Nationale Sicherheit
I ch kann nicht sagen, wie es gemacht wird. Jemanden wie Buzzkill möchte man nicht verärgern, und die Weitergabe seiner Methoden könnte er als Verrat einstufen. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich noch am selben Tag mit Brille und einer Baseball-Cap, die ich mir tief ins Gesicht gezogen hatte, beim Verteidigungsministerium aufschlug, in der Hand einen Laptop, von dem ich behauptete, ihn in einem Taxi gefunden zu haben – offenbar vom letzten Fahrgast dort vergessen.
«Von außen konnte man nicht erkennen, wem er gehörte», erklärte ich dem Polizisten, der mich abfing, noch bevor ich überhaupt in die Nähe der Eingangstür kam.
Ich zeigte ihm den Startbildschirm mit dem Log-in-Fenster.
«Also fuhr ich ihn hoch und sah das », fuhr ich mit aufgesetztem englischen Akzent fort. «Ich hab mir fast in die Hosen gemacht. Ich meine, was könnte auf dem Ding denn alles drauf sein? Ich wollte nicht, dass es in falsche Hände gerät, also kam ich her. Können Sie dafür sorgen, dass die richtige Person es wieder zurückbekommt?»
Und wann das passierte, merkte ich genau, denn ich bekam eine E-Mail auf mein Smartphone mit den exakten Daten für den dreistufigen Log-in-Prozess von Sir Anthony Mead.
Innerhalb einer Stunde loggte ich mich auf seinem echten Laptop ein und bekam deutlich zufriedenstellendere Resultate, als er sie mit der Dublette hatte, die ich ihm gegeben hatte. Die kolossale Erleichterung, die er empfand, nachdem ein Fremder ihm sein unerklärlicherweise abhandengekommenes Gerät zurückbrachte, währte vermutlich nur den kurzen Moment, den es dauerte, seine Passwörter einzugeben und sich zu fragen, warum sie nicht funktionierten.
Ich suchte ja gar nicht nach irgendwelchen Aktivierungcodes für Atomwaffen: nur etwas, das zeigen sollte, wie gefährlich es war, wenn Mead erpresst oder in anderer Weise wegen seiner Affäre unter Druck gesetzt würde. Was ich jedoch fand, war nichts weniger als nuklearer Sprengstoff.
Wenn man die vierzig überschreitet, kann man schon die Befürchtung haben, dass die besten Tage vorbei seien, erst recht, wenn sich die Branche, in der man arbeitet, dramatisch ändert und alle Regeln neu geschrieben werden. Wenn man dann noch öffentlich für etwas diffamiert wird, das man für seine Errungenschaft hielt, den darauf folgenden Niedergang deiner Ehe gar nicht mitgerechnet, dann kann man schon das Gefühl bekommen, alles geht den Bach runter. Aber hier nun ist der Beweis, dass es wirklich am dunkelsten ist, kurz bevor die Sonne aufgeht, denn auf diesem Laptop, vergraben unter Briefing-Unterlagen und Einkaufsstatistiken, fand ich etwas, aus dem die größte Story meines Lebens werden könnte.
Sobald ich mir sicher war, was ich da hatte, rief ich Marcus an. Er sagte, ich solle sofort vorbeikommen, und ich wurde nach Ankunft auch direkt in einen schallsicheren Konferenzraum geleitet. Mit am Tisch saßen Peter Ferris, der Redakteur, Dan Whitten, der Verleger, und Harriet Wong, die Leiterin der CNG -Rechtsabteilung. Witzigerweise war Rowan nicht eingeladen.
«Das Erste, was wir wissen müssen, ist, wie du in seinen Besitz gekommen bist», eröffnete Ferris. «Du stimmst mir sicher zu, dass die Herkunft dieses Laptops ganz entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Story ist.»
«Ich kann euch versichern», erklärte ich, « dass die Herkunft ein wesentlicher Teil der Geschichte selbst ist. Um meine Quellen zu schützen, kann ich hier nicht ins Detail gehen, aber der Grund, warum ich in der Lage war, ihn an mich zu bringen, lag in der Nachlässigkeit von Sir Anthony Mead.»
Log ich?
«Was für eine Art Nachlässigkeit?», fragte Whitten.
«Seine sexuellen Fehltritte gefährdeten streng vertrauliche Informationen. Wie schmeckt Ihnen diese Art von Nachlässigkeit?»
«Hervorragend», stimmte Whitten zu.
«Gleichwohl habe ich Bedenken», wandte Ferris ein. «In Anbetracht Ihres Rufes, sagen wir, Dinge auf nicht näher bekannte Weise in Ihren Besitz zu bringen, werden wir uns – unabhängig von dem Pseudonym, unter dem Sie veröffentlichen – sehr unangenehmen Fragen durch sehr mächtige Leute stellen müssen, die wissen wollen, wie diese Informationen in Ihre Hände gelangten. Wir müssen ein extrem hohes öffentliches Interesse anführen können, um Informationen zu veröffentlichen, die das Verteidigungsministerium im Sinne der nationalen Sicherheit als streng vertraulich einstuft.»
«Dann fange ich doch mal an», sagte ich, längst auf diesen Einwand vorbereitet. «Unser Aufhänger ist, dass Meads Verhalten selbst eine Angelegenheit von nationaler Sicherheit ist , denn der Laptop hätte leicht in Hände geraten können, die gefährlicher als unsere gewesen wären. Wir verraten also nur eine einzige Information, um allgemein die damit verbundenen Risiken zu skizzieren – und zweitens es ist absolut im Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, was in ihrem Namen passiert.»
Ja, das gefiel ihnen.
Sie stellten mir ein paar Fragen zu meiner Quelle beim Verteidigungsministerium und wie ich an Meads Log-in-Daten gekommen war. Ich antwortete ausweichend, aber schon so, dass sie es mir als Ausdruck meiner journalistischen Grundsätze abnahmen. Um ehrlich zu sein, sie bohrten nicht sehr tief. Sie warteten genauso verzweifelt auf einen Exklusivbericht wie ich, und wenn es auch nicht gerade Edward Snowden und das PRISM -Programm waren, so war es für Clarion doch der dickste Fisch seit Jahren.
Ich hatte den unanfechtbaren, auf dem Papier des Ministeriums geschriebenen Beweis dafür gefunden, dass sich der britische Geheimdienst und die Streitkräfte vor sechs Monaten zusammengetan hatten, um einen afghanischen Rebellenführer zu töten, indem sie den Bombenangriff als einen Machtkampf rivalisierender islamistischer Splittergruppen darstellten. Das Ziel war mit Sicherheit ein Mitglied der Taliban, das nach außen die Demokratie unterstützte und freundlich in die Kameras lächelte, während es Geld, Informationen und andere Ressourcen an die blutrünstigen, im Mittelalter steckengebliebenen Kameraden weiterleitete. Ich behaupte nicht, dass er etwas anderes war als ein gestörter religiöser Fanatiker, aber der Punkt war, dass sein Name auf einem Wahlzettel stand. Er war ein gewähltes Regierungsmitglied, und wir brachten ihn um, damit einer, der unseren Bedürfnissen mehr entgegenkam, seinen Platz einnehmen konnte.
Und das, um auf die Frage zurückzukommen, die ich ganz am Anfang gestellt hatte, verstehe ich unter Journalismus.
Sie riefen mir ein Taxi, das mich nach Hause fahren sollte, und versprachen, mir umgehend die druckfrische Ausgabe mit meiner Story auf der Titelseite zu bringen. Während das Auto durch den nächtlichen Verkehr rollte, rief ich Sarah an.
Es kam der Anrufbeantworter. Ich nahm an, dass sie vielleicht mit einem Patienten im OP war. Das half, die ganz nüchterne Erklärung, warum sie nicht ans Telefon ging, auszublenden. Warum sie nie ans Telefon ging.
Ich hinterließ ihr eine Nachricht. Ich sagte, sie solle morgen mal einen Blick in die Zeitung werfen.