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McLean sah DS Ritchie dabei zu, wie sie Dudley Sanderson aus dem Vernehmungsraum geleitete, um ihn zum Empfangsbereich vorne im Revier zu bringen. McLean hatte Kopfschmerzen, weil er unter Schlafmangel litt, und versuchte sich in einen Menschen hineinzuversetzen, der hinter den einfachsten Dingen böse Absichten vermutete.

»Haben Sie irgendetwas Nützliches aus ihm herausbekommen?« Grumpy Bob näherte sich mit einem Becher in der einen Hand und einer eingerollten Zeitung unter dem anderen Arm.

»Heutzutage laufen zu viele Bekloppte herum, Bob.« McLean musterte das Raubgut des Detective Sergeant. »Sie suchen einen leeren Raum, um ein bisschen Zeit für sich allein zu haben, ja?«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir.« Grumpy Bob zog eine Unschuldsmiene, trank, laut schlürfend, einen Schluck Kaffee und sagte: »Ich war nur auf dem Weg zurück zum Brandermittlungsraum. Ich hab mir gedacht, wenn Sie und Ritchie bei der Vernehmung sind, ist es in dem Raum so ruhig wie sonst nirgendwo im Revier.«

Sie gingen gemeinsam zur Treppe, während McLean ihn über die Details der Vernehmung informierte. Es half immer, mit jemandem zu sprechen, aber je länger er darüber redete, desto deutlicher wurde McLean, dass Dudley Sanderson ein ziemlich gestörter Mensch war.

»Er hat also keinerlei Beweise. Mehr noch, er hat Anhaltspunkte, die aufs Gegenteil hindeuten, glaubt aber trotzdem, dass jemand heimlich den ganzen Leith Walk abreißen und neu errichten will?«

»Genau, und er wohnt noch nicht einmal dort. Wohnt noch nicht mal in Leith. Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass ich je dahinterkommen werde, welche Interessen er vertritt. Vielleicht hat Ritchie ja eine Idee.«

»Das Ganze ist schon etwas merkwürdig«, bestätigte Grumpy Bob. »Selbst wenn Ihr Mann nicht mit offenen Karten spielt.«

McLean blieb abrupt stehen. »Was meinen Sie damit?«

»Na ja, der Brand wurde mit Absicht gelegt. Das steht mal fest. Unwahrscheinlich, dass es Gianni war, der Imbissbesitzer, und der restliche Block war unbewohnt. Die beiden Häuser, die abgebrannt sind, standen leer. Nur Madame Roses in der Mitte ist verschont geblieben. Und doch war er derjenige, den man vorher ins Visier genommen und schikaniert hat.«

»Sie, Bob.« McLean musste den Detective Sergeant einfach korrigieren. Aber seit wann war ihm das so wichtig? Und warum? Grumpy Bob hob fragend die Brauen, erwiderte aber nichts.

»Haben wir alle befragt? Gianni? Die Bauarbeiter in zehn und vierzehn?«

»Ich habe selbst mit Gianni gesprochen. Entweder ist er ein verdammt guter Schauspieler, oder er hat wirklich keine Ahnung, wie das Feuer entstanden ist.«

»Haben Sie ihn gefragt, ob jemand angeboten hat, ihm den Laden abzukaufen?«

»Eine meiner ersten Fragen. Er ist ein stolzer alter Mann, da darf man sich nicht täuschen. Er hat mir erzählt, dass er dort arbeitet, seit sein Vater kurz nach dem Krieg den Laden eröffnet hat. War anscheinend Kriegsgefangener, Giannis alter Herr. Schottland hat ihm so gut gefallen, dass er geblieben ist.«

»Und der Laden hat ihm von Anfang an gehört.« McLean schüttelte den Kopf. »Aber das wusste ich bereits. Rose hat es mir erzählt. Was ist mit den Baufirmen? Den Immobilienentwicklern, was immer? Den anderen beiden Häusern, die abgebrannt sind?«

»Ich warte noch, bis der Knabe mit Informationen darüber zurückkommt, Sir.«

»MacBride? Ich dachte, er hätte genug mit dem Stevenson-Fall zu tun?«

»Ja, er arbeitet dran. Aber es gibt hier niemanden, dem ich zutrauen würde, dass er die Information ausbuddelt. Jedenfalls nicht in weniger als sechs Wochen.«

»Also haben wir noch nicht mit ihm gesprochen.« Sie waren im Einsatzraum eingetroffen. Leer.

»Nicht richtig, nein.«

McLean rieb sich die Stirn. Er spürte förmlich, wie ihm der Fall entglitt. Zu viele Dinge, auf die er sich konzentrieren musste, und nicht genug Zeit.

»Sprechen Sie mit Ritchie, sobald sie wieder da ist. Dudley Sanderson hat uns die Namen der Immobilienentwickler gegeben. Damit müssten wir sie ausfindig machen. Bestellen Sie diese Leute zu Befragungen ein, finden Sie heraus, ob die von dem Brand profitieren.«

»Ob Sie’s glauben oder nicht, Sir, ich mache so etwas nicht zum ersten Mal.« Grumpy Bob grinste; McLean wurde bewusst, wie nervig er war.

»Entschuldigen Sie, Bob. Macht der Gewohnheit. Ich überlasse Ihnen die Sache und halte mich da raus. Es ist ja nicht so, dass ich nichts anderes zu tun hätte.«

»Der Stevenson-Fall?«

»Zum einen, ja. Außerdem versuche ich, mich mit Spence im Fall Maureen Shenks abzustimmen, und Sie wissen ja, wie gut er mit anderen auskommt.«

Grumpy Bob stellte seinen Kaffeebecher auf den erstbesten Schreibtisch, legte die Zeitung daneben. »Ich beneide Sie nicht darum.«

»Ja, wenn er erst mal zum DCI befördert worden ist, wird’s noch lustiger. Könnte sein, dass ich dann eine Versetzung beantrage. Wie ich höre, ist Vice in letzter Zeit nett und freundlich.«

»Das Ganze ist ein beschissenes Chaos, wenn Sie mich fragen.«

DCI Brooks ging im Einsatzraum für den Mordfall Ben Stevenson auf und ab und schuf sich dadurch eine kleine freie Fläche in einem ansonsten überfüllten Raum. Alle, die Uniformierten, die Detectives und das Verwaltungspersonal, gaben sich ganz bewusst beschäftigt, damit sie nicht in die kurzfristig anberaumte Besprechung hineingezogen wurden. McLean konnte das gut verstehen. Auch er hatte Wichtigeres zu tun, als Leute, die es besser hätten wissen müssen, auf das Offensichtliche hinzuweisen.

»Da will ich Ihnen nicht widersprechen, Sir. Aber das hilft nicht allen, die die Treppe zwischen zwei Einsatzräumen rauf- und runterlaufen müssen.« Dass es wenig hilfreich war, wenn ein Ermittlungsteam ständig Mitarbeiter aus anderen Teams abzog, ließ McLean unausgesprochen.

»Ach, verdammt, wollen Sie immer noch behaupten, dass die beiden Fälle zusammenhängen? Nein, es gibt da überhaupt keine Verbindung.« Brooks hielt kurz inne, gerade so lange, dass er McLean seinen besten »Sie sind ein Idiot«-Blick zuwerfen konnte.

»Überhaupt keinen? Sie meinen, abgesehen von der Tatsache, dass beiden Opfern die Kehle durchgeschnitten wurde, von links nach rechts, mit einem scharfen Messer mit schmaler Klinge? Abgesehen vom völligen Mangel an kriminaltechnischem Beweismaterial. Abgesehen von der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Morde, die binnen Wochen verübt wurden, nicht miteinander verknüpft sind, so verschwindend gering ist, dass es kaum der Rede wert ist?«

McLean beobachtete, wie der Detective Chief Inspector auf seine Worte reagierte; mit jedem Satz wurde sein Gesicht röter. Es war nicht schwer zu erraten, wann Brooks Einspruch erheben würde; er hörte auf, hin und her zu gehen, und sagte dann sofort: »Sie …«

»Natürlich ziehe ich keine voreiligen Schlüsse«, fuhr ihm McLean in die Parade, bevor Brooks seinen Widerspruch formulieren konnte. »Ich halte es für klug, die beiden Fälle als getrennt zu behandeln, auch wenn wir am Ende feststellen, dass es sich um ein und denselben Mörder handelt. Nur glaube ich, wir können viel Zeit und Geld sparen, wenn wir die Verwaltungsarbeit und die Datenverarbeitung für beide Ermittlungen zusammenlegen. Und wenn wir alle im selben Einsatzraum arbeiten, können wir außerdem offensichtliche Zusammenhänge aufdecken, und zwar sofort, wenn sie auftauchen.«

»Wenn die Presse Wind davon bekommt, dass wir die beiden Fälle verknüpfen …« Brooks ließ die offensichtliche Schlussfolgerung unausgesprochen. Beim Gedanken, dass ein Serienmörder am Werk war, würde der Boulevardpresse zwar das Wasser im Mund zusammenlaufen, aber es war eher unwahrscheinlich, dass sie sich auf ihrer Suche nach einer Sensationsstory um den Ruf der Polizei scheren würde.

»Ganz offen gesagt: Ich beschäftige mich mehr damit, Ben Stevensons Mörder und auch den von Maureen Shenk zu fassen, als damit, was die Revolverpresse über mich schreibt«, erklärte McLean.

»Für manche geht das in Ordnung. Aber Sie müssen sich ja auch keine Sorgen machen, entlassen zu werden.« Das sagte DI Spence zwar ganz leise, aber alle hatten es trotzdem deutlich gehört.

»Und Sie müssten das auch nicht, wenn Sie Ihrer Arbeit nachkämen, Mike.« McLean machte sich erst gar nicht die Mühe, seinen Zorn zu verbergen.

»Was, zum Teufel …«

»Schluss jetzt!« Detective Superintendent Duguid hatte bislang geschwiegen. McLean glaubte, dass er deshalb in das Geschehen eingriff, um den demoralisierenden Effekt auf das Ermittlungsteam einzugrenzen, den jeder Streit zwischen zwei leitenden Beamten vor anderen hervorrief. Aber wahrscheinlicher war, dass er bloß in sein behagliches, ruhiges Büro zurückkehren wollte.

»McLean hat recht, auch wenn ich das ungern zugebe. Es existieren zu viele Ähnlichkeiten, um sie ignorieren zu können, und an die Kosten von zwei großen parallelen Ermittlungen mag ich gar nicht denken. Spence, holen Sie Ihr Team hier rein. Die anderen können in die kleineren Zimmer auf der anderen Seite des Flurs umziehen.«

»Wäre es nicht einfacher …«

»Hier oben, Spence. Diese Ermittlung läuft schon länger. Und außerdem es ist nicht so weit für mich.«

Fast hätte McLean über den Scherz gelächelt, auch wenn es lustiger gewesen wäre, wenn sich Duguid tatsächlich mal im Einsatzraum blicken lassen würde. Allerdings genügten die mürrischen Mienen von DI Spence und DCI Brooks, dem Kleinen und dem Großen, jegliche humorvolle Betrachtung der Situation im Keim zu ersticken.

»Im Moment leitet Grumpy Bob den Raum, kompetent unterstützt von DC MacBride. Die werden Ihnen die Schreibtischplätze und Arbeitsstationen zuweisen.« McLean sah auf die Uhr – obwohl er genau wusste, wie spät es war. »Ich muss los.«

»Wie bitte?«, fragte Brooks mit unterdrückter Wut.

»Ich muss einen möglichen Augenzeugen befragen. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn etwas Wichtiges dabei herausgekommen ist.«

»Wie lange arbeiten Sie schon an Ihrem Bau im Leith Walk?«

Den Büroräumen von Wendle Stevens nach zu urteilen, konnte es nur etwas Gutes sein, dass ihr Gebäude bis auf die Grundmauern niedergebrannt war. McLean saß in einem Raum, der zu klein war für die drei Schreibtische, die man dort hineingezwängt hatte. Zu klein auch für die drei schwitzenden Körper, dem Geruch nach zu schließen. Aber egal: Es handelte sich um eine junge, aufstrebende Firma, die das Beste machen wollte aus dem wenigen, was sie besaß. Außerdem war alles besser, als mit Brooks und Spence in einem Raum eingesperrt zu sein.

»Das Gebäude ist im Januar auf den Markt gekommen. Vermutlich haben wir etwas mehr dafür bezahlt, als wir hätten sollen, aber so läuft das eben in unserer Branche.«

Jonathan Wendle war ein ansteckend enthusiastischer Mann. Vermutlich erst Anfang zwanzig; er verströmte so viel Energie, dass sich McLean daneben alt und müde vorkam. Stevens, der Partner, war gerade außer Haus – er besichtigte ein weiteres potenzielles Kaufobjekt –, was wohl von Vorteil war, denn McLean bezweifelte, ob er sonst mit der Situation fertiggeworden wäre.

»Und Sie haben vor zwei Monaten mit den Arbeiten an dem Gebäude begonnen? Um welche handelte es sich dabei?«

»Wir haben es entkernt und von Grund auf saniert, Inspector. Mehr konnten wir wirklich nicht tun. Das Haus war eine einzige Katastrophe. Irgendein Idiot hat es in den Siebzigern in Wohnungen aufgeteilt, und wie wir alle wissen, herrschte in jener Zeit ein grauenhafter Geschmack.«

McLean verkniff sich die Antwort, dass er schöne Kindheitserinnerungen an diese Zeit hatte. Aber Wendle war ohnehin erst Ende der Achtziger zur Welt gekommen.

»Aber es geht voran, oder?«, fragte er. »Sie sind im Zeitplan mit der Renovierung und im Rahmen des Budgets?«

Wendle drehte die große Hand so, dass die Handfläche nach oben und wieder nach unten zeigte – eine leicht verständliche Geste. »Mehr oder weniger. Aber weil es unser bislang größtes Projekt ist, haben wir einen ziemlich großen zeitlichen Spielraum eingeplant.«

»Was ist mit den anderen Gebäuden, den Nummern 10 und 12?«

»Was soll damit sein?«

»Sie haben also nicht versucht, die Häuser käuflich zu erwerben? Alle abzureißen und an ihrer Stelle billigen Wohnraum zu errichten?«

Wendle hielt inne, ehe er antwortete; die Gedanken standen dem jungen Mann deutlich auf die Stirn geschrieben. McLean war bereits zu dem Schluss gekommen, dass er mit der Brandstiftung nichts zu tun hatte; sein Enthusiasmus war noch zu groß. Wer sich gezwungen sah, seine Vermögenswerte zu verbrennen, um das Geld von der Versicherung zu kassieren, wäre sehr viel verzweifelter gewesen.

»Ihnen hat wohl ein kleiner Vogel etwas zugezwitschert, Inspector?« Wendle machte eine kleine Geste – ein Schnabel, der sich öffnet und schließt. »Aber ich kann einfach nicht lügen: Man ist an uns herangetreten, ob wir verkaufen wollen. Bill und ich haben Haus und Grundstück mit unserem eigenen Geld erworben, und an unserem Plan wollen wir festhalten. Natürlich weiß ich nicht genau, was wir jetzt tun werden. Wir müssen die Meinung der Versicherungsgutachter abwarten. Auch der Ingenieure.«

»Aber jemand hat versucht, Ihnen das Haus abzukaufen? Vor dem Brand?«

»Sogar ziemlich viele Firmen. Es würde Sie wundern, wie oft Häuser den Eigentümer wechseln, bevor jemand die Ärmel hochkrempelt und sich tatsächlich an die Arbeit macht.«

»Hat jemand Druck ausgeübt, dass Sie verkaufen? Haben Sie irgendwelche Drohungen erhalten?«

Wendle runzelte die Stirn – als hätte ihn die Frage überrascht. »Eigentlich nicht, nein. Ich meine, es gibt da ein paar unangenehme Charaktere, die es nicht mögen, wenn man ablehnt, aber … nein, bedroht wurden wir nicht.«