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Es ist zu deinem Besten, Anthony. Deine Schule behindert dich nur in deiner Entwicklung.«

Die Bibliothek ist Großmutters Zimmer für ernste Gespräche. Normalerweise betrete ich es nicht. Die Bücher sind noch älter als sie: verstaubt, langweilig und in rissiges Leder gebunden. Einige sind fremdsprachig, geschrieben auf Französisch, Spanisch oder Altschottisch. Dort stehen auch ihr Schreibtisch und der versteckte Schrank mit dem Whisky, von dem sie glaubt, ich wüsste nichts davon. Und dorthin werde ich zitiert, wenn ich etwas ausgefressen habe.

»Aber alle meine Freunde sind da.«

»Du wirst neue Freunde finden. Es wird dort viele andere Jungen geben. Grove ist ein gutes Internat. Gut genug für deinen Großvater und deinen Vater.«

Draußen scheint die Sonne. Es war bislang ein langer, heißer Sommer, und ich wäre wirklich lieber draußen zum Spielen als in diesem stickigen Zimmer.

»Dad ist auf dem Internat gewesen?« Es ist jetzt zwei Jahre her, dass Mum und Dad gegangen und nicht zurückgekommen sind. Ich erinnere mich noch so deutlich an sie wie in dem Moment, als sie mir zum Abschied zuwinkten – mit dem Versprechen, bald wieder zu Hause zu sein. Es fällt mir schwer, mir meinen Vater in meinem Alter vorzustellen.

»Ja. Und er hat dort Freunde fürs Leben gefunden.« Gran hat auf einem der Lehnstühle gesessen, doch jetzt kommt sie herüber und lässt sich neben mir auf dem Sofa nieder. »Ach, Tony. Du ähnelst ihm so sehr. Du wirst dort gute Leistungen erzielen, glaub mir.«

»Aber meine Freunde …«

»… werden immer noch hier sein, wenn du in den Ferien nach Hause kommst. Und es werden viele übrig sein. Das Schuljahr fängt erst in einem Monat an.«

Ein Monat ist eine lange Zeit. Das Ganze liegt zu weit in der Zukunft, als dass ich mir wirklich Sorgen mache. Und ich werde auf ein Internat gehen, das schon mein Vater besucht hat. Das muss eine super Schule sein.

»Geh jetzt. Spiel eine Weile draußen. Der Tag ist viel zu schön, um sich im Haus aufzuhalten.«

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Erst als ich an der Tür stehe, frage ich: »Darf ich Norman besuchen?«

»Norman Bale?« Großmutter runzelt die Stirn, auf die ihr eigene Art. »Meinetwegen. Es ist ja nicht weit. Aber gib acht, geh nicht weiter die Straße rauf.«

Ich nicke, zum Zeichen, dass ich verstanden habe, und laufe zur Tür hinaus, bevor Großmutter es sich anders überlegen kann.