ort eine solche Anziehungskraft auf die Hortas ausübte.
Er beobachtete sie, während sie sich ihm näherten. Ihre Gesteinspanzer bewegten sich wie Miniaturgebirge, die von Erdbeben erschüttert wurden, während die Fransen aus bräunlichen Fasern über den Boden scharrten. Sie waren kleiner als der erwachsene Horta, den er auf seinem Bildschirm gesehen hatte, kaum länger als einen Meter. Und sie wirkten auch jünger und unreifer. Wenn ihre Mutter hier wäre, dachte Odo, hätte ich jetzt ein Problem weniger.
Doch höchstwahrscheinlich hatte sie zur Zeit ihre eigenen Probleme.
Er verflüssigte seine Körpersubstanz und löste sein Gesicht und die Gliedmaßen auf. Er wurde zu einem großen Klumpen aus goldener Gallerte, die durchsichtig schimmerte. Dann wurde die Substanz dunkler und fester, und schließlich bildete sich in der flackernden Beleuchtung der Promenade eine recht originalgetreue Nachbildung einer Horta-Mutter. Odo stellte fest, dass diese Gestalt genauso bequem war, wie er es sich vorgestellt hatte.
Den Horta-Babys schien sie ebenfalls zuzusagen. Ein helles Kreischen übertönte den Lärm der vielen amoklaufenden Hortas. Odo hatte keine Ahnung, was ihre Rufe bedeuten sollten – falls sie überhaupt eine spezifische Bedeutung besaßen. Es könnte Schwierigkeiten geben, dachte er, wenn sie von mir erwarten, dass ich ihnen antworte.
Statt dessen ertönten von überall wie Echos die begeisterten Schreie der übrigen Hortas. So ist es richtig, dachte Odo, ruft die anderen! Vielleicht konnten sich die Hortas durch die gesamte Station miteinander verständigen. In diesem Fall könnte er sie alle mit einem Streich in Sicherheit bringen. Er glitt von der Krankenstation fort, in der Hoffnung, dadurch für den Rest der Hortas besser sichtbar zu werden. Seine zwei quiekenden Anhänger folgte ihm wie Entenküken.
Weitere Hortas schlossen sich ihnen an. Sie kamen aus den Geschäften und Seitengängen und erfüllten die Luft mit ohrenbetäubendem Sirenenlärm. Zum Glück hatte Odo keine Ohren mehr, aber er konnte die Schwingungen sogar durch seinen nachgebildeten Panzer spüren. Nun, es schien, als könnten sie sich mit ihren Rufen tatsächlich in der gesamten Station bemerkbar machen. Bald war er von wimmelnden kleinen Hortas umringt. Es war schwierig, sie zu zählen, vor allem mit diesem unvertrauten Körper, doch Odo erkannte mit einiger Enttäuschung, dass er weniger als ein Dutzend angelockt hatte … bis jetzt.
Vielleicht waren das alle, die die Promenade überfallen hatten. Das hieß, dass die übrigen weiter über die ganze Station verteilt waren.
Zumindest war es ein Anfang.
Wie ein außerirdischer Rattenfänger oder die legendäre Marschierende Gottheit von Daffodon IX führte Odo die Hortas zurück in den Habitatring. Im Sicherheitsbüro hatte er nicht genügend Zellen, um sie alle unterzubringen, aber auf Deck 16 gab es einige Wohnquartiere, die inzwischen evakuiert sein mussten. Nachdem ich sie dort untergebracht habe, dachte Odo, kann Chief O'Brien nach einer Methode suchen, wie sie sich dauerhaft einsperren lassen – wenn ich sie mit dieser Gestalt lange genug täuschen kann.
Odo rutschte eine Notrampe hinunter, die zum Verbindungssegment drei führte. Fluoreszierende Bodenmarkierungen zeigten den Weg zu den nächsten Notausgängen an. Odo schenkte ihnen keine Beachtung, denn er hatte sich schon auf DS Nine ausgekannt, als die Station noch gar nicht DS Nine hieß. Hinter ihm kreischte begeistert eine brodelnde Masse aus Hortas, zu denen sich alle paar Meter weitere gesellten. Odo wünschte sich nur, er würde wissen, was sie sagten.
Mehrere Decks unter der Promenade in einem dunklen und unbenutzten Turboliftschacht hörte die erstgeborene Horta, die Quarks Holokammer längst verlassen hatte, die entzückten Rufe ihrer Geschwister. Der wilde Chor zerrte an ihren Instinkten und trieb sie dazu, nach oben vorzustoßen, um sich dem Rest ihrer Familie anzuschließen. Hatte sich Mutter schließlich doch eingefunden?
Doch sie wurde gleichzeitig von einem anderen Trieb bedrängt, der sie auf einer viel tieferen Ebene berührte. Sie spürte Nahrung. Die Nahrung. Diese Aussicht auf eine köstliche Mahlzeit hatte sie gelockt, seit die zwei kleinen Kohlenstoffwesen sie verlassen hatten. Sie wusste, dass sie ganz nahe war. Der Geruch und Geschmack schienen von einer Stelle ganz in der Nähe auszugehen; das Gefühl durchdrang ihren Panzer und erfüllte sie mit einem unwiderstehlichen Hunger. Sie war fast da, und ihr zunehmender Appetit stand in heftigem Konflikt mit der dringenden Aufforderung der anderen Hortas.
Sie kroch an der Wand des senkrechten Schachts hinunter, während sie sich mit ihren Fühlern an der polierten Fläche festklammerte. Sie hielt an, als sie nicht sicher war, welchen Weg sie nehmen sollte. Mutter, dachte sie und machte kehrt, um sich wieder zurück nach oben zu bewegen. Doch dann meldete sich ihr Hunger zurück und ließ sie jeden anderen Gedanken vergessen, außer dem an die Nahrung, die auf sie wartete. Ja, ja, schrie ihr Geist erregt. Verdauungssäfte tropften von ihrer Haut und rieselten als Säureregen durch den langen Schacht. Es war, als könnte sie bereits spüren, wie sie die schmackhafte und belebende Nahrung heiß in sich aufnahm.
Die Horta kroch, so schnell sie konnte, an der inneren Wand des Turboliftschachts hinunter, immer tiefer in den Zentralbereich von DS Nine hinein.
Sie war fast da …