Als 1st Lieutenant Ted Brunson im Oktober 1962 im Cockpit seines F-101-Voodoo-Kampfjets auf der Startbahn der Phelps Collins Air National Guard Base saß und auf den Befehl wartete, eine Nuklearbombe ins Ziel zu fliegen, war die Situation nicht so gefährlich wie heute. Brunson hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Doch nur wenige Tage später, am 27. Oktober 1962, sollte sich die Lage beruhigen.
Heute ist das anders. Wir leben ab jetzt im Phobozän, dem Zeitalter der neuen Ängste, die jedoch aus alten verdrängten Ängsten genährt werden. Es ist, als ob wir C. G. Jungs Postulat von der Externalisierung unserer kollektiven Ängste wie zur Zeit des Kalten Kriegs heute live am Fernsehen und im Internet in Gestalt des UFO-Phänomens verfolgen und überprüfen können. Das UFO-Phänomen ist Zeichen der Hoffnung und der Zukunftsangst. Am 24. Februar 2022 befahl der russische Präsident Wladimir Putin seinen Truppen, die Ukraine anzugreifen. Weil sich die ukrainische Armee standhaft gegen die russischen Invasoren wehrte, der Westen Waffen lieferte und einschneidende Wirtschaftssanktionen verhängte, kündigte Präsident Putin am 27. Februar 2022 an, die »Abschreckungsstreitkräfte« in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen. Zu diesen Abschreckungskräften gehören auch Nuklearwaffen. »Die Aussicht eines Nuklearkriegs, damals undenkbar, ist heute nun in den Bereich des Möglichen gerückt«, sagte der UN-Generalsekretär António Guterres am 14. März 2022 über die neue atomare Gefahr. Es sei eine »erschreckende Entwicklung«.675
Die Angst ist sehr begründet. Russland verfügt inzwischen über mehr Nuklearsprengköpfe als die USA. Ende 2019 waren 82 Prozent der russischen Nuklearwaffen modernisiert. Einer Analyse des Nuklearwaffenexperten Hans M. Kristensen des Nuclear Information Project zufolge besaß Russland im Jahr 2020 6.370 Nuklearsprengköpfe.676 Genug, um die gesamte Menschheit einige Dutzend Mal auszulöschen. Seiner neuen nuklearen Strategie zufolge könnte Russland auch mit Nuklearwaffen reagieren, falls feindliche Armeen das Land auch nur mit konventionellen Waffen angreifen.677
Auch China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea zusammen besitzen mehrere hundert Atomwaffen, Tendenz steigend. Die USA verfügen selbst nach der Abrüstung immerhin noch über 3.750 Nuklearsprengköpfe.678 Auch die US-Streitkräfte modernisieren ihre Nuklearwaffen. So lagern im Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel mindestens 20 amerikanische Wasserstoffbomben vom Typ B-61 3/4. Jede von ihnen kann auf die dreizehnfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe eingestellt werden (260 Kilotonnen).679 Berechnungen von Greenpeace zufolge würden bei einem Einschlag einer 170 Kilotonnen-Bombe in Büchel etwa 40.000 Menschen unmittelbar sterben. Bis Düsseldorf hinauf – eine Strecke von 153 Kilometern – würden bei Südwind weitere zehntausend Menschen sehr schnell an einer tödlichen Strahlendosis sterben. Insgesamt würden durch einen Treffer und den anschließenden radioaktiven Fallout in den ersten Tagen nach der Zündung über 170.000 Menschen ihr Leben lassen.680 Eine 20-Kilotonnen-Bombe, die am Reichstag in Berlin – dem Primärziel in Deutschland – detoniert, hätte ebenso schreckliche Folgen: 25.000 Menschen würden sofort verbrennen. 120.000 Menschen würden sehr schnell durch die Fallout-Strahlung zugrunde gehen. Weitere 50.000 Menschen würden Jahre später durch die Strahlung tödliche Krebserkrankungen entwickeln und sterben.681
Der Ernstfall kann jetzt, Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer, jeden Tag eintreten. Der Kalte Krieg war im Vergleich zur Gegenwart sicher durch das nukleare Patt und die stille Übereinkunft, dass niemand einen Nuklearkrieg gewinnen kann. Doch die Situation ist unberechenbar geworden. Präsident Joe Biden reagierte auf Präsident Putins Ankündigung vom 27. Februar 2022 – indem er nicht reagierte. Denn eine Erhöhung der Alarmbereitschaft amerikanischer Nuklearstreitkräfte, etwa auf Defcon 3, hätte zur Folge, dass Russland erneut reagieren müsste. Missverständnisse auf beiden Seiten könnten zum Ende der irdischen Zivilisation führen, wie wir sie kennen: Ein Erstschlag führt zum sofortigen Gegenschlag.
Als der Krieg in der Ukraine voranschritt und viele zehntausende Menschen durch den russischen Beschuss und die Bombardierungen starben, veröffentlichten die ukrainischen Astronomen Boris Zhilyaev, Vladymyr Petukhov und V. M. Reshetnyk vom Hauptobservatorium in Kiew vorab einen Aufsatz über UAP-Beobachtungen, die sie mit automatischen Kamerasystemen angefertigt hatten. Demnach würden sie über der Ukraine unbekannte Luftphänomene sichten, die drei bis zwölf Meter groß seien und teilweise in Formation mit Geschwindigkeiten bis zu 15 Kilometern pro Sekunde flögen.682 »Wir sehen sie überall. Wir beobachten eine bedeutende Anzahl an Objekten, dessen Herkunft wir nicht erklären können«, so die Astronomen. Sollten es außerirdische Sonden sein, die den Krieg in der Ukraine verfolgten, was unwahrscheinlich ist, so griffen sie nicht in die Kampfhandlungen ein. Avi Loeb widersprach den Astronomen: Sie hätten falsche Entfernungen und daher Geschwindigkeiten zugrunde gelegt.683
Doch machen wir uns nichts vor: Außerirdische Besucher würden einen Dritten Weltkrieg nicht verhindern. Wenn die Zeit des roten Knopfes kommt, wäre es vorbei. Tatsächlich scheint es den Außerirdischen, wenn sie hier sein sollten, erstaunlich gleichgültig zu sein, ob wir uns gegenseitig in die Luft jagen. Im Falle eines Nuklearkriegs würden sich die außerirdischen Beobachter, die möglicherweise seit Jahrtausenden hier sind, zum nächsten erdähnlichen Planeten aufmachen. Sie würden auch dort Jahrtausende lang warten und beobachten, ob diese außerirdische Zivilisation Nuklearwaffen und Raumfahrt entwickelt, sich ins Weltall ausdehnt und andere Spezies bedroht. Maschinen und künstliche Intelligenzen haben Zeit.
Ja, machen wir uns nichts vor: Warum verhinderten die Außerirdischen nicht Auschwitz, Treblinka, Hiroshima oder Nagasaki? Die Geschichte zeigt zumindest, dass Außerirdische, falls sie hier sind, nicht in unser Gemetzel einschreiten. Vielmehr spricht die Sachlage eher dafür, dass sie mit kalten Maschinenaugen beobachten könnten, wie wir uns in Kriegen gegenseitig abschlachten. Wir können noch so sehr wollen, dass UFOs außerirdische Vehikel sind. Uns retten würden sie nicht, denn bisher haben sie das nie getan. Vielleicht, weil sie eben nicht außerirdisch sind, vielleicht weil sie völlig undurchsichtige Absichten haben und mit uns nicht kommunizieren wollen – so wie wir nicht mit Amöben kommunizieren.
Selbst im 21. Jahrhundert erweisen wir uns nicht als würdig, in einen möglichen »galaktischen Club«, wie ihn der Radioastronom Ronald Bracewell skizzierte, aufgenommen zu werden. Der galaktische Club könnte andere Moralvorstellungen als wir haben, könnte streng hierarchisch organisiert sein, zumindest aber auf der Voraussetzung der Gewaltfreiheit und der Kooperation funktionieren. Diese Vorrausetzungen würden ein striktes Einhalten der Regeln erfordern.684 Die Erhaltung des galaktischen Netzwerks müsste zur Not auch mit Gewalt verteidigt werden. Es klingt alles andere als absurd, dass ein galaktisches Netzwerk uns als zukünftige Gefahr betrachten könnte.
Die UFOs, die Menschen gelegentlich sehen, könnten ein vollautomatisches Überwachungs- und Meldesystem eines galaktischen Netzwerks sein. In diesem Sinne wäre auch eine planetarische Verteidigung der Erde gegen außerirdische Gegner wichtig.685 Vorausgesetzt, wir überwinden unsere Neigung zur gegenseitigen Zerstörung. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass ein Erstkontakt friedlich abläuft.686 Vielmehr müssen wir uns auch völkerrechtlich, militärisch-strategisch und gesellschaftlich wappnen für den Tag X.
Die kosmische Krise wäre jedoch nicht nur ein vielleicht bald bevorstehender direkter Kontakt mit Außerirdischen. Ein daraus resultierender Kulturschock wäre angesichts unserer Dummheit vielleicht sogar heilsam. Die eigentliche kosmische Krise ist die Erkenntnis, dass sich das Weltall nicht im Geringsten dafür interessiert, ob wir untergehen. Die Erde zieht nach einem Nuklearkrieg weiter ihre Bahn um die Sonne. Nach Jahrtausenden wird die Tier- und Pflanzenwelt wieder aufblühen. »Und das ist das Gruselige an diesem Schweigen: Vielleicht erreichen alle intelligenten Lebewesen dieses Stadium der Gewalt und des technologischen Fortschritts – und kommen nicht darüber hinaus«, sagte der Schriftsteller Stephen King über das große Schweigen des Universums nach all den vergeblichen Bemühungen, Radiosignale von außerirdischen Zivilisationen zu empfangen: »Sie löschen sich selbst aus. Sie fahren gegen die Wand – und das war’s.«687
Fährt die Menschheit auch gegen die Wand, wie Stephen King es befürchtet? Falls die letzten Überlebenden des nuklearen Holocaust über das Antlitz der Erde stolpern und neidisch die Nagetierspezies der Nacktmulle bewundert, die sich erstaunlich resistent gegen Krebs und Radioaktivität zeigt, funkeln die Sterne weiter jenseits der verdunkelten Erdatmosphäre, aus der ein radioaktiver Ascheregen fällt. »Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg geführt werden wird, aber der Vierte Weltkrieg wird mit Stöcken und Steinen geführt werden«, sagte Albert Einstein.688 Obwohl der Mensch in der Lage ist, wunderbare kulturelle Werke zu erschaffen, wird er immer wieder rückfällig durch Gewalt, nationale Kleingeistigkeit und religiösen Fanatismus, aus denen Kriege hervorgehen. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Wenn es ein Gesetz im Universum zu geben scheint, dann ist das die Gefahr, dass sich Zivilisationen durch territoriale Spielchen und Machtgelüste selbst vernichten. Es könnte sich herausstellen, dass »L«, für die Lebensdauer einer Zivilisation, der wichtigste Faktor in der Drake-Gleichung ist. Die große Stille im Universum könnte somit im Sinne Stephen Kings Befürchtung erklärt werden.
Der Schock eines direkten Kontakts mit Außerirdischen wäre möglicherweise die letzte Chance, die Kleingeistigkeit in unseren Gehirnen zu sprengen und alle Feindseligkeiten endgültig ruhen zu lassen – so dramatisch die Auswirkungen auch wären. US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow diskutierten 1985 bei einem Spaziergang in Genf, ob sie im Falle einer außerirdischen Invasion zusammenarbeiten würden. Das Resultat waren Abrüstungsinitiativen.689 Dem Bulletin of the Atomic Scientists zufolge steht die Weltuntergangsuhr jedoch auf 100 Sekunden vor Mitternacht.690
Es ist so eng wie nie zuvor. Carl Sagan forderte, dass die Menschheit den Kontakt mit Außerirdischen herstellt, bevor wir uns durch einen Nuklearkrieg selbst vernichten.691 Sagan glaubte, dass uns ein Kontakt mit Außerirdischen zeigen würde, wie sie ihren Dritten – vielleicht ebenso nuklearen – Weltkrieg verhindern konnten.692 Angesichts der geschilderten Kommunikationsprobleme ist das äußerst unwahrscheinlich. Die Kommunikation bestünde in der Bewältigung der kosmischen Krise, die uns Außerirdische allein durch ihre bloße Anwesenheit bescheren würden. Es wäre eine Kommunikation, die sich an uns selbst richtet. Die Botschaft ist eindeutig: Wir sollten nicht auf den Kontakt mit Außerirdischen vertrauen, damit wir uns und unseren Planeten retten.