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Die Nachtluft war warm und schwül, als McLean aus dem Wagen stieg und nach hinten griff, um die Tüte mit dem Takeaway-Curry herauszuholen, das er sich auf dem Nachhauseweg geholt hatte. Nach der langen Fahrt nach Inverness und zurück taten ihm die Knochen weh; ein vergeudeter Tag. Erst als er vor der Haustür stand und sah, dass in der Küche Licht brannte, fiel ihm sein Hausgast ein. Na ja, das Rogan Josh müsste für zwei reichen.
Er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Madame Rose, eine Schürze umgebunden, lehnte mit dem Rücken am Aga-Herd. Allein am Geruch war zu erkennen, dass sie gekocht hatte.
»Sie müssen mich nicht füttern, wissen Sie«, sagte er zur Begrüßung. Das Medium wies nur mit einem Nicken auf die Tragetüte.
»Das sehe ich. Sie sind der Koch, wie es scheint.«
McLean stellte seine Tüte mit dem Essen auf den Tisch und ging zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen. Es dauerte eine Weile, die Flasche zu finden, die sich hinter Beuteln mit Gemüse und anderen unvertrauten Lebensmitteln versteckte. Er war ziemlich sicher, dass der Kühlschrank nicht voll gewesen war, als er das letzte Mal einen Blick hineingeworfen hatte.
»Sie haben eingekauft.«
»Ah, die scharfe Beobachtungsgabe eines Detective Inspector.« Madame Rose zog eine große Pfanne aus dem Ofen und stellte sie auf die Warmhalteplatte. Dampf waberte an ihrem Kopf vorbei, während sie den Deckel abnahm und ihn unter lautem Geklapper und einem »Mist!« losließ, als ihr bewusst wurde, dass der Griff extrem heiß war. McLean verkniff sich ein Lächeln, aber offenbar nicht dezent genug.
»Das ist gar nicht lustig.« Sie blies sich auf die Hand und wedelte damit vor dem Mund herum. »Ich hätte mich verbrennen können.«
»Entschuldigung.« Er holte ein Glas aus dem Küchenschrank, schenkte sich das Bier ein, trank einen großen Schluck. »Aber im Ernst, Sie müssen sich nicht so viel Mühe machen. Ich bin es gewohnt, allein für mich zu sorgen.«
Madame Rose zog einen Teller aus dem Minibackofen, löffelte etwas, das wie Stew aussah, darauf, dann trug sie eine Baked Potato mit bloßer Hand zum Tisch.
»Ist doch das Mindeste, was ich tun kann.« Sie legte die Kartoffel auf den Teller und schob das Ganze dorthin, wo ein Platz gedeckt war. Butterfässchen, Salz und Pfeffer standen schon bereit.
»Na ja, danke.« McLean setzte sich und betrachtete die etwas gehaltvollere Mahlzeit als das Curry, von dem er geglaubt hatte, es könnte für zwei Abende und vielleicht auch noch zum Frühstück reichen – so er denn Zeit zum Frühstücken hätte. »Das sieht … interessant aus.«
»Das Rezept habe ich von meinen Reisen in Nordafrika. Hammeleintopf. Die Berber hätten ihn natürlich mit Couscous serviert, aber so etwas war in Ihren Schränken nicht zu finden.« Madame Rose sah ihn auf eine Art und Weise an, die nahelegte, dass es sich um den unverzeihlichsten seiner zahlreichen Fehler handelte. Als er ihren Blick erwiderte, erkannte McLean, dass sie wieder ganz die Alte war. Makelloser Auftritt, selbst mit Schürze. Die dunklen Bartstoppeln und Ringe unter den Augen waren verschwunden, die Haare zwar immer noch grau, aber frisch gewaschen und schön frisiert. Und sie hielt sich gerade, nicht mehr gebeugt unter irgendeinem Riesengewicht, so wie unmittelbar nach dem Brand. Ihr Glück hatte sich offenkundig zum Besseren gewendet; hoffentlich würde er das Gleiche auch von sich sagen können.
Er spießte ein Stück Fleisch auf, strich etwas von der dicken Sauce darüber und steckte sich das Ganze in den Mund. Ein volles Aroma mit Spuren von irgendetwas Blumigem. Dann biss er in das Fleisch und schmeckte etwas, das ihn in die Kindheit zurückversetzte.
»Wo haben Sie das Hammelfleisch gekauft?«
Madame Rose machte ein besorgtes Gesicht. »Schmeckt’s Ihnen nicht?«
»Doch, und zwar viel besser, als ich dachte. Jedenfalls sehr viel besser, als ich es aus meiner Schulzeit erinnere. Ich hoffe nur, dass es sich nicht um das Halsstück eines zahnlosen alten Hammels handelt.«
»Heutzutage verlangen alle nach Lammfleisch, aber ein gutes Stück Hammel hat viel mehr Geschmack.« Madame Rose zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und nahm McLean gegenüber Platz. Wieder steckte sich McLean eine Gabel voll in den Mund.
»Essen Sie nichts?«, fragte er, vielleicht etwas zu rasch, sodass es fast unhöflich wirkte.
»Ich esse lieber um sechs zu Abend.« Madame Rose schaute hinauf zur Küchenuhr; McLean folgte ihrem Blick. Es war schon weit nach zehn, auch wenn es draußen noch nicht ganz dunkel war.
»Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal um sechs zu Abend gegessen habe. Wahrscheinlich während der Schulzeit.« McLean schnitt die Kartoffel auf und gab ein großzügiges Stück Butter darauf. Er konnte sich daran gewöhnen, bekocht zu werden. Dann aber fiel ihm ein, dass er ja tatsächlich bekocht wurde: vom Koch des jeweiligen Takeaways, aus dem er abends sein Essen mit nach Haus nahm.
»Haben Sie schon etwas von den Leuten vom Bau gehört?«, fragte er.
»Das geht dort zu wie im Kindergarten.« Madame Roses Blick verfinsterte sich. »Die Ingenieure gehen erst, wenn die Vorderfassade stabilisiert ist, die Gerüstbauer rühren erst den Finger, wenn sie wissen, wer sie bezahlt, und ich kann erst nach Hause, wenn die anderen beiden Gebäude gesichert sind. Das Ganze dreht sich im Kreis. Dabei ist mein Haus sicher.«
»Ich werde Sie übrigens nicht fragen, wie Sie das gemacht haben.«
»Was gemacht?« Madame Roses Gesicht war eine Maske vorgetäuschter Unschuld. Vielleicht lag das aber auch nur an der dicken Grundierung.
McLean schüttelte den Kopf, nahm noch eine Gabel voll Stew. »Nun, Sie können gern hierbleiben, bis alles geregelt ist. Nicht dass ich oft hier bin.«
»Vielen Dank, Tony. Nicht jeder wäre so freundlich. Ganz im Gegenteil.«
»Was diese Sache angeht, die Hasskampagne – haben Sie noch immer keine Idee, wer dahintersteckt?«
Madame Rose schwieg vielleicht ein bisschen länger, als klug war, wenn man einem Polizisten antworten sollte. Ihre Miene verriet, dass sie die Frage zweischneidig fand. Das war sie jedoch nicht, jedenfalls nicht, als er sie gestellt hatte. Aber McLean fiel ein, dass Madame Rose durch dieses kurze Zögern auch bei früheren Gesprächen stets die Kontrolle über die Situation gewinnen wollte. Auf diese Weise vermittelte sie den Eindruck, über geheimes Wissen, möglicherweise sogar Macht zu verfügen. Das gehörte zu ihrer Selbstinszenierung, natürlich, aber es war nicht völlig auszuschließen, dass vielleicht mehr dahintersteckte.
»Die Sache hat mich sehr verwirrt«, antwortete sie schließlich. »Und allein das bereitet mir Kummer.«
»Warum?«
»Darf ich ganz offen mit Ihnen sprechen, Tony?«
McLean zögerte, eine weitere Gabel voll Essen auf halbem Weg zum Mund. »Haben Sie das nicht immer?«
Worauf Madame Rose eine Schmollmiene zog, die ziemlich lächerlich wirkte. »Es sind Kräfte am Werk in der Welt, die die meisten Menschen nicht zu akzeptieren bereit sind.« Sie hielt inne.
»Reden Sie weiter.«
»Meistens geht das in Ordnung. Die Dinge, von denen ich spreche, wirken sich nur selten auf den Alltag der Durchschnittsbürger aus. Es schert sie nicht, wenn man ihnen nicht glaubt. Aber einige von uns reagieren sensibler auf diese Dinge. Manche von uns fühlen sich zu diesen Dingen hingezogen, und manche von uns haben die Pflicht zu vermitteln. Wir halten alles in der Balance.«
McLean kaute und schluckte; wieder verfiel Madame Rose in Schweigen. Zum einen rechnete McLean schon seit einiger Zeit mit diesem Gespräch. Andererseits hatte er sich gefragt, wie er wohl darauf reagieren würde. Vor ein paar Jahren hätte er noch gespottet, hätte dem Medium gesagt, es solle aufhören, ihm mit diesen Gespenstergeschichten Angst einzujagen. Jetzt war er einigen dieser Gespenster begegnet – als Leichen unter weißen Laken.
»Sie sind skeptisch, und das kann ich gut verstehen. Ihre Großmutter hat sie dazu erzogen, alles infrage zu stellen. Hören Sie meinetwegen nicht damit auf. Bedenken Sie nur, dass die Antworten auf diese Fragen nicht unbedingt immer mit Ihrer geliebten Wissenschaft konform gehen. Es gibt in der Welt viel mehr als das.«
»Und was Ihnen passiert ist, die Angriffe, der Brand, das ist alles Teil irgendeiner …« McLean suchte nach einem Wort, das nicht albern klang. Vergebens.
»Nennen Sie es einen Griff nach der Macht, wenn das hilft. Und zwar einen sehr subtilen, denn sonst hätte ich ihn meilenweit gerochen.« Madame Rose betrachtete ihre dicken Finger, als suchte sie ebenfalls nach den richtigen Worten. »Sie und ich … wir versuchen, ein Gleichgewicht zu wahren. Jeder auf seine Weise. Aber da draußen gibt es andere Menschen. Leute, die das zu ihrem Vorteil nutzen wollen. Ich glaube, so jemand steckt hinter dem, was passiert ist.«
»Hat er auch einen Namen? Ich könnte ihn zur Befragung aufs Revier einbestellen. Sollte es irgendeinen Hinweis auf eine Verbindung zu dem Brand …«
»Ah, Tony … immer der Weiße Ritter.« Madame Rose lehnte sich zurück und schlug sich mit der Hand auf die üppige Brust. »Es wird keine Beweise geben. Jedenfalls nicht solche, die Ihre Kriminaltechniker imstande wären zu identifizieren. Aber das spielt keine Rolle. Ich bin nicht ohne eigene Ressourcen, und die nutze ich für dieses Problem. Ich habe nur etwas Zeit und einen Zufluchtsort gebraucht, um mich vom ersten Hinterhalt zu erholen. Dieses Haus und Ihre Großzügigkeit haben mich erneuert, mir den Raum gegeben, um meine Truppen in Stellung zu bringen. Die Schlacht hat bereits begonnen, und mein Feind ist auf der Flucht.«
McLean blickte auf den Teller mit dem Hammeleintopf, halb aufgegessen und immer noch köstlich, und doch war ihm der Appetit vergangen. »Klingt eher so, als würden Sie Selbstjustiz üben. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll – jedenfalls davon, dass ich benutzt werden soll, Ihnen dabei zu helfen.«
Madame Rose seufzte laut und theatralisch. »Schade, dass Sie so darüber denken. Ich sehe das nämlich ganz anders, und es würde mir nicht im Traum einfallen, Ihre Gastfreundschaft zu missbrauchen. Unser Gesetz ist älter, ein älteres Gesetz als dasjenige, das Sie als Polizist vertreten, aber ich respektiere die Regeln der Gesellschaft. Ich habe nicht vor, in Kürze ins Kittchen zu wandern.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?« McLean legte Messer und Gabel neben den Teller und griff nach dem Bier in der Hoffnung, dass es den sauren Geschmack vertreiben würde, den er plötzlich im Mund spürte.
»Weil es nur fair ist, dass Sie es wissen. Weil bald Dinge geschehen werden, die keinen Sinn zu ergeben scheinen. Möglicherweise haben diese Dinge schon begonnen. Ich spüre eine Verschiebung der Ströme. Das Blatt wendet sich wieder zu unseren Gunsten.«
McLean sah dem Medium in die Augen. Völlig beherrscht, umgab sich Madame Rose mit der Aura einer geheimnisvollen Andersheit. Alles in allem war ihm die ältere, verletzlichere Version sehr viel lieber.