17
Auftritt Monica
26. Juni
Bill sah auf, als Erin das Lagerhaus betrat. Hinter ihr trat eine Frau ein, bei der es sich vermutlich um Monica handelte. Er musste sich beherrschen, um sie nicht anzuglotzen. Erin hatte gesagt, dass Monica heiß sei, aber in Wirklichkeit war sie … Okay, Bill, du bist kein Teenager mehr. Reiß dich zusammen und versuch, dich nicht zum Affen zu machen.
Als die beiden zum Tisch gingen, machte Monica einen kleinen Abstecher. Sie hielt auf die offenen Pizzakartons zu und nahm sich, ohne auf eine Einladung zu warten, ein Stück heraus. Damit stieg sie noch mehr in Bills Achtung. Wer Pizza mochte, besaß sehr wahrscheinlich auch noch viele andere tolle Eigenschaften.
Monica nahm einen Bissen und wandte sich der Gruppe zu. »Wie sieht’s aus? Habt ihr einen Freizeitpark, für den ihr noch eine Zoologin benötigt?«
Die Männer drehten sich zu Erin um, die abwehrend die Hände hob. »Ich habe ihr überhaupt nichts
gesagt!«, rief sie. »Und das war gar nicht leicht. Sie kann nämlich ganz schön Druck machen!«
Richard trat mit einem Tablet in der Hand vor. »Dann beginnen wir mal mit der Vorstellungsrunde. Anschließend zeige ich dir ein paar Videos, und wir erklären dir die
Situation. Danach werden wir versuchen, dich davon zu überzeugen, dass wir nicht verrückt sind.«
Nach einer Weile hatte sie sich sämtliche Videos angesehen und alles erklären lassen. Selbst Kevin hatte irgendwann nichts mehr zu sagen gehabt. Nun blickten alle gespannt auf Monica.
Nach ein paar Versuchen schaffte sie es, drei Worte herauszubringen: »Eine andere Dimension?«
»Das heißt gar nichts«, gab Kevin zurück. »Außer du sprichst von zeitlichen
Dimensionen, dann lautet die Antwort ja. Es ist eine andere Weltenlinie. Ein Paralleluniversum. Eine alternative Erde. Du kannst dir einen beliebigen Science-Fiction-Begriff dafür aussuchen.«
»Und es gibt dort Tiere, aber soweit wir es einschätzen können, keine Menschen«, fügte Bill hinzu. »Wir möchten, dass du versuchst, die Tiere zu identifizieren. Vielleicht kannst du irgendwelche Erkenntnisse gewinnen. Uns interessiert vor allem, welche von ihnen versuchen werden, uns zu fressen.«
Monica sah sich mit einem leichten Stirnrunzeln um. »Also gut. Im Moment halte ich das noch für einen überkandidelten Scherz, aber wenn ihr es wirklich schafft, ein Tor zu einer anderen Welt zu öffnen, werde ich meine Meinung ändern. Wollen wir anfangen?«
Bill grinste.
Richard schaltete sein Tablet an und bediente die Benutzeroberfläche.
Das Innere des ein Meter breiten Tors verschwamm, nur um gleich darauf zu einer Landschaft zu gerinnen. In der Ferne waren Bäume und Tiere zu sehen. Monica starrte sie mit offenem Mund an. »Okay, vielleicht seid ihr gar nicht verrückt.
«
Bill reichte Monica ein Fernglas und wies auf das Tor. Monica schlich darauf zu wie eine Katze, die etwas Unbekanntes erkunden wollte. Nach kurzem Zögern hob sie das Fernglas an die Augen und ließ den Blick über die Landschaft gleiten. Dabei flüsterte sie, laut genug, dass die anderen es hören konnten: »Tapirus californicus. Cervalces scotti.
Heilige Scheiße. Die sind ausgestorben!«
Während sie zur Seite ging, wurde der Winkel, in dem sie durch das Tor spähte, immer flacher. Schließlich zog sie die Augenbrauen zusammen und ließ das Fernglas sinken.
Richard ging zu ihr hinüber. »Die Apparatur ist beweglich. Lass mich das machen.«
Er packte das hintere Ende des Käfigs und drehte ihn auf dem Tisch herum. Während er das tat, ging Monica mit, um die optimale Perspektive beizubehalten. Auf einmal schrie sie auf und sprang zurück, da sich eine mächtige sandfarbene Tatze mit beeindruckenden Krallen durch das Portal schob. Im nächsten Moment wurde die Tatze zurückgezogen und von einem Wildkatzengesicht mit großen Reißzähnen abgelöst. Das Tier fauchte und fing an, sich durch das Tor zu zwängen.
Als Richard es bemerkte, schrie er: »Was zum Teufel!«, und zog eins der Kabel aus dem Gerät. Während sich das Tor abschaltete, schimmerte der Katzenkopf und verschwand.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße, ach du Scheiße!« Monica wich vor dem Tor zurück. »Das war ein Smilodon
!« Mit geballten Fäusten und dem Fernglas vor der Brust hüpfte sie von einem Fuß auf den anderen und schrie: »Oh Mann! Trage ich etwa ein rotes Uniformhemd? Verdammt!«
Bill verfolgte diesen Auftritt voller Bewunderung. »Ich glaube, ich habe meine Seelenverwandte gefunden.«
Monica hörte mit dem Herumspringen auf und drehte
sich zu den anderen um. »Regel Nummer eins: Wir öffnen das verdammte Tor nicht, wenn wir Pizza im Raum haben. Speziell welche mit Belag für Fleischliebhaber. Übrigens, Bill, du hast doch nach Tieren gefragt, die uns fressen wollen. Das war eins.«
Richard reichte Monica wortlos eine Flasche Bier.
Sie nahm sie entgegen und öffnete sie, ohne zu zögern, an der Tischkante. Nachdem sie das Bier ungefähr zur Hälfte geleert hatte, fuhr sie fort. »Okay, hört zu. Ihr habt da draußen ein paar Tiere, die aus dem Pleistozän zu stammen scheinen. Für die Pflanzen gilt, soweit ich sehen konnte, dasselbe. Es scheint allgemein kühler zu sein als bei uns. Wenn es stimmt, was Kevin sagt, und die Zeit wirklich die gleiche ist wie bei uns, herrscht dort drüben entweder ein stabileres Klima als hier, oder es haben sich in Nordamerika nie Menschen angesiedelt. Vielleicht trifft auch beides zu. Scheiße.« Sie trank ihr restliches Bier aus.
»Und, ist es für uns dort drüben sicher?«
»Sicher? Sicher?
Gerade hat ein Tier versucht, mich aufzufressen. Nein, es ist keineswegs sicher.« Sie verstummte kurz und holte ein paarmal tief Luft.
Bill spürte, dass ihm trotz seiner Bemühungen die Augen aus dem Kopf traten.
Schließlich sah sie die anderen wieder an. »Gemäß der vorherrschenden Theorie hat der Mensch nach seiner Ankunft in Nordamerika die gesamte Megafauna ausgelöscht, indem er die Tiere gejagt, ihnen die Nahrungsquellen genommen und ihren Lebensraum zerstört hat. Diese fiesen Viecher sind also nicht unverwundbar. Ihr nehmt Gewehre mit, oder? Große
Gewehre?«
»Wir haben noch keine Vorkehrungen getroffen«, antwortete Richard. »Könntest du grob skizzieren, was wir brauchen werden?
«
»Hmm, lass mich überlegen … Wir haben Smilodons
, die ihr unter dem Namen Säbelzahntiger kennt; Schreckenswölfe, so etwas wie Wölfe, nur größer und bösartiger; amerikanische Löwen, die genau das sind, was ihr Name verspricht; Homotheria
, Katzen mit krummsäbelartigen Reißzähnen; Kurznasenbären; Mastodonten und Mammuts; Hirsch-Elche; Riesenfaultiere und Riesenbiber.«
»Riesenbi-biber?«, stotterte Bill. »Riesenbiber
? Zwei Meter groß und hungrig auf Menschenmöbel?«
Monica sah ihn durchdringend an. »Hör zu, Chuckie. Nur weil ein Tier kein Fleischfresser ist, bedeutet das nicht, dass es harmlos ist. Es wurden schon Menschen von Weißwedelhirschen verletzt. Und jetzt stell dir mal das Zusammentreffen mit einem Elch oder einem Bison vor. Oder mal dir etwas noch Größeres aus, das nicht weiß, dass es vor dir Angst haben sollte.« Sie deutete mit der leeren Bierflasche auf das Tor. »Die Riesenfaultiere waren weder so langsam noch so sesshaft wie ihre heutigen südamerikanischen Vettern. Sie waren mobil, haben ihr Revier verteidigt und waren, ihrem Skelettaufbau nach zu urteilen, echte Kämpfernaturen. Ein bisschen mehr Respekt wäre also durchaus angebracht.«
Matt sah verwirrt aus. »Hey, Richard, Kevin, könnt ihr euch erklären, wieso hier nicht ein abgetrennter Smilodon-
Kopf auf dem Boden liegt? Er war eindeutig auf dieser Seite, als Richard den Strom gekappt hat.«
»Weißt du, das ist keine Tür im herkömmlichen Sinn«, erwiderte Kevin. »Es handelt sich dabei um eine Quantenüberlagerung. Die Wahrscheinlichkeitsräume der beiden Weltenlinien werden dazu gezwungen, sich innerhalb des Tors zu überlappen. Wenn du hindurchgehst, dann verändert sich dein Zustand von wahrscheinlich hier
zu wahrscheinlich dort drüben
. Die große Katze war immer noch
wahrscheinlich dort drüben
und blieb deswegen auf der anderen Seite, als kein Strom mehr floss.«
»Du scheinst dir deiner Sache sehr sicher zu sein«, bemerkte Monica.
»Andernfalls hätten wir, obwohl meine Berechnungen nicht stimmen, ein funktionierendes Tor gebaut, das auf diesen Berechnungen basiert. Klingt das wahrscheinlich für dich?«
»Das ist auf jeden Fall eine Erleichterung«, sagte Bill. »Eine Sache weniger, über die wir uns Sorgen machen müssen.«
»Vielleicht gibt es mehr Grund zur Sorge, als du glaubst«, sagte Matt. »Die Frage ist mir ein bisschen peinlich, aber könnte es nicht sein, dass wir zu Pudding oder etwas in der Art werden, wenn wir durch das Tor gehen? Das könnte doch sein, oder?«
»Es gib keinen Grund, von so etwas auszugehen«, sagte Kevin. »Auf der anderen Seite herrschen dieselben physikalischen Gesetze wie hier.«
»Außerdem hat gerade ein Smilodon
versucht, mich zu fressen«, warf Monica ein. »Und aus dem ist auch kein Pudding geworden.«
Bill grinste sie an. »Trotzdem sollten wir noch ein oder zwei Experimente durchführen, bevor wir zu unserer Expedition aufbrechen, okay? Vielleicht werfen wir erst mal eine Laborratte hindurch.«
Monica nickte. »Gute Idee. Ich werde mir was ausdenken.«
»Okay, Leute«, sagte Richard. »Dann wird es jetzt Zeit, dass wir das Organisatorische klären. Bist du dabei, Monica?«
»Oh, worauf du dich verlassen kannst! Bisher habe ich von all diesen Tieren nur Skelette gesehen. Was für eine
Zoologin wäre ich, wenn ich diese Chance ungenutzt ließe?«
Richard lächelte. »Wunderbar. Dann müssen wir unsere Ausrüstung besorgen, unter anderem Waffen. Großkalibrige
Waffen. Außerdem Zelte, Schlafsäcke, Campingkocher, Wasserreiniger, Essen, Äxte, Messer und so weiter. Ach ja – außerdem Dinge, die wir zum Goldwaschen brauchen. Wir müssen vorstrecken. Notiert, was ihr ausgebt. Wenn wir das Geld haben, kriegt ihr alles zurückerstattet.«
»Wenn du ihr
sagst, meinst du vor allem mich
, oder?«, murmelte Matt.
»Dich und deinen Treuhandfonds, ja«, antwortete Bill grinsend.
»Du bekommst deine Auslagen als Erster zurückerstattet, Matt«, sagte Richard. »Erin, von dir brauchen wir eine Karte und detaillierte Informationen über den Deadwood-Goldfund. Und du musst dir ein paar Tage freischaufeln, um all das hinzubekommen.«
»Und wozu brauchen wir bitte Zelte und Schlafsäcke?«, fragte Monica.
»Möchtest du lieber unter freiem Himmel schlafen?«
»Nein, ich würde lieber in einem Hotel nächtigen, und zwar vorzugsweise in einem mit fünf Sternen. Ich werde erst campen gehen, wenn man einen Föhn an einem Baum anstecken kann. Gibt es einen Grund, warum wir nicht einfach Tagesausflüge zu dem Goldvorkommen unternehmen?«
»Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher«, antwortete Richard. »Ich bin einfach davon ausgegangen, dass es vom letzten Außenposten der Zivilisation auf unserer Seite noch ein ganzes Stück bis dorthin ist. Sobald wir keine Straße mehr haben, werden wir natürlich nach draußen gehen und zu Fuß laufen müssen.
«
»Ich habe zwei Wörter für dich: Google Earth
. Wieso sehen wir nicht einfach nach?«
Richard sah aus wie ein begossener Pudel, und obwohl Bill wusste, dass es kleinkariert von ihm war, nahm er sich einen Moment Zeit, um diesen Anblick zu genießen. Anscheinend wurde ihm gerade klar, dass er doch nicht so umsichtig geplant hatte, wie er glaubte.
»Okay, Monica«, sagte Richard. »Du hast meine ganze Aufmerksamkeit. Ich schätze, wir müssen alles noch einmal durchgehen und neu überlegen.«