Neunundzwanzig

Das ist eine amtliche Mitteilung der imperialen Streitkräfte:

Der Feind rückt weiter in unser Territorium vor. Dabei muss er sich System um System blutig erkämpfen. Seine Verluste sind groß und sie werden Tag für Tag größer.

Es wird nicht mehr lange dauern, bis sein Vormarsch von unseren tapferen Soldaten gestoppt wird.

Aversion, mein Herr bist du!

Jede Faser seines Körpers war mit Unbill durchdrungen, so als bestünde er nur daraus. So fühlte sich Cara’uhn zu jener Stunde an jenem Ort.

Dieses Abendessen, zu dem T’khhal’toor T’harkana ihn geladen hatte, machte Cara’uhn ziemlich gnatzig, denn er verspürte nicht im Geringsten Lust auf ein Treffen mit diesem – Kehhl’tak soll ihn verfluchen! – Federfuchser. Dass sein unausstehlicher Schwager Cara’hiruus dem Mahl ebenfalls beiwohnte, ging ihm erst recht auf die Nerven.

Sein Schwager war der arroganteste Schnösel unter den Zwillingssonnen von Kehhl’daar. Mit stolzgeschwellter Brust schritt er durchs Leben, ließ alle Welt wissen, wie toll er doch sei. Cara’hiruus war von seiner Genialität überzeugt. Jedoch nur er. Seine grenzenlose Überheblichkeit machte ihn blind für die Wahrheit, blind für die Tatsache, dass er ein Tölpel war. Er dachte, er wüsste alles besser, doch nur selten hatte er wahrlich den Durchblick.

Cara’uhn saß am rechten Kopfende des massigen Tisches im prächtigen Speisesaal des Amtssitzes des T’khhal’toor, schnitt eine finstere Miene, während er an seiner Z’l’ik-Keule nagte. Nur mit geringer Aufmerksamkeit vernahm er die Worte seines Schwagers, der dem T’khhal’toor gerade von der Schlacht im T’pin-System erzählte. In seiner typisch blumigen Art berichtete er davon, wie es seinem Flagschiff gelang, innerhalb kürzester Zeit drei Schiffe der Union zu zerstören.

Cara’uhn horchte auf. Diese Erzählung kam ihm etwas seltsam vor. Seines Wissens spielte sich die Schlacht nicht so ab wie Cara’hiruus sie darstellte. Cara’uhn wurde gewahr, dass sein widerlicher Schwager dem T’khhal’toor Ammenmärchen auftischte. Geflunker und Prahlerei, auch so eine tadelnswerte Eigenart von Cara’hiruus.

Cara’uhn widersprach nicht, soll Cara‘hiruus dem T’khhal’toor doch seine erlogenen Heldengeschichten erzählen.

Er hatte die eine Keule bis zum Knochen abgenagt, wollte soeben nach einer Weiteren greifen, als Cara’hiruus zu schildern begann, wie es ihm gelang das Flagschiff der United Space Navy, die SUSN VIRIBUS UNITIS, zu zerstören. Diese infame Lüge wollte er diesem Wicht nicht durchgehen lassen, denn das war zu viel an Dreistigkeit.

Cara’uhn fuhr von seinem Stuhl auf, fauchte auf Östliches Kharr-Kehhl’daaranisch: »Hör auf mit deinem Märchen! Jeder weiß, dass die VIRIBUS UNITIS noch in einem Stück ist.«

»Wirklich, ist das so?«, reagierte Cara’hiruus missfällig. »Hast du sie gesehen?«

»Nein!«, gestand sich Cara’uhn ein. »Doch weiß ich mit Sicherheit, dass dieses Schiff nicht an der Schlacht im T’pin-System teilgenommen hat. Folglich kann es nicht von deinem Schiff zerstört worden sein.«

»Ich habe nicht behauptet, dass es im T’pin-System zerstört wurde. Du solltest besser zuhören, geehrter Schwager.«

»Es wurde nicht zerstört!«, brüllte Cara’uhn außer sich vor Zorn.

T’harkana schlug wütend auf den Tisch. »Ich dulde keinen Streit in meinem Haus! Tragen Sie ihn gefälligst wo anders aus. Haben wir uns verstanden, meine K‘khurr?«

»Ich schon, bei dem da bin ich mir nicht so sicher«, reagierte Cara’uhn pampig. Er hatte eine Z’l’ik-Keule ergriffen und deutete damit auf Cara’hiruus. Der gab keine Gegenbemerkung von sich, grunzte nur missbilligend.

»Sie waren an diesem Abend bislang ruhig. Erzählen Sie doch mal was, Sha’kre Cara’uhn«, forderte T’harkana.

»Was wollen Sie hören?«

»Erzählen Sie etwas über den Grund Ihres Aufenthalts im Tschangan-System. Den wahren Grund!

Ich war ehrlich gesagt etwas überrascht, als man mir mitteilte, dass die TILL’KARA ins System einfliegt, und auch über den Grund dessen. Ich hätte mir gedacht, dass der große Cara’uhn Wichtigeres zu tun hat als kleine Schmuggler zu jagen.

Also sagen Sie mir: Was ist an diesem Schmuggler so wichtig, dass man einen unserer größten Krieger damit beauftragt, ihn zu schnappen?«

Cara’uhn wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sein Armreif-Kommunikator am rechten Handgelenk zirpend zum Leben erwachte. Cara’uhn brummte unleidlich, führte die Hand zum Mund, murmelte: »Cara’uhn hier! Was gibt es?«

Aus dem winzigen Lautsprecher fisperte die Stimme von Rakk’kre Rata’ron. Sofort wusste Cara’uhn, dass etwas nicht in Ordnung war, Rata’ron klang besorgt. Zudem wurde die Übertragung von einem Knistern und Rauschen überlagert, das nicht normal war. »Wir haben ein Problem, Ill’jak! Es ist besser, wenn Sie sofort zurückkommen.«

»Problem? Welcher Art?«, fragte Cara’uhn mit zunehmender Unruhe.

»Es ist dienlicher, wenn Sie sich selbst ein Bild davon machen, Ill’jak.«

»Probleme? Hat dein Rakk’kre Gul’sul gemacht?«, neckte Cara’hiruus.

Cara’uhn maß ihn mit einem vernichtenden Blick. »Das geht dich gar nichts an … Mann meiner Schwester!«, knurrte er, wirbelte herum – verließ schnellen Schrittes den Speisesaal.

Cara’hiruus, der T’khhal’toor, blickten ihm mit grüblerischen Gesichtern nach.

»Das sieht mir nach Ärger aus«, meinte T’harkana.

»Großer Ärger!«, stimmte Cara’hiruus zu.

Hastig schritt Cara’uhn durch die Korridore des Regierungspalastes von Parikan in Richtung Shuttlelandeplatz, auf dem ein Pendelschiff für ihn bereitstand. Sein Gefühl flüsterte ihm zu: Was auch immer auf der TILL’KARA vorgefallen war, ein Mann zeichnete sich dafür verantwortlich: Zeb. J. Curwen!

› »Cara’uhn! Nachkomme des Kara’ahhl Kur’uh.

Du bist nicht nur ein Krieger. Nein! In dir steckt mehr, viel mehr.

Du besitzt eine Gabe wie sie nur Wenige ihr Eigen nennen können. Bald wirst du ihrer gewahr werden.

Doch sie wird dir keine Freude bringen. Im Gegenteil! Viel Leid wird durch sie über dich kommen. Du wirst es geduldig ertragen. Denn du wirst erkennen, dass es dein Schicksal ist zu leiden. Dein Leid wird andere retten. Auch das Leben deines größten Feindes!« ‹

Kaum zurück, begann Cara’uhn mit einen Rundgang, um sich ein Bild von den Schäden zu machen. Sein Mienenspiel war düster gleich einem trüben Herbsttag, als er durch die Kommandozentrale seines Schiffes – oder besser gesagt, das was davon übrig war – wandelte.

Diese elektrischen Entladungen hatten ganze Arbeit geleistet, sämtliche Leitungen waren durchgeschmort, alles lief nur noch auf Reservesysteme, die zum Glück ihren eigenen Stromkreis hatten, deshalb von den Entladungen nicht betroffen waren. Das Schiff war eindeutig im Eimer, benötigte umfassende Reparaturen. Aus diesem Grund hing es am Fangstrahl eines anderen Schiffes, wurde von ihm in eine Raumwerft im Orbit von Tschergun geschleppt. Cara’uhns Schwager wird seine Freude haben, wenn er davon erfährt.

Er hielt inne, guckte zu Rata’ron, der ihm gegenüberstand, die Hände vor die Brust gefaltet, den Kopf gesenkt. Beschämter, verkniffener Blick.

Der Rakk’kre machte eindeutig sich für dieses Desaster verantwortlich. Ihn traf jedoch keine Schuld, Rata’ron hatte seine Arbeit gut gemacht, diese List von Curwen konnte er einfach nicht vorhersehen.

Der Sha’kre wandte seinem Stellvertreter den Rücken zu, lenkte die Schritte zum hintenüber liegenden Teil der Brücke, wo sich die Tür befand, die in den Bereitschaftsraum führte. Mit einem Wink gab er Rata’ron zu verstehen, ihm zu folgen.

Kaum da sich die Tür hinter den beiden Kehhl’daaranern geschlossen hatte, da drang ein Schwall von Rechtfertigungen aus Rata’rons Mund.

Cara’uhn hob gebieterisch die rechte Hand, brachte mit jener Geste den Redefluss zum versiegen. »Schluss jetzt! Hören Sie auf, sich Selbstvorwürfe zu machen, es war nicht Ihre Schuld. Sie haben sich wie immer vorbildlich verhalten. Die Schuld liegt ganz alleine bei diesem Menschen, Zebediah J. Curwen!«

»Sie sind also der Meinung, dass Curwen an Bord dieses Schiffes war.«

»So ist es«, bekannte Cara’uhn. »Das ist auch der Grund, weshalb ich Sie hergebeten habe. Ich möchte mit Ihnen die nächsten Schritte besprechen.«

»Bei allem Respekt, Ill’jak! Sie haben nicht den Hauch eines Hinweises darauf, dass Curwen an Bord dieses Frachters war. Die unorthodoxe Art, auf die die TILL’KARA ausgeschaltet wurde, ist ein vages Indiz, nicht mehr«, hielt Rata’ron zweifelnd dagegen. »Sollten Sie jedoch recht haben und sich dieser Mensch tatsächlich an Bord des Frachters befunden haben, dann ist er nun tot. Es ist ausgeschlossen, dass er die Zerstörung des Schiffes überlebt hat.«

Cara’uhn bedachte Rata’ron mit einem gefälligen Lächeln. »Ich habe Zebediah Jonah Curwen lange genug studiert, um zu wissen, dass man bei ihm immer mit dem Unwahrscheinlichen rechnen muss. Es sind doch sicher Aufzeichnungen von dem Vorfall gemacht worden.«

Rata’ron nickte bejahend.

»Sehen wir sie uns mal an. Ich bin mir sicher, dass wir eine Überraschung erleben werden.« Er gab dem Computer einen verbalen Befehl. Kurz darauf flimmerte eine Darstellung des Kampfes zwischen dem Frachtschiff und der TILL’KARA über einen großen Monitor an der Wand.

Cara’uhn und Rata’ron betrachteten sie aufmerksam, doch bislang konnten sie nichts Auffälliges entdecken.

Als sie Zeuge wurden, wie der Frachter die TILL’KARA ausschaltete, verzog Rata’ron das Gesicht, er erinnerte sich nur ungern an dieses Ereignis.

»Ich glaube, jetzt wird es interessant«, sprach Cara’uhn.

Konzentriert beobachtete er, wie kehhl’daaranische Raumjäger den Frachter verfolgten, ihn pausenlos mit Plasmastrahlen beschossen. Minuten später verging er in einem Feuerball.

»Das war’s. Curwen ist tot«, gab Rata’ron in müden Ton von sich.

»Noch nicht!«, widersprach Cara’uhn. »Computer! Letzte Sequenz nochmals abspielen, halbe Geschwindigkeit.«

Erneut sahen sie, wie der Frachter vom Feuer verschlungen wurde, doch diesmal expandierte es merklich langsamer. Cara’uhn lächelte.

»Was ist los? Haben Sie etwas entdeckt?«

»In der Tat! Computer! Letzte Sequenz ein weiteres Mal abspielen, Geschwindigkeit erneut um die Hälfte verringern, zentralen Bildausschnitt um fünfzig Prozent vergrößern.«

Jetzt bemerkte es auch Rata’ron. Inmitten der Feuerbrunst bewegte sich etwas. »Was ist das?«, fragte er verblüfft.

»Ein Shuttle!«, erklärte Cara’uhn. »Curwen ist mit einem Shuttle entkommen. Dabei hat er die Explosion als Deckung benutzt.«

»Wenn Sie recht haben, müsste es von unseren Ortungsgeräten erfasst worden sein, sobald die Explosion abgeklungen war. Doch die Systeme haben nichts registriert«, bemängelte Rata’ron.

Cara’uhn antwortete seinem Stellvertreter nicht sofort. Er ließ das Objekt noch weiter heranzoomen und schärfer stellen. »Da haben wir die Antwort. Er ist mit einem tschanganischen Shuttle geflohen, das über begrenzte Hyperluminar-Kapazität verfügt. Ich nehme an, er hat einen kurzen Sprung in die Atmosphäre von Tschangan gemacht. Das war zu schnell, um von unserer Ortung erfasst zu werden.«

»Verdammt!«, kam es Rata’ron aus dem Mund. »Sie hatten mit Ihrer Vermutung recht. Was machen wir jetzt?«

»Kontaktieren Sie alle Beobachtungsstationen auf dem Planeten. Wenn die Ortungsgeräte der Schlachtschiffe nichts aufgezeichnet haben, dann vielleicht sie.«

»In Ordnung«, bestätigte Rata’ron. Er hielt einen Moment lang inne, dachte über etwas nach. »Und was unternehmen wir bezüglich dieses Schmugglers, wegen dem wir überhaupt hier sind?«

»Wir haben seine Spur verloren, würde ich sagen. Er ist uns beim Tschangan-Nebel durch die Lappen gegangen. Doch keine Sorge, wir werden ihn schon wieder finden.« Cara’uhn zog einen Thorr’khall aus der rechten Brusttasche seiner Uniform, reichte ihn Rata’ron. »Jetzt wo wir wissen, wen wir suchen, ist die Sache etwas leichter.«

Rata’ron las den Text auf dem Display durch, reagierte überrascht. »Woher haben Sie diesen Hinweis?«

»Jemand hat mir diesen Thorr’khall vor dem Treffen mit T’harkana überrecht.«

Cara’uhn ging in sich, rief sich diese seltsame Zusammenkunft in einem Flur des Palastes in Erinnerung.

Ein junger Offizier der Palastwache kam auf ihn zu, erklärte ihm, dass er Informationen über dem Schmuggler hatte, nach dem Cara’uhn suchte.

Cara’uhn fand es seltsam, dass dieser Offizier über Cara’uhns Mission im Tschangan-System Bescheid wusste, doch machte er sich keine weiteren Gedanken darüber. Auch jetzt nicht.

Für Cara’uhn war eine Antwort auf diese Frage nicht wichtig, für ihn waren nur die Informationen, die dieser Mann lieferte, von Bedeutung.

»Wie dem auch sei. Unsere Leute in diesem Sektor sollen nach ihm Ausschau halten.«

Cara’uhn wäre nicht so unbekümmert, hätte er gewusst, dass der Informant dem Blutorden angehörte.

»Wenn wir ein Foto hätten, wäre es leichter, diesen Withman zu finden«, meinte Rata’ron.

»Der Informant, der mir diese Nachricht zukommen ließ, wies mich darauf hin, dass Withman sich der nano-genetischen Tarnung bedient, um sein Aussehen ständig zu wechseln, weshalb ein Foto nichts nützt. Aber ein Name ist auch sehr hilfreich. Ich will, dass jeder imperiale Offizier in diesem Sektor Nachforschungen nach einem Terraner namens Cillian Withman anstellt. Vielleicht bringt das was.«

»Der Mann könnte so wie sein Aussehen seinen Namen geändert haben. Unsere Kenntnis des Namens könnte also wertlos sein«, schränkte Rata’ron ein.

»Der Informant hat uns zusammen mit dem Namen auch noch eine Frequenz mitgeteilt, mit der man die Nanobots in Withmans Körper orten kann. Wenn die Suche nach einem Mann namens Cillian Withman keinen Erfolg hat, versuchen wir es damit.«

»In Ordnung. Sonst noch was?«

»Nein! Für den Moment ist das alles. Informieren Sie mich umgehend, falls es Neuigkeiten bezüglich Zebediah J. Curwen oder dem Schmuggler gibt.«

»Natürlich, Ill’jak«, antwortete Rata’ron. Er verbeugte sich leicht, schlug sich mit der Faust auf die Brust und sprach die traditionelle kehhl’daaranische Grußformel: »Tallk’me ze ro’nu. ›Die Ehre sei mit Euch.‹ «

Cara’uhn erwiderte diese Ehrenbezeugung auf gleiche Art.

Rata’ron schlug die Harken zusammen, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.

Als er durch die Tür hindurchtrat, arbeitete es in seinem Kopf. Er beschäftigte sich mit diesem Space Navy-Offizier.

Cara’uhn war geradezu besessen von ihm. Er grübelte nach dem Grund für diese Besessenheit. Aus welchem Motiv wollte Cara’uhn den Menschen unbedingt in seine Finger kriegen? Nur um sich bei ihm für die Schmach zu rächen? Rata’ron hatte den Verdacht, dass da mehr dahinter steckt.

Er blieb vor einer der beschädigten Konsolen stehen, beobachtete einen Techniker, wie er sie Stück für Stück auseinandernahm. Zumindest erweckte er diesen Anschein. Tatsächlich achtete er kaum auf den Techniker – Rata’ron war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um den Mann wahrlich zu registrieren. Seine Gedankengänge wandten sich nicht nur um Curwen, sondern auch um diesen mysteriösen Schmuggler.

Er fragte sich, wer der ominöse Informant war, der sie über diesen Schmuggler in Kenntnis setzte, weshalb es so wichtig war, den Schmuggler zu schnappen. Dass der Mann Angaben über die tschanganischen Rebellen machen konnte, war Rata’rons Erachtens nach nicht der alleinige Grund. Wie bei Curwen galt auch bei ihm: Da steckte mehr dahinter!