Kapitel 19

Am nächsten Morgen mit Patrizia aufzuwachen war wunderschön. Wir hatten die kurze Zeit der Ruhe eng umschlungen verbracht und es fühlte sich so verflucht richtig an, dass ich hier war. So wollte ich gerne leben. Mit ihr zusammen.

Leider klingelte der Wecker ohne Schonung und wir mussten uns auf den Weg zu, zweiten Tag der Vertriebstagung machen. Heute wurden die Zahlen für den Rest des Jahres übermittelt und die Vertriebler darauf eingepeitscht, diese Verkaufszahlen auch zu erreichen. Ich hätte den Tag wesentlich lieber mit Patrizia alleine verbracht, aber es war nun nicht zu ändern, dass wir los mussten. Patrizia musste zudem einen Teil der Vorträge übernehmen und sie eine dreiviertel Stunde anstarren zu können, fühlte sich dann doch gar nicht so schlecht an.

Wir tranken einen schnellen Kaffee aus dem teuren Kaffeevollautomaten, der so viel kostete wie die Miete meiner Wohnung und fuhren mit meinem Auto zur Zentrale, wobei wir erst einen kurzen Umweg zu meiner Wohnung machten, damit ich mir frische Sachen anziehen konnte. Patrizia hatte ihren Firmenwagen an der Zentrale stehen lassen.

„Soll ich dich lieber woanders herauslassen?“, fragte ich sie, kurz bevor wir die Firma erreichten.

„Warum?“, sie sah mich irritiert an.

„Wenn wir zusammen morgens mit dem Auto ankommen und uns jemand sieht, wird es Gerüchte geben, du weißt, wie das hier läuft.“

„Ja und? Ich bin verliebt in dich und daraus möchte ich kein Geheimnis machen. Oder wäre es dir lieber, wenn wir noch nicht zusammen gesehen werden?“

Ich war ziemlich erstaunt über ihre Aussage. Sie hatte mir gestern noch in einem Halbsatz erzählt, dass ihre Eltern nichts von ihrer Vorliebe für Frauen wussten, sie nur mit ihrer Schwester darüber gesprochen hatte. Die reagierte zwar ganz cool, meinte aber auch, dass das bei den Eltern Probleme geben könnte. Als Patrizia Frederik mitgebracht hatte, war auch ihre Schwester erleichtert, da es nun keinen Streit geben würde und alles „normal“ lief.

„Nein, ich bin stolz darauf, die Frau an deiner Seite sein zu dürfen. Das kann wegen meiner die ganze Welt erfahren!“, sagte ich und nahm ihre Hand. Sie lächelte mich an und ich konnte sehen, dass sie sich über meine Worte sehr freute.

Am Parkplatz angekommen nahmen wir unsere Taschen aus dem Kofferraum und gingen zur Eingangstür. Einige Kollegen und Kolleginnen schlenderten auch gemächlich in Richtung Tagung. Viel Motivation war bei ihnen offensichtlich nicht vorhanden. Der zweite Tagungstag wurde von den meisten als sinnlos angesehen. Die Zahlen hätte man auch als Mail versenden können und statt acht Stunden in einem Tagungsraum zu sitzen, hätten bereits erste Verkäufe getätigt werden können. Die Geschäftsführung war allerdings anderer Meinung und so blieb es bei diesem Prozedere.

Einige irritierte Blicke streiften Patrizia und mich, aber wir verhielten uns so, als sei es das Normalste von der Welt, dass die Gesamtvertriebsleitung und die Projektleitung aus Porzach gemeinsam zum Dienst erschienen.

Meine Laune war heute Morgen bestens und ich freute mich auf den Tag, auch wenn sie die Tagung bis 23 Uhr machen würden. Ich war bei der Frau, die ich liebte, der Rest war mir egal.

Auch Patrizia lächelte in einer Tour und unterhielt sich bestens gelaunt mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So gelöst kannte ich sie gar nicht. Gerade beruflich hatte sie immer ein wenig den Hauch von Verbissenheit. So, als wartete sie jede Sekunde mit einem Angriff, auf den sie vorbereitet sein musste. Wenn eine Aufgabe in zwei Stunden nicht zu erledigen war, versuchte sie es eben in der Hälfte der Zeit. Aber heute sah ich eine ganz andere Seite von ihr. Sie hörte zu, lachte viel, war unglaublich charmant. Ich beobachtete sie immer mal wieder und musste lächeln. Wenn sich unsere Blicke trafen, zwinkerte sie mir zu und wir lachten uns an. Also, wenn das niemand bemerkte, wie wir uns wie die Bekloppten angrinsten, dann wusste ich es auch nicht.

Sogar Kira wurde heute herzlich von Patrizia begrüßt und während die noch ganz irritiert aussah, fasste Patrizia ihr an die Schulter und sagte anscheinend etwas Aufmunterndes, denn ich konnte Kira scheu lächeln sehen. Sie blickte Patrizia ungläubig hinterher und schien einige Minuten nicht verstehen zu können, dass sie dieses Mal nicht für irgendetwas angemeckert wurde.

Als ich mir in der Pause einen Kaffee holte, kam Julia zu mir gesaust.

„So, wie du grinst, hat alles geklappt?“, fragte sie und grinste.

„Oh Mist, ich habe dir gar nicht geschrieben, dass alles ok ist. Das tut mir leid! Aber ja: Es ist alles gut gegangen. Wir haben uns ausgesprochen und sind jetzt zusammen.“, krass, wie sich das anhörte, wenn ich es laut sagte.

„Das freut mich sehr für euch! Wie ich sehe, ist die Stimmung bei der Senge, oh sorry: bei Patrizia, auch ziemlich ausgelassen. Das steht ihr wirklich gut. Dann wirkt sie nicht immer so vertrocknet.“

Ich zog eine Augenbraue hoch und sah sie streng an.

„Sorry!“, antwortete Julia neckisch und ich wusste, dass ihr „Sorry“ nicht ernst gemeint war. Ich musste lachen.

„Ich denke, du wirst sie die Tage noch von einer anderen Seite kennenlernen und dann könnt ihr dieses dämliche Kriegsbeil begraben.“

„Ich habe damit nicht angefangen!“, sagte sie sofort, „Aber gut, ich gebe mir Mühe.“

Ich musste nun sehr lachen. Julia und Patrizia würden sich gut verstehen, da war ich ganz sicher. Sie hatten einen ähnlichen Humor und eine gewisse Verbissenheit war Julia nun auch nicht abzusprechen.

In der Mittagspause musste ich unbedingt Torben informieren. Er freute sich und meinte, dass wir dann ja in Zukunft lauschige Pärchenabende veranstalten konnten. Ich musste sehr lachen, denn weder zu ihm noch zu mir passten solche Veranstaltungen.

Nach dem kurzen Telefonat mit meinem Bruder ging ich wieder Richtung Besprechungsraum und wurde an der Tür von Patrizia abgepasst.

„Alles ok bei dir?“, sie sah mich ernst an.

„Ja, alles ok, ich habe nur kurz meinen Bruder angerufen, um ihm die neue Entwicklung mitzuteilen. Er hat sich so lange meinen Liebeskummer angehört, da sollte er auch die schönen Dinge erfahren.“

Sie lächelte: „Das ist schön. Ich dachte, es wäre etwas passiert, weil du plötzlich rausgelaufen bist.“

„Wenn etwas ist, bist du ab jetzt die Erste, die das erfährt. Tja, mitgefangen, mitgehangen.“

„Oh, das hätte ich besser vorher gewusst!“, lachte sie, „Ich muss gleich den Vortrag halten und gehe schon mal rein. Wollen wir uns nachher Essen vom Asiaten mitnehmen und bei mir den Abend verbringen?“, sie blickte mir tief in die Augen.

„Sehr gerne. Wenns allerdings nichts zu essen gibt, wäre das auch nicht so schlimm, nur muss dann die Hausbesitzerin dran glauben.“, flüsterte ich lachend.

Patrizia spitzte die Lippen und riss die Augen auf: „Na denn.“, sagte sie süffisant und ging zwinkernd in den Raum.

Patrizias Vortrag war brillant. Obwohl sie den Part mit den trockenen Zahlen hatte, versprühte sie so eine Energie, dass einige im Plenum sich verwundert die Augen rieben. Sie baute kleine Anekdoten und sogar Witze ein, die für eine ganz andere Stimmung im Raum sorgten. Ich war absolut begeistert und wusste, dass ich beruflich von ihr noch eine Menge lernen konnte. Vielleicht würde ich das Thema Karriere mit ihrer Hilfe doch noch in Angriff nehmen.

Die Veranstaltung wurde glücklicherweise heute mehr als pünktlich beendet und allen stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Ich half noch schnell mit, klar Schiff zu machen, ich wusste ja noch, wie das ging, das war sonst schließlich meine Aufgabe gewesen. Saskia und Sina freuten sich, dass sie nun nicht alles alleine machen mussten und da Patrizia eh noch im Gespräch war, brach ich mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich ein paar Tassen einsammelte.

Als wir fast fertig waren, kam Sina zu mir und sagte: „Mensch, Frau Senge sprüht ja heute vor Energie, scheint, sie ist richtig glücklich mit ihrem Frederik.“

Was für eine blöde Kuh sie war! Diese gehässige Art hatte ich bei ihr vorher nicht wahrgenommen. Sie wusste, dass ich mir mehr von Patrizia erhofft hatte und mir so einen Spruch zu drücken, fand ich zum Kotzen. Ich fragte mich, was sie davon hatte, wenn es mir schlecht ging. Und sowas bezeichnete sich dann auch noch als eine Freundin.

Ich überlegte krampfhaft, was ich antworten sollte, war wegen ihrer Dreistigkeit allerdings so perplex, dass mir nichts Passendes einfiel.

Zum Glück musste ich das auch gar nicht. Patrizia erschien hinter uns und wollte mir eigentlich nur meine Jacke bringen, bekam die Aussage von Sina dabei allerdings direkt mit.

Als Sina sie wahrnahm, zuckte sie zusammen, denn natürlich wollte sie nicht, dass Patrizia das mitbekam.

Patrizia funkelte sie wütend an und Sina schluckte. Langsam drehte Patrizia dann den Kopf zu mir: „Komm, mein Schatz, wir fahren jetzt nach Hause, der Tag war lang genug.“, sagte sie und hielt mir die Jacke zum Anziehen hin. Meine Tasche hatte sie auch schon dabei.

„Ja, gerne.“, antwortete ich und sah, dass Sinas Mund sich langsam vor Staunen und Unglaube öffnete. Das hier würde ihr kleines Weltbild zerschreddern und das tat verdammt gut, sie so zu sehen.

Patrizia legte den Arm um mich und ohne noch ein Wort zu Sina zu sagen, gingen wir Arm in Arm aus dem Gebäude.

 

Das Leben meinte es verdammt gut mit mir.

 

ENDE