65

Allmählich gehen mir die Fotos hier echt auf die Nerven. Kriegen die das wirklich nicht besser hin?«

McLean hielt einen Farbausdruck des Mannes hoch, den Keith, der Spieler, glaubte, im Royal Infirmary gesehen zu haben. Weiß, männlich, schwarze Haare, durchdringender Blick. Es hätte jeder sein können. Ein halbes Dutzend Leute, die im Gewerbegebiet in Sighthill arbeiteten, hatte behauptet, jemanden gesehen zu haben, der ins Gebäude, in dem sie Whitelys Leiche gefunden hatten, hinein- und wieder herausgegangen war, zudem hatte jeder ein Phantombild erstellt. Außer dem des Wettbüromanagers verfügte man jetzt über acht Fotos. Das ergab acht Variationen desselben Grundthemas.

»Das passiert manchmal. Es laufen da draußen Leute mit schlichtweg durchschnittlichem Gesicht herum. Ohne herausragende Merkmale. Und wenn jemand ganz bewusst versucht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen …« DC MacBride näherte sich aus der gegenüberliegenden Ecke des Einsatzraums. McLean fiel auf, dass die Haare dem Constable ziemlich weit in die Stirn hingen, ähnlich wie bei manchen Mitgliedern der New-Romantic-Bands aus den frühen Achtzigern. Angesichts der Tatsache, dass MacBride noch nicht auf der Welt war, als die meisten dieser Bands sich auflösten, war es wahrscheinlicher, dass er noch immer wegen seiner Narbe gehänselt wurde.

»Glauben Sie nicht, dass wir etwas dagegen unternehmen können?«

»Wir könnten alle Phantombilder übereinanderlegen. Mal sehen, ob irgendetwas dabei herauskommt. Aber das setzt voraus, dass sie alle dieselbe Person zeigen. Wenn nicht, haben wir das Bild von niemandem.«

»Im Moment existieren mehr als ein halbes Dutzend Bilder von niemandem. Da könnte man es doch versuchen, oder?« McLean fiel auf, dass der Constable ein wenig die Schultern hängen ließ beim Gedanken an eine weitere Aufgabe. »Oder soll ich jemand vom Verwaltungspersonal damit beauftragen?«

»Nein, ich erledige das selber, Sir. Geht schneller so.« MacBride bemühte sich erst gar nicht, das Seufzen in seiner Stimme zu verbergen.

»Früher oder später werden Sie lernen müssen, Arbeiten zu delegieren, wenn Sie Sergeant werden wollen.«

MacBride gab keine Antwort, aber er machte auch nicht den Versuch zu gehen. Er erinnerte McLean an einen verlegenen Teenager, der nicht wusste, wie er gegenüber einem Erwachsenen ein heikles Thema ansprechen sollte.

»Alles in Ordnung mit Ihnen, Constable?«

MacBride grinste. »Das hängt davon ab, was Sie mit ›in Ordnung‹ meinen, Sir. Die Sache ist die: Man hat mir einen Job angeboten, das heißt außerhalb der Polizei. Das Gehalt ist viermal höher als hier, mit zwar langen, aber ziemlich vorhersehbaren Arbeitszeiten.«

»Warum sind Sie dann immer noch hier?«

»Das Gleiche könnte ich Sie fragen. Und ich bin auch nicht zur Polizei gegangen, weil ich reich werden will. Außerdem hatte ich nie Lust auf einen Neun-bis-fünf-Schreibtischjob. Es ist nur …«

»Je länger Sie sich in diesem Irrenhaus herumtreiben, desto schöner kommt es Ihnen darin vor.«

»Ja, so etwas in der Art. Dieser Scherz macht mich langsam krank. Immer der gleiche Spruch. Immer und immer wieder, als ob er durch Wiederholung lustiger wird.«

»Ich hab schon mit Duguid darüber gesprochen – wenn es denn etwas nützt. Ich schau mal, was ich noch tun kann, aber ehrlich, Stuart, das hier ist kein Job für Idealisten. Glauben Sie mir.«

»Danke. Ich hab mir schon gedacht, dass Sie das sagen würden. Das Problem ist nur, dass man Ihnen nicht wirklich zuhört, stimmt’s, Sir?«

»Nicht die ganze Zeit, nein. Und ich nehme auch nicht an, dass Brooks mir besser zuhört als Duguid. Aber McIntyre ist eine völlig andere Sache.«

MacBride hob ungläubig eine Augenbraue – die unter den Stirnfransen fast nicht zu erkennen war. »Meinen Sie? Nach allem, was sie getan hat?«

»Soweit ich weiß, ist es nicht strafbar, den untreuen Ehemann wegen einer Frau zu verlassen.«

»Nicht nur irgendeiner Frau. Und sie hat diesem Reporter die Nase gebrochen.«

McLean verkniff sich ein Lächeln. »Glauben Sie, es gibt hier auch nur einen, der das nicht auch gern getan hätte? Man hat sie lediglich mit allen möglichen Anschuldigungen überhäuft, weil er sie angezeigt hat. Der Richter hat geurteilt, dass kein strafbares Verhalten vorliegt, und nun ist Jayne wieder Detective Inspector. Und leitet zudem einen wichtigen Fall. Unterschätzen Sie sie nicht. Brooks tut das bestimmt nicht.«

MacBride schwieg eine Zeit lang, dann wanderte sein Blick mitten durch den Raum, dorthin, wo die wieder eingestellte McIntyre Hof hielt, umgeben von einer Gruppe von Detective Constables und Sergeants. Wahrscheinlich dieselben Detective Constables und Sergeants, die es so amüsant fanden, auf die Ähnlichkeiten zwischen seiner Narbe und der eines berühmten fiktiven Zauberers hinzuweisen. Eine Art Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

»Ich werde das Phantombild hier durch das Programm laufen lassen, Sir«, sagte er.

»Tun Sie das«, erwiderte McLean. »Und denken Sie daran: Sergeants dürfen Constables Anweisungen erteilen.«

»Lagebericht, meine Herren. Meine Dame. Wo, zum Henker, stehen wir in diesen ganzen Ermittlungen?«

Nachmittag, Vorbesprechung, und McLean befand sich in der ungewöhnlichen Lage, in Duguids Büro Platz nehmen zu dürfen. Duguid saß am Kopfende des Konferenztisches, der das eine Ende des Raums einnahm. Neben ihm bildeten DCI Brooks und DI Spence ihr eigenes kleines Grüppchen. Zwischen diesen drei und ihm bestand eine deutliche Kluft. Jayne McIntyre saß ihm direkt gegenüber und ließ den Blick durch den Raum schweifen, der vor gar nicht allzu langer Zeit ihrer gewesen war. Schließlich sah sie McLean an, hob müde und ergeben die Brauen und ergriff schließlich das Wort.

»Die Kriminaltechniker dürften schon eine Weile am Tatort sein, aber die ersten Hinweise legen nahe, dass er gründlich gereinigt worden ist. Wer immer das zu verantworten hat, weiß, wie wir einen Tatort untersuchen und was ein Ausgangspunkt für unsere Untersuchungen sein könnte – auch diese Information dürfte bereits im Internet verfügbar sein.«

»Es ist aber trotzdem eine Spur, die man weiterverfolgen sollte, meine ich.« DI Spences Haut spannte sich über den markanten Wangenknochen, der Adamsapfel bewegte sich nervös auf und ab. Er hatte gar nicht gut auf die Rückkehr seiner alten Chefin reagiert.

»Aber natürlich, Michael. Machen Sie sich keine Gedanken deswegen. Wir werden das Ganze äußerst gewissenhaft verfolgen. Aber es gibt andere Vorgehensweisen, die sich bis dahin als produktiver erweisen könnten.«

»Zum Beispiel?«, fragte DCI Brooks.

»In dem Lagerhaus befindet sich jede Menge schweres Gerät. Das muss von irgendwoher gekommen und von irgendjemandem dorthin gebracht worden sein. Nehmen wir einmal an, wir suchen nach einem Einzeltäter, dann hätte er bei den meisten größeren Geräten Hilfe benötigt.«

»Finden Sie die Quelle, spüren Sie die Person auf, die die Maschinen angeliefert hat, wer sie bestellt hat, und dergleichen.«

»Genau. Grumpy Bob hat im Gewerbegebiet eine Tür-zu-Tür-Befragung koordiniert. Wir verfügen bereits über ein paar Fahndungsfotos von jemandem, der sich da herumgetrieben hat. Wir haben uns die Bilder der Überwachungskameras angesehen, um festzustellen, ob wir auf diese Weise etwas herausfinden können. Außerdem sind zwei Constables damit beschäftigt, die Herstellernamen, Modelle und Seriennummern zusammenzustellen, und mehrere Teams besuchen die Krankenhäuser und Universitäten, um zu eruieren, ob dort Geräte verschwunden sind.«

Duguid nickte zustimmend. In einem so frühen Stadium der Ermittlung konnte man nicht mehr tun.

»MacBride führt ein paar Untersuchungen durch, was die Phantombilder angeht. Auch derjenigen, die wir zum Fall Stevenson haben«, warf McLean ein. »Ist zwar reine Spekulation, aber es könnte etwas dabei herauskommen.«

»Glauben Sie immer noch, dass die Fälle in Zusammenhang stehen?«, fragte DCI Brooks.

»Glauben Sie immer noch, dass sie es nicht sind?«

»Meine Herren, wir wollen uns bitte nicht aufregen.« Duguid beugte sich vor, legte die langen Finger aneinander und schob sie sich unters Kinn. »Es könnte allerdings nicht schaden, die möglichen Verbindungen zu recherchieren. Wir haben in beiden Fällen weiß Gott nichts auch nur entfernt Brauchbares, wie etwa ein Thema.« Er drehte sich zu DI Spence um. »Wie sieht’s im Fall der Krankenschwester aus?«

»Wir konnten ihre letzten beiden Freunde aufspüren, aber die haben solide Alibis. Auch kein Motiv, streng genommen. Die aktuelle Hypothese lautet, dass die Frau am Abend, an dem sie ermordet wurde, ihrem Mörder begegnet ist. Vermutlich ein One-Night-Stand, der schiefgelaufen ist. Am Ort, an dem sie entsorgt wurde, haben die Kriminaltechniker nichts Nützliches gefunden, aber dort ist sie auch nicht umgebracht worden. Wir suchen noch den Tatort – und ihre Kleidung.«

Duguid schwieg, aber seine Miene war so leicht zu lesen wie die Titelseite eines Boulevardblatts. Spence hatte vor einer Woche den Fall übernommen – und exakt null Fortschritte erzielt. Fast tat er McLean leid. Es war ja nicht so, dass an diesem Fall irgendetwas leicht war.

»McLean, wie weit sind Sie mit dem Herzen gekommen, das wir in Stevensons Wohnung gefunden haben?«, erkundigte sich Duguid.

»Es handelt sich um ein Spenderorgan. Es war für eine Transplantation vorgesehen, aber der Empfänger starb, bevor es eingesetzt werden konnte. Leider können die Ärzte Körperorgane nur für einen gewissen Zeitraum erhalten, daher sollte es in nächster Zeit eingeäschert werden. Das Krankenhaus ist nicht sicher, wie die Unterlagen verschwinden konnten, aber der Diebstahl muss vor rund einem Monat passiert sein. Wer immer das Herz entwendet hat, hat Balsamierflüssigkeit benutzt, damit es nicht verwest.«

»Ist ja alles gut und schön, aber was, zum Teufel, hat es da in der Wohnung gemacht?«

»Wenn ich raten müsste, Sir, würde ich sagen, es sollte uns von unseren Ermittlungen ablenken. Uns in eine Sackgasse führen und alle Spuren, die es zu der Zeit möglicherweise gab, verwischen. Aber ich bezweifle, dass es wichtig ist, warum sich das Herz in der Wohnung befand. Wie es dort hingekommen und woher es stammte, das sollten wir uns fragen. Wir müssen uns wirklich eingehender mit den Krankenhäusern befassen.«

»Den Krankenhäusern?« Duguid sah ihn verwirrt an.

»Das ist ein immer wiederkehrendes Thema, Sir. Maureen Shenks hat im Königlichen Kinderkrankenhaus gearbeitet, dort muss sie auch Jim Whitely kennengelernt haben. Das Gros des Materials, das wir in dem Lagerhaus gefunden haben, besteht aus veralteten Sachen, Geräten, die wahrscheinlich im Zuge der kürzlich erfolgten Modernisierung einer der Intensivstationen ersetzt wurden. Vermutlich hat man sie irgendwo in einem Nebengebäude gelagert und vergessen, Sie wissen ja, wie es in solchen großen Einrichtungen zugeht. In unserem Keller lagern seit zwanzig Jahren alte IT-Sachen, und es hat noch niemand geschafft, sie rauszuwerfen. Das Herz muss auf dem Weg zur Entsorgung abgefangen worden sein, was am wahrscheinlichsten im Königlichen Kinderkrankenhaus geschehen ist. Derjenige, der Dr. Whitely ermordet hat, ist jemand mit detaillierten medizinischen Kenntnissen.«

»Aber das ist alles ein bisschen mager, oder?«, sagte Brooks.

»Alles ist mager an dem Fall. Der Täter führt uns am Nasenring herum. Auf irgendeine Weise überzeugt er Menschen davon, ihm an Orte zu folgen, an denen sie nicht so leicht gefunden werden. An Orte, die er lange im Voraus präpariert hat. Er tötet seine Opfer, ohne dass diese Anzeichen für einen Kampf zeigen, und wendet Methoden an, die ebenso präzise wie bizarr sind. Er muss über eine medizinische Ausbildung verfügen, entweder zum Arzt oder Pfleger.«

»Aber warum? Warum tut er das, und warum sucht er gerade diese Opfer aus? Wenn Sie so sicher sind, dass wir es mit einem Serienmörder zu tun haben, worin besteht dann die Verbindung?« Die letzte Frage kam von McIntyre, und einen Moment lang wehrte sich McLean gegen den Gedanken, dass alle gegen ihn waren. Dann sah er ihren Gesichtsausdruck und erkannte, dass sie ihn dazu drängen wollte, sein Argument präziser darzulegen.

»Das Warum lass ich einmal beiseite, bis wir den Täter gefasst haben. Finden wir heraus, wie er seine Morde verübt, ohne eine Spur zu hinterlassen. Es gibt bestimmt nicht viele Leute mit dem Wissen und den Mitteln, um das zu tun, was er getan hat. Deswegen müssen wir unsere Kräfte bündeln.«

»Sie gehen heute Abend nicht zu Ihrer Bibelstunde?«

McLean war auf der Suche nach DC MacBride in den Einsatzraum geschlendert, um auf den neuesten Stand der Ermittlungen gebracht zu werden. Stattdessen hatte er DS Ritchie vorgefunden, die an einem der Schreibtische saß, die für die Informationshotlines reserviert waren, und irgendetwas auf einem kleinen Laptopcomputer tippte.

»Das ist keine Bibelstunde, Sir. Das würden Sie wissen, wenn Sie einmal dort gewesen wären.«

»Tut mir leid, das war unangebracht.« McLean zog einen Stuhl heran und setzte sich. Es war still im Raum, viel stiller, als es sich für einen Einsatzraum, in dem ein Dreifachmord aufgeklärt werden sollte, gehörte.

»Keine Sorge, ich bin nicht so schnell eingeschnappt.« Ritchies Lächeln zeigte, dass es ihr ernst damit war.

»Aber Sie sind immer noch hier.« McLean sah auf die Uhr. »Und normalerweise sind Sie es am Dienstag zu dieser Zeit nicht.«

»Stimmt. Wir sind unterbesetzt in dieser Woche. Eric und Wanda haben Urlaub, und Daniel ist nach St. Andrews raufgefahren, um sich mit dem Bischof zu treffen.«

»Dem Bischof? Gibt es da etwas, über das ich Bescheid wissen sollte?«

Ritchie bekam rote Ohren, aber sie gab keine Antwort. McLean hütete sich, das Thema zu forcieren. Denn trotz seines Unbehagens in Sachen Religion hatte er den ernsten jungen Geistlichen, auf den seine junge Kollegin offenbar ein Auge geworfen hatte, recht sympathisch gefunden. Ritchie hätte eine schlechtere Wahl treffen können. Eine sehr viel schlechtere.

»Was machen Sie denn gerade?«, fragte er.

»Ich stelle nur ein paar der neuen Informationen über den Whitely-Tatort zusammen, die Jay – DI McIntyre – gewonnen hat.«

»Irgendetwas Vielversprechendes?« McLean spähte auf den Bildschirm, aber soweit er das erkennen konnte, handelte es sich um eher bedeutungslose Dinge.

»Eigentlich nicht. Es sei denn, Sie sind der Ansicht, dass der außergewöhnliche Mangel an Beweisen in allen drei Fällen darauf hindeutet, dass die Tat ein und dieselbe Person begangen hat. Ist aber alles ziemlich dürftig.«

»Erzählen Sie mal. Und wo Sie gerade dabei sind: Können Sie mir vielleicht erklären, wie jemand ein Lagerhaus mit medizinischen Geräten vollstellen kann, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekommt?«

»Vielleicht wurde er ja doch gesehen. Stuart müsste inzwischen die Phantombilder erstellt haben. Das könnte etwas ergeben.«

»Habe ich meinen Namen gehört?« DC MacBride erschien im Türrahmen, sein Tablet in einer Hand. Der Pony hing dem Constable mal wieder bis fast in die Augen. Früher oder später würde ihm ein ranghoher Beamter sagen, er solle sich endlich mal die Haare schneiden lassen.

»Haben Sie die Phantombilder?«, fragte Ritchie. MacBride nickte, tippte ein paarmal auf den Schirm und reichte ihr das Tablet.

»Ich habe nur die vom Whitely-Tatort hinzugefügt. Das zusammengesetzte Bild befindet sich am Ende. Ich bin allerdings nicht sicher, ob es uns etwas nützt.«

Während Ritchie durch die Phantombilder auf dem Tablet wischte, sah McLean ihr über die Schulter. Sie wirkten alle vage ähnlich und alle vage vertraut, was aber höchstwahrscheinlich an der Software lag. Es gab da zu viele Unterschiede, als dass es sich um ein und denselben Mann handeln konnte. Schließlich kam Ritchie zum letzten Bild und rief: »Das kann doch nicht wahr sein.«

»Was ist denn?« McLean griff nach dem Tablet und betrachtete das finale, zusammengesetzte Bild. Der Mann darauf sah nicht aus wie jemand, dem er je begegnet war.

»Ich … ich glaube, ich kenne diesen Mann. Erkennen Sie ihn denn nicht?«

»Ich?« McLean nahm sich das Bild genauer vor; es sagte ihm rein gar nichts. »Nein. Sollte ich?«

»Das ist Norman. Ihr Nachbar. Na ja, ein paar Häuser weiter unten an der Straße. Ich könnte schwören, dass er’s ist.«

»Norman?« Seine Verwirrung war McLean deutlich anzumerken. Ritchie nahm das Tablet und zoomte auf die Augen und die Nase des Mannes auf dem Phantombild.

»Norman Bale. Sie kennen ihn doch sicherlich.«

McLean empfand eine gewisse Kälte in der Magengegend, diese nur allzu vertraute Empfindung, dass die Dinge außer Kontrolle gerieten.

»Woher kennen Sie Norman?«

»Ich dachte, alle würden ihn kennen. Er kommt zu den Treffen. Lässt nie eines aus. Außerdem ist er ein regelmäßiger Kirchgänger, seit seiner Kindheit. Seine Eltern ebenso, bis zu ihrem Tod.«

McLean hörte nur mit halbem Ohr zu; seine Gedanken schweiften ab in die Vergangenheit, zu diesem langen, heißen Sommer vor so vielen Jahren.

»Das ist nicht Norman Bale.«

»Aber der Mann sieht genauso aus. Je länger ich das Bild betrachte, desto mehr frage ich mich, warum ich ihn nicht erkannt habe.«

»Sie missverstehen mich.« McLean starrte auf diese Fahndungsfotoaugen, auf der Suche nach einem Hinweis, dass er sich täuschte. Er fand keinen. »Ich bezweifle nicht, dass dies der Mann ist, der an Ihren Treffen teilnimmt, aber es kann nicht Norman Bale sein. Ich habe Norman Bale gekannt, wir sind eine Zeit lang zusammen aufgewachsen. Und ja, er hat mit den Eltern in dem großen Haus am Ende meiner Straße gewohnt. Aber Norman hatte Leukämie. Er ist im Alter von sechs Jahren gestorben.«