Der Plan war: Schaffe Cheyenne Hamilton aus dem Weg, nimm ihre Identität an – verpfeife Scudmore an die Kehhl’daaraner, damit diese ihm ordentlich eine auf die Mütze geben. Leider waren die Dinge nicht ganz so gelaufen wie beabsichtigt.
Teil eins des Planes hatte hervorragend funktioniert, die Agentin war mausetot. Die Sache mit Scudmore jedoch – die ging nüchtern betrachtet schief.
Die TILL’KARA wurde auf die Spur von Jayden Scudmore gebracht, so wie beabsichtigt – in der Hoffnung, dass die Kehhl’daaraner die QUEEN MARY aufbringen, doch leider war in diesem Plan Zeb. J. Curwen nicht einkalkuliert, der dem legendären Sha’kre Cara’uhn ordentlich die Suppe versalzen hat. Und auch ihm.
Doch was soll‘s! Aufgeschoben war nicht aufgehoben. Letztlich wird sein Auftraggeber das bekommen, was er will, früher oder später wird Scudmore eine unliebsame Begegnung mit den kehhl’daaranischen Folterknechten haben, die wahre Meister ihres Faches waren.
Jetzt befand er sich auf Tschangan, als Cheyenne Hamilton, so wie gewollt. Jedoch war er auf anderen Weg auf den Planeten gelangt als beabsichtigt. Die Besatzung der YUSHAZHA abzumurksen, das Schiff zu sprengen, mit einer Rettungskapsel nach Tschangan zu fliegen, war nicht das, was er gewollt hatte. Doch wie auch Scudmores Entkommen war diese Wendung nicht weiter tragisch. Er befand sich nun dort, wo er sein wollte, und nur das zählte.
Er war auf dem Weg zu einem zwielichtigen Typen namens Skehll.
Skehll stammte von einer Welt, genannt Saderia, dem fünften Planeten eines Sonnensystems, dreiundsechzig Lichtjahre von Sol entfernt, das über ungewöhnlich viele Himmelskörper verfügte, einunddreißig Planeten und mehr als zweihundert Monde.
Saderia war mit einem Durchmesser von 9 178 km wesentlich kleiner als die Erde, die Schwerkraft dafür höher, sie lag bei 1,3 G. Deswegen waren alle Saderianer klein vom Wuchs, im Schnitt ein Meter fünfzig. Skehll maß gerade mal einhundertvierunddreißig Zentimeter.
Man sollte sich von seiner geringen Körpermaße jedoch nicht täuschen lassen, Skehll war ein Gauner der übelsten Sorte. So wie er selbst stand auch Skehll bei dem Menschen Cadan Sweeney in Lohn und Brot.
Er? Das war Torii’khorr! ─ Ein Kehhl’daaraner!
Torii’korr schritt eine ziemlich schmale Seitenstraße – in Parikans Stadtteil Xinxinjal gelegen – entlang. Die Häuser standen dicht beieinander, typisch für diesen Bezirk, der die höchste Bevölkerungsdichte aller Stadtteile aufwies. Viele der verwinkelten Gässchen waren nicht breiter als zwei Mann. Die Häuser hoch, mehr als drei Stockwerke war gang und gäbe. Demgemäß lagen die Gassen selbst am helllichten Tag in schattenhaften Dämmerlicht.
Torii’khorr murrte. Er hatte Probleme, sich hier zurechtzufinden, schienen die Häuser doch alle gleich auszusehen. Nur anhand der Hausnummern ließen sie sich eindeutig unterscheiden.
Aufmerksam blickte Torii’khorr durch die Gasse, seine gelben Reptilienaugen spähten nach einer tschanganischen Acht. Mit Skehll in Kontakt zu treten, war nicht einfach, hielt er sich doch stets woanders auf, blieb nicht lange an einem Ort.
Vor Kurzem war einer dieser für Tschangan so typischen sintflutartigen Regengüsse niedergegangen. Der ungepflasterte Lehmboden hatte sich in Folge zu Morast gewandelt, seine Schuhe sanken darin ein. Aus den Dachrinnen gurgelte Wasser, von den Dachkanten tropfte es hinunter. Es war heiß und feucht, bleierne Schwüle.
Er verspürte ein leichtes Prickeln auf der Haut. Es kam durch das Tarnfeld zustande, das sich um seinen Körper gelegt hatte wie eine zweite Haut. Als dieses seltsame Kribbeln seinen Körper durchfuhr, tauchte in seinem Geist die Frage auf, ob es bei intensiver Anwendung des Tarnschirms zu gesundheitlichen Problemen kommen könnte.
Rechts von ihm erblickte er endlich das Gesuchte, eine schlichte Holztür, auf der eine Acht in tschanganischen Zahlensymbol prangte. Er lenkte seine Schritte zu jener Tür, ignorierte die große Pfütze, in die seine Stiefel eintauchten.
Torii’khorr betätigte einen gusseisernen Türklopfer, ein dumpfes Pochen erklang. Warten – nichts tat sich.
Torii’khorr brummte griesgrämig. Typisch Skehll! Erneut betätigte er den Türklopfer, diesmal heftiger, drängender. Endlich tat sich was, die Tür öffnete sich quietschend. Sekunden später blickte Torii’khorr in das grüne Gesicht des Saderianers.
Wie alle Saderianer hatte auch Skehll eine übergroße Nase, einen kahlen Eierkopf – im Sinne des Wortes – und ein zurückgebildetes Kinn. Seine Augen lagen tief in den Höhlen unterhalb eines ausgeprägten Stirnwulstes.
Er war nicht allein, hinter ihm stand eine Raccanerin, die nur in Unterwäsche – darüber einen Morgenmantel – gekleidet war.
Auch das unverkennbar Skehll! Der Mann war ein Lustmolch, der sich ständig mit Prostituierten vergnügte: »Hallo Süße! Was kann ich für dich tun?«, sprach er flott.
»Hat sich was mit Süße«, konterte Torii’khorr kalt. »Wir beide haben etwas zu besprechen.«
»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte Skehll konfus, sich erst jetzt bewusst werdend, was hier ablief. Eine ihm unbekannte Frau störte ihm beim Schäferstündchen mit der Raccanerin und tat so als würde sie ihn kennen.
Erst in dem Moment wurde sich Torii’khorr gewahr, dass er als Cheyenne Hamilton getarnt war.
Er schaltete die Tarnung ab, verwandelte sich wieder in einen stattlichen Kehhl’daaraner.
»Torii’khorr!!«, reagierte Skehll überrascht. »Was soll diese Maskerade?«
»Hat dich nicht zu interessieren! Ich habe Informationen für Sweeney.«
»Wieso überbringst du sie ihm nicht?«
»Weil du der Kontaktmann auf Tschangan bist. Tu was für dein Geld und vergnüge dich nicht immer mit einer dieser hässlichen, stinkenden raccanischen Nutten«, entgegnete Torii’khorr gehässig.
Der Raccanerin lag eine deftige Erwiderung auf der Zunge, doch sie schluckte sie hinunter. Sie war eine Raccanerin, gehörte zur untersten Klasse in der kehhl’daaranischen Gesellschaft, hatte folglich nichts zu melden. Als Raccaner musste man sich von den Kehhl’daaranern alles gefallen lassen, Widerspruch konnte einem Prügel oder sogar den Tod einbringen.
Das Aufkeimen von Zorn wurde schnell von Unterwürfigkeit erstickt. Die Raccanerin senkte demütig den Blick.
Torii’khorr schnaubte abfällig. Er hasste diese stinkenden nutzlosen Kreaturen. Als man ihre Heimatwelt zerstörte, hätte man nicht vorher Millionen von ihnen wegbringen sollen, um sie in die Sklaverei zu führen, sondern sie mit ihrer Welt sterben lassen.
Skehll drehte sich um, herrschte die Raccanerin an: »Nimm deine Sachen und verschwinde!«
»Was ist mit meiner Bezahlung?«
Skehll kramte in seinen Taschen herum, holte ein paar Münzen heraus, drückte diese der Raccanerin in die Hand. Die Raccanerin verschwand daraufhin in ein Nebenzimmer, kam kurz danach voll bekleidet zurück, schob sich zwischen dem Kehhl’daaraner und dem Saderianer durch die Tür, verlor sich anschließend in den dunklen Gassen.
Skehll konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf Torii’khorr. »Welche Informationen hast du?«, kläffte er verärgert.
»Es geht um Scudmore.«
»Scudmore? Diesen Menschen, hinter dem Sweeney schon lange her ist.«
»Genau der.«
»Was ist mit ihm.«
»Sag Sweeney, dass ich Scudmore an die imperialen Truppen verpfiffen habe, so wie er es wollte. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie Scudmore schnappen.«
»Ist das alles?«, fragte Skehll muffig.
»Ja.«
Skehhl war verärgert. »Und dafür hast du mich gestört?«
»Bei was?«, lästerte Torii’khorr. »Beim Schäferstündchen mit dieser raccanischen Hure?«
»Diese Nachricht hättest du Sweeney wirklich selbst übermitteln können.«
»Ich habe dir bereits erklärt, dass auch du mal was für dein Geld tun kannst!«
Skehlls Antwort bestand darin, dem Kehhl’daaraner die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Torii’khorr lächelte süffisant, wandte sich ab, ging den Weg, den er gekommen war. Zwischen den Häusern Nummer fünf und sechs schob er sich in eine Mauernische. Es war an der Zeit, seinem anderen, dem wahren Arbeitgeber, Bericht zu erstatten. Er holte aus einer Jackentasche einen dieser kleinen stabförmigen Kommunikatoren heraus, welche von Agenten des Blutordens benutzt wurden, schaltete ihn ein. »Es läuft alles nach Plan. Bald werde ich den Geheimdienst der United Space Navy unterwandert haben.«
Wer war er, wie kam er an diesen Ort? Er wusste, dass er sich im tschanganischen Dschungel befand, doch der besaß gewaltige Ausmaße, er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, in welchen Teil davon er gelandet war.
Verzweiflung machte sich in ihm breit.
Wieso wusste er nicht mehr, wer er war? Weshalb hatte er keine Erinnerungen an Ereignisse, die vor seinem mysteriösen Erwachen in diesem Dschungel stattfanden.
Wieso konnte er sich an nichts mehr erinnern?
Wieso?
Er verspürte einen stechenden Schmerz in der Brust, der rechte Arm schmerzte ebenfalls. Offenbar hatte er sich verletzt, doch wusste er nicht wo und wie? Diese Frage und all die anderen vermochte er nicht zu beantworten. Es gab nur eine Sache, die er mit Gewissheit wusste: Er musste in die Zivilisation zurückkehren, so schnell wie möglich. Je länger er hier blieb, umso wahrscheinlicher war es, dass er demnächst den Löffel abgab. Doch diese Erkenntnis führte zu einer weiteren Frage: Wo war die Zivilisation?