Frau Braun

Ich gehe Richtung Wunnebad, wo alle sind: Schüler, Kollegen, Eltern. Immer wieder höre ich mich sagen, dass ich im Zimmer der Klasse 9c war, und immer wieder höre ich: »Tatsächlich? Nicht zu glauben!« Warum? Warum ist das nicht zu glauben? Weil so etwas Schreckliches nicht in der Kleinstadt Winnenden passieren kann? Weil wir noch am Leben sind? Weil er uns alle hätte umbringen können? Plötzlich spricht mich eine Frau an. Sie sei vom Schulamt und ob sie mir helfen könne. Ich erzähle ihr, was vorgefallen ist. Sie winkt eine Schulpsychologin heran. Das ist eine sehr junge Frau und ich kann nicht anders, ich denke: »Du kannst mir nicht helfen! Du warst nicht dabei.« Da sehe ich meinen Kollegen Herrn Wilhelm. Er war in der anderen Klasse. Er war dabei. Er kann verstehen, wie es mir geht. Und ich kann verstehen, wie es ihm geht. Wir setzen uns nebeneinander. Und dann können wir für einen Moment loslassen. Wir weinen. Endlich weinen wir.

Plötzlich steht Frau Schober vor mir, die Mutter von Jana. Sie fragt mich, was ich von Jana weiß. Ich antworte: »Als der Notarzt kam, hat sie noch geatmet.« Nie im Leben werde ich das Entsetzen auf ihrem Gesicht vergessen. Und nie im Leben kann ich das Gesicht von Tim vergessen, als er zur Tür hereinkam. Es war eiskalt und völlig unbewegt.