Kapitel 7

Am nächsten Morgen wachte ich richtig gut erholt auf. So gut hatte ich ewig nicht geschlafen. Wozu guter Sex doch gut ist, schmunzelte ich.

Während ich mich für das Büro fertig machte, pfiff ich gut gelaunt Lieder aus meiner Jugend. Ich fühlte mich so lebendig wie seit Jahren nicht mehr. Möge dieser Hormoncocktail noch möglichst lange in meinem Blut zirkulieren. Gute Stimmung konnte ich bestens gebrauchen. Die letzten Jahre waren davon nicht überfüllt gewesen. Wenn ich so überlegte, bestand die letzte Zeit aus Arbeit, Fernsehen, Schlafen, ach ja und natürlich Arbeit. Ich hatte keine Beziehungen und legte auch nicht so extrem Wert darauf, wenn ich mir auch hin und wieder eine wünschte. Aber ich wollte nicht irgendeine Frau, damit ich sagen konnte, ich hätte ja wenigstens jemanden. Ich wollte diese eine Frau, nämlich meine. Und wenn das dauerte, dann war das eben so. Gut, im Urlaub gab es dann ganz selten mal einen One Night Stand, aber wirklich toll waren die nicht. Es tat lediglich meinem Ego gut, dass andere Frauen mich attraktiv fanden. Der Sex war nicht der Rede wert gewesen. Aber das Vorgeplänkel gefiel mir. Erst der Tanz mit den Augen, dann die Frage, wer wen anspricht, was in Heterokreisen deutlich leichter für die Frau zu sein scheint, nicht aber bei uns. Und dann stellte sich ja auch immer noch die Frage, ob die andere meine Avancen wirklich richtig verstanden hatte oder sie mich einfach nur für eine besonders freundliche und aufmerksame Person hielt. Die meisten Frauen, mit denen ich was hatte, waren hetero und hatten offenbar nur einfach Lust, im Urlaub mal etwas Exotisches zu erleben. Warum ich mir das immer mal wieder antat, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Manchmal war es einfach nur der Reiz des Abenteuers, ob ich sie für die Nacht gewinnen konnte, meistens nur der Wunsch nach irgendeiner Form der Ablenkung.

Und auf der Arbeit gab es jedes Jahr mehr für mich zu erledigen, so dass ich reichhaltig Überstunden machen musste, um überhaupt fertig zu werden. Meine Mutter hatte schon Recht: Ich war im Grunde für meine Position überqualifiziert und das Unternehmen schätze meine Leistung nicht. Das zeigte ja erst die Situation kürzlich, die ich nur heil überstanden hatte, weil Patrizia sich vor mich stellte. Ich wusste aber auch nicht, was ich anderes tun sollte, daher blieb ich bei dem, was ich hatte. Lieber den Spatz in der Hand...

Im Büro angekommen, machte ich erstmal überall Licht und die Geräte an. Patrizia war überraschend noch nicht im Büro, aber sie hatte ja auch eine anstrengende Nacht, in deren Erinnerungen ich kurz schwelgte. Sie hatte mir heute Morgen direkt einen „Guten Morgen“ als Nachricht geschickt und ein Küsschen dazu gemacht. Ich hatte so ein verdammtes Glück!

Ich öffnete in ihrem Büro zusätzlich die Fenster, dabei fiel mir auf, dass mir ihr Büro mittlerweile so extrem vertraut war. Ich war ja schon seit Jahren immer wieder in diesem Raum, aber jetzt war es ihrer und das fühlte sich irgendwie nach Geborgenheit an. Komisch, wie sich alles verändern konnte.

Kurze Zeit später ging das Gewusel in der Abteilung los und auch Patrizia kam den Flur entlang. Ich konnte ihr die Müdigkeit ansehen. Wahrscheinlich sollten wir unsere Treffen arbeitsverträglicher gestalten, damit sie nicht so erschöpft war. Wenn ich aber ehrlich war, fand ich Erschöpfung auch nicht so furchtbar schlimm, wenn es bedeutete, sie sehen zu können.

Sie betrat den Raum und blickte direkt zu mir. Ein breites Lächeln war auf ihrem Gesicht zu sehen und sie strich sich fast schüchtern eine Haarsträhne hinter die Ohren, als sie sah, dass ich auch sie anlächelte.

„Guten Morgen, gut geschlafen?“, fragte sie kurz.

„Ja, nur etwas kurz.“, antwortete ich, noch immer lächelnd.

„Komisch, ich auch, muss wohl am Mond liegen.“, sie zwinkerte mir zu und ging in ihr Büro. Die anwesenden Kolleginnen begannen direkt darüber zu sprechen, dass sie auch wegen des Mondes schlecht geschlafen hätten. Beinahe hätte ich losprusten müssen. Wenn die wüssten, warum „der Mond“ uns nicht schlafen ließ.

In der Mittagspause ging ich kurz zu ihr ins Büro und fragte, ob wir uns heute nach der Arbeit noch sähen.

„Es tut mir total leid, aber ich habe heute Abend noch Termine, die ich nicht verschieben kann.“, sagte sie mit gedämpfter Stimme, „Aber wenn du magst, kann ich dich zumindest kurz anrufen, es könnte allerdings später werden.“

Ich hätte furchtbar gerne gewusst, was das für Termine waren, die so lange dauerten. Berufliche waren es jedenfalls nicht, ich war schließlich die Herrin ihres Terminkalenders und so spät war dort nichts mehr eingetragen. Wenn sie sich mit Freundinnen traf oder sowas, dann könnte sie es mir ja auch einfach sagen, statt so ein Geheimnis daraus zu machen. Aber ich traute mich auch nicht, nachzufragen. Ich wusste nicht genau, welchen Status wir hatten und nichts ist schlimmer, als jemanden einzuengen. Das wollte ich bei mir nicht und bei anderen auch nicht.

„Oh, ja natürlich, dann melde dich einfach.“, antwortete ich schnell, konnte meine Enttäuschung inklusive Irritation aber nicht ganz verstecken.

„Sei nicht böse, ok? Wir holen das definitiv nach. Am Freitag habe ich Zeit. Wie sieht es da bei dir aus?“

Freitag? Wir hatten heute Mittwoch und ich sollte jetzt allen Ernstes zwei Tage auf ein weiteres Treffen warten? Die Vorstellung war blanker Horror. Nicht mal knutschen ging ja. Zumindest ging ich davon aus. Sie hatte mir nicht den Eindruck vermittelt, dass sie das mit uns direkt öffentlich machen wollte. Eigentlich war mir auch nicht klar, was sich genau hinter „das mit uns“ versteckte. Wir hatten nicht darüber gesprochen. Aber dieses Schweigen über ihre Termine erweckte bei mir nicht unbedingt den Eindruck, dass das schon weiter ginge als Sex am Arbeitsplatz.

„Ja, Freitag geht. Ich muss jetzt runter. Sina und Viola warten auf mich.“, sagte ich schnell und ging aus ihrem Büro.

Ich hörte an der Art, wie sie atmete, dass sie noch etwas sagen wollte, es dann aber doch ließ. Komische Situation.

Die Mittagspause mit den beiden Damen war gewohnt lustig und erfrischend und ich konnte das seltsame Gefühl in meiner Magengegend gut ausblenden.

Nach meiner Pause war Patrizia schon in den Nachmittagsterminen, die bis in den frühen Abend nahtlos durchgingen.

Wenn ich eh heute Abend alleine bin, kann ich heute auch mal früher nach Hause gehen. Überstunden habe ich reichhaltig und dann kann ich mal wieder in der Stadt bummeln gehen, dachte ich.

Ich sah noch kurz in meinen Plan für morgen und schrieb Patrizia per Mail, dass ich heute schon um 15 Uhr ginge. Sie blickte auch während der Meetings zwischendurch immer mal auf ihr Handy, weil sie permanent neue Infos bekam, die sie für Entscheidungen brauchte.

Keine fünf Minuten später erhielt ich auch schon eine Antwort von ihr zurück: „Alles klar, genieß deinen freien Nachmittag, ich denke an dich.“

Die Nachricht war wirklich sehr süß geschrieben, aber ich war doch irgendwie sauer und enttäuscht. Außerdem fragte ich mich, ob ich vielleicht doch nur eine kleine Affäre wäre, die sie ansonsten aus ihrem Leben heraushält. Als wir uns das erste Mal geküsst hatten, war ja auch so ein ominöser Notfallanruf eingegangen, bei dem ich bis jetzt noch nicht wusste, was da los war. Ich entschied mich daher, entgegen meiner Gewohnheit, nicht mehr darauf zu antworten.

In der Stadt wurde gerade die Weihnachtsbeleuchtung angebracht. Ich war nahezu erschrocken, weil Weihnachten für mich gefühlt noch so weit weg war. Aber es war mittlerweile Mitte November und der erste Advent gar nicht mehr so weit weg, wie es das Wetter uns glauben ließ. Wir hatten einen recht langen Sommer und auch der Herbst verschonte uns mit seinem Nebel und Dauerregen weitestgehend. Nur ein paar Tage waren wirklich unschön. Bisher sah es nicht danach aus, als ob es bald richtiges Winterwetter geben würde. Ich ging in ein paar Klamottenläden und stöberte, kaufte aber nichts. Danach war ich noch in der Buchhandlung und gönnte mir den Thriller, den ich schon ewig lesen wollte, es aber bisher nicht dazu kam, dass ich ihn auch kaufte. Heute war der perfekte Tag dafür. Anschließend lud ich mich selber noch auf einen Cappuccino im Kaffeewerk ein. Das war ein winziger Laden, der aber eigene Röstungen herstellte und deren Kaffeespezialitäten im Vergleich zwar etwas teurer, aber wirklich jeden Cent wert waren. Alleine der Milchschaum war besonders.

Ich trank meine Tasse genüsslich leer und machte mich dann auf den Weg nach Hause.

Dort angekommen hatte ich Lust auf etwas Pflegeprogramm und duschte erstmal ausgiebig. Dazu rasieren, eincremen, das volle Programm.

Anschließend setzte ich mich mit einer Tasse Tee auf das Sofa und begann, im neuen Buch zu lesen. Die ersten Seiten waren schonmal sehr spannend, das würde eine tolle Ablenkung. Und doch spürte ich, dass eben auch nur genau das war: Zeit rumkriegen, bis ich sie wenigstens im Büro sehen könnte. War ich eigentlich immer so bescheuert, wenn ich mich verliebt hatte? Ich befürchtete, ja. Es war plötzlich immer zu viel Zeit da und zu wenig mit der Person, die ich toll fand.

Mittlerweile war es 18 Uhr und ich blickte nach langer Zeit wieder auf mein Handy. Acht Nachrichten wurden mir angezeigt. Meine Güte, da ging wohl in der Familiengruppe wieder die Post ab. Ich freute mich schon auf neue Familienberichte, als ich sah, dass alle Nachrichten von Patrizia waren:

„Was machst du schönes?“

„Denke an dich“

„Bist du mir böse wegen heute?“

„Ich rufe dich so schnell an, wie es geht!“

„Ist alles ok bei dir?“

„So langsam mache ich mir Sorgen, melde dich doch bitte kurz.“

„???“

„Ich würde am liebsten zu dir kommen, um zu gucken, wie es dir geht, aber es geht gerade nicht. Bitte sag, dass es dir gut geht!“

 

Okay, und ich dachte, ich wäre extrem. Ich hatte einfach keine Nachricht von ihr erwartet und daher auch nicht aufs Handy gesehen. Aber Sorgen brauche sie sich nun nicht deswegen machen.

„Mir geht es gut, ich war in der Stadt und habe gerade geduscht. Hatte das Handy auf lautlos. Alles gut. Dir einen schönen Abend.“, schrieb ich.

„Puhh, Gott sei Dank! Dachte schon, dir wäre etwas passiert oder du redest nicht mehr mit mir. Melde mich später :-*“

Wenn sie so ein schlechtes Gewissen hatte, wie ich ihr jetzt einfach mal aufgrund ihrer Nachrichten unterstellte, dann verstand ich nicht, warum sie nicht einfach sagte, wo sie war und warum sie mir zwar zig Mal schreiben, aber nicht anrufen konnte.

Ich war immer noch brummig und entschied, im Buch weiterzulesen.

Offenbar tat die Ruhe und das Buch mir jedoch so gut, dass ich auf dem Sofa einschlief und erst durch ein nerviges Dauerbrummen wach wurde. Es war bereits 23 Uhr und mein Handy klingelte.

„Hallo Patrizia“, sagte ich noch fast im Schlaf.

„Oh, Süße, habe ich dich geweckt?“

„Ja, ich bin irgendwie beim Lesen eingeschlafen. Aber gut, dass du mich geweckt hast, sonst hätte ich morgen wieder meinen Kopf unterm Arm tragen können.“

„Und dabei hast du einen so schönen Kopf.“, sagte sie leise.

„Hattest du einen schönen Abend?“, fragte ich möglichst neutral, aber ich merkte, wie mir ein kleiner Stich durch den Magen zog.

„Er war nötig. Ich wäre lieber bei dir gewesen. Aber ich freue mich doll auf Freitag, was wollen wir denn machen? Vielleicht was zusammen kochen?“

„Kochen klingt gut. Bei dir oder bei mir?“

„Lieber bei dir. Da ist es so schön gemütlich und ich habe gute Erinnerungen an die Wohnung!“, ich hörte, dass sie lächelte.

„Meinetwegen, aber du kaufst ein.“, ich hätte zu gerne auch ihre Wohnung gesehen, aber ich wollte mich nicht aufdrängen.

„Das ist doch ein Deal. Genaues können wir ja morgen noch besprechen. Ich werde jetzt auch ins Bett gehen. Schlaf gut, schöne Frau, bis morgen und bitte fühl dich von mir geküsst. Wir holen am Freitag alles nach, ich verspreche es!“

„OK, dann schlaf du auch gut, bis morgen. Ich küsse dich auch!“

„Danke“, sagte sie und klang beinahe erleichtert.

Es fühlte sich weiterhin seltsam an. Einerseits war sie wahnsinnig aufmerksam, schrieb zig Nachrichten und wusste offenbar genau, was in mir vorging. Und auf der anderen Seite hielt sie mich auf Abstand und ließ sich nicht in die Karten blicken. Ich erwartete jetzt ja auch nicht wer weiß was. Sie sollte mich weder schon ihren Freunden oder Eltern vorstellen, noch in der Firma jedem von uns erzählen. Aber war die gegenseitige Beteiligung am Leben der anderen nicht irgendwie Voraussetzung für Vertrauensaufbau? Wir kannten uns im Grunde ja kaum und wenn ich so überlegte, wusste ich über ihr Privatleben im Grunde gar nichts. Als wir die letzten Male Zeit zusammen verbracht haben, hatten wir auch anderes zu tun, als über unser Leben zu reden. Um so seltsamer, dass sie das offenbar auch jetzt nicht vorhatte. Ich musste das klären. Schon wieder Ungewissheit würde ich jetzt nicht nochmal ertragen.

 

Am nächsten Morgen fühlte ich mich etwas an den Film „Täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert: Ich würde ins Büro fahren, dort den ganzen Tag über schmachtend hinter Patrizia herblicken und arbeiten und danach fuhr ich nach Hause und verbrachte den Abend wieder alleine. Natürlich konnte ich verstehen, dass Patrizia nicht ihren kompletten Terminkalender für mich umwerfen konnte und wohl auch nicht wollte. Aber diese Sehnsucht nach ihr und dieses permanente Warten auf irgendeinen privaten Kontakt fand ich tatsächlich jetzt schon nervig. Und auch, wenn ich mich extrem auf morgen freute, musste ich eben erst noch diesen Tag und den bis morgen Abend rumkriegen. Aber was zur Hölle sollte ich in dieser Zeit mit mir anfangen, wenn jede meiner Gehirnwindung um sie kreiste? Ging es ihr auch so? Allerdings hatte sie das ja in der Hand zu ändern. Ich hätte am liebsten jeden Tag mit ihr verbracht, an mir lag es also nicht.

Im Büro war heute absolut die Hölle los. Ich hatte die Anrufe eines durchschnittlichen Monats am heutigen Tag und auch Patrizia war extrem eingespannt. In der Filiale in Porzach, die sich knapp 25 km entfernt vom Hauptstandort befand, brannte die Hütte. Ein ehemaliger Kollege hatte sich im gleichen Bereich selbstständig gemacht und nicht nur einige Mitarbeiter, sondern auch noch gut 25 % der Kunden abgeworben. Nun war zuerst ein Krisenstab ins Leben gerufen worden, zudem natürlich auch Patrizia als Vertriebsleitung gehörte und ich im Grunde auch, da ich sowohl die neuen Aufgaben, als auch die alltäglichen abpuffern musste. Natürlich beinhaltete die neue Situation auch wieder neue Überstunden und das nicht nur heute. Ehrlich betrachtet musste in der Zweigstelle eine komplett neue Vertriebsabteilung aufgebaut werden und so lange würden wir den Part mit übernehmen. Den gesamten Tag über sahen Patrizia und ich uns fast gar nicht, zumal sie ab Mittag komplett in der Zweigstelle gebraucht wurde. Wir schrieben uns einige Nachrichten, allerdings auch nur dann, wenn wir kurz Luft hatten, was heute kaum der Fall war.

Als ich Feierabend machte, war sie immer noch nicht zurück und ich schrieb ihr, dass ich nun ginge, sie aber gerne noch hören würde.

„Hab einen schönen Feierabend, ich rufe dich später noch an, möchte dich auch unbedingt noch hören! Kuss P.“

Ich verstand es einfach nicht. Sie schrieb so wunderbar liebevolle Nachrichten, aber warum kam sie nicht einfach kurz bei mir rum?

„Freue mich!“, antwortete ich.

Gegen 20 Uhr meldete sie sich von der Fahrt nach Hause.

„Hey Süße, war dein Tag auch der absolute Horror?“, fragte sie.

„Ich sag es dir, sowas brauche ich definitiv nicht jeden Tag!“

Wir unterhielten uns über die Vorkommnisse und erzählten uns gegenseitig, was wir alles mitbekommen hatten.

„Sag mal, ich habe zwar nur kurz Zeit, aber ich habe eine solche Sehnsucht nach dir, darf ich kurz zu dir kommen?“, fragte sie plötzlich. Mein Herz hüpfte vor Freude.

„Natürlich, ich freue mich extrem!“, sagte ich.

„Das ist gut, ich stehe nämlich schon vor deiner Haustür, wäre sonst etwas blöd gewesen.“, lachte sie.

„Rede nicht so viel, schwing deinen süßen Hintern hier hoch, die Zeit mit dir ist kostbar!“, sagte ich fix und legte auf.

Keine 2 Minuten später klingelte es und ich drückte den Türöffner. Ich hörte ihr schnellen Schritte im Flur, offensichtlich hatte sie es ebenso eilig wie ich. Sie stürmte an mir vorbei, schloss die Tür und drückte mich mit dem Rücken dagegen.

„Da habe ich jetzt so lange drauf gewartet!“, sagte sie kaum hörbar und küsste mich direkt. Es tat so wahnsinnig gut, sie küssen und berühren zu können. Sie im Büro jeden Tag zu sehen, ihr aber nie nah sein zu dürfen, war schon nicht ganz leicht.

Wir umarmten und küssten uns immer wieder, als hätten wir uns ein Jahr nicht gesehen. Ich hätte sie am liebsten gar nicht mehr losgelassen.

„Möchtest du reinkommen und etwas trinken?“, fragte ich.

„Nein, es tut mir leid, aber ich muss schon wieder los. Ich wollte uns nur die Zeit bis morgen Abend etwas erträglicher machen, insbesondere mir.“, sagte sie und zwinkerte mich an. Wenn sie wüsste, was sie mit diesem Zwinkern bei mir auslöste, würde sie sich das bestimmt zweimal überlegen...oder eher auch nicht.

„Patrizia, ich möchte nicht aufdringlich sein, aber was hast du denn gestern gemacht und was machst du heute? Ich weiß nicht, welchen Status du uns gibst, aber darf ich nicht wissen, wo du bist?“, ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, weil ich endlich Gewissheit haben wollte.

„Was meinst du mit Status? Ob wir zusammen sind?“, fragte sie und wich ein wenig von mir weg. Nicht viel, aber ich bemerkte es.

„Im Grunde möchte ich wissen, ob ich einfach nur dein Bürohäschen bin, das du zum Spaß flachlegst oder da mehr zwischen uns ist als ein Affäre!“

„Du bist mir wahnsinnig wichtig, Mara, aber das habe ich dir auch schon mehrfach gesagt und hoffentlich auch gezeigt.“, antwortete sie mit leicht genervtem Unterton.

„Das beantwortet meine Frage nicht, wo stehe ich bei dir?“

„Mara, ich bin nach einem anstrengenden Tag zu dir gefahren, weil ich dich unbedingt sehen wollte und natürlich auch, weil ich gemerkt habe, wie enttäuscht du bist. Ich kann dir nicht versprechen, dass wir eine lebenslange Beziehung führen, Kinder bekommen und einen Hund. Wenn du das von mir erwartest, bin ich für dich die Falsche!“, sagte sie mit ruhiger, aber kalter Stimme.

OK, das Gespräch entwickelte sich in eine vollkommen andere Richtung als erwartet. Ich hatte doch gar nichts von Ehe und Reihenhaus gesagt, sondern wollte nur wissen, wo ich jetzt stand und ob ich wissen dürfte, was sie macht, wenn sie „Termine“ in ihrer Freizeit hatte.

Offensichtlich durfte ich das nicht wissen, sonst hätte sie wohl einfach geantwortet.

„Ich denke, ich gehe jetzt lieber, wir sehen uns ja dann morgen.“, sagte sie, drückte mir noch einen Kuss auf und ging.

Scheiße, genau das wollte ich nicht. Sie sollte bleiben und nicht gehen. Kurz war ich so weit, hinter ihr her zu laufen, aber ich ließ es dann doch. Diese Situation war so komisch, dass auch ich erstmal darüber nachdenken wollte. Wenn sie von so einer einfachen Frage schon so aus der Bahn geworfen wurde, musste doch irgendetwas nicht stimmen. Nahe lag, dass ich entweder wirklich nur ein Zeitvertreib war oder sie massive Bindungsangst hatte. Über beides hätte man aber doch sprechen können. Ich verstand sie nicht. Das war offensichtlich.

Irritiert über den Ausgang des Abends entschied ich mich, einfach ins Bett zu gehen. Ich putzte noch schnell meine Zähne und kuschelte mich ein. Erst hier löste sich die Anspannung und ich merkte, wie die Tränen warm über mein Gesicht liefen. So ein verdammter Mist! War hier schon alles zu Ende, bevor es angefangen hatte? Super toll, dass ich mich emotional auch immer direkt voll reinschmiss, anstatt erstmal abzuwarten. Aber Liebe und Denken passte für mich irgendwie nicht zusammen.

Ich überlegte gerade, wie ich den Worst Case überstehen könnte, als mein Handy brummte. Patrizia rief an.

„Ja?“, sagte ich kurz.

„Sag mal, weinst du?“, ich antwortete nicht.

„Scheiße, das wollte ich nicht! Es tut mir wahnsinnig leid, wie ich dich angegangen bin, das hast du definitiv nicht verdient.“

Ich schwieg weiter, weil ich merkte, dass weitere Tränen folgten.

„Och man, Süße, bitte entschuldige. Ich bin so ein Trottel! Ich habe gerade einiges an den Hacken und muss vieles erstmal für mich sortieren. Dazu gehört auch das mit uns. Du bist nicht einfach nur eine Affäre. Ich fand dich vom ersten Augenblick an so toll und habe mich lange nicht getraut, dir näher zu kommen. Das möchte ich auf keinen Fall verlieren. Ich möchte dich auf keinen Fall verlieren!“, sagte sie leise, aber sehr ernst. Ich hörte Verkehrsrauschen im Hintergrund, sie war demnach draußen. Ob auf dem Balkon oder noch gar nicht zu Hause, blieb die Frage.

Ihre Worte beruhigten mich und sie taten mir gut. Wo sie sich aufhielte, wusste ich aber nun immer noch nicht. Ich würde abwarten müssen.

„Verzeihst du mir? Bitte?“, fragte sie leise und ich musste fast schmunzeln, wie süß ich sie plötzlich fand.

„Ja, natürlich. Ich möchte dich auch auf keinen Fall verlieren!“, sagte ich.

Sie atmete deutlich hörbar aus und schien ernsthaft erleichtert.

Danach wünschten wir uns noch eine gute Nacht und legten dann auf. Ich kuschelte mich wieder ein. Nun konnte ich doch mit deutlich erleichtertem Herzen und weniger Bauchpieks einschlafen.