W as soll ich nur tun? Den ganzen Tag bin ich bereits völlig durcheinander. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll und wie mir das entgehen konnte. Wie konnte ich so dumm sein! Das könnte ich verstehen, wenn ich ein Teenager wäre, aber das bin ich nicht. Und als Ausrede die Arbeit vorzuschieben gilt auch nicht. Ich ... ich muss es sicher wissen und hier kann ich es nicht herausfinden. Es würde sofort die Runde machen. In solchen Dingen ist diese Insel ein Fluch. Geheimnisse zu bewahren funktioniert hier einfach nicht. Wenn ich ehrlich bin, ist dieses Grillfest, das Matthys organisiert hat, wirklich das Letzte, was ich heute gebrauchen kann. Aber er freut sich seit Tagen darauf und es ist ja auch etwas Tolles. Außerdem wird es der letzte Abend mit Vincent und Magdalena sein. Ihr Urlaub ist vorbei, aber ...
»Lentje, ist alles in Ordnung?«, fragt Kaatja, die in der Tür steht.
»Natürlich, entschuldige. Was ...« Sie sieht mich seltsam an.
»Ich hatte dich gefragt, ob ich den nächsten Patienten bringen kann, oder anders ausgedrückt, den letzten für die nächsten zwei Wochen.«
»Natürlich. Lass uns weitermachen. Wer ist es denn?«
»Der Hund von Ottis Jansen. Er ist bereits sechzehn Jahre alt und ... nicht heute, Lentje. Versuche alles, was du kannst, aber dieser Hund sollte heute nicht gehen, nur wenn er fürchterlich leiden muss. Ich habe keine Ahnung, was Ottis braucht, aber ...«
»Schon verstanden.« Wenig später wird klar, dass Ottis Hund nur Wurmtabletten und ein Medikament für den Magen benötigt. Er hat etwas gegessen, was ihm nicht gutgetan hat. Das kann in diesem Alter schon mal passieren. Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung verlässt der Mann mit seinem wirklich in die Jahre gekommenen Hund die Praxis, und wir schließen ab und räumen auf. Ich bestelle noch Medikamente nach, protokolliere alles, schreibe die Rechnungen, und dann ist es beinahe sechs Uhr. Eigentlich sollte ich noch duschen und ... Kaatja und Bella sind längst gegangen, und auch ich beschließe zu gehen und das Schild anzubringen, dass wir zwei Wochen geschlossen haben. Dazu kommt die Nummer der Praxis vom Festland, die die Vertretung für Notfälle übernimmt.
Der Abend wird toll, auch wenn ich nicht bei der Sache bin, was Matthys auffällt, ebenso wie Leevke. Doch sie sagt nichts, noch nicht. Morgen früh jedoch wird sie die Erste sein, die zu mir ins Zimmer kommt. Morgen. Was zur Hölle soll ich nur tun? Was, nur wenn ... was wenn ... ich könnte heulen. Doch alles deutet darauf hin. Die Kopfschmerzen, die Müdigkeit ... das bin alles nicht ich. Und dann ... was wird Matthys dazu sagen? Und wird er denken, dass ich ihn reinlegen wollte? Und ... ich ... so bin ich nicht. Ich bin kein Dummchen. Ich bin niemand, der so ist. Im Moment mag ich mich selbst nicht, und dann wieder ... wenn es stimmt, was dann? Ich ... ich muss weg, ich muss nachdenken, ich brauche frische Luft.
Leise, noch bevor jemand aufsteht, gehe ich aus dem Haus. Lucky sieht mich aus seinem Körbchen zwar müde an, aber er schläft weiter. Wenn jemand etwas gehört hat, dann wird es Leon sein, doch es bleibt ruhig. Mit dem Auto fahre ich nach Wittdün und nehme die erste Fähre aufs Festland. Das wird nicht unbemerkt bleiben und sich schnell herumsprechen, und dennoch brauche ich diese Distanz. Vielleicht denken sie auch, dass ich zu Beginn meines Urlaubs noch nach meiner Wohnung in Dagebüll schauen möchte. Sie werden sich ihre Gedanken darüber machen und spekulieren. Als wir am Festland ankommen, fahre ich einfach weiter. Direkt in Richtung Flensburg, halte erst in einem kleinen Ort im Nirgendwo an. Dort wird mich, hoffe ich, niemand erkennen, und ich gehe in eine Apotheke. Ich überlege, wie viele Frauen dies wohl bereits vor mir getan haben und muss, auch wenn mir gerade nicht zum Lachen zumute ist, lächeln. Mit meinen Einkäufen und einigen Broschüren, die mir die nette Dame eingepackt hat, fahre ich zurück nach Hause, nach Dagebüll, und mache den Test, von dem ich eigentlich bereits jetzt weiß, dass er positiv sein wird. Zwei Striche. Zwei deutliche Striche sind zu sehen. Es gibt noch andere Tests, bei denen diese Striche nichts Gutes bedeuten, aber das ... unwillkürlich zittere ich. Tränen tropfen mir aus den Augen und laufen über meine Wangen. Ich sitze da und weine. Ich kann das nicht. Ich bin nicht gut genug. Ich hatte doch überhaupt keine guten Vorbilder, was das angeht. Pure Angst durchzieht mich, und dann ... löst sie sich in Luft auf. Freude erfüllt mich. Meine Hand wandert zu meinem Bauch, und ich streichle dieses kleine Wesen in mir. Auch wenn ich mich noch tausendmal frage, wie das passieren konnte, da ich ja verhüte und die Pille nehme, ist es passiert. Eine Seele hat sich dazu entschlossen, wieder auf diese Welt zurückzukommen. Und ich werde mein Bestes dafür tun, dass ihr der Start ins Leben gelingt und das Baby ein liebevolles Zuhause haben wird, dass es geliebt wird. Keine Schläge, keine Prügel und keine Mutter, die lethargisch alles über sich ergehen lässt.
»Vor allem aber keine Schläge …«, flüstere ich leise. »Ich werde auf dich aufpassen, mein kleines Baby, und ich werde Leeve und meinen Schwestern sagen, dass wir das Grundstück verkaufen müssen, damit ich dich bestmöglich versorgen kann. Und ja, da ist auch noch Matthys, der ... er wird dich genauso lieben, das weiß ich einfach. Und mich ... selbst wenn er mich vielleicht nicht für immer lieben wird, dich auf jeden Fall.«
Mein Handy klingelt nicht zum ersten Mal. Ich sehe auf die Uhr. Zwei Stunden sitze ich jetzt einfach nur am Tisch, betrachte diesen Test und führe Selbstgespräche oder Gespräche mit dem kleinen Wesen, das sicher in meinem Bauch heranwächst. Ein Baby. Ich und ein Baby. Das ist ... so verrückt.