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Ein ganz normaler Arbeitstag
5. Juli
Erin saß im Wohnmobil und tätschelte das Tor. »Nett. Damit sollte es diesmal viel leichter sein.«
»Und sicherer«, fügte Kevin hinzu.
»Das Wohnmobil ist ans Netz angeschlossen, und wir haben auch noch den Notstromgenerator«, sagte Bill.
»Außerdem werden wir mit den Gewehren üben, sobald wir drüben sind«, sagte Monica und warf Matt einen Blick zu.
Matt hielt eine Stofftasche hoch, die Munitionsboxen enthielt. »Es ist wichtig, dass ihr ein Gefühl für die Gewehre bekommt. Wenn ihr wirklich auf etwas schießen müsst, dürft ihr nicht zögern. Vor allem, wenn es mehrere Etwasse sind. Also gut, Kevin, dann aktiviere das Tor. Ich gehe als Erster durch, dann Monica.« Er drehte sich zu Richard und Erin um. »Wenn wir euch signalisieren, dass alles klar ist, folgt ihr nach.«
Kevin gab einen Befehl ins Tablet ein, und die Landschaft von Outland erschien im elliptischen Tor. Matt und Monica traten hindurch. Ein paar Sekunden später erklang Matts Stimme: »Alles klar.«
Nun durchquerten Erin und Richard das Portal. Da auch an dieser Stelle der Boden auf der Outland-Seite höher war als auf ihrer, mussten sie aus dem Inneren des Wohnmobils nur eine kleine Stufe hinuntersteigen. Sobald alle vier auf der anderen Seite waren, reichten Bill und Kevin das Equipment hindurch, das sie für diese Expedition mitgebracht hatten. Dann schlossen sie das große Tor und öffneten stattdessen das kleine, das sich knapp unterhalb der Decke des Wohnmobils und damit auf Outland zweieinhalb Meter über dem Boden befand. Das Team auf Outland blickte zu der Kamera hinauf, die durch ein Loch in der Luft auf sie herabsah. Erin lächelte und winkte.
Matt hob den Munitionsbeutel. »Also gut, los geht’s. Als Erstes Einzelschüsse, damit ihr euch an den Rückstoß gewöhnt.«
Jeder von ihnen gab einen Schuss ab und lud durch. Beim ersten Mal schrie Erin auf, doch bereits beim dritten Anlauf grinste sie, als sie die Bäume vor sich massakrierte.
»Seht nach, ob ihr auch wirklich alle nachgeladen habt«, sagte Matt. Während sie seiner Anweisung folgten, setzten die Geräusche des Waldes wieder ein. »Und jetzt machen wir es wie Schwarzenegger. Zieht durch und drückt ab, so schnell ihr könnt, bis eure Waffe leer ist. Ich halte derweil Wache.«
Monica schoss als Erste, dicht gefolgt vom Rest der Gruppe. Das BUMMM, BUMMM, BUMM der drei Schrotflinten brachte den Lärm im Wald erneut zum Verstummen.
Sie hörten erst auf, als sie keine Munition mehr hatten. Sobald sie mit dem Nachladen fertig waren, schauten sie sich um. Die Umgebung sah aus, als hätte ein Riese mit einer Motorsense darin gewütet. Das Unterholz war verschwunden, und die Stämme mehrerer kleiner Bäume waren durchtrennt worden. Die übrigen sahen arg zerfetzt aus.
»Glaubt ihr, dass wir diese Stelle wiedererkennen werden?«, fragte Richard und lachte. »Okay, Leute, Abmarsch. Laut Kompass müssen wir in diese Richtung. Hast du die Sprühfarbe dabei, Monica?«
Monica hielt die Dose hoch. Dann hoben alle die Ausrüstungsgegenstände auf und gingen in Richtung Fluss.
Schon bald hatten sie den Bach erreicht. Der Schütteltisch, den sie dort zusammenmontierten, war der Nachbau einer industriellen Goldwaschanlage. Er wurde von einem kleinen Gasmotor angetrieben, der gleichzeitig auch die Wasserpumpe mit Energie versorgte.
Richard inspizierte die Apparatur. »Bill ist zwar ein übles Großmaul, aber ein echt guter Ingenieur. Dieser Tisch ist ein Wunderwerk der Miniaturisierung.« Er reichte Erin das Ende des Ansaugschlauchs und deutete auf den Bach. »Natürlich ist das eine abgespeckte Version. Wir haben nicht alles 1:1 übernommen, und wir werden das Sieb mit Schaufeln und nicht mit einer zusätzlichen Ansaugpumpe füllen.«
Als alles bereit war, startete Richard den Motor. Erin schaufelte etwas Kies aus dem Bachbett und sah zu, wie der Tisch ihn schüttelte und die Pumpe ihn mit Wasser bespritzte. Schon bald entdeckte sie das erste Goldnugget.
»Heureka!«, rief Monica aus und hielt den Klumpen in die Höhe.
»Das ist toll, Monica«, sagte Matt. »Aber du bist gerade mit Wachehalten dran. Überlass das Feiern Erin.«
Widerwillig gab Monica das Nugget an Erin weiter. Erin reckte es genauso in die Höhe, wie Monica es getan hatte, und grinste ihre Freundin an, bevor sie es in der Tasche verstaute.
Richard sah Matt und Monica an. »Wir wechseln alle durch, aber einer von euch beiden sollte permanent Wache halten. Ich hoffe, dass wir diesmal nicht so nervös sein werden.« Er nahm die Schaufel. »Ich fange mit Graben an.«
Erin zeigte auf eine Stelle im Bach. »Dort drüben hatten wir beim letzten Mal die beste Messung.«
Richard warf mehrere Schaufeln Kies auf den Schütteltisch. Methodisch grub er eine gerade Linie nach der anderen und füllte mit dem gesiebten Aushub jeweils die vorherige Furche wieder auf.
Am frühen Nachmittag legten sie eine Essenspause ein. Dabei sahen sie sich immer wieder wachsam um, konnten jedoch nichts Gefährliches entdecken.
Monica schaute wieder zu den anderen zurück. »Nach dem letzten Mal hatte ich ein bisschen Angst, aber vielleicht passiert uns gar nichts.«
Matt grinste sie an. »Na ja, nach unseren Schießübungen heute Morgen ist wahrscheinlich jedes halbwegs vernünftige Tier in den nächsten Postleitzahlbereich umgezogen.«
»Der da hilft auch.« Richard deutete auf den Schütteltisch. »Das Ding macht einen Heidenlärm.«
Erin stupste eine der bereits mit Gold gefüllten Taschen an. »Wir kommen wirklich gut voran, Leute. Ich schätze, dass wir schon jetzt mehr als zwanzig Pfund zusammenhaben. Am Ende müssen wir uns vielleicht entscheiden, ob wir das Gold oder den Tisch zurücktragen.«
»Ich bin dafür, dass wir den Tisch über Nacht hierlassen«, erwiderte Richard. »Ich bezweifle, dass er gestohlen wird, wenn ihr wisst, was ich meine.«
Alle lachten, und Matt nickte. »Ja, außerdem riecht er wahrscheinlich so fremdartig, dass ihm kein Tier zu nah kommen will.«
Am späten Nachmittag hatten alle gleich lang geschaufelt und sich auf der Suche nach Nuggets über den Tisch gebeugt. Anstelle der Jubelrufe war immer öfter Stöhnen zu hören. Als Richard zum wiederholten Male mit Graben an der Reihe war, starrte er einen Augenblick lang ausdruckslos die Schaufel an und drehte sich dann zu seinen Freunden um. »Ich stimme dafür, dass wir es für heute sein lassen.«
»Einverstanden«, erwiderte Matt, während alle anderen nickten.
Sie schalteten den Tisch aus, sammelten die Taschen ein und gingen zu der Stelle zurück, an der sie durch das Tor gekommen waren. Unterwegs hielten sie sich an Monicas Wegmarkierungen.
Als sie ankamen, verschwand das Loch in der Luft, und das große Tor erschien. Das erschöpfte Team kletterte in die Zivilisation zurück.
Richard ließ sich auf den Beifahrersitz neben Bill fallen. »Ich habe das schlimme Gefühl, dass wir morgen früh dafür büßen werden.«
Bill grinste. »Ich fand es gar nicht so schwer.«
»Ja, vielleicht kannst du beim nächsten Mal einfach …«
»Kinder, Kinder«, ging Matt dazwischen. »Was wollt ihr lieber? Euch gegenseitig anstänkern oder unsere heutige Ausbeute inspizieren?«
»Können wir nicht beides machen?«, murmelte Richard, während er zum kleinen Küchentisch ging.
Matt schüttete die Goldklumpen aus einem der Beutel fächerförmig auf den Tisch.
»Das ist schön«, sagte Monica.
Kevin ließ den Blick über die Nuggets gleiten. »Ungefähr dreißig oder vierzig Pfund, würde ich sagen. Ungefähr eine halbe Million Dollar.«
»Die werden wir nicht so leicht losschlagen können«, bemerkte Richard. »Dafür muss ich meinen Analyse-Firmen-Radius erweitern. «
»Jetzt ist erst mal Zeit fürs Abendessen«, sagte Bill. »Und dann legen wir uns besser gleich schlafen. Ihr seht richtig fertig aus.«
Richard rutschte ächzend auf seinem Sitz herum. »Damit hast du nicht unrecht.«