Der nächste Bürotag war nicht weniger chaotisch als der gestrige. Es lief auch weiterhin alles drunter und drüber und wir versuchten alle gemeinsam, das Beste daraus zu machen. Ich freute mich sehr auf heute Abend. Gemeinsames Kochen, essen und dann den Nachtisch in brünett. Fast musste ich lachen bei meinen Gedanken. 18 Uhr hatten wir verabredet, kochen wollten wir Lasagne. Das ging schnell und die Ofenzeit konnte gut genutzt werden. Vielleicht schon für einen Vornachtisch.
Ich machte so früh wie möglich Feierabend, da auch ich mich gerne noch vorbereiten wollte. Duschen, aufhübschen, schöne Sachen raussuchen.
Sie schrieb, dass sie noch im Büro aufgehalten wurde und etwas später käme. Das Duschen würde sie leider auch nicht mehr schaffen. Letzteres fand ich absolut nicht schlimm, ich würde ihr eh mehrere Gründe geben, warum sie lieber später duschen sollte.
Kurz nach 18 Uhr klingelte es und Patrizia kam grinsend zur Tür herein. Wir umarmten und küssten uns direkt und es fühlte sich direkt wieder so toll an, wie beim ersten Mal.
Unsere Lasagne gelang bestens und wie erhofft nutzten wir die Garzeit für andere Dinge. Nach dem Essen öffneten wir noch eine Flasche Wein und tranken einen Schluck zusammen. Wir schliefen weitere zwei Mal miteinander und ich wollte mich gerade zum Einschlafen an sie kuscheln, als sie sagte, dass sie nun gehen müsste.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du lässt mich jetzt hier schon wieder sitzen, obwohl morgen Samstag ist und wir nicht arbeiten müssen?“, ich war komplett entsetzt.
„Ich verstehe deine Wut absolut und auch, dass du unsicher bist. Aber ich kann es gerade nicht ändern. Ich muss gehen.“
„Warum musst du gehen? Wer oder was zwingt dich?“, fragte ich nun schon etwas lauter.
„Ich kann noch nicht darüber reden. Ich brauche noch Zeit.“, sagte sie in sich gekehrt.
„Wofür denn Zeit und wie lange?“
„Ich weiß es noch nicht genau, bitte hab Geduld mit mir!“, nun klang sie nahezu flehend.
„Ich weiß nicht, was du da mit mir veranstaltest, aber sowas tut mir nicht gut! Ich denke, dann ist es jetzt wirklich besser, du gehst.“, sagte ich entsetzt.
Ich wandte mich von ihr ab und drehte mich im Bett so, dass ich ihr den Rücken zuwandt.
„Mara, es tut mir leid!“, sagte sie. Ich hörte aber, dass sie sich erhob und anzog. Sie ging nun also wirklich. Meine Wut stieg ins Unermessliche.
Als nächstes hörte ich, wie sie ihre Schuhe anzog und ihre Absätze auf meinem Laminat Richtung Tür klackerten. Sie öffnete die Tür, wartete noch kurz, ging dann und zog die Tür hinter sich zu.
Ich fasste es nicht! Ich war so sauer und enttäuscht, dass ich nicht mal mehr heulen konnte. Was dachte die sich denn? Kommt, wenn es ihr passt zum Vögeln und geht dann wieder. Und was das mit mir machte, war dann egal? Ich glaube, es hackt!
Dann schreibt sie wieder so unendlich liebevolle Nachrichten, auf die ich voll abfahre und heuchelt Verständnis, dabei hat sie gar nicht die Absicht, mir irgendetwas leichter zu machen.
Ich hörte noch das Brummen meines Handys, aber ich wollte absolut nichts mehr von Patrizia hören. Zum Teufel mit der! Ich hatte nicht vor, mich wieder verletzen zu lassen, wenn es dafür ehrlich betrachtet auch schon zu spät war. Aber ich musste es jetzt nicht auch noch schlimmer haben, als es eh schon war.
Ich ignorierte sämtliche Nachrichten und Anrufe von ihr am Wochenende und stellte mich in meiner Wohnung tot. Ich hörte, dass jemand an meiner Haustür klingelte und ging davon aus, dass es sie war. Das komplette Wochenende verbrachte ich mit Eis im Schlafanzug im Bett und mir wäre es auch egal gewesen, wenn der ganze Scheißplanet explodiert wäre. Das hätte zumindest zu meiner Stimmung gepasst.
Ich sah mir alte Serien an, schlief viel, heulte zwischendurch und aß dann wieder Eis. So schaffte ich es nahezu erfolgreich, die zwei Tage bis zum neuen Wochenanfang zu überbrücken. Mir graute etwas davor, sie zu sehen, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde.
Mittlerweile hatte ich ihre Nachrichten gelesen, es waren 26 an der Zahl, abwechselnd Entschuldigungen und der Bitte, mich zu melden. Ich tat weder das eine noch das andere. Was sollte ich entschuldigen, wenn sie nichts ändern würde? Und melden hatte dann auch keinen Sinn.
Am nächsten Morgen fuhr ich sehr lustlos ins Büro. Einerseits wegen Patrizia, auf der anderen Seite hatte ich auch die Menge an Arbeit im Hinterkopf, die meine Motivation nicht gerade ansteigen ließ.
Als ich im Büro ankam, war Patrizia bereits vor Ort. Sie hatte einen riesigen Blumenstrauß auf meinem Schreibtisch platziert und kam direkt auf mich zu, als ich die Flurtür öffnete.
„Ich hatte etwas gehofft, dass ich dich erwische, bevor die anderen kommen.“, sagte sie ziemlich zerknirscht.
„Mara, ich habe nachgedacht und kann dich so gut verstehen!“, sie hielt dabei meine Hand. „Ich möchte dir gerne die Sicherheit geben, die du benötigst. Wäre es für dich in Ordnung, wenn wir zum Beispiel zwei Mal die Woche die Nacht gemeinsam verbringen würden? Ich muss noch einiges regeln, aber das möchte ich dir anbieten. Du darfst dir die Tage auch aussuchen.“
Das klang zumindest nach einer Weiterentwicklung, wenn ich auch immer noch nicht wusste, wo ihr verdammtes Problem war. Aber sie zwei Nächte bei mir zu haben, war wiederum so verlockend, dass ich das Angebot kaum ausschlagen konnte. Außerdem sah sie so süß aus, als sie mich so zerknirscht leicht von unten ansah.
„Ja, ich denke, damit könnte ich vorerst leben. Sind die Blumen für mich?“, fragte ich noch, bevor Patrizia ihre Arme um mich schlang und mich kräftig drückte.
„Oh, was ist denn hier los? Geburtstag?“, unbemerkt hatte Michael Sandberg das Büro betreten.
„Nein, das war dafür, dass Frau Stracke mir hier den Rücken frei hält, wo hier gerade alles drunter und drüber geht.“, sagte Patrizia ohne zu zögern.
Nicht schlecht, das wäre mir nicht so fix eingefallen, dachte ich.
„So eine Chefin hätte ich auch gerne.“, sagte Michael und ging zum Kopierer auf dem Flur.
Als Patrizia in ihr Büro ging, blickte ich sie mich nochmal an und ich konnte in ihrem Gesicht Erleichterung sehen. Als ich genauer hinsah, dachte ich erst, dass ihre Augen ganz leicht mit Tränen gefüllt waren, so richtig sehen konnte ich es allerdings nicht. Heilige Scheiße, wegen mir? Dann bin ich ihr doch wichtiger, als ich dachte. Am liebsten wäre ich zu ihr ins Büro gegangen und hätte sie umarmt, geküsst und getröstet und ihr gesagt, dass sie sich wegen mir keine Sorgen machen muss, weil ich...man, ja... verliebt in sie war. Aber das passte nun gar nicht ins Büro und ob ihr eine Liebeserklärung in dieser Situation recht gewesen wäre, bezweifelte ich.
Die nächsten Wochen waren wirklich wunderschön. Die Arbeit wurde etwas leichter, weil einige Dinge nun besser liefen. Und auch die Zeit mit Patrizia war einfach wahnsinnig toll, entspannt und so, wie ich mir das immer gewünscht hatte. Sie hatte ihr Versprechen gehalten und übernachtete ganz nach meinem Wunsch mittwochs und samstags bei mir, was ich in vollen Zügen genoss. Dass ich immer noch nichts über ihren Verbleib an den anderen Tagen wusste und wir uns auch nach wie vor nur bei mir trafen, nahm ich vorerst hin. Ich genoss die Zeit mit ihr so sehr, dass ich den Rest einfach ausblendete.
Am Freitag dieser Woche hatten wir von unserer Abteilung unser Weihnachtsessen in einem kleinen Restaurant in der Altstadt und ich freute mich schon sehr darauf. Es war die erste Weihnachtsfeier mit Patrizia und das Essen war immer eine absolute Gaumenfreude. Wir entschieden, gemeinsam vom Büro aus hinzufahren. Das war ziemlich unverfänglich, weil viele andere Kollegen ebenfalls Fahrgemeinschaften bildeten.
Ich hatte mir ins Büro ein Wechseloutfit mitgenommen, in das ich auf der Damentoilette schnell hineinschlüpfte. Noch etwas Deo und Parfüm, das musste für heute reichen, mehr war nicht drin. Ich war gerade fertig, als die Tür hinter mir aufging und Patrizia hineinkam und kurz checkte, ob noch jemand im Raum wahr.
„Oh, da steht ja mein heißes Gerät, wollen wir wirklich zur Weihnachtsfeier oder darf ich dich gleich hier vernaschen?“, sagte sie leise und warf mir entblößende Blicke zu.
„Och, ich glaube, etwas Hunger habe ich schon und diese Vorspeisenteller sind immer so lecker.“, entgegnete ich lachend.
„Wie kannst du jetzt nur ans Essen denken? Ich habe ganz andere Fantasien.“
„Ja, das dachte ich mir. Du darfst morgen wieder ran, heute wird gefeiert!“, sagte ich und lachte sie an.
Die Feier war wirklich toll organisiert und das Essen köstlich. Als ich gerade dabei war, mein Birnenkompott zu löffeln, stand plötzlich ein mir unbekannter Mann neben Patrizia.
„Hallo Frau Senge, entschuldigen Sie die Störung, aber ich habe sie gerade erkannt und wollte kurz Hallo sagen.“
„Ah Herr Römer, das ist ja ein Ding, dass wir uns hier sehen. Was treibt Sie in unsere Stadt?“, fragte sie.
Beide unterhielten sich über eine Firma, die ich nicht kannte. Offenbar handelte es sich um einen Kunden der Firma, in der Patrizia vorher gearbeitet hatte.
Kurz bevor er ging, drehte er sich nochmal zu ihr um und sagte: „Ach, und grüßen Sie Frederik herzlich von mir. Ich habe ihn letzte Woche in Berlin getroffen und er hat mir erzählt, dass sie beide heiraten werden. Herzlichen Glückwunsch! Wann ist noch der Termin? Im Februar oder?“
Wie in Trance blickte ich zu Patrizia hoch und sah, wie sie komplett geschockt aussah und dann langsam nickte.
Laut polternd fiel mein Löffel auf den Tisch neben mein Kompott.
In mir fühlte es sich an, als wäre ein Orkan ausgebrochen und der Boden würde sich ohne mich weiterbewegen. Ich konnte nicht glauben, was ich soeben gehört und gesehen hatte. Sie war nicht nur in einer Beziehung mit einem Mann, sondern auch noch mit diesem verlobt und würde ihn im nächsten Jahr heiraten. Sie hatte mich die ganze Zeit verarscht und ich hatte das im Gefühl.
Alle um uns herum sitzenden Kollegen und Kolleginnen hörten die „freudige“ Nachricht und gratulierten Patrizia. Ich saß wie vom Donner gerührt auf meinem Platz und beobachtete, wie einzelne Birnenstücke den Löffel herunterliefen und sich auf der Tischdecke platzierten. Das war es also, warum ich nichts von ihr wissen durfte und auf Abstand gehalten wurde. Verfluchte Scheiße. Soweit zu: Die tolle Frau ist meine. Ich war so weit davon entfernt, dass es lächerlich war. ICH war lächerlich und hatte mich zum Gespött gemacht. Vor ihr, vor Kollegen und ganz besonders vor mir. Ich bemerkte, dass sie mich, während sie von den Kollegen beglückwünscht und gedrückt wurde, mit weit aufgerissenen Augen ansah. Ich musste hier raus, und zwar sofort. Mir war egal, was die Kollegen dachten, ob das auffällig wäre oder ich eine blöde Figur machte. Ich musste hier weg! Idealerweise noch bevor ich mein Essen über den gesamten Tisch kotzte.
Wie in Trance griff ich nach meiner Jacke, die glücklicherweise hinten an meinem Stuhl hing, weil ich zu faul war, sie zur Garderobe zu bringen. Ein Hoch auf die Faulheit. Hätte ich sie erst noch unter all den anderen Jacken suchen müssen, wäre ich ohne rausgegangen.
Ich stand in gefühlter Zeitlupe auf und blickte Patrizia kurz an. Sie schüttelte langsam den Kopf, doch mich konnte hier nichts mehr halten und ich ging ohne ein Wort zu sagen nach draußen. Zuerst langsam, als ich die Tür aber fast erreicht hatte, rannte ich ihr beinah entgegen. Was für ein beschissener Albtraum. Die kalte Luft sorgte zumindest dafür, dass ich wieder in der Realität ankam und meine Hirnvernebelung etwas nachließ. Ich musste nach Hause, und zwar sofort. Ich ging schnellen Schrittes Richtung Taxistand, der knapp 200 Meter vom Restaurant entfernt war, da wir mit Patrizias Firmenwagen gekommen waren. „Wir“ war ja wohl nur noch blanker Hohn. In mir begann sich der Schock zu lösen und eine Welle der Trauer übermannte mich. In der Öffentlichkeit zu weinen war für mich immer ein No Go. Meine Gefühle hatten meiner Meinung nach nichts im öffentlichen Raum verloren, sondern gehörten in meine eigenen vier Wände. Leider bemerkte ich, dass ich diesen Gefühlstsunami nicht aufhalten würde können und entschied mich daher, die knapp sieben Kilometer bis zu meiner Wohnung zu gehen. Im Taxi heulen, die Blöße würde ich mir nicht geben. Das war vielleicht auch ganz gut, wenn ich mir das Adrenalin herauslief. So bekam ich wegen dieser blöden Kuh nicht auch noch ein Magengeschwür.
„Mara, bitte warte, ich kann dir das erklären!“, hörte ich Patrizia rufen. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie hinter mir war.
Nicht auch noch dieses Klischee, dachte ich. Erst bin ich die Affäre, die nichts von ihrem Mann weiß und dann kann sie das natürlich erklären. In jedem beschissenen Liebesfilm kann man diese Wörter hören und sie bringen nie irgendetwas. Wie sollte man Betrug denn auch erklären können?
Ich drehte mich zu ihr um und merkte, dass ich mich im Auge des Orkans befand, denn ich wurde plötzlich ganz ruhig. Patrizias Wimperntusche war verlaufen, offenbar waren ihr ebenfalls die Tränen gekommen und sie wirkte ganz aufgelöst. Aber ehrlich gesagt, war mir ihre emotionale Verfassung gerade sowas von egal. Ich musste irgendwie den Weg nach Hause schaffen, das war das erste Ziel, das es zu erreichen galt. Und dann musste ich das Erlebte irgendwie überleben, ohne daran kaputt zu gehen. Wenn du jahrelang niemanden als Partnerin und dich in deinem Leben eingerichtet hast, ist es leichter zu ertragen, dass da niemand ist. Aber angefixt werden und sich eine tolle gemeinsame Zukunft auszumalen, um dann mit der Suppenkelle ins Gesicht geschlagen zu bekommen, war eine ganz andere Hausnummer.
„Es gibt absolut nichts, was du noch erklären müsstest, es ist definitiv alles gesagt.“, sagte ich kurz und klang etwas roboterhaft.
„Nein, es ist noch nicht alles gesagt. Lass es mir dir doch bitte erklären.“, sagte sie und ihr liefen die Tränen nun in Bächen herunter.
„Steht dieser Hochzeitstermin, ja oder nein?“, fragte ich etwas aggressiver.
„Ja, aber...“, ich ließ sie nicht ausreden.
„Dann hast du mich die letzten Wochen belogen und auch betrogen. Du hast mir nicht mal die Wahl gelassen, ob ich da mitmachen möchte oder nicht, sondern mir vorgespielt, du wärest an mehr als nur einer Affäre interessiert. Vielleicht hätte ich dann auch mit dir gevögelt, aber dann wäre mir das vorher klar gewesen und ich hätte mich nicht Hals über Kopf in dich verliebt, verdammte Scheiße!“, nun konnte auch ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Das Ganze hier war so verlogen und entwürdigend.
Sie sah mich ernst an und wollte gerade etwas antworten, aber ich hatte von ihr genug gehört. Für heute und den verdammten Rest meines Lebens.
„Ich möchte, dass du mich in Ruhe lässt. Das sollte dir ja leicht fallen, wo ich eh nur die blöde Idiotin war, die dir den Alltag versüßt hat. Einen schönen Abend noch, Frau Senge!“, sagte ich und ließ sie einfach auf der Straße stehen.
Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie ich es nach Hause geschafft hatte, aber nach gut 90 Minuten stand ich vor meiner Haustür und steckte den Schlüssel ins Schloss. Im Flur angekommen hatte ich schlagartig das Gefühl, als wäre mir die Batterie ausgebaut worden. Mir war schwindelig und meine Beine waren so schwer, als hätte ich Beton in den Schuhen. Ich wusste, dass ich mich jetzt hinlegen musste, sonst wäre ich womöglich noch umgekippt. Mein Handy brummte in einer Tour, abwechselnd Nachrichten und Anrufe, aber bei mir war es jetzt vorbei. Ich legte mich in mein Bett und spürte so etwas wie Schüttelfrost, das die ganze Zeit nicht wegging. Ich hörte, wie meine Türklingel schellte, aber all das bekam ich nur noch gedämpft mit. Mein Herz war diesen Abend gebrochen und wenn ich das heil überstehen wollte, dann brauchte ich jetzt Ruhe.