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Die Labore des kriminaltechnischen Dienstes befanden sich am Stadtrand, noch hinter dem Flughafen. Es herrschte nicht viel Verkehr auf den Straßen, sodass McLean fast genau nach einer halben Stunde dort eintraf. Ein gelangweilt wirkender Wachmann hob eine Augenbraue angesichts des Alfa, ließ ihn jedoch passieren, sobald er McLeans Ausweis gesehen hatte.

Ms Parsons wartete am Empfang. »Ich muss Sie persönlich eintragen, Janine geht um fünf nach Haus, und wir haben niemanden für die Spätschicht.«

Geschäftig begann sie, irgendetwas ins Gastbuch einzutragen und ein Namensschild zu suchen; erst als sie es ihm gegeben hatte, fiel ihr ein, sich vorzustellen. »Übrigens, ich bin Amanda. Wir hatten ja kaum Gelegenheit, uns bekannt zu machen, als ich damals bei Ihnen zu Hause war.« Sie streckte ihm die Hand entgegen, und McLean schüttelte sie, leicht überwältigt von ihrer rastlosen Energie.

»Es war … sehr früh.«

»Allerdings. Wir haben uns aber schon mal vorher getroffen. Im Rosskettle Hospital? Aber Sie erkennen wohl keinen von uns Tatortermittlern im Overall und mit Mundschutz wieder, oder?«

»Ach, Sie waren auch eine von den Tatortermittlern?«

»Alle waren da.« Sie verdrehte die Augen wie eine Achtjährige. Große Augen in einem Gesicht, das genauso jung war, wie McLean es erwartet hatte. Das strohblonde Haar wurde von einem Haarreif aus dem Gesicht gehalten, was auch nicht gerade dazu beitrug, sie etwas erwachsener aussehen zu lassen. Genauso wenig wie das schlabbrige T-Shirt mit dem Tourlogo einer Rockgruppe, von der McLean immerhin gehört hatte, die aber wahrscheinlich bereits vor Amandas Geburt auseinandergegangen war. Die Cargohose und die schweren schwarzen Doc Martens waren vielleicht in Mode oder auch nur das passendste Outfit für ihre berufliche Tätigkeit. Für McLean sahen die Sachen aus, als hätte sie sie ihrem großen Bruder geklaut.

»Der BMW steht draußen in der Werkstatt. Wahrscheinlich sind wir am schnellsten da, wenn wir gleich hier rausgehen.« Amanda stieß die Eingangstür auf und war so rasch draußen, dass McLean kaum hinterherkam. Doch nach ein paar Schritten blieb sie stehen.

»Ist das Ihrer? Aber das muss ja Ihrer sein. Ach, ich hatte schon davon gehört … aber der ist ja traumhaft.« Sie stand nur wenige Schritte vom Alfa entfernt und betrachtete ihn fasziniert. Nach einer Weile umrundete sie den Wagen, wobei sie mit der Hand leicht über die Motorhaube, das Dach und den Kofferraum strich.

»Sie müssen mich unbedingt mal mitnehmen. Ich liiiebe alte Alfas.«

»Ja, vielleicht«, sagte McLean. »Aber wollten wir uns nicht Joe McClymonts BMW ansehen?«

Amanda tätschelte die Heckpartie ein letztes Mal. »Natürlich. Entschuldigen Sie. Ich lass mich immer so leicht hinreißen. Hier entlang.« Schnellen Schrittes ging sie weiter Richtung Werkstatt.

Ähnlich wie bei vielen modernen Werkstätten bestand auch bei diesem Zweckbau die Front aus einer Reihe Rolltore. Die meisten waren geschlossen, doch eines stand offen. Das künstliche Licht erhellte den warmen Abend. Gleich vorn sah McLean einen Haufen verbogenes Altmetall, der früher mal ein BMW M5 gewesen sein konnte. Teile davon waren entfernt und zu beiden Seiten abgelegt worden, als wäre das Ganze nichts weiter als ein Plastikspielzeug, das ein Kind mit unstillbarer Neugier und einer Zickzackschere bearbeitet hatte. Hinten in der Werkstatt lag das Dach, verkehrt herum, daneben lehnten die vier Türen an der Wand. Die Reifen waren ordentlich aufeinandergestapelt, neben der hinteren Säule der Vier-Säulen-Hebebühne, auf der der Rest des Chassis aufgebockt war, gerade so hoch, dass man daran arbeiten konnte, ohne sich bücken zu müssen.

»Es ist schon erstaunlich, was man so anrichtet, wenn man mit achtzig Sachen gegen einen Felsen prallt. Jedenfalls, wenn der Felsen groß genug ist.«

»Ganz so schlimm sah der Wagen aber nicht aus, als ich ihn zuletzt zu Gesicht bekommen habe.« McLean stellte fest, dass der Motor entfernt worden war, und blickte sich suchend danach um. Er fand ihn in der nächsten Nische, an einem Motorbock festgeschraubt und umgeben von den cremefarbenen Ledersitzen. Die beiden Vordersitze waren übersät von dunkelbraunen Blutflecken.

»Kriminaltechnik kann ein bisschen schmuddelig sein.« Amanda holte ein Paar feste Arbeitshandschuhe von einer Werkbank im hinteren Bereich und reichte sie McLean. »Scharfe Kanten«, sagte sie zur Erklärung.

»Also, was haben Sie für mich herausgefunden? Sie wissen doch, dass es sich hier genau genommen um eine Ermittlung der NCA handelt, oder?«

»Die interessieren sich bloß für Drogen, und davon haben wir nicht die geringste Spur gefunden. Weder im Kofferraum noch in irgendwelchen Verstecken, nicht mal Rückstände in den Fußmatten. Sie würden staunen, wie viel davon« – sie zupfte an einem Haarbüschel herum, das sie jedoch wegen ihres Handschuhs nicht zu fassen bekam – »hier überall rumliegt. Nein, ich habe lieber Sie angerufen als die, weil das Ganze für Sie relevanter ist.«

»Ich weiß immer noch nicht, inwiefern. Wollen Sie’s mir nun erklären, oder muss ich raten?«

Amanda errötete angesichts des Tadels. Im Grunde hatte McLean es nicht so gemeint, aber seine Ausdrucksweise war doch etwas schroff gewesen. Er hatte einen langen Tag hinter sich.

»Entschuldigen Sie. Passiert mir manchmal, dass ich ein bisschen lange brauche. Sehen Sie, hier.« Amanda trat näher an das Fahrzeug heran und deutete auf die Stelle, wo der Hersteller die Fahrgestellnummer in das verbogene Chassis geprägt hatte. McLean schaute genau hin, aber es fiel ihm nichts weiter auf. Allerdings war er kein Experte.

»Das ist die Fahrgestellnummer, ja.«

»Und jetzt sehen Sie sich das hier mal an.« Amanda ging zum Motor hinüber, bückte sich und deutete auf eine ähnlich aussehende Zahlenreihe, die in den gusseisernen Motorblock geprägt war.

»Die Motornummer. Dann stimmen die also nicht überein?«

»Wäre toll, wenn’s so einfach wäre.« Amanda zog die dicken Handschuhe aus und ging zur tadellos aufgeräumten Werkbank. Zwischen den schweren Schraubenschlüsseln und anderem Werkzeug wirkte der Computer, als gehörte er nicht hierher.

»Es sind genau dieselben, und sie sind auch hier auf der DVLA-Datenbank. Dasselbe Auto, dieselbe Farbe.«

»Wo ist dann das Problem?«

Amanda klickte ein paar Icons auf dem Bildschirm an – eine Liste rätselhafter Zahlen und Buchstaben erschien. Das BMW-Logo ganz oben war das Einzige, was McLean mühelos erkannte.

»Einfach ausgedrückt, es ist das falsche Rot.«

»Was soll das heißen?«

»Hier.« Amanda drehte sich zum Heck des Wagens um, öffnete die Kofferraumklappe und zeigte auf einen Sticker mit einem Farbcode. »Das ist der korrekte Code für die Farbe des Wagens. Ich hab das überprüft. Aber das hier«, sie drehte sich wieder zum Bildschirm um, »das ist ein anderer Farbton.«

»Vielleicht eine Verwechslung, als die Daten eingegeben wurden?«

»Es ist ein deutsches Auto, Inspektor. Kein italienisches.« Ein leises Lächeln umspielte Amandas Züge; sie klickte noch ein paarmal, woraufhin eine andere Seite mit ebenso rätselhaften Daten auf dem Bildschirm erschien. Früher oder später würde sie wohl auf den Punkt kommen, aber McLean konnte warten. Ihre Begeisterungsfähigkeit war ansteckend und gefiel ihm weitaus besser als die miese Stimmung auf der Wache.

»Dass die Farben nicht übereinstimmen, ist keine große Sache, aber sie hat mich zum Nachdenken gebracht, denn wenn ich eines nicht mag, dann derartige Rätsel. Also hab ich noch etwas tiefer gegraben. Was die Elektronik angeht, müsste der Wagen hier eigentlich ein Totalschaden sein. Laut den Unterlagen soll er im letzten Oktober bei einer Kollision mit einem Bus schwer beschädigt worden sein. Was, nebenbei bemerkt, noch vor dem Termin war, an dem er angeblich zu uns ins Land gekommen ist.«

»Der Wagen ist also ein gestohlener Wagen mit falschem Kennzeichen?«

Wieder schenkte Amanda ihm ein scheues Lächeln. »Ach, es ist noch sehr viel cleverer. Bis zu dem Zeitpunkt, als Ihr McClymont gegen den Felsen gedonnert ist, hatte der Wagen noch nicht den kleinsten Kratzer abbekommen, aber trotzdem hat ihm die Versicherung die Identität eines Totalschadens verliehen. Und das wurde so gut gemacht, dass ich es anfänglich nicht gemerkt habe. Diese Fahrgestell- und Motornummern stellen die besten Fälschungen dar, die ich je gesehen habe. Hinzu kommt noch die clevere Trickserei bei der Dokumentation, wodurch der Wagen fast vollständig unauffindbar ist. Er hätte mit Sicherheit während seiner gesamten Lebenszeit immer wieder ge- und verkauft werden können, ohne dass jemals jemand darauf gekommen wäre, dass irgendetwas nicht stimmt.«

»Und wo kommt er nun her?« McLean ließ den Blick über das Fahrzeugwrack schweifen. Es war kaum vorstellbar, dass sich jemand solche Mühe wegen eines Autos machte, aber neu war das Fahrzeug vermutlich achtzigtausend wert.

»Also, da wird es interessant. Wir warten noch auf eine Bestätigung von BMW, aber soweit ich weiß, wurde der Wagen aus der Privatgarage eines exklusiven Apartmenthauses gestohlen, das sich keine zwanzig Fahrminuten von hier befindet. Und zwar vor vier Monaten.«

»Vor vier Monaten.« McLean versuchte sich zu erinnern. Soweit er wusste, hatte es in letzter Zeit keine große Zahl von Autodiebstählen in der Stadt gegeben, aber Autos wurden ja jeden Tag gestohlen. Auch Duguids Range Rover war vor nicht allzu langer Zeit entwendet worden.

»Der Zeitpunkt ist nicht so wichtig. Sondern, dass es so gekonnt gemacht ist. Wenn der Wagen keinen Unfall gehabt hätte … nein, wenn er keinen Unfall gehabt und nicht in dieses Gerichtslabor gebracht worden wäre, dann wäre die Sache nie aufgeflogen.«