I ch bin voller Vorfreude. Heute findet die Sommersonnennachtswende statt und seit Tagen reden alle vom Fest, das am Strand von Nebel abgehalten wird. Ich bin heute Vormittag mit dem Rad hingefahren und konnte beobachten, wie die Jungs der Freiwilligen Feuerwehr einen Holzhaufen aufschichteten. Dieser wird heute Abend brennen. Lentje wird mich begleiten und ich freue mich ungemein darauf. Nach unserer kleinen Sporteinheit im Strandkorb hat sie sich ein wenig zurückgezogen, was bedeutet, dass sie abends nicht mehr auf ein Bier zum Strand kam. Unter der Woche habe ich sie nur gesehen, als sie nach den Crias sah, sie impfte und ihnen die vorgeschriebenen Marken anbrachte. Es war fast lustig zu bemerken, dass sie irgendwie verlegen wirkte. Denn Lentje ist nie um Worte verlegen, zumindest nicht die Lentje von früher und so, wie ich sie in den letzten Tagen erlebt habe, hat sich das eigentlich nicht geändert. Nur mir gegenüber scheint sie etwas gehemmt zu sein. Vermutlich geht es ihr genauso wie mir. Sie ist verwirrt und ehrlich gesagt bin ich das auch. Diese verdammten Gefühle, oder besser gesagt, diese guten Gefühle. Ich … es passt einfach. Lentje ist, wenn ich ehrlich bin, genau die Frau, die ich mir wünschen würde. Das war sie schon damals. Stehe ich tatsächlich schon seit einer Stunde vor dem Kleiderschrank und weiß nicht, was ich anziehen soll? Ich schüttele den Kopf über mich selbst, greife nach einem weißen Hemd und ziehe mir eine Jeans an. Bin ich verrückt? Habe ich tatsächlich darüber nachgedacht, was ich anziehen soll? Wie … erneut schüttle ich den Kopf über mich selbst. Dann schaue ich auf die Uhr und beschließe, zu Leon und Leevke rüberzufahren. Wenn sie noch nicht fertig ist, kann ich mit Leon ein paar Worte wechseln. Ich habe auch ihn in den letzten Tagen nicht gesehen. Obwohl Lucky und er sonst immer am Strand unterwegs sind. Kaum fahre ich mit dem Rad in den Hof, da rennt Lucky um die Ecke. Ich muss grinsen. Dieser Hund ist einfach toll. Wenn ich mir irgendwann einen zulegen würde, dann sollte er so wie er oder Lenny sein. Diese Rasse ist so unglaublich freundlich und treu und, habe ich schon erwähnt, freundlich? Lucky holt sich seine Streicheleinheiten ab. Dann läuft er vor mir zum hinteren Teil des Hauses auf die Terrasse. Ich folge ihm ungefragt. Das wird im Hause Kaser/Boger kein Problem darstellen. Allerdings überlege ich mir, dass es ja auch irgendwie ein Date ist und sollte ich da nicht doch an der Haustür klingeln? Wieder schüttle ich den Kopf über die Gedanken, die mir durch den Kopf schießen. Wie ein Teenager verhalte ich mich. Aber irgendwie fühlt es sich genau so an. Leon sitzt wie vermutet auf der Terrasse. Auch Leevke ist bei ihm.
»Hallo, ihr zwei. Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich den Hintereingang nehme.« Leon, der diesen speziellen Humor hat, den ich wirklich mag, erwidert: »Entschuldigst du dich, weil du nicht brav, wie es bei einem ersten Date üblich ist, an der Haustür geklingelt hast, mit einem Blumenstrauß in der Hand? Ich meine, ich rieche keine Blumen. Hat er denn keine Blumen dabei, Leevke?«
»Nein, hat er nicht.«
»Oje, ich sehe schwarz. Matthys, jeder weiß doch, dass eine Frau an ihrem ersten Date einen Blumenstrauß erwartet.« Ich schaue ihn an. Meint er das jetzt wirklich ernst? Oder ist das sein Humor? Leevke sieht mit ernstem Gesichtsausdruck zu mir, und dann fangen beide an zu lachen. Wie auf Kommando, obwohl Leon nichts sieht, scheint er die Spannung, die gerade entstanden ist, zu spüren. Lucky, der neben ihm auf dem Boden liegt, steht auf und wedelt mit dem Schwanz, um herauszufinden, was hier vor sich geht.
»Verdammt, ihr seid unmöglich! Ihr habt mir gerade echt ein schlechtes Gewissen gemacht.«
»Das hat man dir angesehen«, meint Leevke.
»Jetzt komm schon her, hol dir ein Bier aus dem Kühlschrank. Levka und Lentje müssen noch etwas erledigen, aber sie werden sicherlich bald hier sein.« Der Kühlschrank steht etwas abseits neben der Terrasse und ich hole mir, wie von Leon vorgeschlagen, ein Bier heraus. Ich öffne es und setze mich zu den beiden.
»Heute werden sicherlich viele Leute anwesend sein. Die Organisatoren werden sich freuen, dass nach zwei weniger guten Jahren in diesem alles wieder passt. Es ist eine Menge Arbeit, bis die Stände aufgebaut sind, das Holz aufgestapelt ist und alle Sicherheitsmaßnahmen eingehalten wurden. Sie haben es verdient, mal wieder mit Gewinn aus der Veranstaltung herauszugehen. Es ist eine gute Idee, mit dem Rad hinzufahren, denn Parkplätze werden wohl Mangelware sein.«
»Das dachte ich mir.« In diesem Moment hören wir Schritte. Dann treten Levka und Lentje um die Ecke und ich ... mir bleibt die Luft weg und ich bin wie verzaubert. Lentje sieht atemberaubend aus. Das Kleid, die Frisur, ihr Gesicht. Ich … erst das Lachen und Levkas Kommentar: »Ich habe es dir ja gesagt.«, bringt mich wieder in die Realität zurück. Lentje sieht mich an und auch sie ist auffallend still. Was ist nur los zwischen uns? Ich habe das Gefühl, dass wir beide längst über einen Flirt hinaus sind. Lentje ist es, die die Stille bricht. Die anderen machen einen Spaß nach dem anderen und lachen mich im Besonderen ziemlich aus.
»Sollen wir losfahren?«
»Hm.« Und dann fügt Lentje hinzu: »Matthys Saathoff, wo sind meine Blumen?« Jetzt hat sie mich. Leon kichert und murmelt nur: »Ich habe es dir ja gesagt.« Ich kann nur zu Lentje schauen, die nach ein paar Sekunden anfängt, wie die anderen zu lachen. Verdammt! Ich verliebe mich in sie. Ich überbrücke die wenigen Schritte und küsse sie vor ihren Geschwistern und Leon. Es ist mir egal, dass sie zusehen. Ich will sie einfach schmecken und küssen.
»Jetzt zeigt er es ihr aber«, bemerkt Leevke. Dann höre ich sie sagen: »Ich will auch, Leon, komm her zu mir, küss mich!« Danach hört man erst mal nichts. Ich konzentriere mich auf Lentje, auf den Kuss, ihren Geschmack und das Gefühl in mir. Nach einer gefühlt unendlich langen Zeit löse ich mich von ihr und frage leise: »Sollen wir los?«
»Gerne und …«
»Nein, keine Blumen. Wenn du welche haben willst, dann werde ich sie dir besorgen, wie auch immer. Ich habe gesehen, dass bei Frieda im Garten ziemlich viele blühen.« Wieder kichert Leevke.
»Er ist lebensmüde«, flüstert sie leise.
»Ich wollte nur fragen, ob du mit dem Rad hier bist.« Meint Lentje.
»Ja, das bin ich. Ich dachte, es gibt sicherlich was zu trinken und …«
»Lass uns losfahren, bevor sie das Feuer entzünden oder es keine Würstchen mehr gibt. Ich habe Hunger.«
»Wir fahren auch gleich los.« Sagt Leon. Gesagt, getan, wir holen die Fahrräder und verschwinden. Auch Leon und Leevke werden zum Fest gehen und Levka mitnehmen. Sie werden jedoch mit dem Auto fahren. Tanja und Leeve sind bereits vor Ort. Sie sind vor Matthys Ankunft losgefahren. Leeve unterstützt die DLRG am Würstchenstand und Tanja hilft den Sanitätern. Als wir ankommen, sehen wir, dass wirklich viel los ist. Wir schlängeln uns durch die Menschenmenge und sehen zum Glück bald einige bekannte Gesichter. Heute sind sowohl die Insulaner als auch die Touristen am Strand versammelt. Es wird ein fröhliches Fest mit Musik und Tanz, mit ausreichend Essen und Trinken. Später, als es dunkel wird, zündet die Feuerwehr den großen Holzstapel an. Zu diesem Zeitpunkt haben wir uns etwas abseits einen Platz in einem der zahlreichen Strandkörbe gesucht und sitzen darin. Wir betrachten das Feuer zur Rechten, das glitzernde Meer zur Linken und die Sterne am Himmel. Ehrlich gesagt, habe ich nur Augen für Lentje.
»Die Götter des Nordens meinen es heute gut mit uns allen.«
»Lentje?«
»Ja?«
»Warum bist du mir die letzten Tage aus dem Weg gegangen? Und nein, es lag nicht an der vielen Arbeit. Diese Ausrede gilt nicht.« Sie bleibt still.
»Matthys, ich kann es dir nicht genau sagen. Ich glaube, ich bin einfach verwirrt und weiß nicht so recht, wie ich das alles einordnen soll. Unsere Beziehung, meine ich. Ich … brauchte vermutlich etwas Zeit.«
»Nimm dir so viel wie du brauchst. Weißt du, was mich wirklich interessieren würde? Was mir sogar schlaflose Nächte bereitet hat?«
»Was denn?«
»Vincent.«
»Was ist mit ihm? Er wird in ein paar Wochen anreisen, dann lernst du ihn kennen.«
»Darum geht es mir nicht.«
»Was dann?«
»Ich möchte den Ort sehen und sagen können, dass ich … dass wir dort waren …« Sie beginnt zu verstehen und zu grinsen.
»So eifersüchtig?«
»Du hast keine Ahnung! Ich möchte diesem Ort unbedingt und dringend eine neue Erinnerung aufprägen. Lentje, ich verliebe mich in dich, wenn ich es nicht schon längst getan habe und das verwirrt mich genauso wie dich. Aber es gefällt mir. Es ist nicht mehr so wie vor vielen Jahren, als es mich zu Tode ängstigte. Heute ist es ein Gefühl, das ich sehr willkommen heiße.«
»Ich wohne in Dagebüll.«
»Ist das jetzt eine Absage? Ich meine, wenn du mir damit sagen willst, dass wir keine Zukunft haben, Dagebüll am anderen Ende der Welt liegt … zumindest liegt ein Meer alle sechs Stunden dazwischen.«
»Halt die Klappe und küss mich, Matthys Saathoff. Ich weiß auch nicht genau, was ich will und fühle …« Ich verschließe ihre Lippen mit den meinen und das, was sie sagen wollte, bleibt erst einmal ungesagt. Die Nacht ist wie Frieda sagte, verzaubert. Doch als das Feuer heruntergebrannt ist, ziehen wir uns zurück und suchen die Ruhe. Wir fahren mit dem Fahrrad los. Heute Nacht ist viel los und doch nach zwei Kilometern wird es weniger. Alle sind auf dem Fest in Nebel am Strand. Lentje biegt irgendwann einen kleineren Weg ab und hält an. Sie stellt das Rad ab und deutet mir an, mit ihr zu kommen. Es ist still und wir hören niemanden. Die Jugend scheint auch eher am Strand von Nebel zu sein. Dort ist heute Party.
»Hier?« Sie lächelt und im Mondschein sieht Lentje plötzlich aus wie eine Göttin. Als ob sie eine dieser Geister der Nacht wäre, die heute umherschwirren. In meinem Bauch kribbelt es und in meinen Lenden … das eine führt zum anderen. Die Göttin der Nacht verführt mich mit ihrem Lächeln, ihrem Aussehen, ihrem Geruch und ja, dieser Ort, der diese schöne Erinnerung an etwas innehat, das vor Jahren passiert ist, wird mit einer weiteren Erinnerung belegt. Als sie leise meinen Namen stöhnt und danach in meinen Armen liegt, ziert mein Gesicht ein breites Grinsen. Leise, eigentlich nur für mich selbst, sage ich zu diesem mir noch unbekannten Kerl, der hier mit Lentje dasselbe geteilt hat: »Sie gehört jetzt zu mir.«
»Was hast du gesagt?«
»Nichts.«
»Aber …«
»Nichts, Lentje, ich habe nur …«
»Nur?«
»… gesagt, dass ich glaube, im Himmel angekommen zu sein.«
»Lügner.«
»Ganz gewiss nicht, Lentje, ganz gewiss nicht.« Sie schmiegt sich an mich und wir bleiben noch lange liegen, glücklich, dass wirklich heute Nacht niemand hierherkommt. Denn so lauschig dieses Plätzchen ist, bin ich mir sicher, dass sich hier oft Pärchen treffen oder auch Teenager, die nicht von den Erwachsenen gesehen werden wollen. Da wir keine Decke mit dabei haben, wird es irgendwann kühl. Wir stehen auf und radeln zurück. Als wir an der Einfahrt zum Haus von Leon und Tanja ankommen, in dem Lentje zurzeit wohnt, halten wir an.
»Willst du den Abend hier beenden oder kommst du mit zu mir? Ich habe Brötchen gekauft.« Ich überlasse Lentje die Entscheidung. Wenn es ihr zu viel ist, wird sie es mir schon mitteilen. In der Ferne hören wir, dass sich ein Auto nähert. Vermutlich ist es Leevke, die nach Hause kommt. Oder Leeve. Doch dieses Geräusch lässt Lentje eine Entscheidung treffen. Sie steigt auf das Rad und fährt weiter, ohne ein Wort zu sagen. Mein Herz klopft. Wenig später liegen wir im Bett und tun das, was Menschen, die sich sehr gerne haben, einfach tun. Sie schlafen eng aneinandergekuschelt tief und fest ein. Und wachen erst wieder auf, als die Sonne längst ins Zimmer scheint und die Staubkörner in ihrem Strahl tanzen.
»Guten Morgen.« Sie sagt nichts. Bereut sie es vielleicht?
»Lentje?«
»Wenn du nicht willst, dass ich davonlaufe, dann solltest du mich küssen. Ich bin … irgendwie glaube ich mit deinen Alpakas verwandt, die sind auch Fluchttiere.« Ohne ihr Zeit zu lassen, tue ich genau das, küsse sie, halte sie fest und wir stehen erst nach einiger Zeit auf. Ich lasse ihr den Vortritt im Badezimmer, obwohl ich am liebsten gemeinsam mit ihr unter die Dusche steigen würde. Doch ich bin mir sicher, dass sie diese paar Minuten alleine braucht. Deshalb bereite ich während sie duscht das Frühstück vor. Ich stelle die Brötchen in den Ofen und bald erfüllt der Duft nach frischem Gebäck den Raum. Ich habe die Terrassentür weit geöffnet, auch wenn es noch frisch ist. Einem Friesen macht das wenig aus und Lentje, die hier aufgewachsen ist, hoffentlich auch nicht. Als sie zu mir tritt, gebe ich ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ich bin in zwei Minuten wieder da. Mache es dir bequem. Wenn es zu kalt ist, einfach die Tür schließen.«
Nach einem ausgiebigen Frühstück radeln wir zusammen zu den Alpakas, um sie zu füttern. Dabei erleben wir eine Überraschung.
»Das gibt es doch nicht!« Ich schaue entzückt auf das, was dort auf der Wiese zu sehen ist.
»Prinzessin Mira hat ihr kleines Cria bekommen!« Es steht sogar schon richtig standfest da und trinkt bei seiner Mutter. Die kleine Herde steht schützend um die Kleinen herum und ich bin so stolz, als ob ich selbst Vater geworden wäre.
»Ein Sommernachts-Cria. Da hat die Magie sicherlich ein Wörtchen mitgeredet.« Langsam nähern wir uns dem kleinen Cria, das so putzmunter aussieht.
»Eine weitere Prinzessin. Sie muss einen Feennamen bekommen.«
»Wie wäre es mit Prinzessin Freya?«
»Das klingt perfekt. Die Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit. Möge sie vielen kleinen Alpakababys das Licht der Welt schenken.« Wir grinsen uns an.
»Ich habe leider keinen Sekt dabei, um auf das neue Leben anzustoßen.« Lentje lacht mich an und macht mich mit ihren nächsten Worten glücklich.
»Das kann man ja nachholen.« Danach miste ich den Stall aus und gebe frisches Heu in den Unterstand. Lentje bleibt bei den Tieren und beobachtet sie weiter. Später fahren wir zurück und sie biegt in die Einfahrt der Kasers ein. Ohne dass wir etwas ausgemacht haben. Ich will sie nicht drängen, das würde sie vielleicht vertreiben. Wenn ich eines weiß, dann dass Lentje eine Frau ist, die ihr Leben bisher alleine sehr gut gemeistert hat. Sie braucht keinen Beschützer oder Versorger. Sie braucht jemanden, der sie liebt und der ihr auf Augenhöhe begegnet. Und genau das habe ich vor. Sie hält noch kurz an und ich beuge mich zu ihr rüber. Ich gebe ihr einen Kuss, bevor ich weiterfahre und nach Hause gehe.
»Danke für den wunderschönen Abend, die zauberhafte Nacht und den ereignisreichen Morgen.« Zwinkere ihr zu und fahre los. Sie sieht mir nach, das spüre ich genau, und exakt das freut mich.
In der Niemeyerkate angekommen, packe ich mir einen Korb mit etwas zu essen und trinken und laufe beschwingt zum Strandkorb. Ich genehmige mir den Tag einfach zum Faulenzen. Gut, es ist ja auch Sonntag, und trotzdem kommt mir immer noch, nach diesem halben Jahr, in den Sinn, dass ich arbeiten sollte. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Aber wenn ich im Strandkorb sitze und auf das Meer schaue, erfüllt mich wieder diese Ruhe, die ich auch auf der Terrasse meines Tiny-Houses immer verspüre. Das ja leider abgebrannt ist. Ich bin gespannt, ob Lentje vielleicht den Weg zum Strand findet oder ob sonst jemand auf dieselbe Idee kommt wie ich.
Tatsächlich muss ich nicht lange warten, denn da rennt Lenny, Leeves Labrador, zu mir und bekundet mir seine Liebe, indem er auf mich springt und mich ablecken möchte. Er wedelt wie verrückt mit seinem Schwanz, und ich muss ihn lachend mit den Händen abwehren.
»Langsam, Lenny, ich habe dich ja auch lieb. Wo hast du denn Leeve oder Tanja gelassen?« Im selben Moment und er muss meine letzten Worte noch gehört haben, kommt Leeve um die Ecke.
»Sein Herrchen ist hier. Lenny, benimm dich!« Lachend zieht er ihn am Halsband zurück und wirft einen Wurfball, um Lenny abzulenken und zum Spielen zu animieren. Es gelingt. Wie nicht anders zu erwarten, dieser Hund ist so verspielt. Leeve setzt sich aber neben mich, unaufgefordert. Er sieht in meinen Korb und deutet zur Pilsflasche.
»Darf ich?«
»Sicher.« Als er einen ersten Schluck genommen hat, fragt er mich ohne sein Gesicht zu einem Lachen zu verziehen, damit ich annehmen könnte, dass er es spaßig meint.
»Was ist das mit dir und Lentje? Welche Absichten hast du?«
»Absichten?«
»Ja klar! Ich bin der Kerl, der die drei Mädels quasi aufgezogen hat. Ich sollte wissen, ob der Kerl, der meiner Schwester den Hof macht, auch für sie sorgen kann. Wobei ich erwähnen sollte, dass sie keinen Versorger braucht.«
»Das fragst du jetzt nicht wirklich.«
»Natürlich.« Er sieht mich erneut mit einer Ernsthaftigkeit an, bei der ich mir überlege, was in ihn gefahren ist. Dann aber prustet er los.
»Was zur Hölle …«
»Hab ich dich. Du solltest dein Gesicht sehen.«
»Ich dachte gerade wirklich, du …«
»Was? Dass ich mich als Vater aufspiele, der seine Töchter vor den bösen Jungs beschützen will?«
»So in etwa.«
»Ich habe gehört, ihr hattet Freiluft ... ein Freiluftprogramm?«
»Was? Woher wisst ihr das denn schon wieder? Und sag mir jetzt nicht, dass das über den Inselfunk gegangen ist. Denn dann gibt es hier einen Voyeur, der … nein, ich rede jetzt nicht weiter und will es auch nicht wissen. Und wehe, du erzählst das Lentje und …« Wir lachen beide gemeinsam los. Leeve prostet mir zu und trinkt erneut. Ich schüttle nur den Kopf und nehme auch einen Schluck aus der Flasche.
»Verdammt, du … das war unter der Gürtellinie, und diese Insel macht mich fertig.«
»Hat wenigstens Spaß gemacht?«
»Leeve! Du bist schlimmer als … keine Ahnung wer. Meine Prinzessin Mira hat heute Nacht ganz alleine für Nachwuchs auf der Insel gesorgt. Weißt du das auch bereits?«
»Sicher.«
»Jetzt machst du mir Angst.«
»Nun ja, es gibt Menschen, die stehen früh auf und haben viel Zeit. Also, Frieda war radeln und hat es sofort ihrer Nachbarin erzählt, die zufällig Meikes Mutter ist, und diese wiederum hat bei mir angerufen. Eigentlich bin ich zu dir gelaufen, weil ich dir das eben sagen wollte, falls du noch nicht auf der Weide warst. Aber das hat sich ja erledigt, da du mir davon berichtet hast.«
»Ihr seid mir alle miteinander unheimlich.«
»Aber es gefällt dir hier.«
»Sehr.«
»Lentje hat uns gesagt, dass du Interesse am Grundstück hast.«
»Das ist jetzt ein ziemlich krasser Themenwechsel. Aber … wenn dir Lentje davon erzählt hat … ja, das stimmt. Bevor ihr es irgendjemandem verkauft, wollte ich mich anbieten.«
»Es ist nicht billig.«
»Ist mir bewusst.«
»Kannst du es stemmen?«
»Ich war Broker in Frankfurt an der Börse. Dass ich am körperlichen Abgrund stand, mit 34, kam nicht von ungefähr. Ich war gut. Ich kann dir sagen, dass ich täglich mit Summen zu tun hatte, von denen du nicht mal auf Anhieb weißt, wie viele Nullen an der Zahl sind. Und ich habe von den Gewinnen Prozente bzw. Bonusprozente erhalten. Also ja, ich war gut, und ja, ich verfüge über so viel Geld, dass meine Kinder und Enkel noch hervorragend davon leben können. Aber das ist für mich nicht wichtig. Nicht mehr. Heute ist es mir wichtig, hier zu sitzen, aufs Meer zu schauen und zu wissen, dass es meinen Tieren gut geht. Ich überlege mir sogar ernsthaft, mir einen Hund zuzulegen. Und Lentje … ich habe die allerbesten Absichten, was sie angeht. Damals waren wir jung, und ich war schuld daran, dass es auseinanderging. Ich war einfach zu jung. Das Gefühl, das ich verspürt habe, hat mir damals eine Scheißangst eingejagt.«
»Und heute nicht mehr?«
»Heute nicht mehr, ganz im Gegenteil.«
»Ich werde mit meinen Schwestern darüber reden. Wir würden es ungern verkaufen, aber wir werden es nicht halten können, nicht im Ganzen. Die Erbschaftsteuer wird uns das Genick brechen. Leon wird den Teil für Leevke sicherlich bezahlen können, wenn Leevke das zulässt. Aber ich kann das nicht. Auch Levka stand heute nicht. Deshalb … wir werden das besprechen, und wir werden es nicht verkaufen, bevor ich mit dir gesprochen habe.«
»Danke.«
»Ich muss. Lentje wird sicherlich demnächst kommen. Da will ich ihren Platz nicht belegen. Die Flasche Sekt ist ja gewiss nicht für dich alleine. Komm, Lenny, lass uns zu Tanja zurückgehen.«