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Planungskomitee
30. Juli
Richard knallte seine Kaffeetasse auf den Klapptisch. »Also gut, ich bitte um Ruhe. Dies ist die erste, noch informelle Zusammenkunft des Rats von Bruchtal. Diesen Namen verdanken wir übrigens Bill Rustad.«
Ein paar der Anwesenden lachten, andere schauten Richard nur verständnislos an.
»Dann wollen wir uns mal der Reihe nach vorstellen. Ich bin Richard Nadeski, einer der Erfinder des interdimensionalen Tores, das uns alle hierhergebracht hat.« Er sah nach links.
»Ich heiße Matt Siemens und leite momentan den Bergungstrupp.«
»Krista Tollefson. Ich bin für die medizinische Versorgung verantwortlich. Ich habe an der UNL mein vorklinisches Studium absolviert und wäre im Herbst nach Omaha gewechselt.«
»Fred Mack, pensionierter Polizist. Eigentlich ist Monica Albertelli für die Sicherheit zuständig, aber die hat gerade viel um die Ohren. Bis alles organisiert ist, bin ich ihr kommissarischer Assistent. Danach setze ich mich wieder zur Ruhe.«
»Anita Neumann. Ich bin eine Landwirtschaftlerin von der UNL und repräsentiere die Agronomie- und Gartenbaustudenten. Wenn wir je Ackerbau betreiben, werde voraussichtlich ich dafür zuständig sein.«
»Ed Tigersen. Ich leite das Kundschafterteam. Wir sind außerdem auch für die Jagd verantwortlich. Ich kann keinerlei offizielle Qualifikationen vorweisen. Ich bin einfach ein waschechter Hinterwäldler.« Ed sah sich grinsend am Tisch um. Sein wettergegerbtes Gesicht war von zahlreichen Falten durchzogen. »Wie ihr euch denken könnt, bin ich kein UNL-Student. Das war nur eine Zwischenstation auf meiner Flucht. Ich habe keine Familie auf der anderen Seite, von daher ist es für mich vielleicht nicht ganz so schrecklich wie für viele andere.«
»Das ist ein wichtiger Punkt«, warf Krista ein. »Die meisten von uns sind jung, was bedeutet, dass sie Verwandte auf der anderen Seite zurückgelassen haben. Im Moment sind alle vom Schock und – seien wir ehrlich – von ihrer Aufregung über die neue Situation abgelenkt, aber ich rechne schon bald mit Depressionen und Angststörungen. Am besten wird es sein, wenn wir dafür sorgen, dass alle beschäftigt sind.«
»Ich glaube, das wird uns nicht schwerfallen«, entgegnete Richard. »Aber lasst uns erst noch die Vorstellungsrunde beenden, bevor ich dazu komme.« Er deutete auf den nächsten am Tisch.
»Dick Thompson. Ich habe die Rettung der Nutztiere organisiert. Deswegen obliegt mir jetzt die Tierhaltung.«
»Bill Rustad. Ich bin einer der T.E.s – der Toreigentümer, wie wir genannt werden. Offiziell sind alle T.E.s im Rat vertreten, aber ihr werdet wahrscheinlich nie mehr als ein paar von uns gleichzeitig bei den Versammlungen antreffen. Ich bin Ingenieur und deswegen für alle technischen Aspekte unseres Lebens hier zuständig.«
Als Bill fertig war, lehnte Richard sich zurück. Dann nahm er sein Tablet in die Hand und ergriff erneut das Wort. »Wir haben eine Liste mit Themen, für die wir wahrscheinlich ein paar Tage benötigen werden. Eins gleich vorweg: In Zukunft werden wir bei diesen Versammlungen keine Tablets verwenden. Die sind ausschließlich für die Steuerung der Tore gedacht. Deshalb werden wir Stifte und Papier brauchen.« Er sah Matt an. »Wir sollten anschließend besprechen, was wir alles benötigen. Damit muss sich der Rat nicht befassen, es sei denn, bei diesem Treffen kommt noch etwas dazu.«
Krista hob eine Hand. »Ich habe eine eigene lange Bedarfsliste. Vielleicht sollten wir unsere jeweiligen Listen an Matt geben, damit er sich darum kümmert.«
»Gute Idee. Das spart Zeit.« Richard legte sein Tablet ab und sah sich am Tisch um. »Jetzt kommen wir zum allerwichtigsten Punkt. Ihr habt sicher schon einiges gehört, und Erin Savard wird dem Rat später noch eine Präsentation geben, aber im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass wir für eine lange Zeit an diesem Ort sein werden. Auf kurze Sicht können wir vieles, was wir brauchen, in Lincoln beschaffen, aber früher oder später werden wir uns über eine eigene Industrie, eine Landwirtschaft und so weiter Gedanken machen müssen.«
Matt stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Ein Teil unserer Aufgabe besteht darin, auf der Erdseite nach Überlebenden Ausschau zu halten und sie hierher mitzunehmen, wenn sie das wollen. Ich würde den Suchradius gern erweitern, bin mir aber nicht sicher, ob das überhaupt möglich ist. Nach ein oder zwei Aufklärungseinsätzen werden wir mehr wissen.«
»Hier auf dieser Seite gibt es auch ein paar Dinge, um die wir uns dringend kümmern müssen.« Bill vergewisserte sich, dass ihm alle zuhörten, dann fuhr er fort. »Latrinen. Die paar, die wir bereits gegraben haben, werden bald überlaufen, und ehrlich gesagt wäre es besser, wenn wir ein richtiges Klärfeld anlegen, am besten hangabwärts von allen potenziellen Wasserquellen. Was uns gleich zu meinem zweiten Punkt bringt – Trinkwasser.« Er nickte Matt zu. »Du musst alle Wasserflaschen herüberbringen, die du findest, aber das ist nur eine provisorische Lösung. Wir brauchen einen Brunnen und eine funktionierende Filtrierung und Desinfektion. Ich habe eine Liste für dich zusammengestellt.« Bill verstummte und sah auf das Blatt in seiner Hand hinab. »Und es wäre gut, wenn du mehrere Kanister Bleichmittel finden könntest. Und zwar eins, das hauptsächlich aus Natriumhypochlorit besteht. Es darf aber keine Duft- oder Farbstoffe enthalten. Eine Tasse davon kann viele Hundert Liter Wasser desinfizieren. Das ist sehr wichtig.«
»Die medizinischen Güter sind auch sehr wichtig«, sagte Krista.
»Das bedeutet dann wohl«, sagte Matt, »dass wir zuerst Fahrzeuge und Treibstoffvorräte finden müssen.«
Bill schüttelte den Kopf. »Da wir nur wenige Tore haben, durch die wir Dinge hin und her transportieren können, bringen die uns nichts …«
Richard hob eine Hand. »Lasst uns nicht über die Prioritätensetzung streiten, sonst diskutieren wir uns noch zu Tode. Es ist besser, wenn du die Zeit dazu nutzt, hinüberzugehen und Vorräte und Ausrüstungsgegenstände zu holen, Matt. Du hörst dir an, was wir hier beschließen, und lässt dir von jedem die entsprechenden Listen aushändigen. Danach entscheidest du selbst.«
»Ich fürchte, es wird eine Zeit dauern, all diese Dinge aufzuspüren und herüberzuholen«, entgegnete Matt. »Denn hier haben wir nur meinen Pick-up und auf der anderen Seite gar kein Fahrzeug. Und selbst wenn wir ein funktionierendes Auto und den dazugehörigen Schlüssel finden, kann es gut sein, dass die Straßen wegen der Asche nicht mehr befahrbar sind. Daher kann es ewig dauern, alle Fundstücke zu unserer zentralen Sammelstelle zu bringen. Solange die Asche noch fällt, müssen außerdem alle, die zur Erde hinübergehen, Masken und Schutzbrillen tragen – und davon haben wir nicht viele.«
»Ein paar dieser Probleme kann ich vielleicht lösen«, sagte Bill. »Lass uns nach diesem Meeting ins Verrückter-Wissenschaftler-Labor gehen, Matt. Dich brauche ich auch, Richard.«
Bill hatte sein Verrückter-Wissenschaftler-Labor in einem Teil des Ost-Schuppens eingerichtet. Mit dem wilden Durcheinander aus Portal-Hardware, verschiedenen Werkzeugen und Ausrüstungsgegenständen hielt dieser Ort, was sein Name versprach.
Als Richard eintrat, hantierte Bill gerade mit der Stabkamera, während Matt sie mit dem Tablet steuerte.
Matt drehte sich um und reichte Richard wortlos das Tablet. Das Display zeigte den Außenbereich ihres Lagerhauses in Lincoln. In einem anderen Fenster waren die GPS-Koordinaten eingeblendet.
Richard schüttelte den Kopf und gab Matt das Tablet zurück. Dann drehte er sich zu Bill um. »Du liebst dramatische Auftritte, nicht wahr? Funktioniert das Ding nach demselben Prinzip wie die Kamera?«
Bill grinste. »Ja. Ich habe einen unserer GPS-Empfänger mit der Stabkamera verbunden. Wenn alles eingeschaltet ist, kann ich mit dem da die externe Antenne durch das Tor hindurch ausfahren.« Bill deutete auf ein weiteres Anbauteil an der Spitze des Stabs, das jenem ähnelte, mit dem sie die Kamera vor und zurück geschwenkt hatten. »Sie empfängt das GPS-Signal auf der Erde und voilà!«
Richard schüttelte den Kopf. »Ingenieure. Oh Mann. Also kann der Bergungstrupp mit der Stabkamera von Outland aus die Erde erkunden …«
»… und mit den Suchtrupps dort Kontakt halten«, fügte Bill hinzu. »Ich habe auch eine Antenne für das Funkgerät verbaut. Solange die Stabkamera aktiviert ist, können wir zwischen den Dimensionen kommunizieren.« Er lächelte triumphierend.
»Wir können die Fundorte mit GPS-Koordinaten markieren«, sagte Matt, »auf dieser Seite zu der entsprechenden Stelle hinfahren und den jeweiligen Gegenstand durch ein Tor herüberholen. Dadurch werden wir längst nicht so lange der Asche ausgesetzt sein und weniger häufig mit Masken herumlaufen müssen.«
Richard betrachtete mit zusammengekniffenen Augen das kleine Tor an der Spitze des Stabs. Eine vor der Linse aufgespannte Plastikfolie hielt die auf der anderen Seite stetig herabfallende Asche ab. »Gut gemacht, Jungs, das wirkt wie eine praktikable Lösung. Wann wirst du damit anfangen, Matt?«
»Heute noch. Ich schicke Suchtrupps los, die mögliche Fundstellen markieren sollen. Wir müssen uns beeilen. Laut Erin werden die meisten Gebäude in Lincoln die nächsten Regenfälle nicht überstehen.«
Richard sah Bill mit erhobenen Augenbrauen an.
»Anscheinend spült der Regen die Asche nicht weg. Stattdessen saugt sie sich genauso mit Wasser voll wie Sand an einem Strand und liegt danach noch schwerer auf den Dächern.« Bill zuckte die Achseln. »Das klingt plausibel. Ich muss damit aufhören, mir die Asche wie die Brandrückstände in einem Kamin vorzustellen. «
»Und die meisten brauchbaren Gegenstände gehen kaputt, wenn sie Wind und Wetter ausgesetzt sind«, fügte Matt hinzu.
»Dann arbeiten wir also wieder unter enormem Zeitdruck«, sagte Richard. »Na toll.«