Wie sich ein direkter Kontakt langfristig auf die Menschheit auswirken wird, hängt davon ab, ob und wie wir mit den außerirdischen Besuchern, die hier ankommen, kommunizieren können. Der inzwischen berühmte Bericht des Direktors der Nationalen Geheimdienste über UAPs vom 25. Juni 2021 gibt an, dass einige wenige Kampfflugzeuge hochfrequente Radioemissionen von UFOs entdeckten.612 Was sie bedeuten könnten, ist nicht bekannt. Sie weisen jedoch auf technische Artefakte hin. Das FBI richtete bereits in den 1950er-Jahren eine Anfrage an die Telekommunikationsbehörde FCC, um herauszufinden, ob sie fremdartige Radiosignale von UFOs empfangen hätte.613 Das FBI unternahm diesen Schritt, um mögliche feindliche Kommunikationen abzufangen und um auszuschließen, dass es sich um sowjetische Objekte handelt. Das FCC hatte jedoch derartige Signale nicht entdeckt.
Außerirdische, die beschließen, ihre Raumfahrzeuge für uns dauerhaft sichtbar am Himmel zu präsentieren, könnten mit uns eine Kommunikation aufbauen oder sie bewusst verweigern. Wir würden nach einer Kommunikation suchen, damit die Gewissheit unsere Ängste auflöst. Die implizite Kommunikation der Anwesenheit außerirdischer Raumschiffe über den Städten der Erde würde uns zwar sagen, dass UFOs außerirdisch sind. Aber ihre Absichten blieben im Verborgenen.614 Wir hätten es gemäß der Soziologen Michael Schetsche und Andreas Anton mit dem maximal Fremden zu tun, von dem wir überhaupt keine Handlungsvorhersagen ableiten könnten.615 Wahrscheinlich würden aber Militärs ihre – vielleicht voreiligen – Schlüsse ziehen, wenn die Objekte sich über strategisch wichtigen Punkten positionieren, zum Beispiel über Nuklearraketensilos, Regierungssitzen, militärischen Stützpunkten. Ein derartiges Szenario kennen wir aus dem Film Independence Day.
In der Psychologie kennt man das »Stonewalling«, auch als »Silent Treatment« bekannt, als konkrete Verweigerung der verbalen Kommunikation in einer Beziehung. Männer wie Frauen schweigen bei einem Streit, auch wenn es ihnen in ihren Beziehungen schadet.616 Wenn UFOs außerirdische Raumfahrzeuge sind, wenden sie diese Kommunikationstaktik an. Den Erbauern der Objekte müsste bewusst sein, was das bei Menschen bewirkt. Wenn wir die Folklore über vermeintlich telepathisch übermittelte Botschaften an Kontaktler und vermeintliche Entführungen durch Außerirdische außer Acht lassen, dann erkennen wir: UFOs verweigern jegliche Kommunikation. Sie mauern, als ob diese Objekte nicht nur nicht von biologischen Wesen stammen, sondern Maschinen sind, die kein Interesse daran haben, uns zu verstehen, wie wir gleich sehen werden.
Dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun zufolge könnten wir daraus vier Erkenntnisse ableiten: 1. Die Sachebene, 2. Die Selbstoffenbarung, 3. Die Beziehungsebene und 4. die Appellebene.617 Basierend auf dem bisherigen »Verhalten« von UFOs könnten wir also folgern
Wenn wir jedoch herkömmliche Radiosignale von den Außerirdischen auffangen, würden sich sofort folgende Fragen stellen: Ist die Kommunikation an uns gerichtet? Wenn nicht, wie könnten wir dennoch die Verschlüsselung dekodieren? Wenn wir ihre Verschlüsselung dekodieren, was bedeutet dann der Inhalt der Radiosignale? Verstehen wir die Sprache einer außerirdischen Gesellschaft überhaupt? Wir sehen, dass bei einer Kommunikation mit Außerirdischen semiotische und systemtheoretische Probleme auftauchen:
Eine Kommunikation mit einer fremden Kultur erfordert Wissen über ihre sprachlichen und kulturellen Ursprünge. Ein Beispiel ist der Stein von Rosette. Die Truppen Napoleons belagerten die ägyptische Stadt Rosetta im Jahr 1799. Der Offizier Pierre-Francois Bouchard legte im Juli 1799 mit seiner Spitzhacke unter einer Mauer zufällig einen ungewöhnlichen Stein frei.618 Als er den Sand beiseite fegte, entdeckte er zu seinem Erstaunen eine 112,3 Zentimeter hohe, 75,7 Zentimeter breite und 28,4 Zentimeter tiefe Gesteinsplatte aus grauem Granodiorit, die offensichtlich bereits den Ägyptern als Baumaterial gedient hatte und etwa 762 Kilogramm wiegt.619
Der obere Teil des Steins zeigt 14 Zeilen ägyptische Hieroglyphen. Der mittlere Teil weist 32 Zeilen der demotischen Kursivschrift auf, die von rechts nach links geschrieben wurde und aus der Priesterschrift des Hieratischen entstanden war. Demotisch wurde bis etwa 450 n. Chr. gesprochen und geschrieben. Der untere Teil besteht aus 35 Zeilen Altgriechisch.620 Alle drei Texte sind unvollständig durch abgebrochene Gesteinspartien. Napoleon persönlich begutachtete Bouchards Entdeckung und erkannte seine Wichtigkeit. Er veranlasste sofort, Kopien von den Texten durch Abriebe auf Papier mit Tinte anzufertigen. Nach der Niederlage der Franzosen gegen die Briten in Ägypten gelangte der Stein von Rosetta im Juni 1802 ins Britische Museum in London.621
Eine Kopie der Steintafel gelangte auch im Herbst 1800 nach Frankreich. Dort bekam sie der junge Sprachwissenschaftler Jean-François Champollion (1790–1832) von der Universität Grenoble in die Hände, der seit Kindesbeinen von der ägyptischen Kultur und Geschichte fasziniert war. Er hatte sich geschworen, die Hieroglyphen zu entziffern. Doch Champollion konnte nur erfolgreich sein durch die Vorarbeit der Orientalisten Johann David Åkerblad (1763–1819) und dessen Professor Antoine de Sacy (1758–1838) von der Universität Paris. Åkerblad und de Sacy hatten im Demotischen – dem mittleren Text auf der Steintafel – erste Namen wie »Ptolemäus« identifizieren können. Ferner arbeitete Åkerblad solche einfachen Wörter wie »viele« und »Ägypten« oder »der König« heraus.622
Die Übersetzung des altgriechischen Textes offenbarte ein Dekret, das Priester zur Huldigung und Krönung des damals erst dreizehnjährigen Königs Ptolemäus V. im Jahr 196 v. Chr. verfasst hatten. Erst der Physiker Thomas Young (1773–1829) vermochte es, die Erkenntnisse der Orientalisten Åkerblad und de Sacy zu verwerten. Young konnte durch die gründliche Vorarbeit den Namen »Ptolemäus« in einer Kartusche – eine besondere hieroglyphische Form, die den Namen von Königen umrandete – dem demotischen Text auf der Steintafel von Rosetta zuweisen. So war es Young möglich, die Konsonanten »P«, »t«, »m«, »s« und das Vokal »i« zu isolieren und auch zu erkennen, dass die Hieroglyphen mit dem Demotischen sehr eng verwandt waren. Er folgerte daraus, dass nur Eigennamen, wie etwa »Ptolemaios« auch alphabetisch geschrieben waren, während die Ägypter für andere Begriffe seiner Ansicht nach symbolische Zeichen verwendeten. Er blieb hartnäckig bei der damals allgemein gültigen Vorstellung, dass die Hieroglyphen mehrheitlich symbolische Bedeutungen hatten und nur wenige phonetische – also lautmalerische – Zeichen benutzt wurden.623 Young sollte sich irren.
Denn Jean-François Champollion entdeckte, dass die Sprache des Alten Ägypten mit dem Koptischen verwandt sein musste, das er in seiner Studienzeit unter Antoine de Sacy von einem koptischen Priester gelernt hatte. Beste Voraussetzungen also, um eine solch rätselhafte Schrift wie die ägyptischen Hieroglyphen zu entziffern.624 Er begann damit, die Anzahl der Zeichen des altgriechischen Textes mit der Anzahl der Hieroglyphen zu vergleichen. Diese einfache Gegenüberstellung bewies ihm, dass nicht jede Hieroglyphe einem Wort entsprach.625 Champollion gelang es dann, weitere Namen der Dynastie um König Ptolemäus V. und auch römische Kaisernamen zu entschlüsseln. Nun hatte die Anzahl der Zeichen, von denen er wusste, was sie bedeuteten, die Zahl fünf weit überschritten. Das alles wäre jedoch nicht ohne die Hilfe von Åkerblad, Sacy und Young möglich gewesen. Champollion wird oft als alleiniger Übersetzer der Hieroglyphen dargestellt. Vielmehr ist die gelungene Übersetzung einer fremden, uns heute unbekannten Sprache die Errungenschaft vieler Generationen vor dem Durchbruch.
Diesen Durchbruch erzielte Champollion im September 1822 mit Hilfe einer Kopie von einer Inschrift des Tempels von Abu Simbel, die eine Kartusche mit einem Pharaonennamen enthielt. Hier entdeckte Champollion die Hieroglyphen für den doppelten Konsonanten »ss« und leitete durch seine Koptisch-Kenntnisse ab, dass der Name »re« für den Sonnengott »Ra« stehen musste, der durch altgriechische Überlieferungen mit dem Pharao »Ramesse« in Verbindung gebracht wurde. Champollion hatte den Namen des Pharaos Ramses entziffert.626
Auf diese Art setzte sich Champollions Arbeit fort, bis er viele Hundert Hieroglyphen bestimmten Bedeutungen zuweisen konnte. Er erkannte vornehmlich durch die Dekodierung von Eigennamen, dass die Hieroglyphen ein gemischtes Zeichensystem darstellten: Wortzeichen (Ideogramme) und lautmalerische Zeichen (Phonogramme) ergänzten sich, wobei manche Wortzeichen keinen Lautwert hatten. So konnte es nur verwirren, dass viele der gebrauchten Laute überhaupt keine Entsprechung mit einer Hieroglyphe – und daher einem Bild – hatten. Die ägyptischen Hieroglyphen waren somit mehr als eine reine Bilderschrift: sie enthielten Lautzeichen, Bildzeichen und Deutzeichen (Determinative) für identische – also homonyme – Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen (etwa »Kopf«, für den anatomischen Kopf, aber auch den »Kopf« einer sozialen Gruppe).627 Sobald Champollion den Code einmal geknackt hatte, war es ihm möglich, ägyptische Hieroglyphen auf Inschriften in Tempeln oder auf Papyri wie beiläufig zu lesen und auch größtenteils zu verstehen. Was er nicht eindeutig zuordnen konnte, musste er aber aus dem Gesamtkontext ableiten. Ohne das Koptisch, das Menschen in Ägypten immer noch sprechen, und die Vorarbeit anderer, wäre es jedoch Champollion nicht gelungen, die ägyptischen Hieroglyphen zu übersetzen.
Bei der Schrift des Maya-Volks war die Entschlüsselung ungleich schwieriger, weil die spanischen Konquistadoren die hinterlassenen schriftlichen Kodexe verbrannt hatten. Bis heute sind nur etwa 80 % der Maya-Schrift verständlich.628 Manche kulturellen Zeugnisse bleiben selbst nach Jahrhunderten ein Rätsel: Bis heute existiert keine Übersetzung der Rongorongo-Schrift der einstigen Bewohner der Osterinsel.629 Die Schriftzeichen sind mit nichts vergleichbar. Die Schwierigkeit der Interpretation liegt mithin auch darin begründet, dass die Osterinsel isoliert im Pazifik liegt und die weiten Entfernungen einen kulturellen Austausch stark erschwerten. Man weiß noch nicht einmal, ob die Glyphen überhaupt Schrift darstellen sollen, die die Osterinsulaner selbst entwickelten. Auch die Schrift und Bedeutung des berühmten Voynich-Manuskripts und des Codex Rohonczi sind bislang rätselhaft. Eines der berühmtesten Beispiele ist der Diskus von Phaistos, der auf Kreta gefunden wurde und 45 Glyphen aufweist. Abgesehen etwa von der Darstellung des Siebengestirns der Plejaden, weiß niemand, was der Text auf der Scheibe bedeuten soll.630 Es wäre mithin äußerst schwierig bis unmöglich, ohne eine sprachliche Referenz eine außerirdische Sprache und ihre Schrift zu entschlüsseln.631 Im Falle eines Erstkontakts hätten wir keine einzige aktuelle Referenz zur außerirdischen Sprache. Das wäre ein Ausgangspunkt für Missverständnisse, die dramatische langfristige Auswirkungen hätten.
So wimmelt unsere Geschichte von katastrophalen Missverständnissen, die durch falsche Übersetzungen entstanden. Eines der folgenreichsten Missverständnisse entstand durch das japanische Wort »mokusatsu« (黙殺). Die Alliierten forderten in der Erklärung von Potsdam vom 26. Juli 1945, dass die Japaner sich bedingungslos ergeben sollten. Die Antwort der japanischen Regierung, die über Zeitungen verbreitet wurde, war, dass die japanische Regierung die Forderung ignoriere (mokusatsu) und das Land entschlossen sei, seinen erbitterten Kampf bis zum Ende fortzusetzen. Die Ausdrucksweise des japanischen Premierministers Kantarō Suzuki war aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit sehr ungeschickt. Die Wortwahl des Premierministers hätte klarer formuliert sein müssen. Da jedoch mokusatsu bedeutet, vorzugeben, jemanden oder etwas nicht zu bemerken, weil man sonst zeigen würde, im Unrecht oder unterlegen zu sein, ist die Wortwahl fatal gewesen. Die Japaner klangen arrogant. Die Folgen für Japan waren dramatisch und veränderten die Geschichte für immer.632 Man könnte argumentieren, dass die Amerikaner ohnehin die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hätten, selbst wenn die Japaner kapituliert hätten. Aber die Tatsache, dass der Ministerpräsident so unbedacht kommunizierte, besiegelte das Schicksal Japans, bevor Hiroshima und Nagasaki vernichtet wurden.
Ein anderes Beispiel: Nikita Chruschtschow etwa teilte bei einer Rede in der polnischen Botschaft in Moskau am 18. November 1956 dem Westen mit: »Was die kapitalistischen Staaten betrifft, so hängt es nicht von Ihnen ab, ob wir existieren oder nicht. Wenn ihr uns nicht mögt, nehmt unsere Einladungen nicht an und ladet uns nicht ein, zu euch zu kommen. Ob ihr wollt oder nicht, die Geschichte ist auf unserer Seite. Wir werden euch begraben!« (»Мы вас похороним!«)633 Der Fehler des russischen Dolmetschers bestand darin, dass Chruschtschows Aussage wie eine Kriegserklärung (»euch begraben!«) an den Westen klang.
Chruschtschow bezog sich jedoch auf Karl Marx, der sagte, dass der Kapitalismus der Bourgeoisie seine eigenen Totengräber produziere.634 Doch der anwesende Dolmetscher übersetzte die Aussage wortwörtlich, was er angesichts von Chruschtschows aufbrausendem Temperament und der möglichen politischen Konsequenzen anders hätte übersetzen müssen, etwa: »Wir werden Sie überdauern!«635 Der Westen und insbesondere die USA deuteten diese Ansage mithin als Drohung mit einem nuklearen Erstschlag. Die Sowjetunion hatte einen Tag zuvor in Kasachstan erfolgreich eine 900 Kilotonnen-Nuklearbombe getestet. Chruschtschow, so schien es, wartete nur darauf, die Amerikaner durch seine Nuklearbomben unter Trümmern »zu begraben«. Der Westen und die USA lebten trotz Entschuldigung der russischen Botschaft fortan in Angst vor dem nuklearen Holocaust. Die Folge: Ein beschleunigtes Wettrüsten setzte ein.
Der Versuch, sich auszumalen, was die »Übersetzung« von außerirdischer Schrift oder Sprache, deren Informationsgehalt uns aufgrund fehlender kultureller und sprachlicher Referenzen unbekannt ist, bewirken könnte, beschwört wahrlich apokalyptische Bilder herauf. Außerirdische könnten die grundlegendsten menschlichen Wesenszüge wie Mitgefühl, Interesse, Offenheit oder Toleranz aufgrund ihrer eigenen Entwicklung falsch verstehen und darin Provokationen sehen – und umgekehrt. Sie könnten etwa unsere Freundlichkeit ihnen gegenüber so interpretieren, dass wir uns gerne für sie opfern. Sie könnten uns als Nahrung betrachten.636
Ferner könnte unser Entsetzen auf ihr möglicherweise erschreckendes Äußeres auf sie verletzend oder provokant wirken. Die am wenigsten bedachte Frage bei einem Kontakt ist, wie die Außerirdischen auf unser Verhalten reagieren. Bis wir das Gegenteil beweisen, könnten sie uns als Feinde ansehen.637 Wie könnten wir den Außerirdischen mitteilen, dass »wir es nicht böse meinen«? Würden wir ihre Alltagsgegenstände erkennen und die sprachlichen Zuweisungen und entsprechenden Zeichen und Wörter verstehen? Würde ein irdischer Hammer auf einem Planeten um den Stern Tau Ceti genauso aussehen? Wie wäre das taucetische Wort dafür? Kennen die Tau Cetier überhaupt Zeichen und Wörter?
Wie wir gesehen haben, verursachen bereits fremde, irdische Kulturen spontan Misstrauen, Abneigung, sogar Hass und Aggressionen bei vielen Menschen. So ist gewiss, dass Außerirdische, die hier landen und unsere soziale Distanz durch ihre bloße Anwesenheit stören, unser geregeltes Leben als irdische Zivilisation, wie wir es kennen, für immer zunichtemachen. Selbst wenn sie mit den besten Absichten kommen, könnten diese »besten Absichten« für uns inakzeptabel oder schockierend sein. Ihre ethischmoralischen Vorstellungen, wenn sie Derartiges überhaupt kennen, könnten uns völlig fremdartig und bizarr erscheinen. Da wir ihre Sprache nicht verstehen, können wir nur ihr Handeln interpretieren.
Anthropozentrische Vorannahmen behindern uns darin, eine Vorstellung über Außerirdische zu entwickeln, die frei von unseren kulturellen Konstruktionen wie »böse« oder »gut« sind. Deshalb ist es sinnvoll, Außerirdische und ihre Gesellschaft nicht als Individuen, sondern als Systeme zu betrachten. Die Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann (1927–1998) bietet sich dafür an, zu untersuchen, ob und wie Außerirdische mit uns kommunizieren könnten.638
Luhmann beschrieb Kommunikation als Einheit von Information, Mitteilung und Verständnis. Eine Kommunikation wäre erfolgreich, wenn das Gegenüber die Information versteht.639 Ferner ist Kommunikation aber auch noch in eine soziale Situation eingebettet, die Anschlussentscheidungen nach dem Verstehen der Information nach sich zieht: Nehme ich die Information an oder nicht? Lasse ich mich auf einen Konflikt ein oder nicht? Kommunikation ist die bewusste Entscheidung, etwas mitzuteilen oder eben nicht mitzuteilen. Es ist für Luhmann ein selektiver Vorgang.640 Das bedeutet, dass während dieses selektiven Vorgangs viele Hindernisse und Missverständnisse entstehen können, die für Luhmann eine weitere Kommunikation unwahrscheinlich machen.641
Ein falsches Verständnis, zeitlich-räumliche Abwesenheit oder Unaufmerksamkeit sowie nicht übereinstimmendes Handeln im Einklang mit dem Absender sind für Niklas Luhmann Schwellen der Entmutigung. Man sollte deshalb seiner Ansicht nach erwarten, dass Kommunikation gar nicht erst zustandekommt.642 Eine Kommunikation ist für Luhmann demnach dann gelungen, wenn der Adressat die Information versteht und auch annimmt – und danach sogar handelt. Die Kommunikation bleibt aus, wenn der Adressat die Informationen nicht versteht, sie gar nicht wahrnimmt oder der Adressat absichtlich – durch Schweigen oder sogar ständiges »Mauern« – im Unklaren gelassen wird. Kommt eine Kommunikation zustande, regelt sie die sozialen Systeme.643
Außerirdische, die hier ankämen, würden uns zunächst anschweigen und damit Informationen vorenthalten, denn sie wüssten nicht, wie sie mit uns kommunizieren sollen. Falls UFOs außerirdisch sind, schweigen sie, entweder, weil wir nicht wissen, wie sie kommunizieren oder weil sie uns außer ihrer Anwesenheit einfach nichts mitteilen wollen. Luhmann dazu: »Wer eine Kommunikation für aussichtslos hält, unterläßt sie.«644
Die irdische Gesellschaft setzt sich gemäß Luhmann auch aus sozialen Systemen zusammen, die wiederum aus vielen kommunizierenden gesellschaftlichen Untersystemen bestehen. Nur Systeme kommunizieren für Luhmann, nicht Menschen. Die Systeme erschaffen neue, auf sich selbst bezogene Systeme. Durch das System Naturwissenschaft entsteht ein Untersystem Physik. Aus Physik entsteht das Untersystem der Elektrotechnologie. Durch Elektrotechnologie entstehen Computer, aus Computern der Handel mit Computern und das Internet. Das Internet erschafft neue Produkte und Arbeitsmärkte, kulturelle Trends, Kriminalität, die Bekämpfung von Kriminalität, Internetpolitik usw. Wir sehen: Untersysteme erschaffen wieder neue, fremdartige Hauptsysteme. Doch jedes neue System ist durch das alte verbunden. Sie sind operativ geschlossen und selbstbezogen.
Luhmann nannte diese Selbstbezogenheit der Systeme in Anlehnung an den chilenischen Biologen und Philosophen Humberto Maturana autopoietische Systeme. So ist auch ein wichtiges Ergebnis der Entstehung autopoietischer Systeme die Selbstbegegnung und Re-Identifikation.645 Bei einem Kontakt mit Außerirdischen würde umso stärker eine Re-Identifikation über das Wesen unserer eigenen kulturellen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Systeme stattfinden. Denn das soziale System hat ein Interesse daran, sich selbst zu erhalten. Es ist geschlossen und soll geschlossen bleiben.646 Das gälte auch für Außerirdische, die sich in ihrer Umwelt und gegen andere Systeme behaupten müssen, um fortzubestehen. Auch sie wollen ihre Systeme zur Selbsterhaltung geschlossen halten. Ihre Systeme wären wahrscheinlich ebenso selbstreferentiell, wie die unseren. Außerirdische gesellschaftliche Systeme haben jedoch mit den unseren gemeinsam, dass sie miteinander kommunizieren, denn sonst existierten sie nicht.
Nach Luhmanns Ansicht kann jedoch nur Kommunikation (das System) selbst kommunizieren, nicht der Mensch.647 Unsere Gehirne sind nicht direkt miteinander verbunden, Gehirne sind neurologisch betrachtet operativ geschlossen. Stattdessen müssen wir Medien nutzen, um Informationen miteinander auszutauschen, per Telefon, Internet, Funkgerät, bedrucktem Papier, usw. Allgemein formuliert: über sensorische Reize. Ein Konsens im Sinne einer Übereinstimmung von zwei Meinungen von zwei Personen, sei ein Konstrukt des Beobachters, eine eigene Leistung, so Luhmann.648 Treffen Außerirdische auf Menschen, entsteht nach Luhmann eine doppelte Kontingenz: die Außerirdischen wissen, dass wir wissen, dass sie sich über unsere Anwesenheit bewusst sind – und umgekehrt. Wir können davon ausgehen, dass sich UFOs unserer Anwesenheit bewusst sind, sonst würden sie nicht ständig entwischen. Sobald die doppelte Kontingenz eintritt, wird sie für geschlossene selbstreferentielle Systeme – wie unsere Gesellschaft – zum Problem: die Realität verändert sich. »Von hier aus wird die Welt neu gesehen«, so Luhmann.649
Diese »neue Realität« des Erstkontakts bringt eine neue Kommunikation hervor: eine drohende Veränderung des Systems. Die Kommunikation teilt die Gesellschaft ein in nicht-kommunizierende und kommunizierende Systeme.650 Die Kommunikation ist mithin nur die Handlung des Systems, um Informationen innerhalb der Systeme zu verschieben. Luhmann unterscheidet in psychische Systeme (das menschliche Bewusstsein) und soziale Systeme (unterschiedliche Interaktionen und Funktionen wie die Kirche, die Wirtschaft, die Wissenschaft) mit ihren Untersystemen. Für Luhmann koppelt Sprache die psychischen Systeme unseres Bewusstseins mit den sozialen Systemen auf struktureller Ebene. Psychische Systeme können sich zwar vorstellen, dass sie kommunizieren, aber es sei eben nur das: eine Vorstellung, »eine interne Operation«.651 Wie geht unser System nun gemäß Luhmanns Definition von Kommunikation mit dem Eindringen des fremden Systems der Außerirdischen um?
Um das zu beantworten, müssen wir fragen: Wie wahrscheinlich es ist, dass eine außerirdische Gesellschaft, die auf völlig fremdartigen Systemen besteht, mit uns kommunizieren will, wenn sie ihre Systeme ebenso operativ geschlossen halten muss, um zu überleben? Unsere Gesellschaftssysteme würden ihnen bis zur Unkenntlichkeit fremdartig und abstrakt erscheinen – und umgekehrt. Luhmanns Theorie scheint sich in Bezug auf Außerirdische in praktischer Hinsicht zu bestätigen: Wie erwähnt, haben UFOs an sich niemals eine direkte Kommunikation mit uns aufgebaut. Sie entziehen sich bewusst unserem Erfahrungs- und Wissenshorizont. Sie schaffen keine Basis für eine gemeinsame Interaktion, die kulturelle Produkte und somit auch eine Sprache schaffen können, die im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte etwas wie einen Luhmannschen Ablauf aus »Information, Mitteilung und Verständnis« erzeugen.
Die Kommunikation mit Außerirdischen würden wir uns nur vorstellen. Aus tiefenpsychologischer Sicht würden wir uns danach sehnen, dass die Außerirdischen bei ihrer Ankunft zu uns sprechen, damit wir ihre Absichten durchschauen. Wir würden mithin Vorstellungen entwickeln und die Informations-Leerstellen mit Spekulationen füllen. Es dauerte viele Jahrzehntausende, bis wir die Welt um uns herum durch Sprache in Wort und Schrift beschreiben konnten. Unsere Worte und unsere Sprache erschaffen in unserem menschlichen Bewusstsein einen »Führer der sozialen Wirklichkeit«.652
»Es ist eine große Illusion, sich vorzustellen, dass man sich im Wesentlichen ohne Sprache an die Realität anpasst und dass die Sprache nur ein zufälliges Mittel zur Lösung bestimmter Kommunikations- oder Reflexionsprobleme ist«, folgerte der Linguist Edward Sapir.653 Eine uns weit überlegene außerirdische Gesellschaft würde mithin nicht mit uns »sprechen« können, wie wir mit Mitmenschen sprechen: Es wäre demnach nur eine reine Imitation unserer Kommunikation. Wir erinnern uns an den Elektroingenieur Erling Strand von der Universität Østfold in Norwegen, der es im Januar 1984 vermochte, eine Lichtkugel in Hessdalen mit einem Handlaser dazu zu bewegen, auf seine Zeichen mit einer veränderten Blinkfrequenz zu »antworten«. Schließlich jedoch schien die Lichtkugel das »Interesse« an Strands Versuch zu verlieren – und reagierte nicht mehr.
Wenn die Grundlage für eine Kommunikation fremdartiger gesellschaftlicher Systeme aufgrund mangelnder kultureller Überschneidungen nicht vorhanden ist, werden die Folgen für die Menschen im Falle eines Erstkontakts auf lange Sicht gravierend sein.
Der Schriftsteller Ray Bradbury (1920–2012) veröffentlichte im Jahr 1952 eine Kurzgeschichte mit dem Titel Ferner Donner.654 Darin tritt ein Zeitreisender während einer Jagd nach einem Tyrannosaurus trotz der Warnung des Expeditionsleiters, nicht den Pfad zu verlassen, aus Panik auf einen Schmetterling. Als er in die Gegenwart zurückkehrt, ist zum Entsetzen der Expeditionsteilnehmer ein Faschist der neue Präsident der USA, obwohl er vor der Zeitreise die Wahl verloren hatte. Indem der Zeitreisende in der Urzeit auf den Schmetterling trat und ihn tötete, hatte er eine Kette von fatalen Ereignissen in Gang gesetzt: Der Schmetterling fehlte in der Nahrungskette eines anderen Tiers, das wiederum in der Nahrungskette eines weiteren Tiers fehlte – und so weiter. Diese Ereigniskette setzte sich über Jahrmillionen bis zum modernen Menschen fort – und veränderte die Gegenwart.
Ferner Donner inspirierte den Meteorologen und Mathematiker Edward Lorenz dazu zu fragen, ob der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen könnte.655 Zweifellos inspirierte die Geschichte auch Michael Crichtons Prämisse in Jurassic Park, dass sich das Leben gemäß der sogenannten Chaostheorie immer seinen Weg bahnt – und sich Dinosaurier nicht einsperren lassen. Lorenz lieferte damit einen wichtigen Beitrag zur Chaostheorie, die sich mit der Frage befasst, in wie weit nichtlineare dynamische Systeme vorhergesagt werden können. Ein nichtlineares, dynamisches System ist beispielsweise das Wetter. So ist es selbst mit Hochleistungscomputern unmöglich, das Wetter über einen Zeitraum von zwei Wochen zuverlässig vorherzusagen. Chaos könnte man auch als »Systeme mit unbegrenzt komplizierter Ordnung« beschreiben.656 Es sind zwar Systeme, doch sie haben keine Form. Ändert man die physikalischen Anfangsbedingungen wie die Position oder Geschwindigkeit eines Bestandteils in einem System nur geringfügig, wirkt sich das später in einer Weise aus, die nicht vorhersehbar und daher chaotisch ist.
Geschichte ist eine Abfolge von Ursache und Wirkung, Aktion und Reaktion. Der Mensch reagiert auf Ereignisse, löst aber auch ständig durch Handlungen neue Ereignisse aus, die wiederum Folgen haben. So ist es zwar problematisch, vorherzusagen, was die Ankunft Außerirdischer auf der Erde auf der politischen Ebene auslösen wird. Wir können jedoch sagen, dass nicht eine Panik, die bei der Ankunft von weit überlegenen Außerirdischen in der Weltbevölkerung entstehen könnte, uns Sorgen bereiten sollte. Es sind vielmehr die politischen Langzeitfolgen, die dramatische Auswirkungen haben werden: der ferne gesellschaftliche Donner des Schmetterlingseffekts eines Ray Bradbury.
So lösten etwa die Anschläge des 11. Septembers 2001 durch eine Terrorzelle von Al-Qaida die Invasion in den Irak durch die USA unter Präsident George W. Bush aus. Bush rechtfertigte die Invasion mit der historischen Lüge, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügen und Saddam Hussein diese gegen die USA und Europa einsetzen würde. Die UN-Inspektoren fanden jedoch keine ABC-Waffen. Die Invasion der USA und die vielen hunderttausend Toten Iraker führten zur Gründung des sogenannten »Islamischen Staates« durch ehemalige Offiziere Saddam Husseins. Sie schworen Rache gegen den Westen. Es folgten Anschläge in Europa, Asien und den USA. Rechtsnationale Bewegungen erstarkten als Reaktion auf den islamistischen Terror. Die völkerrechtswidrige Invasion in den Irak im Jahr 2003 ist nun eine Blaupause, um militärisch in andere Länder einzufallen, weil sie angeblich eine Bedrohung darstellen. Das geschah etwa am 24. Februar 2022 in der Ukraine. Das Argument lautet: »Wenn die USA in den Irak einmarschieren durften, dürfen wir auch andere Länder überfallen.« Wir sehen hier eindeutig den Schmetterlingseffekt.
Individuen in »gesellschaftlichen und politischen Stellungen«, so der Physiker und Geschichtstheoretiker Michael Danos, stünden unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, innerhalb der Gesellschaft zu handeln. Einzelne Akteure, die mehr Entscheidungsmacht als andere – das System – haben, bestimmen das Gefüge der Gesellschaft.657 Der große Fehler, den SETI-Wissenschaftler oft begehen, besteht darin, zu glauben, dass eine außerirdische Zivilisation eine Einheit darstellt. Dabei ist auch unsere Gesellschaft in unterschiedliche Ethnien, Interessens- und Glaubensgruppen zersplittert. Scheinbar unbedeutende Handlungen Einzelner werden in diesem Handlungsrahmen später eine große Bedeutung haben.
Die Aufgabe der Politik wäre es, im Falle einer Landung Außerirdischer auf der Erde die Systeme geschlossen zu halten: Preise einfrieren, Energie und Nahrungsmittel rationieren, das Kriegsrecht verhängen, um Plünderungen und Gewalt zu verhindern. Kurzum: Es ist Aufgabe der Politik in allen Ländern, dass die irdische Gesellschaft durch die außerirdischen Eindringlinge nicht zusammenbricht. Wenn außerirdische Raumfahrzeuge über nur einem Land auftauchen, scheint die Situation zunächst weniger gefährlich zu sein, als wenn über allen Metropolen der Erde Raumschiffe erscheinen. Der Systemkollaps könnte dennoch eintreten durch menschliches Versagen, Größenwahn oder Fehleinschätzungen.
Gehen wir wieder zu unserem Kontakt-Szenario zurück. Das hochauflösende Bild des schwarzen, ellipsoiden UFOs führte zur Aktion des Whistleblowers. Der Whistleblower verriet, wo die außerirdischen Raumschiffe stationiert sind. Ein autokratischer Präsident beordert sein Militär dorthin und lässt die außerirdischen Raumschiffe mit Raketen beschießen. Die Gefahr besteht, dass es den Wissenschaftlern des Landes gelingt, die Funktionen eines Raumschiffs trotz der eben besprochenen Kommunikationsprobleme durch technisch-physikalische Analysen zu rekonstruieren. Vielleicht ist eine künstliche Intelligenz dabei behilflich, die das Raumfahrzeug steuert und uns technologisch Jahrzehntausende voraus ist. Sie würde vielleicht anders kommunizieren, als biologische außerirdische Wesen. Dennoch müssten wir den Erstkontakt mit einer außerirdischen K. I. so betrachten, als ob wir es mit biologischen Wesen zu tun hätten.658 Nach Jahrzehnten könnte es ansatzweise zu einer Übersetzung folgender Informationen kommen:
Diese Auflistung klingt auf den ersten Blick wie der Heilige Gral, der uns die Lösung aller Probleme liefert. Doch es wäre unklug, anzunehmen, dass Außerirdische, die hier ankommen, uns mit diesen Informationen versorgen würden, ohne Hintergedanken zu haben oder eine Gegenleistung zu fordern. Falls sie ethisch-moralisch weiter fortgeschritten sind als wir und kriegerische Neigungen abgelegt haben, dann wüssten sie, dass ein disruptives Ereignis wie ein direkter Erstkontakt und die Bereitstellung derartiger Erkenntnisse das Ende der unterlegenen Gesellschaft bedeuten würde. Wenn sie jedoch skrupellos sind, würden sie uns mit diesem Informations-Overflow in die Knie zwingen. Aus folgenden Gründen:
Wir sehen: Die Nutzbarmachung außerirdischer Technologie und Erkenntnisse würde gewaltige Risiken bergen. Und das alles nur wegen eines hochauflösenden Fotos von einem UFO, das einen Schmetterlingseffekt an Ereignissen erzeugte. Die Außerirdischen hätten am wenigsten Schuld an dem Chaos auf der Erde. Doch die Menschheit müsste diese Krise durchlaufen. Es wäre die gewaltigste Prüfung der Menschheitsgeschichte, eine Feuertaufe. Verhindern ließe sich diese Entwicklung nur durch eine schrittweise Offenbarung der Erkenntnisse.
Es könnte infolge dieser Krise zu unbedachten Handlungen kommen: UFOs könnten außerirdische Erkundungssonden sein, deren Auftrag darin besteht, herauszufinden, ob wir eine Gefahr für ein außerirdisches Netzwerk darstellen.670 Ein Angriff auf eine solche Sonde könnte aufgrund von Paranoia und Misstrauen irdischer Militärs oder autokratischer Führer gegenüber den Ankömmlingen aus dem All als Angriff auf das gesamte außerirdische Netzwerk gewertet werden, ähnlich dem Paragraf 5 der NATO.
Wenn Militärs plötzlich in den Besitz dieser außerirdischen Technologie gelangen und daraus Waffen herstellen lassen, wäre das ein verheerendes Signal. Die Möglichkeit, diese Waffen zu bauen und der Druck der aufstrebenden Supermächte untereinander, würde dazu führen, dass ein derartiger Angriff auf ein außerirdisches Raumschiff nur eine Frage der Zeit wäre. Ferner wäre es sehr wahrscheinlich, dass andere Nationen Beziehungen mit den Außerirdischen aufbauen, um geopolitisch-wirtschaftliche Vorteile zu entwickeln. Das würde zwangsläufig zu internationalen, kriegerischen Konflikten führen.
Das Volk der Azteken unter König Moctezuma II. unterlag den Konquistadoren 1521 im Kampf um die Stadt Tenochtitlan hauptsächlich, weil sich die Spanier im Vorfeld mit Stämmen verbündet hatten, die den Azteken feindlich gesinnt waren. Sie unterlagen nicht etwa, weil König Moctezuma II. Hernán Cortés als Inkarnation des Gottes Quetzalcoatl ansah.671 Unterlegene Völker kollaborierten häufiger in der Geschichte mit überlegenen Invasoren. In Nordamerika verbündeten sich manche Indianerstämme, wie etwa die aus mehreren Stämmen bestehenden Haudenosaunee (Irokesen), mit den niederländischen und englischen Invasoren. Im von Deutschland besetzten Frankreich kollaborierte die Vichy-Regierung mit den Nazis. Im Falle eines Kontakts würden ganze Staaten mit den Außerirdischen paktieren, andere nicht. Konflikte und Kriege wären vorprogrammiert.
Wie man es dreht und wendet: Der direkte Kontakt mit einer außerirdischen Intelligenz auf der Erde wäre das disruptivste Ereignis der Menschheitsgeschichte. Wir würden Jahrhunderte benötigen, um die neuen Erkenntnisse und Wandlungen verarbeiten zu können. Unsere Zivilisation, wie wir sie kennen, würde enden.672 Soviel Zeit aber haben wir möglicherweise nicht angesichts des Drucks, den SETI-Wissenschaftler, UFO-Aktivisten und geneigte Politiker in den USA inzwischen aufbauen. Wir sind auf den Kontakt nicht vorbereitet.
Hoffnung machen jedoch einige wenige Beispiele der irdischen Geschichte. Die Japaner vermochten es, die Adels- und Bauerngesellschaft mit den disruptiven westlichen Neuerungen, die mit dem Eintreffen des amerikanischen Entdeckers Matthew Perry im Jahr 1852 einhergingen, zu bereichern. Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau perfektionierten sie den technologischen Wandel und sind heute sogar Vorreiter.673 Die japanische Kultur ist somit ein Beleg dafür, dass technologisch unterlegene Gesellschaften nicht zwangsläufig dem Untergang geweiht sein müssen. Das Problem hierbei ist, dass der technologische Unterschied nur wenige Jahrzehnte betrug. Außerirdische, die hier ankommen, wären uns möglicherweise um Jahrtausende oder mehr voraus. Die Außerirdischen müssten uns nicht einmal unterwerfen, um uns zu schädigen. Wie wir gesehen haben, ist es schwierig bis unmöglich, die menschlichen evolutionsbiologischen Verhaltensmuster wie Fremdenangst dauerhaft abzulegen. Und selbst wohlmeinende technologische Geschenke oder Erkenntnisse der Außerirdischen wären gefährlich.
Die Geschichte wimmelt von Beispielen, in denen der Ablauf aus anfänglicher neugieriger Kulturberührung und begeistertem Kulturkontakt schließlich in einen kriegerischen Kulturzusammenstoß führte, wodurch die Kulturverflechtung zugunsten der technisch überlegenen Zivilisation ablief.674 Die Eingeborenen Nord- und Südamerikas gaben den englischen und spanischen Invasoren Geschenke. Schließlich wurden sie trotzdem abgeschlachtet, weil es den Spaniern nur um das Gold und Rohstoffe ging. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass uns angesichts der Überlegenheit der Außerirdischen, der Kommunikationsprobleme und den undurchsichtigen Absichten der fremden Besucher, nichts anderes übrig bleibt, als zu kooperieren. Die Kunst bestünde darin, wohlwollend zu handeln.
Das würde jedoch voraussetzen, dass wir als Menschheit geschlossen handeln. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass eine Zusammenarbeit insbesondere aufgrund der verfeindeten Ansichten Chinas und der USA nicht funktionierten. Die Klimaerwärmung und die Covid-19-Pandemie verdeutlichen, dass es äußerst schwierig ist, eine bislang noch abstrakte Gefahr wie einen Virus oder die Erderwärmung auf multinationaler Ebene zu bekämpfen. Diese Abstraktheit würde einer erschreckenden Konkretheit weichen, wenn am Himmel hunderte außerirdische Raumschiffe erschienen, die ihre technologische Überlegenheit demonstrieren. Eine außerirdische Invasion oder auch nur die Information, dass Außerirdische auf der Erde gelandet sind, wäre ein solcher Schock. Die territorialen Grenzen in den Köpfen der Menschen könnten dadurch fallen. Die Zukunft wird zeigen, ob die Menschheit gegen eine überlegene außerirdische Zivilisation eine Überlebenschance hätte. Die stärkste Waffe gegen außerirdische Invasoren wäre es, uns endlich auf die Einzigartigkeit unseres wunderschönen Planeten Erde zu besinnen. Wir müssen sie um jeden Preis schützen. Doch davon sind wir noch frustrierend weit entfernt.