Langsam glitten die Sterne an der QUEEN MARY vorbei, aus der Unendlichkeit kommend, in die Unendlichkeit entschwindend.
Das Schiff flog nun nicht mehr durch den hyperluminaren Raum, sondern mit Sublichtgeschwindigkeit, was jedoch immer noch Zweidrittel der Lichtgeschwindigkeit ausmachte, die Sterne und Planeten wurden dadurch scheinbar in die Länge gezogen.
Im hyperluminaren Wurmloch-Kontinuum selbst gab es keine Sterne. Die Wurmlöcher, die wie ein Netz das ganze Universum durchzogen, waren Röhren mit Wänden aus strahlendem Licht.
Zurzeit flog das Schiff auf Autopilot. Dadurch fand Withman die Gelegenheit, den Roman zu Ende zu lesen, mit dem er vor einer Woche begonnen hatte. Es handelte sich um die Erzählung ›Vor dem Ende aller Tage‹, ein Klassiker aus dem Jahr 2097, geschrieben von Cliff Reynolds, einem der bekanntesten Autoren dieser Zeit. Dieses Buch war kein MDD-Book, bei dem die Seiten bloß Computerdaten waren, sondern ein echtes Buch aus Papier. Withman mochte es eben klassisch.
Er hörte für den Moment auf zu lesen, dachte über seine Passagiere nach. Curwen konnte ihn nicht leiden, das war kaum zu übersehen. Das hing offenbar damit zusammen, dass Withman ein Schmuggler war, ein nicht gerade anerkannter Berufsstand.
Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit, er konnte Curwen genauso wenig ausstehen. Vor allem deswegen nicht, weil Brooks anscheinend scharf auf ihn war. Dass sein Mädchen etwas für diesen aufgeblasenen Space Navy-Offizier übrig hatte, schmeckte ihn gar nicht. Doch da war noch etwas anderes. In seinem Unterbewusstsein regte sich das Gefühl, dass diese Antipathie tiefer ging, viel tiefer – und ihre Wurzeln weit in der Vergangenheit lagen. Withman hatte die unerklärliche Seelenregung, dass Curwen ihm nicht zum ersten Mal die Freundin ausspannte, was jedoch unmöglich war, die beiden Männer trafen auf Kohh-Dahl III zum ersten Mal in ihren Leben aufeinander. Und seitdem er und dieser Space Navy-Heini auf demselben Schiff weilten, hatte er immer wieder diesen seltsamen Tagtraum, in dem Curwen zu ihm sagt: »Ich werde dich aufhalten, Sutekh-a-Seth!« Withman hatte nicht die geringste Ahnung, wer dieser Sutekh-a-Seth sein soll.
Was auch immer es mit diesem Tagtraum auf sich hatte, momentan interessierte es ihm nicht. Seine Gedanken waren auf Jennifer Brooks gerichtet, die ihm offenbar abspenstig wurde. In Richtung Curwen – diesem Arsch von Space Navy-Offizier!
Jene Frau, für die Withman etwas empfand und hinter der Curwen anscheinend her war, befand sich gerade im Maschinenraum und überprüfte das Ortungssystem, um sicher zu gehen, dass es auch ordnungsgemäß funktionierte. Es war zwar schon vor ihrem Abflug überprüft worden, doch Withman zog es vor, auf Nummer sicher zu gehen. Die Ortungsgeräte mussten hundertprozentig funktionieren.
Withman legte das Buch zur Seite, begann am Hauptcomputer herum zu hantierten.
Gut! Programm Withman Alpha ist geladen. Alles in Butter!, dachte er bei sich. Jenes Programm erzeugte ein falsches Ortungssignal, sodass die Kehhl’daaraner dachten, es befänden sich Leute aus ihrem Volk an Bord der QUEEN MARY. Die perfekte Tarnung, die bislang auch tadellos funktioniert hatte.
Nun sah er auf die Navigationskontrollen, um sich zu vergewissern, dass sie noch immer auf dem richtigen Kurs waren. Nicht die geringste Abweichung, alles lief prima.
Withman wollte sich gerade wieder dem Buch zuwenden, als Curwen ins Cockpit trat. Seine Mimik strahlte unbändigen Zorn aus.
Withman sah, dass Curwen seine Waffe trug, etwas, das er seit Stunden nicht mehr getan hatte. Irgendwas war im Busch.
Curwen zog seine Pistole, hielt sie Withman vors Gesicht.
»Was soll das?«, protestierte Withman heftig.
»Sie sind mir ein paar Antworten schuldig … Mister Withman! Oder sollte ich besser sagen: Mister Scudmore?«, fauchte Curwen in Rage.
Withman reagierte entsetzt, als Curwen seinen wahren Namen aussprach. Er fühlte sich, als hätte man ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Curwen wusste es! Er hatte Withmans wahre Identität herausgefunden. Aber wie?
»Das staunen Sie … was? Ja! Ich weiß genau wer Sie sind!«, fuhr Curwen spitz fort. »Commander Jayden Scudmore, Agent des USNIA, dem Geheimdienstes der Navy. Geboren am 12. 9. 2259 in Sunny Bay City, New Earth. Besuchten von 2277 - 2281 die Space Navy Akademie, und Sie waren von 2292 - 2296 Erster Offizier an Bord der SUSN REAPER. Seit dem 1. Januar 2297 sind Sie Mitglied des Geheimdienstes. Richtig! Nicht wahr!?«
»Ja leider!«, stieß Withman alias Scudmore zähneknirschend hervor. »Sie haben recht, mit allem. Ich heiße tatsächlich Jayden Scudmore und ich bin Agent des USNIA.« Besser gesagt, ich war es!, fügte er in Gedanken hinzu. Curwen wusste längst nicht alles über ihn. Dass man ihn vor einem halben Jahr aus dem Geheimdienst entlassen hatte, weil er in den Korruptionsskandal um den ehemaligen Geheimdienstchef Cadan Sweeney verwickelt war, wusste er offenbar nicht.
Curwen steckte seine Waffe in das Halfter zurück, stemmte die Hände in die Hüften, machte ein triumphierendes Gesicht. »Ich habe von Anfang an geahnt, dass Sie falsch spielen. Mein Instinkt hat mich also nicht betrogen.«
»Wie haben Sie es herausgefunden?«
»Auf eine recht merkwürdige Art. Anscheinend gibt es an Bord dieses Schiffes jemanden, der genau weiß, wer Sie sind. Jemand, der wollte, dass ich es auch weiß.«
Irgendwer hat mich verraten, aber wer?, sinnierte Scudmore/Withman.
Eigentlich kam dafür nur eine Person in Frage: Jennifer Brooks! Sie war also eine falsche Schlange. Aber woher wusste sie von seiner wahren Identität? Er hatte sie nie eingeweiht, würde das auch nie tun. Selbst die tschanganischen Rebellen wussten nicht, wer er tatsächlich war. Niemand soll es wissen, sein Leben hing davon ab.
Scudmores/Withmans Vertrauen war zerstört. Er begann sich zu fragen, ob er es die ganze Zeit mit einer Betrügerin zu tun gehabt hatte. Er fragte sich, ob ihre Liebe zu ihm nur gespielt war, um auf diese Weise sein Vertrauen zu erschleichen. Auf diese Fragen konnte nur eine Person die Antwort geben: Brooks selbst, falls sie dazu bereit war.
»Ich wollte eigentlich ein Buch herunterladen«, gab Curwen von sich, »als da plötzlich Ihre Personalakte auf dem Bildschirm erschien. Mit dem Hinweis versehen: ›Das ist Cillian Withman wirklich!‹ Welch ein Glück, dass ich den Computer gerade in diesem Augenblick eingeschaltet habe.«
Das war sicher kein Zufall. Das Ganze war geplant!, urteilte Scudmore erzürnt.
Curwen setzte sich auf den Kopilotensitz, bedachte sein Gegenüber mit hartem Blick, Scudmore wurde von ihm geradezu durchbohrt. »Sie sind also ein Spion. Darf ich erfahren, was Sie hier zu schaffen haben?«
Scudmore wollte antworten, dem Space Navy-Captain den größten Seemannsgarn aller Zeiten erzählen, aber Curwen gab Scudmore keine Gelegenheit dazu, beantwortete die Frage selbst: »Nein! – Sagen Sie nichts! Sie schmuggeln nicht nur Waffen an die tschanganischen Rebellen, sondern sind zugleich unser Verbindungsmann zu diesen Leuten. Und wahrscheinlich spionieren Sie zudem im Empire herum. Die Informationen über diese kehhl’daaranische Superwaffe stammen höchstwahrscheinlich von Ihnen. Als Sie der Sache auf den Grund gehen wollten, haben Sie gründlich versagt, weshalb Thenga und ich die Sache nun in die Hand nehmen müssen. Richtig geraten?«
»Fast. Nur der Schlussteil stimmt nicht ganz. Man hat Sie aus einem anderen Grund zu diesem Projekt hinzugezogen.«
Eine glatte Lüge! Er hatte mit der Sache nichts zu tun. Er war wie gesagt schon seit einem halben Jahr weg vom Geheimdienst der Navy und arbeitete nun tatsächlich als Schmuggler. Von jener Superwaffe, die Curwen erwähnte, hörte er jetzt zum ersten Mal.
»Sagen Sie mir den Grund!«
»Tut mir leid, Geheimsache!«, reagierte Scudmore schnippisch.
Curwen verlor die Beherrschung. Die rechte Hand schnellte nach vorne, mit stählernem Griff packte er Scudmore vorne am Kragen: »Ich pfeif auf die Geheimhaltung! Ich will wissen, was hier gespielt wird!«
»Ich auch!«, gab Thenga von sich, der gerade zu ihnen gestoßen war. Und er war nicht sonderlich erfreut über das, was er zu sehen bekam. »Sag mal, bist du jetzt total durchgeknallt? Du kannst doch nicht unseren Chauffeur verprügeln!«
»Wenn es dabei hilft, Antworten zu bekommen, schon.«
»Könnte mir einer von euch verraten, was hier abgeht?«
»Ganz einfach. Ich hatte recht! Withman ist nicht der, als der er sich ausgibt«, machte Curwen im verächtlichen Ton deutlich.
Thenga reagierte mit einem erstaunten Gesicht.
»Er weiß nichts davon?«, fragte Scudmore.
»Nein! Er war zu dem Zeitpunkt, an dem sie auflogen, in der Badewanne auf Tauchstation. Und ich hatte keine Zeit, um ihn darüber in Kenntnis zu setzen. Ich musste sofort zu Ihnen kommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Sie entlarvt sind.«
»Wie lange ist das her?«
»Nicht einmal fünf Minuten.«
»Wovon weiß ich nichts?«, dröhnte Thenga erregt. »Erklärt mir endlich mal einer, was hier gespielt wird. Herrgott doch mal!«
»Withman nennt sich in Wahrheit Scudmore und gehört dem Geheimdienst der Navy an«, gab Curwen Auskunft.
»Stimmt das?«, wandte sich Thenga an Scudmore/Withman.
Scudmore nickte. »Ja!«, gab er wütend von sich, fauchte dann Curwen an: »Könnten Sie endlich Ihre Pfoten von mir lassen!«
Dieser ließ Scudmore los, bedachte ihn mit einem eisigen Blick. Wenn er diesen Mann bislang nicht mochte, dann konnte er ihn jetzt erst recht nicht leiden.
»Und woher weißt du das?«, brachte Thenga eine berechtigte Frage vor. Er hatte noch immer einen verwirrten Gesichtsausdruck. Er wusste nicht so recht, was er von der Angelegenheit halten sollte.
»Man hat mir eine Nachricht geschickt, die auf Scudmores wahre Identität hinweist.«
»Wer hat das getan?«, stellte Thenga eine weitere Frage. Eine sehr kluge Frage, die sich Curwen und Scudmore auch schon gestellt hatten.
»Keine Ahnung«, entgegnete Curwen mit einem Schulterzucken. »Wer kommt dafür in Frage?«
»Es gibt an Bord dieses Schiffes nur eine Person, die das getan haben kann: Jennifer Brooks!«, gab Scudmore zornbebend seine Vermutung kund. »Es gibt außer ihr keine Verdächtigen.« Im Flüsterton fügte er hinzu: »Miststück!«
Thenga stimmte ihm nickend zu, während Curwen ihn argwöhnisch ansah. Irgendwas an Scudmores Worten gefiel ihm nicht. Er hatte das Gefühl, dass er längst nicht alles über den Mann wusste, dass Scudmore noch gewisse Geheimnisse in sich barg. Sein Instinkt sagte ihm, dass Scudmore mehr war als ein Schmuggler, mehr als ein Geheimagent.
Doch wenn er weder Schmuggler, noch Agent war – was dann? Wer oder was auch immer Scudmore in Wahrheit war, Curwen wird es herausfinden. Das schwor er sich.
»Da ist ja die Verräterin!«, entfuhr es Scudmore. Sofort fuhren Curwens und Thengas Kopf in Richtung Zugangsluke.
Dort stand die vermeintliche Übeltäterin und wirkte erschrocken: »Was zum Henker soll das? Weshalb soll ich eine Verräterin sein?«
»Tu nicht so scheinheilig! Du hast Curwen zugesteckt, wer ich wirklich bin. Du hast meine Geheimidentität verraten. Schlampe!!«
»Welche Geheimidentität?«, fragte Brooks konfus. Sie hatte keine Ahnung, was dieser Aufruhr zu bedeuten hatte.
»Rede nicht so, als hättest du keine Ahnung, was los ist!«, erhob Scudmore seine Stimme zu einem Geschrei. Er war ziemlich gereizt.
Curwen hatte das Gefühl, dass Brooks es ernst meinte, sie tatsächlich nicht wusste, was los war. Also sagte er es ihr. »Ihr Kumpel ist nicht der, als der er sich ausgibt. Er heißt in Wahrheit Jayden Scudmore und ist Geheimagent.«
Diese Neuigkeit traf Brooks wie ein Hammerschlag, ihr fiel die Kinnlade herunter. Sie erholte sich jedoch rasch von dem Schock und fuhr Scudmore alias Withman an: »Was? Ist das wahr?«
»Ja!«, brüllte Scudmore sie an. Die Situation wurde immer aufgeheizter. Es sah so aus, als würden sich die beiden bald in die Haare kriegen.
»Na toll! Wer ist hier der Schuft?«, kreischte Brooks. »Du hast mich hinters Licht geführt.«
»Nein! Du hast mich verraten!«, konterte Scudmore.
»Hallo! Jemand zuhause da oben im Oberstübchen? Ich kann dich gar nicht verraten haben, weil ich bis jetzt nichts von deinem falschen Spiel wusste.«
»Wer soll es dann gewesen sein, der Kaiser von Andromeda?«, höhnte Scudmore. »Den Fakten nach kannst nur du es gewesen sein.«
Brooks schob ihre Hände in die legere Jeanshose, blickte Scudmore trotzig an: »Vielleicht hast du dich ja selbst verraten und schiebst die ganze Schuld mir in die Schuhe. Ich weiß zwar nicht, weshalb du das tun solltest, aber unwahrscheinlich ist es nicht.«
Curwen musste zugeben, dass Brooks möglicherweise gar nicht so unrecht hatte. Im Moment war alles ziemlich verworren.
»Du Miststück!«, schrie Scudmore, verlor endgültig die Fassung. »Wie kannst du mir so etwas unterstellen?«
»Das kann ich dich genauso fragen!«, hielt Brooks dagegen. »Ist das der Beweis deiner Liebe?«
Diese Frage stellte sich Curwen auch. Wie konnten zwei Menschen, die so mies miteinander umgingen, ein Liebespaar sein.
»Liebe? Du weißt doch gar nicht, was das ist, du … du … Flittchen!«, brüllte Scudmore. »Du bist doch nur auf Sex aus! Was war das für eine Vorstellung in der Bar in Sraa-La-Kahh? Dort hast du Curwen schöne Augen gemacht, hast ihn mit deinen Blicken geradezu verschlungen. Du brauchst es gar nicht zu leugnen, ich bin ja nicht blind!«
»Nichts für ungut, aber ich finde Curwen viel attraktiver als dich, und sicher ist er auch kein Versager im Bett wie du.«
Das war der Tropfen, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachte. Scudmore ballte die rechte Hand zu einer Faust, sprang von seinem Sitz auf und wollte Brooks eine knallen. Curwen ging dazwischen, um zu verhindern, dass dieser brutale Kerl auf Brooks eindrosch. Er hasste es, wenn jemand eine Frau verprügelt.
Schnell wurde ihm klar, dass dies nicht gerade eine gute Entscheidung war. Scudmores Faust sauste durch die Luft, knapp an Thenga vorbei und landete in Curwens Gesicht. Peng! Curwen sah Sterne. Der Schlag war so gewaltig, dass Curwen gegen eine Wand geworfen wurde. Blut tropfte aus einer Wunde an der Lippe und das Kinn schmerzte. Da wo Scudmores Faust ihn getroffen hatte, bildete sich ein blaugelber Fleck. Er fühlte sich, als hätte man ihn gerade mit einem Vorschlaghammer ins Gesicht gedroschen.
Jetzt bekam es auch Thenga mit der Wut zu tun: »Was soll das? Wie können sich zwei erwachsene Menschen nur so benehmen?«
»Brooks wirkt auf mich manchmal nicht sehr erwachsen. Oft benimmt sie sich wie ein Girlie, das nur auf Jungs aus ist«, entgegnete Scudmore nicht minder hitzig.
»Sie auf mich auch nicht! Ihrem Verhalten nach sind Sie nicht älter als sechzehn. Sie … Sie … Nullbit!« Klatsch! Thenga verpasste Scudmore eine schallende Ohrfeige.
Curwen musste wegen Thengas Wutausbruch lächeln, so an die Decke ging sein Freund selten. Thenga war an sich die Ruhe in Person. Es war nicht leicht, ihn aus der Fassung zu bringen. Diese schrägen Vögel hatten es jedoch geschafft.
Das Lächeln hätte er jedoch unterlassen sollen, denn dadurch wurde sich Curwen bewusst, welch Schaden Scudmores Schlag an seinem Kinn verursacht hatte. Mit dem Handrücken seiner Rechten wischte er sich das Blut von seinem Mund, welches von der Wunde an der Lippe stammte.
»Sie beide verdächtigen sich gegenseitig. Was wäre aber, wenn es keiner von Ihnen war? Was wäre, wenn wir einen blinden Passagier an Bord haben, der das Ganze eingefädelt hat? Auf einem Schiff, das hauptsächlich aus Frachträumen besteht, kann man sich sicher gut verstecken. Haben Sie schon an diese Möglichkeit gedacht?«, fragte Thenga die beiden Kontrahenten.
Scudmore, Brooks und Curwen blickten bestürzt zu Thenga, ein Indiz dafür, dass bislang keiner der drei diese Möglichkeit in Betracht gezogen hatte.
»Sie könnten recht haben«, gab Scudmore zu. »Auf diesem Schiff kann man sich tatsächlich gut verstecken. Der blinde Passagier mag zwar für uns unsichtbar sein, jedoch nicht für die internen Sensoren. Wenn sich hier noch jemand aufhält, müsste er mit ihnen aufzuspüren sein.«
»Es sei denn, er kann seine Biowerte abschirmen«, schränkte Curwen ein. »So etwas ist möglich.« Es seufzte gequält. Mit lädiertem Kinn zu sprechen war eine Tortur.
»Das ist richtig«, stimmte Scudmore zu. »Deswegen werde ich das Schiff auch noch selbst bis in den letzten Winkel untersuchen, falls die Sensoren nichts finden. Nur so können wir sicher sein.« Er warf Brooks einen finsteren Blick zu. »Ich bin auch dafür, dass wir Brooks in ihrem Quartier unter Arrest stellen, solange wir nicht wissen, ob sie etwas mit der Sache zu tun hat.«
Curwen nickte zustimmend. Sagen wollte er nichts, mit verletztem Kinn tat das weh. Zudem hatte er das Gefühl, dass das Kinn nicht der einzige Körperteil war, der Schaden genommen hatte, es schien ein Zahn locker geworden zu sein.
Brooks wollte zuerst protestieren, fügte sich jedoch schließlich und ließ sich von Scudmore in ihr Quartier bringen. Sie hatte schon genug Ärger am Hals und war nicht scharf darauf, noch mehr zu bekommen.
Bevor Scudmore mit Brooks das Cockpit verließ, wandte er sich noch an Curwen: »Tut mir leid für den Schlag, aber wieso mussten Sie mir auch im Weg stehen!«
Zum Glück bin ich dir im Weg gestanden, sonst hätte Brooks jetzt ein lädiertes Kinn, du Ekel!, dachte Curwen, sah ihn gewohnt frostig an.
»Tut es sehr weh?«, fragte Scudmore und setzte eine reumütige Miene auf.
Curwen war klar, dass sich Scudmore nicht wirklich bei ihm entschuldigte, er verspottete ihn. Curwen wollte ihm eine deftige Antwort geben, auf die Gefahr hin, dass sich sein kaputtes Kinn wieder zu Wort meldete. Doch er bekam keine Gelegenheit dazu. Bevor Curwen zu einer Erwiderung ansetzen konnte, da hatte sich das Schott schon hinter Scudmore geschlossen.
»Das war dumm«, wandte sich Thenga an Curwen. »Ich denke, wir müssen das kleine Malheur im Lazarett behandeln.«
»In Ordnung, und dann kein Wort mehr darüber«, antwortete Curwen unleidlich. Jetzt habe ich doch wieder geredet, fuhr es ihm durch den Kopf. Und was habe ich davon? Das Gefühl, dass mir das Kinn herunterfällt!
Er verzog gepeinigt das Gesicht. Das machte seine Schmerzen nur noch größer. Dieser Scudmore hat einen verdammt harten Schlag. War der Kerl mal Profiboxer? In diesem Moment geschah es, Curwen brach ein Zahn heraus.
»Sind Sie sicher, dass das Gedankenkontrollgerät funktioniert?«, fragte er.
»Ich hoffe es«, entgegnete sein Gegenüber.
»Sie hoffen es?«
»Wir hatten bislang keine Möglichkeit, es ausführlich zu testen.«
»Es muss funktionieren! Es ist für das Gelingen meines Planes unerlässlich, dass es funktioniert!«
»Wir können nur sicher sein, dass es funktioniert, wenn wir es benutzen.«
»Dann tun Sie es.«
»Und was soll mein Mann auf der TILL‘KARA suggerieren?«
»Das überlasse ich Ihnen.«
»Wie Sie wünschen … K’korr!«
Er hatte sie am Handgelenk gepackt, hielt sie mit starkem Griff fest – Brooks hatte das Gefühl, als befände sich ihre Hand in einem Schraubstock – schleifte sie durch den Korridor in Richtung ihres Quartiers.
»Lass mich los! Du tust mir weh!«, reagierte Brooks ruppig, versuchte sich aus seinem Griff zu lösen.
»Halts Maul, du falsche Schlange!«, knurrte Scudmore, verstärkte den Griff.
»Ich bin keine falsche Schlange. Ich habe nichts damit zu tun«, hielt Brooks energisch dagegen.
»Das wird sich zeigen.«
Als sie Brooks Quartier erreicht hatten, hieb Scudmore mit der Faust auf den Türöffner. Kaum war die Tür offen, da stieß er sie in den Raum, schrie sie an: »Du bleibst solange hier drinnen, wie ich es für richtig halte.«
Brooks landete auf dem Hosenboden. Ihr Blick war auf Scudmore gerichtet, in den Augen loderte der Zorn. »Schuft!«, zischelte sie.
Er achtete nicht mehr auf sie, verließ wortlos den Raum, begab sich zurück ins Cockpit. Dort angekommen bemerkte er eine blinkende Anzeige, die darauf hinwies, dass sie vor Kurzem eine Nachricht erhalten hatten. Sehr merkwürdig!
Er aktivierte das Kommunikationssystem, sah die Speicherbanken mit den aufgezeichneten Nachrichten durch. Ihm fiel eine Nachricht ins Auge, die erst vor fünf Minuten eingelangt war. Es handelte sich dabei um eine reine Textnachricht. Sie war in kehhl’daaranischer Schrift gehalten, zudem auf einer Militärfrequenz übermittelt worden, was die Sache noch eigenartiger machte. Der Inhalt blieb ihm verborgen, weil die Schriftzeichen wild durcheinander waren, keinen Sinn ergaben, sie mussten durch einen Codeschlüssel an die richtige Stelle gebracht werden. Sehr interessant, kommentierten seine grauen Zellen.