16

Ich würde gern die Geschichte vom wagemutigen Einbruch bei Beattie Challenger erzählen. Schwarz gekleidet und mit meinen Werkzeugen in einem Rucksack, würde ich darin mitten in der Nacht ein Fallrohr emporklettern und durch eine Dachluke einsteigen. Es würde einen riskanten Augenblick geben, in dem ich abrutschte, und dann noch einmal weitere spannungsgeladene Momente, als ein Polizist auf seiner Runde nur ein paar Meter unterhalb von mir vorbeiging, während ich mich reglos an die Wand klammerte und kaum zu atmen wagte.

Die Wirklichkeit war um einiges weniger aufregend.

Miss Challenger hatte eine Wohnung auf einer Nebenstraße in Redland gemietet, einer guten Gegend, die von dem beliebteren Clifton durch die Whiteladies Road getrennt war. Lady Bickle hatte Miss Challenger schon zu Hause besucht und mir den Grundriss des Hauses erläutert. Es gehörte einer Witwe, die selbst das Erdgeschoss bewohnte. Im Flur war eine Trennwand mit Tür eingezogen worden, um so einen eigenen Eingang zur Wohnung der Witwe zu schaffen, aber die Treppe frei zugänglich zu lassen. Miss Challenger hatte das ganze obere Stockwerk für sich, sodass sie auch kommen und gehen konnte, wie sie wollte, ohne ihre Vermieterin zu stören.

Die Witwe, so wurde mir berichtet, war ein Gewohnheitstier. Sie verließ das Haus immer Punkt zehn, um eine Freundin zu besuchen, die nur einen kurzen Fußmarsch entfernt wohnte. Sie kehrte dann um drei Uhr wieder zurück und ließ sich von ihrer Haushälterin den Nachmittagstee servieren.

Also parkte Lady Hardcastle um zehn nach zehn das Auto um die Ecke von Beattie Challengers Zuhause. Ich schnappte mir wieder die Turnschuhe – die nach unseren Abenteuern in Hinkleys Bürogebäude einfach im Auto liegen geblieben waren – und zog sie an. Ich ging die stille Straße entlang und hielt dabei diskret Ausschau, ob ich beobachtet wurde, dann schlüpfte ich durch das schmiedeeiserne Tor der Witwe und versuchte, nicht zusammenzuzucken, als es in den Angeln quietschte. Kurz hielt ich inne, nahm den Dietrich heraus, der in meiner Brosche verborgen war, und öffnete damit die Eingangstür. Dann war ich drin. Ich verschloss die Tür hinter mir wieder.

So heimlich, still und leise ich konnte, schlich ich auf meinen Gummisohlen die Stufen hinauf. Die Haushälterin und das Hausmädchen waren ziemlich sicher woanders im Haus beschäftigt, aber unerwartete Schritte auf der Treppe würden sie wahrscheinlich alarmieren, da Miss Challenger bei der Arbeit im Laden war.

Miss Challengers Räume waren ursprünglich Schlafzimmer gewesen, sodass sie alle vom Flur abgingen. Ich öffnete die erste Tür ganz hinten und sah, dass dort ein Wohnzimmer eingerichtet war. Es war sauber und ordentlich und alles in allem frei von persönlichen Dingen. Auf dem kleinen Tisch neben einem ziemlich ungemütlich wirkenden Sessel lag ein Buch, umgedreht aufgeschlagen und mit gebrochenem Rücken. Es wirkte verwundet, und ein nicht hilfreicher, sentimentaler Teil von mir wollte es von seinem Leid erlösen. Außer einer dicken gescheckten Katze, die in dem Sessel schlief, und einem sehr hübschen Blick über die Stadt gab es hier nichts Interessantes zu entdecken. Ich wollte später noch einmal in dieses Zimmer zurückkehren, falls der Rest meiner Suche ergebnislos verlief.

Der nächste Raum war das Schlafzimmer. Auch dieses war peinlich sauber, und auch hier lag ein Buch mit gebrochenem Rücken auf dem Nachttisch. Wenn wir sie wegen der Brandstiftung nicht drankriegen konnten, sollten wir sie immerhin wegen Grausamkeit gegenüber Büchern anzeigen. An der dem Bett gegenüberliegenden Wand stand ein Kleiderschrank, also schlich ich in das Zimmer, um ihn mir genauer anzusehen.

Der Schrank war abgeschlossen und der Schlüssel nicht da, aber das Schloss war nicht sehr kompliziert und hatte keine Chance gegen meinen treuen Dietrich. Ein paar unansehnliche Kleider hingen an der Stange neben ein paar Jacken. Auf den Regalbrettern lag die erwartbare Sammlung von Unterwäsche und Pullovern, die alle ordentlich zusammengefaltet waren.

Unten im Schrank standen ein Paar »gute« Schuhe, ein Paar Sommerschuhe und ein Paar Stiefel, von denen sich die Sohlen lösten. Außerdem war ganz hinten eine zerknüllte Segeltuchtasche hineingestopft worden. Sie sah aus wie ein Seesack.

Ich prägte mir ihre genaue Position sowie die der sie umgebenden Schuhe ein, bevor ich sie vorsichtig aus dem Schrank hob. Etwas darin klirrte, als ich sie auf dem Boden abstellte. Ich fand zwei fest verschlossene und in einen Lumpen gewickelte Flaschen sowie einige lose Blätter im Quartformat. Das Innere der Tasche roch nach Paraffin. Nachdem ich sie entkorkt hatte, ergab ein kurzes Schnuppern an einer der Flaschen, dass sie noch immer einen Rest dieses vertrauten brennbaren Öls enthielt. Ich nahm eines der Blätter in die Hand.

Es handelte sich um ein gedrucktes Flugblatt mit der Überschrift »Wahlrecht für Frauen«, unter der dann die Ziele der Women’s Social and Political Union skizziert waren. Daran war nichts Bemerkenswertes – Challenger war schließlich eine der Betreiberinnen des WSPU-Ladens auf der Queen’s Road. Als ich jedoch genauer hinsah, fiel mir auf, dass darauf gar nicht »Women’s« stand. Es war ein Flugblatt der »Woman Social and Political Union« – derselbe Fehldruck wie auf den Exemplaren, die am Tatort der Brandstiftung gefunden worden waren.

Ich sah noch einmal in der Tasche nach, um sicherzustellen, dass sie sonst nichts Interessantes enthielt. Auf ihrem Boden lagen wenigstens noch ein halbes Dutzend weiterer Flugblätter neben einer zerbeulten Streichholzschachtel. Das Flugblatt, das ich herausgenommen hatte, würde von niemandem vermisst werden, also faltete ich es zusammen und steckte es ein, bevor ich die Tasche wieder genauso in den Schrank zurücklegte, wie ich sie vorgefunden hatte. Darauf folgte ein kurzer Augenblick der Frustration, als das Schloss sich gegen die Versuche meines Dietrichs stemmte, sich wieder verriegeln zu lassen. Es brauchte einige Zeit des stillen Fluchens sowie eine immer aufgeregtere Bewegung des Mechanismus, aber irgendwann gab es nach und stimmte zu, dass es im allseitigen besten Interesse läge, wenn es sich wieder verschließen ließe.

Ich sah mich um, aber sonst war in dem Zimmer nichts mehr zu sehen. Warum sind Kriminelle eigentlich nie so zuvorkommend, ihre detaillierten Pläne offen herumliegen zu lassen? Noch besser wäre ein unterschriebenes Geständnis. Wenn Challenger allerdings irgendeine Art Tage- oder Notizbuch führte, hatte sie es fast sicher bei sich. Nicht einmal unter dem Bett lag etwas versteckt.

Ich verließ also das Schlafzimmer und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Aber es erwies sich als so wenig aufschlussreich, wie ich vermutet hatte, also trat ich wieder auf den Flur hinaus, drehte mich um und wollte gerade die Treppe hinuntersteigen.

In diesem Moment hörte ich, wie sich die Tür zur Wohnung der Vermieterin öffnete. Ein Paar Schuhe klapperten über den Fliesenboden des Flurs. Vollkommen reglos blieb ich stehen und wartete ab, ob einer dieser Schuhe auf die Treppe gesetzt werden würde. Ich würde mich ins Schlafzimmer zurückziehen und unter dem Bett verstecken müssen, falls die Haushälterin oder das Hausmädchen aus irgendeinem Grund heraufkommen würde. Wenigstens wusste ich, dass darunter Platz genug für mich war.

Das nächste Geräusch stammte allerdings von der Eingangstür. Sie wurde aufgeschlossen. Eine der Hausangestellten war nach draußen gegangen, und um sich den Weg über die Kellertreppe zu ersparen, hatte sie die Eingangstür benutzt. Selbst hier oben hörte ich das Quietschen des Gartentors und wunderte mich darüber, wie es sein konnte, dass niemand mich hatte hereinkommen hören.

Ich gab ihr eine Minute Vorsprung, bevor ich auf Zehenspitzen die Treppe hinunterschlich und auf demselben Weg das Haus verließ, auf dem ich hereingekommen war. Ich achtete peinlich genau darauf, die Tür hinter mir zu verriegeln. Dann dachte ich kurz darüber nach, einfach über das laute Gartentor zu springen, entschied mich aber schließlich doch dafür, es in den Angeln leicht anzuheben, um den Lärm möglichst gering zu halten. Es quietschte klagend, als wäre es frustriert darüber, dass man ihm die Möglichkeit versagte, aus vollem Hals loszuschmettern, aber ich beglückwünschte mich zu einem im Großen und Ganzen unauffälligen Verschwinden.

Ich kehrte zu Lady Hardcastle zurück und wechselte im Auto wieder die Schuhe, während sie uns nach Clifton fuhr. Unsere nächste Station lag nämlich am beliebten Royal York Crescent; dort wohnte der ehrwürdige James Stansbridge. Wir parkten am westlichen Ende der Straße und machten es uns bequem – er war eine Nachteule, also stellten wir uns auf eine lange Wartezeit ein. Selbst an einem Tag, an dem er ziemlich sicher die Vorbereitungen für den Goldraub voranbringen musste, würde er kaum deutlich vor Mittag aufstehen.

Vor der langen Reihe von Regency-Häusern lag ein breiter Gehweg, der über die Keller darunter gebaut worden war. Von unserem Platz aus konnten wir daher die Eingangstüren der Häuser nicht sehen, sondern nur die überwölbten Fronten der Keller. Die zum Großteil selbst Türen hatten. Lady Bickle hatte uns jedoch versichert, dass Stansbridges Tür in der Nähe der ersten Treppe lag, die nach unten zur Straße führte, und dass er aus Gründen, die sie nicht verstand, üblicherweise hinabstieg, statt an den Häusern seiner Nachbarn vorüberzugehen.

Ich bot Lady Hardcastle eine Tasse Kaffee aus der Kanne an, die unter meinem Sitz verstaut war.

»Danke, Liebes. Ich muss schon sagen, ich bin froh darüber, dass es heute ein bisschen wärmer ist.«

»Ich bin einfach nur dankbar, dass es nicht regnet«, entgegnete ich.

»Na, das stimmt auch. Aber jetzt ist es Zeit für einen Bericht: Was hast du in Beattie Challengers Bude gefunden?«

»Ihre Wohnung ist genauso langweilig wie sie selbst. Aber in ihrem Besitz befindet sich ein ziemlich markanter Seesack, in dem sie Flaschen voll Paraffin, Streichhölzer und Flugblätter der Suffragetten aufbewahrt.« Ich zog das Flugblatt hervor. »Fällt Ihnen daran irgendetwas auf?«, fragte ich und reichte es ihr.

Sie zog ihr Lorgnon hervor und betrachtete es eingehend. »Aha! Darauf ist derselbe Druckfehler wie auf denen, die auf der Thomas Street gefunden worden sind. Sie ist also definitiv die, die wir suchen. Donnerwetter, glaubst du denn, dass sie vielleicht in Cranes Druckerei hergestellt worden sind? Seine Liga ist doch auch gegen das Frauenwahlrecht. Vielleicht hat er das Flugblatt selbst entworfen. Wie auch immer, sobald wir ein bisschen mehr über diese Sache mit dem Gold wissen, kann die Polizei die Wohnung offiziell durchsuchen und das alles selbst finden. Es ist zwar noch immer kein stichhaltiger Beweis, aber zusammen mit dem Augenzeugenbericht des Informanten, der ihre Schuhe gesehen hat, müsste es für einen ordentlichen Zweifel an Lizzie Worrels Schuld reichen. Vor allem wo Brookfields Notizen das alles untermauern.«

»Das wollen wir hoffen«, erwiderte ich. »Obwohl Lizzie allgemein beliebt ist – ich bin mir sicher, dass wir keinen Mangel an Freiwilligen hätten, um ein Geständnis aus Challenger herauszuprügeln.«

»Ohne Zweifel. Aber diese Art brutalen Vorgehens sollten wir doch den Polizeikräften auf dem Kontinent überlassen, denke ich. Ich bin mir sicher, dass wir die junge Frau auch so überzeugen können, das Richtige zu tun.«

»Falls wir sie erwischen, bevor sie sich bei Nacht und Nebel mit ihrem Teil des Goldes aus dem Staub macht.«

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Wenn wir davon ausgehen, dass sie versuchen, das Gold zu stehlen, indem sie es ersetzen, hoffen sie ganz offenbar zu entkommen, ohne dass jemand überhaupt bemerkt, dass es fort ist. In diesem Fall müssen wir auch davon ausgehen, dass sie keine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollen, indem sie auf die nächste Fähre und in den nächsten Zug Richtung Südfrankreich steigen, um dort von der Beute in Saus und Braus zu leben. Sie werden ganz normal weitermachen, bis sich die Aufregung ein wenig gelegt hat, und dann diskret ihre ergaunerten Gewinne in Bargeld umtauschen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie in nächster Zeit irgendwohin verschwindet.«

»Das tun wir ganz offenbar auch nicht«, merkte ich an und griff ein weiteres Mal unter meinen Sitz. »Brot mit Käse und Chutney?«

»Gute Wahl. Wie bist du darauf gekommen, das alles einzupacken?«

»Jahrelange Erfahrung. Die Chancen standen nicht schlecht, dass Sie uns zwingen würden, den ganzen Tag durch die Stadt zu rennen.«

»Ich weiß nicht, was ich ohne dich anfangen würde.«

»Ich auch nicht«, erwiderte ich und biss in das Brot. Ich dachte kurz nach. »Wenn Sie sieben Zentner Goldbarren stehlen wollten und versuchen würden, sie durch irgendetwas zu ersetzen, was würden Sie nehmen? Bleibarren?«

»Darüber grüble ich schon nach, seitdem ich die Nachricht entschlüsselt habe. Wenn die Unternehmung über finanzielle Mittel verfügt, wäre es einfach, dreißig Bleibarren in der richtigen Größe aufzutreiben, sie golden anzumalen, um ihnen die richtige Farbe und den richtigen Glanz zu verleihen, und dann auf eine Gelegenheit zu lauern, sie gegen die echten Barren auszutauschen. Das Problem besteht darin, dass ein Bleibarren trotz seines offensichtlichen Gewichts immer noch nur etwas mehr als die Hälfte eines Goldbarrens derselben Größe wiegt. Lass uns mal annehmen, dass das Gold in einer Kiste steckt, damit es unterwegs sicher ist und beisammenbleibt. Man würde doch wollen, dass die Wachleute in der Lage sind, die Kisten beim Ein- und Ausladen zu tragen, also würde man die Barren vielleicht auf sieben Kisten à vier und eine Kiste à zwei Barren verteilen. Die schwereren Kisten würden etwas über hundertneun Pfund wiegen. Es wäre zwar nicht das Einfachste, was sie an diesem Tag tun würden, aber zwei Männer könnten so eine Kiste gemeinsam tragen. Vier Bleibarren derselben Größe würden hingegen nur knapp über vierundsechzig Pfund wiegen. Sogar die einfältigsten Wachleute würden eine Differenz von fünfundvierzig Pfund Gewicht bemerken.«

»Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Unterschied so groß ist«, staunte ich.

»Mit solchen Fragen hat man ja auch nicht allzu häufig zu tun. Irgendwie muss es aber gelingen, dass eine Kiste mit vier Bleibarren genauso viel wiegt wie eine Kiste mit vier Goldbarren.«

»Also …«, sagte ich, als ich das Problem durchdachte, »wenn man das Blei nicht schwerer machen kann, was ist dann mit der Kiste? Sie müssen das Gold in den Kisten transportieren, also wissen sie eigentlich nur, was das Gold und die Kisten zusammen wiegen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass irgendwer irgendwann einmal einen Barren herausnimmt.«

»Aus dir wird noch mal eine richtige Wissenschaftlerin, meine junge Armstrong. Genau das habe ich mir auch gedacht. Wenn sie irgendwie weitere fünfundvierzig Pfund Blei zu den Kisten selbst hinzufügen könnten, würde sie nur eine gründliche Inspektion verraten. Zum Beispiel würde es genügen, die Innenseite der Kisten mit einer ausreichend dicken Bleischicht zu versehen, sie müssten sie nur ordentlich tarnen.«

»Sie müssten dann aber auch wissen, wie das Gold transportiert wird und wie genau im Hafen vorgegangen wird. Es wäre eine List, die nur eine sehr oberflächliche Untersuchung überstehen würde.«

»Crane transportiert doch die ganze Zeit seinen kostbaren Kaffee um die halbe Welt. Wenn irgendwer bestechliche Kontakte sowohl in sämtlichen Häfen Südamerikas als auch zu Hause hat, dann wohl er. Er könnte problemlos Spione an den Docks in Chile installiert haben, die ihm mitteilten, wie das Gold verpackt worden ist, außerdem Leute in Avonmouth, die ihm verrieten, wie es dort weitertransportiert wird. Mit diesem Wissen ausgestattet, könnte unser Freund Jimmy Stansbridge ganz leicht einen Plan entwerfen, es vor der Nase der Wachen verschwinden zu lassen. Und wo wir gerade von Stansbridge sprechen, kommt er da nicht gerade die Treppe herunter?«

Ich sah in die Richtung, in die sie zeigte. Ein Mann in einem glänzenden Zylinder und einem langen schwarzen Mantel sprang sorglos die Stufen herunter auf eine wartende Kutsche zu.

»Pelzkragen und eine scharlachrote Feder im Hutband?«, sagte ich. »Das ist die Beschreibung, die Lady Bickle uns gegeben hat.«

Ich sprang aus dem Auto und kurbelte den Motor an. Wir ließen der Kutsche ein paar Meter Vorsprung, bevor wir die Verfolgung aufnahmen.

Die Kutsche war leicht im Auge zu behalten, aber wir hatten ein anderes Problem: Es stellte sich nämlich heraus, dass Autos deutlich schneller als Pferdekutschen fahren können. Im niedrigsten Gang konnte unser Rover dreizehn Stundenkilometer fahren, und das ist zufällig auch ungefähr die Geschwindigkeit eines trabenden Pferdes. Alles lief gut, solange die Kutsche nicht zu einem Karren auffuhr und langsamer wurde. Immer wenn das geschah – und es geschah ärgerlich häufig –, waren wir gezwungen anzuhalten und darauf zu warten, dass das Pferd wieder in Trab verfiel. Glücklicherweise drehten sich weder Stansbridge noch der Kutscher jemals um, weshalb es uns erstaunlicherweise gelang, ihnen unentdeckt zu folgen.

Seine erste Station lag in einer Gasse in der Nähe des Alten Marktes, nicht weit vom Empire entfernt, Bristols berühmtestem Varieté. Die Kutsche hielt vor einem Laden mit staubigen Schaufenstern, der sich Montague Mallick & Söhne – Theaterkostüme und Requisiten nannte. Wir hielten in sicherer Distanz an und sahen ihn hineingehen. Er war nicht länger als fünf Minuten im Laden und kam dann mit zwei großen, mit Packpapier umwickelten und verschnürten Paketen wieder heraus.

Dann ging es weiter. Die nächste Station war nur eine kurze Strecke entfernt, die Sheldon, Bush and Patent Shot Company Limited in Redcliffe. Erneut verschwand er im Inneren, diesmal für fast eine halbe Stunde, kam dann aber mit leeren Händen wieder heraus.

Der heikelste Moment folgte nun an der Bleischrotfabrik. Die Kutsche fuhr wieder zurück ins Geschäfts- und Bankenviertel um die Corn Street. Es sah schon so aus, als ob er vielleicht einfach wieder heimfahren würde – dieser Weg führte zurück nach Clifton –, und Lady Hardcastle wurde ein bisschen nachlässig in ihrer Verfolgungstechnik. Bisher hatte sie stets einen sicheren, unaufdringlichen Abstand zu unserem Opfer eingehalten und der Kutsche gestattet, außer Sichtweite auf die St. Nicholas Street einzubiegen, bevor sie selbst links abbog und ihr folgte. Unerwartet hatte die Kutsche allerdings kaum zehn Meter von der Kreuzung entfernt angehalten, und wir wären beinahe mit ihr kollidiert.

Wir fuhren daran vorbei und achteten nicht auf den schlaksigen Mann im schwarzen Mantel und Zylinder, der sich aus der Kutsche faltete und den Fahrer bezahlte. Es gelang uns allerdings nicht, eine Entdeckung durch den Mann zu vermeiden, der die Straße entlang auf ihn zukam – Nathaniel Morefield. Wir hofften allerdings, dass unsere Autokleidung uns mehr oder weniger unkenntlich machen würde. Das scharlachrote Auto war zwar ziemlich auffällig, aber es bestand kein Grund anzunehmen, dass Morefield wusste, wem es gehört.

Allerdings folgte ihm in noch einmal zehn Metern Abstand eine weitere vertraute Gestalt in einem ausgezeichnet geschneiderten Mantel. Sie hatte eine Ledertasche bei sich. Miss Caudle hatte anscheinend ihren Beobachtungsposten in Cranes Kaffeehaus aufgegeben, um ihrer Zielperson zu folgen. Ich sah, wie sie kurz zu uns herüberschielte, als wir an ihr vorbeifuhren, aber sie war geistesgegenwärtig genug, sich nichts anmerken zu lassen.

Wir hatten keine Wahl, als weiterzufahren und uns irgendeinen unauffälligen Parkplatz zu suchen.

»Sollen wir es zu Fuß versuchen?«, fragte ich, als wir schließlich auf der Clare Street hielten.

»Könnten wir«, erwiderte Lady Hardcastle, »aber ich bin mir nicht sicher, was wir so erfahren würden. Stansbridge und Morefield wollen wahrscheinlich beim Lunch die letzten Details besprechen, und es gibt nicht viel, was wir mit dem Versuch erreichen könnten, dieses Gespräch zu belauschen, es sei denn, erwischt zu werden. Ich hoffe, Dinah folgt ihnen nicht, wohin auch immer sie sich zurückziehen – Morefield kennt sie auf jeden Fall.«

»Stansbridge hatte nichts bei sich, als er ausgestiegen ist«, bemerkte ich. »Und er hat die Kutsche weggeschickt, also wird er wahrscheinlich eine Weile hierbleiben. Sollen wir vielleicht der Kutsche folgen und nachsehen, wohin die Pakete geliefert werden?«

»Ich denke, mehr bleibt uns nicht übrig. Obwohl er sie wahrscheinlich einfach nur zurück zum York Crescent bringt.«

»Es ist aber einen Versuch wert«, entgegnete ich. »Miss Caudle wird uns schon erzählen, was nach dem Lunch passiert.«

Zu diesem Zeitpunkt war die Kutsche an uns vorbeigefahren und verschwand gerade in dem Gewimmel aus Karren und Straßenbahnen um das Straßenbahndepot. Wir kamen gerade noch rechtzeitig, um sie langsam die Park Street hinauffahren zu sehen. Es begann so auszusehen, als ob die Pakete tatsächlich einfach nur bei ihm zu Hause abgegeben würden.

Der Kutscher ignorierte allerdings in der Folge sämtliche Abzweigungen Richtung Clifton und fuhr weiter über die Whiteladies Road Richtung Blackboy Hill und schließlich über den Hügel. Als der Verkehr immer spärlicher wurde und schließlich fast ganz versiegte, wurde es schwierig für uns, unentdeckt zu bleiben, doch der Kutscher übernahm für uns einen Großteil der Arbeit, indem er sich weiterhin mit einer befriedigend hilfreichen Beharrlichkeit nicht umdrehte.

Nichtsdestoweniger ließen wir uns etwas zurückfallen. Selbst wenn wir ihn kurz aus den Augen verlören, würde es uns gelingen, wieder aufzuschließen, vor allem weil wir im Falle eines Falles dreimal so schnell wie er unterwegs sein konnten.

Er fuhr weiter.

»Wo sind wir denn hier?«, fragte Lady Hardcastle.

»Ich bin mir nicht sicher. Wir sind nie hier rausgefahren. Denken Sie vielleicht, dass es die Straße nach Avonmouth ist?«

»Das scheint mir jedenfalls nach allen unseren bisherigen Erkenntnissen das wahrscheinlichste Ziel zu sein. Wir müssen einfach nur weiterfahren und hoffen, dass wir später auch den Rückweg finden.«

Nach einigen ermüdend langsam zurückgelegten Meilen begannen wir, vor uns wieder Zivilisation zu entdecken. Immer wieder blitzten die Arme der Hafenkräne zwischen den riesigen Lagerhäusern hervor, und schließlich sahen wir die Schornsteine eines Schiffs. Tatsächlich näherten wir uns dem Hafen von Avonmouth.

Es gab eine kleine Reihe aus drei alten, verlassen wirkenden Hütten am Rand des Geländes. Die Fenster der ersten beiden waren mit Brettern vernagelt. Wir vermuteten, dass die Bewohner schon vor Jahren beim Ausbau des Hafens zwangsumgesiedelt worden waren. Vielleicht lebten sie jetzt in den neu errichteten Häuserzeilen in der Nähe, aber das Land wurde ganz offenbar noch nicht für eine Erweiterung des Hafengeländes benötigt.

Die Kutsche hielt vor einer der Hütten, der Fahrer richtete sich auf seinem Sitz auf und sah sich um, als wäre er verwirrt darüber, dass die ihm genannte Adresse zu einer leeren, heruntergekommenen Hütte gehörte. Ich dachte schon, dass er aufgeben und wieder abfahren würde, dass er vielleicht glauben würde, dem Streich eines reichen Mannes zum Opfer gefallen zu sein, als sich die Tür der Hütte öffnete und ein untersetzter Mann hervortrat. Er unterhielt sich kurz mit dem Kutscher, ein weiterer Mann stand in der Tür und sah den beiden zu. Der Kutscher händigte die braun eingeschlagenen Pakete aus und erhielt dafür irgendetwas, wahrscheinlich den versprochenen Fahrpreis.

All das hatten wir aus sicherer Entfernung beobachtet. Wir blieben am Straßenrand stehen, als die Kutsche wendete und auf dem Weg zurück in die Stadt an uns vorbeifuhr. Der Fahrer achtete auf dem Rückweg genauso wenig auf uns wie auf dem Hinweg. Er sah uns nicht einmal an.

Lady Hardcastle zog ein Notizbuch und einen Stift aus ihrer Tasche und fertigte eine knappe Skizze von der Hütte und ihrem Standort an der Straße an. Dann machte sie sich noch ein paar Notizen, bevor sie sagte: »Ich denke, wir sollten zu Georgie zurückfahren und Bericht erstatten, oder?«

»Können wir auch ihre Einladung zum Dinner annehmen?«, fragte ich. »Ich bin am Verhungern.«

Wir erreichten Berkeley Crescent kurz vor sechs und sahen, dass die anderen drei bereits da waren. Wenn die Atmosphäre zuvor höflich, aber auch irgendwie kühl gewesen war, plauderten die beiden Damen nun miteinander wie alte Freundinnen.

»Wie Sie sehen können«, sagte Lady Bickle, als sie uns hereinbat, »können Dinah und ich es kaum noch erwarten, Ihnen unsere Geschichten zu erzählen. Ich weiß nicht, ob ich mich noch viel länger hätte beherrschen können, aber der Inspektor hat ausdrücklich darauf bestanden, auf Sie zu warten.«

»Tut mir leid, dass wir Sie aufgehalten haben«, sagte Lady Hardcastle. »Unser armes Auto, das treue kleine Ding, hat sein Bestmögliches getan, aber wir haben trotzdem noch eine Ewigkeit für den Rückweg gebraucht.«

»Wo sind Sie denn gelandet?«, fragte Miss Caudle. »Das Letzte, was ich von Ihnen gesehen habe, war, dass sie bemüht unauffällig über die St. Nicholas Street getuckert sind.«

»Alles zu seiner Zeit«, erwiderte Lady Hardcastle. »Wir haben Sie aufgehalten, also sollte eine von Ihnen zuerst berichten.«

Sowohl Lady Bickle als auch Miss Caudle begannen sofort loszusprudeln. Dann hielten sie beide inne. Lachten. Sie zeigten auf die jeweils andere, um ihr zu bedeuten, dass sie anfangen solle. Dann begannen sie wieder beide auf einmal zu sprechen. Und lachten erneut.

Der Inspektor sah aus, als ob er dieses Maß an mädchenhafter Aufregung schon eine Weile hätte ertragen müssen, und rollte nur mit den Augen.

»Georgie«, entschied Lady Hardcastle. »Warum fangen Sie nicht an? Wir erzählen unsere Geschichte dann, nachdem wir Dinahs gehört haben.«

»In Ordnung«, erwiderte Lady Bickle grinsend. »Also, lassen Sie mich mal sehen. Ich bin zum Laden hinuntergelaufen, nachdem Sie alle unterwegs waren. Es war ein ruhiger Morgen. Beattie war ungewöhnlich aufgekratzt. Meistens ist sie so still, aber heute konnte sie gar nicht aufhören zu plappern. Wir haben ein paar Kleinigkeiten verkauft – die Unterhosen mit den grünen und violetten Schleifen sind in letzter Zeit ziemlich beliebt. Ich nehme an, dabei handelt es sich um eine Art häuslichen Protest. Wie auch immer. Es ging auf Mittag zu, und Beattie fragte, ob es mir etwas ausmachen würde, noch eine Stunde zu bleiben, während sie ein, zwei Dinge erledigte. Normalerweise arbeite ich nur morgens im Laden, müssen Sie wissen. Also erklärte ich mich einverstanden, und sie machte sich auf den Weg. Marisol war im oberen Stockwerk und erledigte irgendwelchen Papierkram, also bat ich sie, auf den Laden aufzupassen – ich behauptete, ich müsse zu Hause ein paar Dinge mit der Dienerschaft besprechen. Das dauerte nur ein paar Augenblicke, aber als ich hinauseilte, konnte ich gerade noch sehen, wie Beattie die Whiteladies Road hinauf verschwand. Ich dachte, dass sie wahrscheinlich nach Hause gehen würde, also geriet ich nicht in Panik. Ich lief ihr nach, und schließlich bog sie irgendwann tatsächlich Richtung Redland ab. Zu diesem Zeitpunkt war ich ungefähr fünfzig Meter hinter ihr, also wäre es schwierig geworden, wenn sie woandershin gegangen wäre, aber sie steuerte direkt auf ihre Wohnung zu. Auf einmal schwante mir, dass ich angeschmiert wäre, wenn sie nach drinnen ginge. Wie sollte ich ihre Eingangstür beobachten, ohne dass sie mich beim Herauskommen entdeckte? Ich war so vertieft in die Lösung dieses kleinen Problems, dass ich beinahe mit ihr zusammengestoßen wäre. Sie kam aus einem kleinen Haushaltswarenladen, der direkt um die Ecke von ihrem Zuhause liegt. Ich hatte sie vollkommen aus den Augen verloren und deshalb gar nicht mitbekommen, dass sie hineingegangen war. Es ist mir gerade noch gelungen, in den Zeitungsladen nebenan zu schlüpfen. Ich habe ein Viertelpfund Minzbonbons gekauft, falls irgendjemand Appetit hat. Als ich es für sicher hielt, das Geschäft zu verlassen, war sie verschwunden. Aber ich habe gesehen, was sie im Haushaltswarenladen gekauft hat: einen großen Kanister Paraffin.«

»Das ist sehr interessant vor dem Hintergrund dessen, was Flo in Challengers Wohnung gefunden hat«, warf Lady Hardcastle ein.

»Na, dann muss Flo jetzt aber als Nächste erzählen«, sagte Miss Caudle. »Das kann man ja nicht einfach so in der Luft hängen lassen.«

Also berichtete ich kurz von meiner Durchsuchung von Beattie Challengers Wohnung und wies besonders auf den Seesack einer Brandstifterin und die leeren Paraffinflaschen hin.

»Anscheinend setzt sie gern Dinge in Brand«, überlegte Miss Caudle. »Ist das vielleicht die Ablenkung, die Brookfield in seinen Notizen erwähnt hat? Ein gut terminiertes Feuer am Hafen würde viel Aufmerksamkeit von einem Goldtransport abziehen.«

»Bestimmt«, pflichtete Lady Hardcastle ihr bei. »Sie sind als Nächste dran. Was haben Stansbridge und Morefield im Schilde geführt? Und jetzt sagen Sie mir bitte, dass Sie ihnen nicht zum Lunch gefolgt sind.«

»Tatsächlich«, erwiderte Miss Caudle mit mehr als nur geringfügiger Genugtuung, »habe ich genau das getan. Ich bin nicht so grün hinter den Ohren, wie ich aussehe, wissen Sie? Ich habe schon oft heimliche Lauschangriffe gestartet, auch als Gesellschaftskorrespondentin. In dieser Funktion vielleicht sogar noch mehr – denn wenn man sein täglich Brot mit Tratsch verdient, zahlt es sich aus zu wissen, wie man unbemerkt bleiben und dabei immer noch andere Leute belauschen kann.«

»Und was haben Sie dabei herausgefunden?«, fragte Lady Bickle.

»Mein erster Schock bestand in der Erkenntnis, dass der ehrwürdige Jimmy in nüchternem Zustand nicht der liebenswürdige Tollpatsch ist, als der er sich immer ausgibt. Wie sich herausstellt, hat er einen messerscharfen Verstand – man fragt sich, wie er es schafft, trotzdem so schlecht Karten zu spielen. Er war mit Morefield verabredet, um gewissermaßen seinem kommandierenden Offizier Bericht zu erstatten. Ganz offenbar sind die Männer in Stellung gebracht worden, und ihre militärische Ausstattung wird heute und morgen geliefert, was auch immer das zu bedeuten hat. Morefield ist Jimmys Frage über die Verteilung der Beute ausgewichen und hat nur gesagt, dass das große Umsicht erfordern und Zeit brauchen würde.«

»Ich glaube, wir können Ihnen bei der Frage zu den Männern und der Ausstattung helfen«, warf Lady Hardcastle ein. Dann erzählte sie von Stansbridges Besorgungen und unserem Ausflug nach Avonmouth. »Meine Vermutung ist«, sagte sie, als sie fertig war, »dass die Männer in der Hütte irgendwelche Uniformen entgegengenommen haben, die der Kostümschneider angefertigt hat. Sie könnten zur chilenischen Armee oder zu den örtlichen Sicherheitskräften gehören, das hängt davon ab, wie genau ihr Täuschungsmanöver ablaufen soll.« Dann skizzierte sie ihre Gedanken darüber, wie Bleibarren gegen die aus Gold ausgetauscht werden könnten. »Falls ich recht habe, war das auch der Grund für den Besuch bei Sheldon Bush. Wenn man es nicht gerade von Kirchendächern stehlen will, ist es am schnellsten und am einfachsten, sieben Zentner Blei bei einer Schrotfabrik zu kaufen. Ich frage mich allerdings, warum sie damit so lange gewartet haben. Es sei denn … Mallick & Söhne haben die falschen Goldbarren schon hergestellt, und er hat sich nur versichert, dass auch das Futter für die Kisten rechtzeitig fertig wird.«

Der Inspektor hatte die ganze Zeit über geschwiegen und sich nur von Zeit zu Zeit etwas in sein unvermeidliches Notizbuch geschrieben.

»Das ist alles sehr hilfreich, meine Damen«, sagte er, als wir fertig waren. »Gemeinsam haben Sie möglicherweise den Fall gelöst. Gut gemacht.«

Man konnte die Freude im Raum bei seinen Worten geradezu mit Händen greifen.

»Sie wissen, wo die Bande sich versteckt hält. Sie haben so gut wie sicher die Methode des Ersetzens herausgefunden – ich habe selbst daran gedacht, dass das Gold gegen Blei ausgetauscht werden könnte, aber den Gewichtsunterschied dabei nicht in Betracht gezogen. Ihre Lösung ist gut, Mylady. Sogar sehr gut. Mein Tag war nicht annähernd so produktiv, muss ich leider zugeben – einmal mehr haben meine Informanten so gut wie nichts herausgefunden. Aber ausgestattet mit all diesen neuen Informationen, habe ich nun eine bessere Vorstellung davon, welche Fragen ich wem stellen sollte. Vielen Dank.«

»Keine Ursache«, erwiderte Lady Hardcastle. »Und was geschieht jetzt als Nächstes?«

»Ah«, entgegnete er. »Ich habe schon befürchtet, dass Sie das fragen könnten. Also, ich weiß ja, wie sehr Ihnen das alles heute Spaß gemacht hat, und ich weiß auch, dass Sie alle ganz ungeduldig mit den Füßen scharren und helfen wollen, aber ich muss Sie jetzt darum bitten, stillzuhalten und mich und meine Kollegen bei der Polizei ein bisschen gewöhnliche Polizeiarbeit erledigen zu lassen. Diese Bande ist deutlich organisierter und skrupelloser, als wir sie alle wohl eingeschätzt haben. Vergessen Sie nicht, dass sie schon einen Menschen getötet haben, weil er ihnen zu dicht auf den Pelz gerückt ist. Ich habe jetzt genug Informationen, um eine richtige Polizeiaktion auf die Beine zu stellen, also sonnen Sie sich einfach nur im Ruhm Ihres Erfolgs.«

Ein kurzer Moment vollkommener Stille entstand, bevor Lady Bickle und Dinah Caudle beide in außerordentlich schrillem Ton zu protestieren anfingen. Lady Hardcastle ließ sie ein bisschen Dampf ablassen, bevor sie die Versammlung einmal mehr zur Ordnung rief.

»Ganz bestimmt«, sagte sie dann sehr ruhig, »gibt es für uns etwas Nützliches zu tun, Inspektor, Polizeioperation hin oder her.« Ihr Blick hielt den Inspektor an, sie nicht zu unterbrechen. »Vergessen Sie nicht, dass unsere Mission darin besteht und immer bestanden hat, Lizzie Worrel zu befreien. Ein paar Pfund Gold davor zu bewahren, von einer Räuberbande gestohlen zu werden, während sie von einer zweiten Räuberbande zu einer dritten unterwegs sind, ist zwar furchtbar aufregend, aber darum sind wir nicht hier. Und versuchen Sie besser gar nicht, mich davon zu überzeugen, dass Geschäftsmänner nicht einfach nur Räuber in teuren Anzügen sind, da stelle ich auf Durchzug.«

Die beiden Damen murrten aufsässig wie Schulkinder nach einem Tadel.

»Inspektor. Meinen Sie denn, dass Sie unser Problem lösen könnten, indem Sie Beattie Challengers Wohnung offiziell durchsuchen lassen? Wenn Sie sie festnehmen, könnte das auch Sand ins Getriebe des Goldraubs streuen.«

»Und genau deshalb möchte ich es nicht tun«, erwiderte er. »Zum ersten Mal seit Wochen bin ich den Golddieben einen Schritt voraus. Wenn ich sie in eine Situation zwinge, in der sie auf einen Notfallplan zurückgreifen oder – noch schlimmer – improvisieren müssen, gebe ich meinen Vorteil auf. Leider ist meinen Interessen am besten damit gedient, die Dinge sich wie geplant entfalten zu lassen. Dann können wir alle auf einmal hochnehmen.«

»In diesem Fall gibt es für uns nichts weiter zu tun, als gemeinsam etwas zu trinken«, sagte Lady Bickle. »Lunch gibt es um sieben, also haben wir Zeit für einen Aperitif, bevor Ben von der Arbeit kommt.«

Dem konnten wir alle nur zustimmen.