Kapitel

Gregor

DAUERSCHLEIFE

etwas, das ich gern einstellen würde

Jetzt

Wir machten es nicht offiziell.

Auf den ersten Blick waren wir zwei durchschnittliche Studenten, die mit ihren Jutebeuteln (sie) und chronischer Wortkargheit (ich) perfekt in das Schema der Generation Beziehungsunfähigkeit passten. Wir markierten Artikel zu Sextipps mit Leuchtmarkern, küssten uns vor Parship-Plakaten und schrieben uns schmutzige Nachrichten. Und vielleicht war es auch nicht durchschnittlich, sondern einfach echt. Berauschend. Liebe.

Lucy brauchte mich nur auf dem Campus anzusehen, damit mein Herz randalierte. Wenn ich abends in meinem Bett lag und wir uns Memes schickten auch. Oder wenn ich in unser gemeinsames Google Doc tippte, in dem ich versuchte, sie davon zu überzeugen, dass Männer ebenfalls passable Sexszenen entwerfen konnten. Dann besonders.

Es vergingen über drei Wochen, in denen wir eigene Routinen und Rituale entwickelten. Im Archiv zum Beispiel, wo wir weiterhin an unserem Podcast arbeiteten. Stillschweigend und konzentriert, bis unsere Blicke aufeinandertrafen und die Luft sich elektrisierte. Ich wusste danach nicht, wie ich weiterarbeiten sollte, ohne Lucy zu berühren. Es war wie ein Reflex, den ich nicht verstand. Manchmal wollte ich Lucy fragen, ob sie an Seelenverwandtschaft glaubte, weil ich nicht begriff, wie man jemanden so sehr wollen konnte. Auf alle Arten, die es gab.

Natürlich wollte ich sie küssen, lecken, anfassen. Ich drückte sie gegen Wände und in Matratzen. Anfangs rieben wir uns wie fieberhafte Teenager aneinander. Ich mogelte mich mit meinem Ständer zwischen ihre Beine, während sie die Nägel in meinen Rücken krallte. Wenn sie stöhnte, war das wie Musik in meinen Ohren, und ja, mir war bewusst, wie kitschig das klang. Aber ganz ehrlich? Es war mir egal. Es war mir so was von verflucht egal, weil jeder Tag, der an uns vorbeizog, es wert gewesen wäre, abgelichtet, entwickelt und in einer fucking Galerie ausgestellt zu werden. Dabei lag es nicht an dem Reiben, dem Lecken und Saugen, sondern an allem anderen. Und es passierte genau zu dieser Zeit, in irgendeiner dieser ganz besonderen Nächte, in denen ich Lucy stets an meiner Brust atmen spürte, dass ich es mir versprach: Ich würde sie nie wieder verletzen. Ich würde es nicht zulassen. Sie und ihre Wünsche und Grenzen immer respektieren, egal, wie sie aussahen.

Schließlich wollte ich nie wieder das Gefühl verlieren, das sich von meinem pochenden Herzen in meinen gesamten Körper ausbreitete, als wir uns am Mittwoch auf der kleinen Party zum Staffelbeginn von Campuskitsch verabschiedeten und niemand ahnte, dass wir uns gemeinsam in mein Bett schlichen. Oder wenn Lucy mir in ihrem Fakultätsgebäude zur Begrüßung zunickte und niemand wusste, dass wir uns auf WhatsApp bis zwei Uhr morgens getextet hatten. Über einen Sad-Girl-Roman, den Lucy gerade als E-Book gelesen hatte und am liebsten gleich noch einmal durchsuchten würde. Ich kaufte ihn mir am nächsten Tag. Die zweihundertachtzig Seiten inhalierte ich innerhalb weniger Stunden, ohne auch nur ein einziges Mal an mein eigenes Projekt zu denken. Das hier , sagte ich mir, während ich las, Sätze unterstrich und dabei an Lucy dachte, das hier ist das wahre Leben . Da sein und wirklich hier sein, so wie Isa es immer betitelte.

Und ich war so gerne hier, in diesen unscheinbaren Dezemberwochen, in denen es nur pisste und die Sonne sich nie blicken ließ. Es spielte jedoch keine Rolle. Mir wurde warm, als ich Lucy das Buch am nächsten Tag reichte.

»Es ist nicht ganz so kitschig wie in den Filmen, in denen das Mädchen den Kopf im Schoß des Typen liegen hat und sie sich im Zeitraffermodus gemeinsam daraus vorlesen«, sagte ich, bevor sie irgendetwas sagen konnte. »Ich habe bloß Sätze unterstrichen, von denen ich glaube, dass du sie auch gut fandest.«

»Du Idiot«, hauchte sie lautlos und liebevoll, bevor sie das Buch annahm.

Später sah ich es in ihrer Story, inszeniert auf ihrer weißen Bettwäsche. Lucy hatte eine Seite aufgeschlagen, auf der ich etwas unterstrichen hatte.

Kurz stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn ich ebenfalls eine Rolle auf ihrem Insta spielen würde. Ich malte mir aus, was Lucy posten könnte. Meinen Rücken, ihr Lächeln, unsere Hände, nie unsere Gesichter.

Schließlich blieben wir unser Geheimnis.

Wir küssten uns nicht in der Hochschule.

Wir küssten uns nur auf ihrem Bett, kurz bevor sie den Piloten von Fleabag auf ihrem Laptop einstellte und ich ihr sagte, dass sie sich gut mit meiner Schwester verstehen würde.

»Wenn du über sie redest, hast du hier eine traurige Furche.«

Sie strich über meine Stirn. Ich spürte, wie meine Haut brannte.

In dieser Nacht blieben wir zu lange wach. Wir redeten über alles und nichts, über unsere Weihnachtspläne und die Rezensionen zu Campuskitsch , der trotz Lucys Befürchtungen mehr als gut ankam. Keine Ahnung, ob es wirklich an uns lag oder an den Alumni, die die Folgen auf ihren eigenen Kanälen bewarben. So oder so, die Redaktion war begeistert. Wir sprachen über Isa, Lucys liebsten Taylor-Swift-Song und über Emma Visser, weil sie ihr ständig im Kopf herumschwirrte.

»Wahrscheinlich ist es so wie mit deinen Charakteren«, begründete sie. »Ich muss die ganze Zeit an sie denken. Das wird erst aufhören, wenn es vorbei ist.«

Sie wusste nicht, wie recht sie mit ihren Worten hatte.

Die Wörter schallten in mir nach, doch ich konnte mich nicht an ihnen aufhalten, weil Lucy meine Hand nahm und andere Dinge wichtiger waren.

Wir waren nicht offiziell, wir führten keine Beziehung. Doch es war Liebe. Liebe wie in den Liebesfilmen. Und ich wollte es nicht anders, nur ein Ende wollte ich nicht. Ich wollte uns einfach auf Dauerschleife stellen. Wieder und wieder und wieder. So wie ich mich in Lucy verliebt hatte: kopfüber und sofort – und dann noch einmal.