Als Edna am Sonntag gerade das Mittagessen servierte, klingelte das Telefon.
»Chipping Bevington zwei-drei«, meldete ich mich, nachdem ich den Hörer von seinem Haken an der Seite des Kastens genommen hatte. »Hallo?«
»Miss Armstrong? Hier spricht Dinah Caudle.«
»Guten Tag, Miss Caudle. Möchten Sie mit Lady Hardcastle sprechen?«
»Wie? Nein, das können wir auch besprechen. Ich habe weitere Informationen aus Brookfields Notizbuch und würde gern mit Ihnen beiden darüber reden. Heute Nachmittag komme ich durch Ihr entzückendes kleines Dorf – würde es zu große Umstände machen, wenn ich bei Ihnen vorbeischauen würde? Sagen wir um vier?«
Zu diesem Zeitpunkt war Lady Hardcastle aus dem Esszimmer getreten, weil sie davon ausging, dass der Anruf für sie war.
Ich legte die Hand über die Sprechmuschel des Telefons und sagte leise: »Caudle hat Neuigkeiten. Sie will um vier vorbeikommen.«
»Das geht«, antwortete sie in normaler Lautstärke. »Lad sie doch zum Tee ein.«
Ich nahm die Hand wieder von der Sprechmuschel und sagte: »Das ist in Ordnung, Miss Caudle. Bleiben Sie doch zum Tee, wenn Sie können.«
»Danke«, erwiderte Miss Caudle. »Und sagen Sie ihr, sie soll leiser sprechen.«
»Verstanden«, entgegnete ich. »Wir erwarten Sie dann später.«
Ich hängte auf.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Lady Hardcastle.
»Dass Sie sehr laut sind«, entgegnete ich.
Sie knurrte missbilligend, und wir kehrten zu unserem Lunch zurück.
Nach dem Essen ging Lady Hardcastle zurück in ihr Arbeitszimmer, und ich half Miss Jones dabei, ein paar Kleinigkeiten zum Tee vorzubereiten. Eigentlich hatten Edna und sie an diesem Nachmittag frei, aber sie bestand darauf zu bleiben, und ich war dankbar für ihre Hilfe.
Als wir fertig waren, hatte ich nichts weiter zu tun, also zog ich mich in den Salon zurück, um ein Buch zu lesen. Dabei musste ich wohl eingeschlafen sein, denn das Nächste, was ich hörte, war die Türklingel.
Mühsam kam ich wieder zu mir und stolperte nach draußen. Die Uhr im Flur zeigte zehn nach vier, aber das hatte dieser Tage nichts zu bedeuten. Alles, was ich mit Sicherheit sagen konnte, war, dass es Nachmittag war, und auch das gründete sich nur auf meine Erinnerung daran, bereits Lunch gehabt zu haben.
Ich strich meine Uniform glatt und öffnete die Tür. Miss Caudle stand davor und winkte über die Schulter hinweg einem teuer aussehenden Auto zu, das umgehend davonfuhr.
»Guten Tag, Miss Caudle«, begrüßte ich sie. »Kommen Sie doch herein.«
Ich half ihr aus dem Mantel und führte sie in den Salon.
»Bitte, machen Sie es sich bequem. Ich sage solange Lady Hardcastle Bescheid, dass Sie hier sind.«
Doch bis zu Lady Hardcastles Arbeitszimmertür kam ich gar nicht mehr, da schoss sie schon heraus. Wir lächelten und nickten einander zu, dann ließ ich sie Miss Caudle begrüßen, während ich in die Küche ging, um letzte Hand an unseren Nachmittagstee zu legen.
Als ich das Tablett hineintrug, waren sie bereits ins Gespräch vertieft.
Miss Caudle sagte: »… auf dem falschen Fuß erwischt bei dieser Sache mit der Filmvorführung damals, aber ich glaube, es wäre für uns alle am besten, wenn wir das hinter uns ließen. Wir haben uns darauf geeinigt zusammenzuarbeiten und uns bis jetzt doch auch ganz gut verstanden … aber Sie können nicht leugnen, dass es zwischen uns eine unterschwellige Abneigung gibt. Meiner Meinung nach wäre es einfacher, wenn wir einen Strich unter alldem ziehen und von vorn anfangen würden.«
»Da stimme ich Ihnen zu«, sagte Lady Hardcastle. »Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich Ihre Motive oder Methoden damals gutgeheißen hätte, aber ich habe doch eine gewisse Bewunderung für Ihre Bemühungen, sich selbst eine Karriere aufzubauen. Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Was meinst du, Flo? Sollen wir einen Waffenstillstand schließen?«
»Ich bin dabei, wenn Sie es sind«, entgegnete ich. »Mir sind Freunde und Verbündete immer lieber als Feinde und Gegner.«
»Jetzt mal halblang«, sagte Miss Caudle. »Lassen Sie es uns nicht übertreiben. Ich habe einen beidseitigen Stopp der Feindseligkeiten vorgeschlagen, nicht dass wir uns Blumenkränze flechten und einander die Haare bürsten sollen.«
Lady Hardcastle musste lächeln. »Dann also wenigstens Verbündete. Wir haben ein gemeinsames Anliegen.«
»Das hatten wir auch vorher schon«, merkte Miss Caudle an.
»Wohl kaum, meine Liebe«, entgegnete Lady Hardcastle. »Wir wollten einen Mörder schnappen, und Sie wollten einen Aufmacher mit Ihrem Namen darunter.«
»Ja, und wenn Sie …«, begann Miss Caudle.
»Meine Damen, bitte«, unterbrach ich. »Ich weiß, dass ich nicht am gesamten Gespräch teilgenommen habe, aber der Teil, den ich mitbekommen habe, schien mir einen Friedensschluss und die Zusammenarbeit auf ein gemeinsames Ziel hin zu beinhalten. Ich habe nichts über Gezanke gehört.«
»Du hast ja recht«, lenkte Lady Hardcastle ein. »Entschuldigung, Miss Caudle.«
»Ebenfalls«, sagte Miss Caudle. »Lassen Sie sich immer so von ihr herumkommandieren?«
»Sie ist großmütig genug mir zu gestatten so zu tun, als ob ich das Sagen hätte, aber sie ist ein furchterregendes kleines Ding, also tue ich lieber, was sie mir sagt.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. Schön wär’s, dachte ich.
»Also gut«, fuhr Miss Caudle fort und griff in ihre unvermeidliche Aktentasche. »Im Geist dieser neuen Entente cordiale möchte ich Ihnen von den letzten Entwicklungen berichten.«
Sie zog Mr. Brookfields Notizbuch und einen Stapel Papier voller Notizen und Diagramme hervor.
»Das Problem mit Christians Bemühungen, seine Notizen vor den neugierigen Augen seiner Feinde geheim zu halten«, sagte sie und blätterte die Papiere durch, »ist, dass deswegen auch seine Freunde nicht durchblicken. Sogar mit dem Schlüssel brauche ich eine Ewigkeit, und manche seiner rätselhaften kleinen Wortspiele sind quälend kompliziert. Aber ich komme voran … Ah, da haben wir’s.«
Sie fand das Blatt, nach dem sie gesucht hatte.
»Am Freitag hatte ich eine kleine Erleuchtung. Irgendwie habe ich allmählich ein Muster in dem Durcheinander gesehen. Wir haben gedacht – na ja, ich habe jedenfalls gedacht – , dass er an einem zufälligen Gewirr aus unzusammenhängenden Geschichten gearbeitet hat, dass es nur das Ergebnis seiner unberechenbaren Launen war, dass er von einer zur nächsten sprang. Allerdings haben sie miteinander zu tun. Sie gehören alle zu einer großen Geschichte.«
»Wie haben Sie das herausgefunden?«, fragte ich.
»Das hat sich ergeben, als ich zu diesem nächsten Abschnitt gekommen bin«, sagte sie und tippte auf das Blatt Papier. »Der nächste Zeitgenosse auf seiner verschlungenen Liste von Betrügern und Tunichtguten ist ein Spieler. Ein unverbesserlicher Kartenspieler, der bis über beide Ohren verschuldet ist und auf den Namen James …«
»… Stansbridge hört«, unterbrach Lady Hardcastle sie. »Dritter Sohn des Earl of Keynsham.« Sie zwinkerte mir zu.
»Wie haben Sie …?«, fragte Miss Caudle verblüfft.
»Glückstreffer. Wir sind ihm gestern Abend im Haus der Farley-Strouds begegnet – auf The Grange. Es kann ja nicht allzu viele kartenspielende Schuldner namens Jimmy geben, die die Aufmerksamkeit eines ermittelnden Journalisten wie Brookfield auf sich ziehen würden.«
»Sie scheinen immer schon einen Schritt weiter zu sein«, staunte Miss Caudle. »Ja, der ehrenwerte James, Jimmy, Stansbridge, dritter Sohn, wie Sie richtig sagen, des Earl of Keynsham, ist Christian im Zusammenhang mit einer – wie ich inzwischen weiß – größeren Ermittlung aufgefallen. Er ist eigentlich ein kleiner Fisch, und normalerweise würde ich keine Tinte an ihn verschwenden. Wen kümmert schon ein weiterer Narr mit einem Titel, der seinen Schneider nicht bezahlen kann?«
»Aber die Frage, wer ihm das Geld geliehen hat, kümmert uns dann doch«, vermutete Lady Hardcastle.
»Schon wieder richtig.«
»Und, wissen wir, um wen es sich handelt?«, fragte ich.
»Nun, also … wissen ist in Zeitungskreisen ein einigermaßen problematisches Wort. Oft liegt eine ziemliche Strecke zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir beweisen können.«
»Dasselbe gilt im Großen und Ganzen auch für die Welt der internationalen … Diplomatie«, merkte Lady Hardcastle an. »Was wusste Brookfield denn?«
»Er wusste so sicher wie das Amen in der Kirche, dass die hauptsächliche Geldquelle für die Spielsucht des ehrwürdigen Jimmy ein Ratsmitglied namens Nathaniel Morefield ist. Er ist ein angesehenes Ratsmitglied mit sehr viel Geld und mächtigen Freunden. Er ist genau die Art von Mann, von dem man erwarten würde, dass er einem alten Freund ein paar Groschen leiht, um ihm aus einer misslichen Lage zu helfen. Die Bedeutung liegt in seiner Verbindung zu den anderen Namen, die Brookfield unter die Lupe genommen hat. Er schien sicher zu sein, dass Nathaniel Morefield derjenige war, der mit Oswald Cranes Frau rummacht, sowie der Mann, der bestochen worden war, um den Erfolg von Redvers Hinkleys Bauprojekt auf der Thomas Street sicherzustellen.«
»Er ist jedenfalls ein Mann mit einem starken Motiv, den lästigen Journalisten aus dem Weg zu räumen, der gedroht hat, seine zahlreichen zwielichtigen Machenschaften auffliegen zu lassen.«
»Nun, so in etwa«, bestätigte Miss Caudle.
»Sein Motiv ist stärker als die der anderen«, gab ich zu bedenken. »Aber das schließt trotzdem noch immer keinen von ihnen aus. Cranes Ruf hätte ruiniert sein und Hinkley hätte sogar eingesperrt werden können, wenn seine Taten an die Öffentlichkeit gekommen wären. Sogar der einfältige Jimmy hatte ein Motiv. Maude und ich haben ihn sagen hören, dass sein Vater ihm den Unterhalt streichen würde, falls er herausfände, wie ernst seine finanziellen Probleme sind.«
»Also hätte auch der Earl ein Motiv gehabt«, fügte Miss Caudle hinzu. »Möglicherweise hat er seinem Sohn damit gedroht, ihm den Geldhahn zuzudrehen, wenn er weitere Beweise für Spielschulden fände, aber ich bezweifle, dass das aus dem Wunsch heraus geschah, seinen Sohn zu schützen. Wahrscheinlicher ist doch, dass es ihm um den Ruf der Familie ging.«
»Wir müssen«, sagte ich, »allmählich einige dieser Namen von unserer Liste streichen.«
»Alibis abzufragen und zu überprüfen würde schon helfen«, merkte Lady Hardcastle an. »Ich denke, dass wir Oswald Crane so weit unter Druck setzen könnten, dass er uns aus Angst sein Alibi verrät, nur um uns loszuwerden.«
»Das überlasse ich Ihnen«, sagte Miss Caudle. »Sie scheinen den Dreh rauszuhaben, ihm auf die Nerven zu gehen. Wenn irgendeine von uns es schaffen kann, dann Sie.«
»Danke, meine Liebe. Es ist zwar kein großes Talent, aber ich werde trotzdem großspurige Firmendirektoren ärgern meiner Liste von Erfolgen im Who’s Who hinzufügen.«
»Tun Sie das«, erwiderte Miss Caudle. »Hinkley hat uns ja bereits ein Alibi genannt, nicht wahr? Das war übrigens ziemlich geschmeidig, dieser Quatsch über den Boxkampf.«
»Man tut, was man kann«, sagte Lady Hardcastle. »Ein ziemlich wackeliges Alibi, aber ob er letzte Woche tatsächlich im Büro Überstunden gemacht hat, sollte sich herausfinden lassen.«
»Was ist mit dem ehrwürdigen Jimmy?«, fragte ich. »Zählen wir ihn zu den Verdächtigen? Und wie wollen wir in Bezug auf ihn vorgehen?«
»Ich denke, das könnte eine Aufgabe für Georgie Bickle sein«, sagte Lady Hardcastle. »Es würde mich wundern, wenn sie sich nicht mit der Welt auskennen würde, die der niedere Adel in Bristol frequentiert. Wir rufen sie gleich morgen an.«
»Und ich kümmere mich um Nathaniel Morefield«, sagte Miss Caudle. »Dieser Tage findet eine Wohltätigkeitsveranstaltung statt, bei der ich mir ziemlich sicher bin, seinen Namen auf der Liste der Ehrengäste gesehen zu haben. Ich schaue mal, ob ich nicht einen Interviewtermin ergattern kann – er ist der Typ, der sicherstellen will, dass die Leute über seine guten Taten Bescheid wissen. Würden Sie beide mich gern begleiten, Lady Summerford und Miss Maybee mit Doppel-e?«
»Ich glaube, das sollte ich besser lassen«, sagte Lady Hardcastle. »Wahrscheinlich weiß er, dass es kein Paar namens Sir Philip und Lady Summerford gibt, und ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob er mich nicht wenigstens schon einmal gesehen hat, obwohl ich mich nicht erinnern kann, ihm je persönlich begegnet zu sein. Du kannst aber gern mitgehen, Flo, wenn du willst.«
»Gern.«
»Ich bin sicher, uns fällt irgendein Grund dafür ein, warum sie da ist«, erwiderte Miss Caudle lächelnd.
»Dann haben wir also einen Plan«, schloss Lady Hardcastle. »Können wir Sie vielleicht noch zu einem Stück Kuchen überreden?«
Gleich am Montagmorgen rief Lady Hardcastle Lady Bickle an und verabredete sich mit ihr im Laden. Wir kamen kurz nach elf in Clifton an. Lady Bickle, Beattie Challenger und Marisol Rojas standen alle in ihren besten weißen Kleidern hinter dem Tresen des WSPU-Ladens. Sie grüßten uns herzlich.
»Haben Sie schon irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte Lady Bickle, als das allseitige Wangenküssen beendet war.
»Sogar ein paar«, erwiderte Lady Hardcastle. »Sollen wir uns oben unterhalten? Ich würde gern vermeiden, dass uns zufällige Kundinnen belauschen.«
»Natürlich«, sagte Lady Bickle. »Ach, aber das bedeutet, dass eine von euch es verpasst. Wir erzählen euch dann aber später alles, versprochen.«
»Mir macht es nichts aus, hier unten zu bleiben«, sagte Marisol.
»Mir auch nicht«, fügte Miss Challenger hinzu.
»Dann schnappt euch eine Münze aus der Kasse, die werfen wir«, entschied Lady Bickle. »Marisol, du sagst an.«
»Kopf«, entgegnete sie.
»Zahl, tut mir leid«, verkündete Lady Bickle, als sie auf die Münze sah. »Aber wir erzählen dir später wirklich alles.«
Daraufhin eilten wir nach oben ins Büro. Ich blickte aus dem Fenster auf die Kunstgalerie gegenüber und fragte mich, warum wir sie noch nie besucht hatten. Lady Bickle setzte sich in den Schreibtischstuhl, während sich Lady Hardcastle und Miss Challenger auf dem Sofa niederließen. Letztes Mal hatte ich es als ziemlich unbequem empfunden, mich zwischen zwei andere zu quetschen, also entschied ich mich diesmal dafür, auf der Armlehne neben Lady Hardcastle Platz zu nehmen.
»Also, was ist passiert?«, fragte Lady Bickle. »Wir haben wie auf glühenden Kohlen gesessen, seit Sie am Freitag in die Stadt gefahren sind. Hatte Miss Caudle Ihnen irgendetwas Nützliches mitzuteilen?«
Lady Hardcastle fasste kurz die Einzelheiten von Miss Caudles Entdeckungen und unseres Treffens mit dem Bauunternehmer Redvers Hinkley zusammen. Gemeinsam berichteten wir dann von der Party am Samstagabend und meinem Lauschangriff auf die Mitglieder der Männerliga, die die Bitte des ehrwürdigen Jimmy um finanzielle Hilfe abgelehnt hatten. Dann ließ ich Lady Hardcastle noch die Verbindung zwischen allen, die wir bisher getroffen hatten, und dem korrupten Ratsherrn Nathaniel Morefield erklären.
»Das ist erstaunlich«, sagte Lady Bickle, als wir fertig waren.
»Bemerkenswert«, stimmte Miss Challenger zu. »Dieser Christian Brookfield war ein ziemlicher Bluthund, nicht wahr? Da hat er ja in ein Wespennest gestochen.«
»Er scheint hartnäckig gewesen zu sein«, stimmte Lady Hardcastle zu.
»Dieses Notizbuch ist Gold wert«, sagte Miss Challenger. »Wie schade, dass er nicht noch mehr Details aufschreiben konnte, bevor er … Sie wissen schon …«
»Oh, wir sind noch nicht mal annähernd fertig damit – es gibt darin noch so viel zu entdecken«, sagte Lady Hardcastle. »Miss Caudle arbeitet, so schnell sie kann, aber sie hat ja auch andere Verpflichtungen, also wird es noch eine Weile dauern.«
»Das kann ich mir vorstellen«, warf Lady Bickle ein. »Was passiert als Nächstes?«
»Ich bin froh, dass Sie das fragen«, wandte Lady Hardcastle sich an sie. »Wir würden es nämlich begrüßen, wenn Sie uns ein bisschen unterstützen könnten.«
»Ich?«, fragte Lady Bickle erstaunt. »Ach, wie aufregend. Irgendwelches geheimnisvolles Zeug? Brauche ich dazu dunkle Kleidung und eine Brechstange?«
Lady Hardcastle musste lachen. »Leider nicht. Wir benötigen Ihre Verbindungen in die Gesellschaft. Genauer gesagt Ihre Verbindungen zum Kartenspiel. Sie haben uns doch erzählt, dass Sie eine regelmäßige Bridgerunde mit …«
»Lady Hooper«, half ich aus.
»Danke. Mit Lady Hooper besuchen. Kennen Sie denn zufällig auch – wie soll ich mich ausdrücken? – weniger vornehme Spielrunden in Ihrer Gegend? Etwas Diskretes, was für den niederen Adel angemessen ist, aber wo die Einsätze ein bisschen höher sind?«
»Falls solche Orte existieren«, erwiderte Lady Bickle mit einem schelmischen Glitzern in den Augen, »würde ich doch die Regeln der Geheimhaltung verletzen, wenn ich ihre Existenz bestätigen würde …«
»Aber?«, hakte Lady Hardcastle nach.
»Aber zufällig kenne ich Jimmy Stansbridge persönlich. Soll ich mich mal mit ihm unterhalten?«
»Das wäre außerordentlich hilfreich«, sagte Lady Hardcastle. »Und wenn Sie das Gespräch dann irgendwie darauf lenken könnten, wo er sich am Abend des Fünfundzwanzigsten aufgehalten hat, sind wir vielleicht in der Lage, wie unsere Freunde bei der Polizei sich ausdrücken würden, ihn von unseren weiteren Ermittlungen auszunehmen.«
»Oder ihn direkt in deren Zentrum zu rücken«, entgegnete Lady Bickle. »Wir können ja nicht einfach davon ausgehen, dass er unschuldig ist, nur weil er zur besseren Gesellschaft gehört.«
»Ganz recht«, stimmte Lady Hardcastle zu. »Wir müssen auf jeden Fall wissen, wo er sich an jenem Abend aufgehalten hat, ob es ihn nun belastet oder nicht.«
»Ich glaube, das kriege ich, ohne Verdacht zu erregen, hin«, sagte Lady Bickle. »Ich war schon seit ein paar Wochen nicht mehr bei einer dieser Kartenrunden – deren Existenz ich weder bestätigen noch abstreiten kann. Falls ich überhaupt jemals da war. Ich könnte behaupten, dass ich in jener Nacht bei einem bestimmten Spiel gewesen bin und enttäuscht war, ihn dort nicht anzutreffen. Höchstwahrscheinlich würde er mir dann sagen, wo er gewesen ist, und seinem Bedauern Ausdruck verleihen, dass wir uns verpasst haben.«
»Solange Sie nicht das Spiel erwischen, bei dem er tatsächlich war«, gab ich zu bedenken.
»Ach ja. Das wäre unangenehm, nicht wahr? Ich muss also alles noch einmal überprüfen, bevor ich mit ihm spreche. Das klappt schon – ich kenne ein paar Leute.«
»Leute, die vielleicht etwas mit Kartenspielrunden zu tun haben, die möglicherweise existieren oder auch nicht?«, erwiderte ich.
»Ja. Genau solche.«
Zufällig sah ich während dieses Wortwechsels zu Beattie Challenger, die Schwierigkeiten zu haben schien, ihr Missfallen zu verbergen – allmählich schwante mir, dass sie Lady Bickles Leichtfertigkeit nicht guthieß. So sollten sich ihrer Meinung nach richtige Ladys wohl nicht benehmen.
»Großartig«, sagte Lady Hardcastle. »Damit haben wir einen Punkt von der Liste abgehakt. Danke sehr.«
»Was steht denn sonst noch auf Ihrer Liste?«, fragte Lady Bickle.
»Weiteres Anstupsen und Stochern«, erwiderte Lady Hardcastle. »Mir ist die erquickliche Aufgabe zugefallen, Mr. Oswald Crane so lange zu reizen, bis er entweder gesteht oder mir ein Alibi liefert.«
»Und ich begleite Miss Caudle bei ihrem Versuch, ein paar nützliche Informationen aus dem Ratsherrn Nathaniel Morefield herauszukitzeln.«
»Das ist ein gemeiner, kleiner Knilch«, sagte Lady Bickle. »Zu allem Überfluss ist er auch noch Mitglied bei der Männerliga gegen das Frauenwahlrecht.«
»Was wollen Sie denn wegen des anderen Kerls unternehmen?«, fragte Miss Challenger.
»Welcher andere … ach, Redvers Hinkley?«, fragte Lady Hardcastle. »Der Bauunternehmer?«
»Ja«, bestätigte Miss Challenger. »Müssen Sie ihn nicht auch noch mal unter die Lupe nehmen?«
»Doch, wir müssen sein Alibi überprüfen. Das Problem ist, dass er behauptet, die ganze Woche Überstunden im Büro gemacht zu haben, und uns ist noch nicht eingefallen, wie wir herausfinden können, ob das der Wahrheit entspricht. Wir sind offen für Ideen.«
»Ich bin mir sicher, dass Ihnen da etwas einfällt«, sagte Lady Bickle. »Ein paar schlaue alte Mädchen wie Sie beide.«
»Bestimmt«, entgegnete Lady Hardcastle. »Aber vorerst müssen wir ihm wohl einfach glauben.«
»Was kommt jetzt als Nächstes?«, fragte Lady Bickle.
»Um ehrlich zu sein, haben wir erst mal nichts zu tun. Bis die verschiedenen Treffen arrangiert sind, gibt es nicht viel, was wir unternehmen können. Hat vielleicht irgendwer Lust, mit uns Kaffee trinken zu gehen?«
»Das ist eine entzückende Idee, aber wir müssen leider ablehnen, denn wir haben eine ganze Menge Flugblätter zu verteilen, und ich muss sicherstellen, dass alles für unser regelmäßiges Treffen heute Abend vorbereitet ist.«
»Dann vielleicht ein andermal«, erwiderte Lady Hardcastle.
»Sehr gern«, sagte Lady Bickle. »Wenn Sie wollen, können Sie auch gern heute Abend zu unserem Treffen kommen. Ich bin sicher, dass es Ihnen gefallen würde. Um sieben in den Victoria Rooms.«
»Wir sehen beim Kaffee mal in unserem Terminkalender nach«, versprach Lady Hardcastle.
Dann überließen wir sie wieder ihren Flugblättern und begaben uns auf der Suche nach Kaffee ins Zentrum von Clifton.
Obwohl wir uns inzwischen ganz gut in Clifton und Umgebung auskannten, beschlossen wir, nicht nach einem weiteren Café Ausschau zu halten, sondern gingen stattdessen wieder in die vertraute örtliche Filiale von Crane’s. Eine Kellnerin führte uns zu einem Tisch und nahm dann Lady Hardcastles Bestellung auf: »Eine Kanne Kaffee für zwei und zwei der riesigsten, klebrigsten, am unverschämtesten mit Sahne gefüllten Teilchen, die Sie haben, bitte.«
Während Lady Hardcastle in ihrer Handtasche nach ihrem Notizbuch kramte, sah ich mich im Raum um. Schon seit Langem hatte ich nicht mehr das Bedürfnis gehabt, unsere Umgebung auf mögliche Bedrohungen hin abzusuchen, und ich machte mir auch nicht mehr die Mühe sicherzustellen, dass wir einen Fluchtweg hatten, aber der schnelle abschätzende Blick durch den Raum war eine nur schwer abzulegende Angewohnheit.
Die zwei älteren Damen am Nebentisch schienen alte Freundinnen zu sein. Sie nannten erst einige kürzlich verstorbene Zeitgenossen und heiterten die Stimmung dann auf, indem sie zunehmend prahlerisch die Erfolge ihrer Enkelkinder aufzählten. Das Paar, das hinter Lady Hardcastle saß, war ganz offensichtlich sehr verliebt und sogar noch offensichtlicher mit anderen Menschen verheiratet.
Die beiden Männer in der hinteren Ecke waren …
»Haben Sie die zwei Männer am Fenster gesehen, als wir hereingekommen sind?«, fragte ich leise.
Ohne sich umzudrehen, antwortete Lady Hardcastle: »Ziemlich großer Kerl sitzt mit dem Rücken zur Tür, nervöser, verlotterter Typ ihm gegenüber? Der Große ist ordentlich, aber nicht teuer gekleidet; der Schäbige ist unrasiert, und seine Kleidung hat schon bessere Tage gesehen. Der Schäbige greift sich immer wieder an die Jackentasche – wahrscheinlich steckt darin ein Messer oder ein Schlagstock. Warum?«
»Der Große ist Inspektor Sunderland.«
»Tatsächlich? Gütiger George! Ich frage mich, was er hier macht.«
»Ein diskretes Gespräch mit einem Informanten führen, nehme ich an. Das hier wirkt nicht wie die Art Lokal, das der Schäbige normalerweise besuchen würde, also läuft er hier auch nicht Gefahr, zufällig auf ein bekanntes Gesicht zu stoßen.«
»Hört sich vernünftig an. Wir müssen den Inspektor mal danach fragen, wenn wir ihn das nächste Mal treffen.«
Dann kam unser Kaffee zusammen mit riesigen süßen Teilchen, die Lady Hardcastles scherzhafte Beschreibung sogar noch übertrafen.
»Glauben Sie, wir hätten uns besser eins teilen sollen?«, fragte ich.
»Unsinn. Nur Mut, junge Florence. Wappne dich, und guten Appetit.«
Wir begannen mit der nicht vollkommen unangenehmen Aufgabe, uns über unser gigantisches Gebäck herzumachen, während wir gleichzeitig den Brandstiftungsfall diskutierten. Es dauerte nicht lange, bis wir auf die Schwierigkeiten zu sprechen kamen, die Alibis unserer Verdächtigen zu überprüfen, ohne zugleich irgendeine Befugnis zu haben, irgendwen dazu zu zwingen, irgendetwas zu tun, geschweige denn uns die Wahrheit zu sagen.
Wir drehten uns gerade zum dritten Mal mit unseren Einsprüchen denselben Ideen gegenüber im Kreis, als die beiden Männer am Fenster aufstanden und sich zum Gehen wandten. Der Schäbige flitzte so schnell hinaus, wie es seine dürren Beinchen zuließen, während der Inspektor sich noch ein bisschen Zeit ließ. Als sein Begleiter schließlich verschwunden war, kam er wieder ins Café herein und trat an unseren Tisch.
»Guten Morgen, meine Damen«, begrüßte er uns.
»Guten Morgen, Inspektor«, erwiderte Lady Hardcastle. »Was für eine Überraschung, Sie hier zu treffen. So was, dass Sie gerade hier reinkommen, wenn wir Kaffee und Kuchen genießen. Setzen Sie sich doch zu uns!«
»Tun Sie nicht so«, lachte er. »Sie haben mich beim Reinkommen sehr wohl gesehen.«
»Ich habe Ihren Begleiter gesehen. Flo hat Sie entdeckt.«
»Ich hätte mir allerdings denken können, dass wir uns treffen«, sagte er und zog sich einen Stuhl von einem der benachbarten Tische heran. »Wo doch der WSPU-Laden in der Nähe und das hier eines der besten Kaffeehäuser in der Gegend ist.«
»Haben wir Sie bei irgendetwas gestört?«, fragte ich.
»Nein, keine Sorge. Das Wiesel hat Sie nicht bemerkt, und ich habe mir nicht anmerken lassen, dass ich hier irgendjemanden kenne.«
»Wiesel?«, fragte Lady Hardcastle. »Wir haben ihn den Schäbigen getauft.«
»Jesse, das Wiesel, Weaver. Einbrecher und Teilzeitspion für die Polizei.«
»Ziemlich nützlich, so jemanden zu kennen«, sagte Lady Hardcastle. »Hatte er irgendwelche Informationen?«
»Leider nicht. Ich hatte gehofft, dass er etwas über einen bestimmten Fall gehört hätte, an dem wir gerade arbeiten. An dem ich gerade arbeite, sollte ich sagen – unten im Präsidium gibt es dafür nicht allzu viel Begeisterung.«
»Hört sich interessant an«, sagte ich. »Gibt es irgendetwas, was wir tun können?«
»Ich bezweifle, dass Sie sich in den richtigen Kreisen dafür bewegen«, sagte er lachend. »Es hat nichts mit Bällen und gestohlenen Juwelen zu tun, übrigens auch nicht mit toten Farmern, Rennautos oder Filmvorführungen. Wenn ich richtigliege, haben wir es hier mit dem Werk von ein paar ziemlich üblen Kriminellen zu tun.«
»Sie tun nur wenig, um es weniger interessant klingen zu lassen«, sagte ich.
»Außerdem wissen Sie ja wohl kaum etwas über die Kreise, in denen wir uns bewegen«, fügte Lady Hardcastle hinzu. »Früher hatten wir es mit einigen sehr zwielichtigen Gestalten zu tun.«
»Da bin ich mir sicher«, antwortete er. »Sie haben mir die Geschichten schon erzählt.«
»Und wenigstens die Hälfte davon entspricht der Wahrheit«, warf ich ein.
»Sind Ihnen je irgendwelche Golddiebstähle untergekommen?«, fragte er.
»Na ja, also«, erwiderte Lady Hardcastle. »Lassen Sie mich mal überlegen. Wir haben damals doch eine Kiste mit Goldmünzen aus Bratislava herausgeschmuggelt, nicht wahr, meine Liebe?«
»Haben wir. Und es waren eigentlich auch gar nicht unsere, also gewissermaßen …«
»Gewissermaßen haben Sie also selbst schon einen Golddiebstahl begangen. Vielleicht sollte ich Sie beide einfach sofort verhaften, nur um auf der sicheren Seite zu sein.«
»Das haben schon viele versucht und sind daran gescheitert«, erklärte Lady Hardcastle. »Aber was gibt es denn in Bristol für Gold, das sich zu stehlen lohnen würde? Ich hätte gedacht, dass alle Juweliere der Stadt zusammengenommen kaum auf einen Barren kommen.«
»Noch ist es nicht in Bristol«, erklärte der Inspektor. »Es soll Ende des Monats am Hafen von Avonmouth ankommen.«
»Aus dem Ausland?«, fragte ich.
»Ausländischer geht es kaum. Falls Sie irgendetwas hören, während Sie Ihre Ermittlungen anstellen, lassen Sie es mich bitte wissen. Wiesel weiß nichts, und ich freue mich über jede Information, die ich bekommen kann.«
»Geht uns genauso«, sagte ich.
»Ach ja. Wie läuft es denn mit dem Worrel-Fall?«
Ich skizzierte ihm rasch unsere bisherigen Fortschritte, wobei Lady Hardcastle immer wieder zusätzliche Details und Bemerkungen einwarf.
»Sie sind gut«, sagte er, als wir fertig waren. »Und Brookfield war das ebenfalls. Ich habe schon oft angeregt, eine Polizeieinheit zu bilden, die sich diese Leute zur Brust nimmt. Wir buchten die Kleinkriminellen wegen ihrer lächerlichen Vergehen ein, während Leute wie« – er senkte die Stimme – »der verfluchte Redvers Hinkley und der verdammte Nathaniel Morefield Hunderte – wahrscheinlich Tausende – Pfund mit ihren zwielichtigen Geschäften absahnen. Lord Sonstwie und sein Kartenspiel interessieren mich hingegen herzlich wenig, muss ich sagen. Und wenn ich mit Crane verheiratet wäre, würde ich mich auch anderweitig nach Liebe und Zuneigung umsehen. Aber die anderen beiden …«
»Ich weiß, was Sie meinen«, entgegnete Lady Hardcastle. »Wenn Sie uns helfen wollen, Hinkley das Handwerk zu legen, könnten Sie mal ein bisschen genauer nachfragen, wo er in der Nacht des Brandes gewesen ist. Laut eigener Aussage hat er im Büro Überstunden gemacht, und wir haben keine Möglichkeit, das zu überprüfen.«
»Ich würde sehr gern helfen. Aber es gibt nicht viel mehr, was ich tun könnte und was Sie selbst nicht schon getan haben. Gegen ihn wird nicht offiziell ermittelt, also hat er leider keinen Grund, mir etwas zu erzählen. Ich strecke aber mal die Fühler aus und sehe, ob wir ihn wegen Betrugs und Korruption drankriegen. Morefield ebenso.«
»Danke, Inspektor«, sagte Lady Hardcastle.
»Ich werde mich selbst mal an Morefield versuchen, zusammen mit Miss Caudle, sobald sie das Interview vereinbart hat«, sagte ich.
»Sie setzen die Daumenschrauben an, hm?«
»Ich benutze Daumenschrauben in letzter Zeit nicht mehr so häufig. Sie sind so schwer in den Taschen und ruinieren die Silhouette meines Kleids. Um ehrlich zu sein, habe ich sowieso noch nie eine mechanische Hilfe gebraucht, damit ein Mann nach seiner Mutter geschrien hat, also lasse ich sie inzwischen meistens zu Hause.«
Der Inspektor lächelte. »Ich hab es schon mal gesagt, Miss Armstrong, und es wird bestimmt nicht das letzte Mal bleiben, aber ich bin wirklich außergewöhnlich froh, dass Sie auf der Seite der Guten stehen.«
Ich lächelte leutselig.
»Also gut«, sagte der Inspektor und stand auf. »Wenn Sie mich nun entschuldigen. Verbrechen sind zu verhindern, Bösewichter zu schnappen, Sie wissen ja, wie das ist. Es war mir eine Freude, Sie beide zufällig zu treffen.«
»Das Vergnügen war ganz unsererseits, lieber Herr Inspektor«, erwiderte Lady Hardcastle. »Passen Sie auf sich auf, ja? Und grüßen Sie bitte Mrs. Sunderland von uns.«
»Das mache ich, danke. Obwohl ich Sie warnen muss, dass ich, sobald ich Ihren Namen zu Hause erwähne, erneut dazu gedrängt werde, Sie endlich zum Essen einzuladen.«
»Dann müssen wir Ihre freundliche Einladung einfach annehmen.«
Er nickte uns zum Abschied zu und steuerte dann zwischen den Tischen hindurch auf die Garderobe neben der Tür zu. Dort setzte er seine Melone auf, trat nach draußen in die kalte Luft und war verschwunden.
Wir hielten uns noch ein paar Minuten mit unserem Kaffee auf, während wir zu entscheiden versuchten, was wir als Nächstes tun sollten.
»Ach, und wir haben uns noch gar nicht über das WSPU-Treffen heute Abend unterhalten«, sagte Lady Hardcastle. »Was meinst du? Sollen wir hingehen?«
»Ich komme gern mit, wenn Sie wollen.«
»Was eigentlich Nein heißt, richtig?«
»Na ja, dann hätte ich wohl eher ›Nein danke, Mylady‹
geantwortet, aber der Gedanke dahinter wäre derselbe gewesen. Wir waren ja vorher schon bei Suffragetten-Treffen, und mich muss auch niemand mehr davon überzeugen, dass Frauen das Wahlrecht erhalten sollten. Und alle anderen Erwachsenen ebenfalls. Man wird uns dort nichts erzählen, was wir nicht schon wissen, oder? Der einzige Grund hinzugehen, der mir einfällt, wäre als Zeichen der Solidarität.«
»Da hast du natürlich recht. Es besteht schon die Möglichkeit, dass das alles entsetzlich langweilig wird, aber es könnte auch nicht schaden, wenn man sehen würde, dass wir die Sache unterstützen. Vielleicht brauchen wir diese Damen irgendwann auf unserer Seite.«
»Wie gesagt, Mylady, ich gehe gern mit, wenn Sie wollen. Es wird dort hell genug sein – ich kann ein paar Näharbeiten mitnehmen.«
»Wie wäre es, wenn wir bleiben, bis Tee und Kekse gereicht werden, und uns dann verabschieden? Wir könnten auf dem Heimweg Fish and Chips essen.«
Sie legte den Betrag für unseren Imbiss auf den Tisch und zudem ein großzügiges Trinkgeld. Dann fingen wir an, unsere Habseligkeiten zusammenzusammeln. Gerade wollten wir aufstehen und gehen, als die Glocke über der Tür klimperte und die Kugelform des Ladenbesitzers Mr. Oswald Crane hereinwatschelte.
Eine Kellnerin eilte diensteifrig zu ihm, während er sein Reich überblickte. Sein selbstgefälliges, besitzergreifendes Lächeln erlosch, als er mich sah.
»Was tun diese beiden Frauen hier?«, fragte er.
Die Kellnerin war über seinen barschen Ton erstaunt und außerdem ein wenig ratlos wegen der Frage selbst.
»Kaffee trinken und Kuchen essen, Mr. Crane«, antwortete sie unsicher. »Sie haben außerdem kurz mit einem der anderen Gäste gesprochen. Er ist zu ihnen an den Tisch gekommen, nachdem seine Begleitung aufgebrochen war.«
»Seien Sie nicht so unverschämt«, blaffte er. »Schmeißen Sie sie raus.«
»Keine Sorge, mein Lieber«, beruhigte ihn Lady Hardcastle. »Wir sind fertig und schon unterwegs. Danke für den wundervollen Service. Sie sind sehr aufmerksam gewesen.«
»Lady Hardcastle und ihre Zofe – ja, ganz recht, Mylady, glauben Sie bloß nicht, dass ich nicht weiß, wer Sie wirklich sind – sind in meinen Läden nicht willkommen«, sagte Mr. Crane. »Verstanden?«
»Ja, Sir«, entgegnete die Kellnerin mit einem verlegenen Knicks.
Da schien Mr. Crane aufzufallen, dass ihm eine wichtige Information entgangen war.
»Moment mal. Einer der anderen Gäste? Welcher Gast denn?«
»Inspektor Sunderland von der Kriminalpolizei Bristol«, antwortete die Kellnerin und war stolz auf ihr Wissen. »Was für ein freundlicher Mann. Kommt regelmäßig her. Und ist immer so höflich.«
Mr. Crane wurde bleich.
»Keine Sorge, Mr. Crane«, sagte Lady Hardcastle. »Er hat uns nur gefragt, wo Sie am Dienstag, dem Fünfundzwanzigsten, abends gewesen sind. Und davon haben wir ja nicht die leiseste Ahnung. Ich bin sicher, er wird sich gegebenenfalls selbst mit Ihnen in Verbindung setzen.«
Nun zog Mr. Crane uns hastig in eine nicht besetzte Ecke des Cafés. Das bot ihm keineswegs mehr Diskretion als vorher, aber er schien zu glauben, dass unser Gespräch so für die anderen Gäste nicht hörbar wäre.
»Jetzt hören Sie mal gut zu, Hardcastle«, sagte er deutlich weniger energisch, als er es vermutlich wollte. »Sie haben überhaupt keinen Beweis dafür, dass die miesen Anschuldigungen dieses Brookfield über meine Frau wahr sind, und falls Sie Brookfields Lügen diesem Inspektor …«
»Er heißt Sunderland, Sir«, half ich aus.
»… diesem Inspektor Sunderland gegenüber erwähnen sollten, werde ich Sie wegen übler Nachrede verklagen.«
»Das werden wir ja sehen«, erwiderte Lady Hardcastle. »Aber wie gesagt, er war gar nicht an Ihrer Frau interessiert. Sondern an Ihrem eigenen Aufenthaltsort in der Nacht, in der Christian Brookfield gestorben ist.«
»In der Nacht … Jetzt hören Sie mal gut zu. Ich hatte nichts mit diesem schrecklichen Feuer zu tun, und das müssen Sie ihm sagen.«
»Aber wir wissen ja genauso wenig wie er, wo Sie waren. Also können wir ihm im Grunde gar nichts sagen.«
»An jenem Abend war ich zu Hause, und das können Sie ihm erzählen.«
»Kann Ihre Frau das bestätigen?«
»Meine Frau ist … an dem Abend aus gewesen.«
»Was ist mit Ihrer Dienerschaft?«
»Ja, ja. Ich bin sicher, die können es bestätigen. Warum fragen Sie sie nicht selbst? Ich hatte nichts mit alledem zu tun.«
»Danke, Mr. Crane«, sagte Lady Hardcastle. »Falls wir den Inspektor noch einmal treffen sollten, geben wir ihm die Information auf jeden Fall weiter. Und wir haben die Erlaubnis, Ihre Dienerschaft zu befragen?«
»Bitte sehr. Ich habe nichts zu verbergen.«
»Danke, Mr. Crane. Einen schönen Tag noch.«
Mit diesen Worten wandte sie sich zur Tür, und ich folgte ihr auf dem Fuße. Erst als das allgemeine Gemurmel wieder losging, wurde mir klar, wie still es im Kaffeehaus während unseres Gesprächs gewesen war.