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Langsam, genau wie vorgesehen, erwacht er aus dem Koma. Dabei hilft, dass er an die vielen Apparate und Geräte angeschlossen ist; es bedeutet, dass ich ihn beim Aufwachen überwachen kann, wenn die Gifte aus seinem Blut herausgefiltert werden. Ich stelle mir vor, dass er im Moment rasende Kopfschmerzen hat, doch das ist ein geringer Preis, den er für das bezahlen muss, was ihn auf der anderen Seite erwartet.
»Was … was … wo?« Die Frage ist kaum mehr als ein Flüstern und wird fast völlig vom Summen der Life-Support-Systeme übertönt. Ich stehle mich aus seinem Gesichtskreis und beobachte, wie er mit der Situation umgeht. Die Augenmuskeln zucken, aber er öffnet die Augen nicht sofort. Als wären die Augenlider verklebt, die Augäpfel dahinter trocken. Seine Haut ist von Schweiß überzogen, an den Schläfen bilden sich winzige Schweißperlen und glätten das dünne Haar.
»Ist … ist hier jemand?« Jetzt versucht er, den Kopf zu bewegen. Das kann er natürlich nicht. Das Bett ist für Epileptiker konstruiert, die Fesseln sind weich, aber sehr fest. Die Arme und Beine sind ebenfalls festgeschnallt. In rund einer Minute wird ihm bewusst werden, wie hilflos er ist. So wie es sich gehört, wenn er vor seinen Schöpfer tritt.
»Du bist gesegnet, Jim. Du besitzt eine Sicherheit, die nur wenige haben.«
Ich sehe förmlich, wie seine Ohren zucken, während er versucht, meine Stimme einzuordnen. Jetzt schlägt er die Augen auf, aber er kann nur die Decke hoch über ihm sehen.
»Ben? Sind Sie es?«
»Ben ist vor dir gegangen.« Ich streichle ihm mit dem Fingerrücken über die Wange. »Ben ist schon im Himmel.«
»Was geht hier vor? Wo bin ich? Warum kann ich mich nicht bewegen?« Seine Stimme klingt kräftiger, noch während seine Panik ansteigt. Das verraten mir die Apparate, aber ich kann ihn auch ohne sie lesen. So, wie ich die Bereitschaft seiner Seele lesen kann, frei vom Makel des Lebens.
»Ich beneide dich. Das ist mein Untergang, verstehst du? Du hast den Zustand der Gnade gefunden, den ich hoffe zu erreichen. Ich kann nur beten, dass ich beurteilt werde, wenn meine Zeit gekommen ist. Er wird diese meiner Taten mit Wohlwollen betrachten.«
»Ich … ich verstehe nicht. Was wollen Sie …«
»Schschsch.« Ich lege meine Finger auf seine Lippen, bringe ihn damit zum Schweigen. Sein Blick heftet sich auf mein Gesicht, und ich spüre das Zittern, das ihn durchläuft, rieche die Angst, die von ihm aufsteigt. Gott ist nah, bereit, diese vollkommene Seele an seine Brust zu drücken. Aber es darf kein schnelles, gewaltsames Ende sein. Nicht so wie bei dem Journalisten. Fast von dem Augenblick an, da er die Vergöttlichung erreicht hatte, spürte ich, dass er in sündige Zweifel zurückfiel. Sein Ende musste schnell gehen, sonst hätte ich den Verlust dieser so vollkommenen Beute riskiert. Das wusste ich vom Moment unserer ersten Begegnung, fand es bestätigt in den Wochen, als ich seine Obsession nährte und ihm das geheime Wissen nahebrachte, nach dem es ihn so sehr verlangte.
Bei dem hier ist es anders. Er hat Angst, verliert aber nicht die Hoffnung. Ich kann es an ihm schmecken, an seiner Aura ablesen. Der hier hat seinen Glauben in die Medizin, die Wissenschaft, die Technik gesetzt. Da ist es nur angemessen, dass seine geliebten Apparate seine Erlösung beschleunigen.
»Geh jetzt, Jim. Tue deine großen Werke. Heile die Kranken, so wie unser Herr Jesus Christus sie geheilt hat.«
Er ist bereit, ist jetzt schon seit Stunden bereit. Dennoch: Ich möchte das hier genießen, die Anwesenheit des Herrn fühlen, wenn er kommt, um diese Seele zu holen. Ich strecke die Hand nach dem Apparat aus, kippe den Schalter. Die Motoren surren, die Zeremonie beginnt.
»Was passiert hier? Was tun Sie da? Ben?«
»Keine Angst. Es ist gleich vorbei.« Vorsichtig bewege ich mich zwischen dem Gewirr von Schläuchen, während die kostbare Flüssigkeit langsam aus ihm herausfließt. Die Litanei ist stumm, die Worte strömen mir durch den Kopf, während ich mich auf den Hocker neben der Tür setze und zuschaue.